Rede von
Georg Richard
Kinat
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, Ihnen eine Vorlesung hier zu halten, wie sie eben mein Vorredner, der Kollege Nöll von der Nahmer gehalten hat. Dazu habe ich nicht das Zeug, und ich bin außerdem auch nicht Professor.
Ich möchte auf eines aufmerksam machen. Einst, Herr Kollege Nöll von der Nahmer, waren wir Heimatvertriebenen heimatlos, klassenlos, vermögenslos. Das hat sich im Laufe der Zeit etwas gewandelt. Heimatlos sind wir heute noch; aber viele sind nicht mehr vermögenslos und auch nicht mehr klassenlos. Sie versuchen auch in den Lastenausgleich eine Klassifizierung hineinzubringen, die letzten Endes für die Ärmsten der Armen immer einen Nachteil bringt. Noch vor wenigen Tagen, am Sonntag, hatte ich Gelegenheit, der Demonstration auf dem Marktplatz in Bonn beizuwohnen und meinen Landsmann Dr. Kather zu hören, wie er aus dem tiefsten Brustton vollster Überzeugung erklärte: Mag kommen was da wolle, dieser Lastenausgleich, wie er uns in diesem Entwurf präsentiert wird, befriedigt nicht und wird von uns nie anerkannt oder angenommen werden. Nun, mittlerweile hat auch Dr, Kather seine Positur wiedergewonnen.
Er geht voll und ganz darauf aus, daß er ähnlich wie bei der Hauptentschädigung, wo man ja keine Begrenzung kennt, auch bei der Hausratentschädigung eine solche nicht für notwendig hält. Infolgedessen macht es bei ihm gar nichts aus — juristisch durchaus in Ordnung —, wenn man nur theoretisiert und das Recht nur abstrakt sieht. Dann könnte natürlich jeder Jurist kommen und sagen: Was dem einen recht ist, wenn er arm ist, ist auch dem andern, wenn er reich ist, billig.
Aber, verehrte Damen und Herren, so können die Dinge doch hier nicht betrachtet werden. Wir müssen den Heimatvertriebenen draußen sagen: Eure Schwestern und Brüder, die das gleiche Schicksal erlebt haben, sind im Laufe der Zeit durch Gewährung von Aufbaudarlehen oder sonstigen Vergünstigungen mittlerweile zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stand gekommen, in dem sie sich distanzieren — wir sehen doch, daß sie nicht mehr in die Versammlungen kommen —, weil sie nicht mehr unter den Begriff Flüchtling oder Vertriebener fallen wollen. Das ist eine soziologisch - psychologische Angelegenheit. Demjenigen, der seit Jahr und Tag — drei Jahre sind hier genannt worden - wieder zu einem Vermögen von 35 000 DM und zu einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 10 000 DM plus 2000 DM für die Familienangehörigen gekommen ist, noch ein Recht — ein Recht, von dem in dem ganzen Lastenausgleich überhaupt keine Spur ist —zuzugestehen, um nach oben keine Begrenzung zu haben, das finde ich reichlich komisch. Das, lieber Herr Dr. Kather, ist nicht sozial. Das ist wohl juristisch in Ordnung; aber sozial kann das nicht genannt werden. Für uns Heimatvertriebene ist auch diese Angelegenheit letzten Endes eine Frage der Solidarität. Stellen wir uns einmal vor, die Millionen würden hier auf dem Marktplatz in Bonn stehen und der Betrag für die Hausratentschädigung käme zur Verteilung. Dann würde das nach Ihrer Meinung doch heißen: Alle, von unten angefangen, erhalten etwas; aber die obersten werden nicht vergessen, die bekommen natürlich den größeren Anteil. Da müßte doch jeder, der etwas auf Ehrgefühl hält und sich nicht in dieser Notlage befindet, sagen: Ich verzichte zugunsten meiner armen Brüder und Schwestern auf die mir nach dem Recht zustehende Entschädigung.
So möchten wir das auch haben. Sehen Sie, während Sie einerseits darauf pochen, lieber Herr Dr. Kather, daß hier ein Grundsatz zu verteidigen ist und ein Rechtsanspruch besteht, wollen Sie auf der anderen Seite das Recht auf Arbeit für unsere armen Schwestern und Brüder nicht anerkennen. Dazu haben Sie sich gestern auch nicht geäußert. Das Recht auf Arbeit ist für uns viel wichtiger
als das Recht jener Bourgeois, die mitgeholfen haben, Hitler zu finanzieren und jetzt auch noch dabei sein wollen.