Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ohlig hat mir die Urheberschaft an der Streichung der Höchstgrenze zugesprochen, nachdem schon früher einmal im Ausschuß die Höchstgrenze von 15 000 auf 35 000 DM heraufgesetzt worden war. Ich bekenne mich schuldig.
Es ist tatsächlich so, daß wohl ohne meine Mitwirkung diese Streichung der Höchstgrenze nicht zustande gekommen wäre.
Herr Kollege Ohlig hat weiter ausgeführt, daß ich in sonst ungewohnter Bescheidenheit bei der Kundgebung am vergangenen Sonntag auf dieses mein Verdienst, das er als sehr zweifelhaft ansieht, nicht hingewiesen habe. Nun, Herr Kollege Ohlig, ich habe mich am Sonntag kaum mit der Entschädigungsseite, sondern im wesentlichen mit der Aufbringungsseite beschäftigt, was j a auch durchaus in der Sache lag, und bin nur mit einigen wenigen Sätzen auf die Entschädigungsseite eingegangen. Aber ich kann sagen, daß ich nie ein Hehl daraus gemacht habe, daß ich diese Höchstgrenze immer abgelehnt habe. Ich habe das ganz besonders deutlich am 18. Februar 1951 auf der ersten Kundgebung hier in Bonn zum Ausdruck gebracht, und ich stehe nicht an, zu erklären, daß z. B. die Aufrechterhaltung der Höchstgrenze von 15 000 DM für mich allein Grund genug gewesen wäre, zu dem ganzen Lastenausgleichsgesetz ein Nein zu sagen.
Bevor wir uns mit der Sache weiter beschäftigen, erscheint es mir angebracht, das Gewicht der Frage einmal zu prüfen. Ich glaube, ich stimme mit der Sozialdemokratischen Partei darin überein, daß das Gesetz, das uns jetzt beschäftigt, aus ganz anderen Gründen schon völlig abzulehnen ist, und ich bin der Meinung — und ich glaube, daß Sie mir darin nicht widersprechen werden —, daß dem von beiden Teilen, der in dieser Frage Recht bekommt, das Gesetz dadurch noch nicht annehmbarer gemacht wird. Aber es ist, wie die Dinge jetzt liegen, keine Frage von ausschlaggebender Bedeutung.
Der Herr Bundesfinanzminister — das hat Herr Kollege Ohlig, glaube ich, auch vorgetragen — schätzt den Unterschied, der durch die Streichung der Höchstgrenze, nachdem die Erhöhung von 35 000 DM schon eingetreten war, entsteht, auf 250 Millionen im ganzen.
— In 30 Jahren. Meine Damen und Herren, wir
haben Veranlassung, gegenüber den Schätzungen
des Herrn Bundesfinanzministers Vorsicht zu üben.
— Ich will das sofort beweisen, und zwar beweisen,
wie Sie es nicht erwarten werden. Ich will auf die
Beratungen über das Gesetz nach Art. 131 hinweisen. Da ist der erforderliche Betrag vom Herrn Bundesfinanzminister — ich habe es mit eigenen Ohren gehört — immer wieder auf 1,7 Milliarden beziffert worden, und Sie wissen, daß sich der Herr Bundesfinanzminister da um etwa eine Milliarde geirrt hat. Ich erinnere an die Schätzung beim Feststellungsgesetz. Da ist zum erstenmal die berühmte Zahl von 319 Millionen aufgetaucht. Auch da ein Irrtum von mehr als 100 %, wenn man von dem Grundbetrag ausgeht!
Aber die größte Fehlschätzung — und das gibt mir Veranlassung, auf diese Dinge einzugehen — ist dem Herrn Bundesfinanzminister am letzten Sonntag, am Tage unserer Kundgebung, auf einer Bauernversammlung in Tuntenhausen unterlaufen,
wo er sich sehr abfällig mit unserer Demonstration beschäftigt und gesagt hat, die Heranschaffung jedes einzelnen Versammlungsteilnehmers habe nach seiner Meinung im Durchschnitt 100 DM gekostet. Ich bin jederzeit in der Lage, vor Gericht oder sonstwo nachzuweisen, daß dieser Betrag unter 10 DM liegt. Wir haben also hier wirklich eine groteske Fehlschätzung des Herrn Bundesfinanzministers.
— Ja, das kommt noch hinzu. Die guten Anzüge sind eigentlich das Entscheidende bei dieser Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers. Er hat nämlich unter Hinweis auf einen Roman von Zola gesagt, daß man wohl verstehen könne, wenn zerlumpte Leute demonstrierten; aber wenn großen schillernden Omnibussen gutgekleidete Menschen entstiegen, hätte er für eine solche Demonstration kein Verständnis.
Der Sonntagsanzug nimmt also das Recht zu Demonstrationen! Ich möchte das hier nicht weiter vertiefen, abgesehen davon, daß die Anzüge auch im Durchschnitt nicht so gut waren. Der Herr Bundesfinanzminister wird bei anderer Gelegenheit noch Antwort erhalten. Aber dieser ganze Vorgang zeigt doch die Einstellung, die er gegenüber den Vertriebenen hat.
Nun komme ich zum eigentlichen Thema zurück, zu den 250 Millionen. Wir sind der Meinung, daß auch dieser Betrag übersetzt ist. Er wird von den Geschädigtenverbänden wesentlich niedriger, mit etwa 100 Millionen DM geschätzt. Aber, meine Damen und 'Herren, gehen wir einmal von dem höheren Betrag aus, von 250 Millionen in 30 Jahren,
dann sind das 0,4 %.
0,4 %, meine Damen und Herren, also ein Betrag, der praktisch doch überhaupt nicht ins Gewicht fällt.
Herr Kollege Nöll von der Nahmer hat schon gesagt oder wenigstens angedeutet, daß es hier um eine Grundsatzfrage geht, und das ist das Entscheidende. Es kann keine Rolle spielen, ob es sich in dem einen Fall um 12 000 und in dem andern um 52 000 Menschen handelt; die entscheidende Frage ist doch, von welchen Voraussetzungen man ausgeht. Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß hier ein Rechtsanspruch auf Entschädigung vorliegt, dann kann man doch nicht einfach einen Schnitt bei einer bestimmten Grenze machen und sagen: ein größeres Vermögen sehe ich nicht als schutzwürdig an. Es geht hier auch um das Privateigentum. Wenn man den Begriff des Privateigentums anerkennt und es schützen will, dann kann man nicht sagen: ein größeres Vermögen interessiert mich nicht. Wenn man es aber schon sagen wollte, dann müßte man es doch auf beiden Seiten anwenden, dann müßte man doch die gleichen Grundsätze auch auf der Abgabeseite zur Geltung bringen, wenn es auch nicht ganz so geht, wie es auf der andern Seite geschieht, weil da wirklich allzuviel Malheur passieren würde.
Aber man müßte dann doch einmal etwas anders vorgehen. Das ist es ja, was mich so empört hat: auf der einen Seite 15 000 DM als Höchstgrenze — das andere sollte nicht einmal festgestellt werden —, auf der andern Seite stehen wir vor der Tatsache, wie ich heute schon auszuführen Gelegenheit hatte, daß die ganz großen Vermögen, die erhalten geblieben sind, keine 50 % abgeben, sondern in Wirklichkeit 80 % und mehr behalten. Mit dieser Behandlung der Vermögen der Geschädigten ist es völlig unvereinbar, daß man praktisch doch von jedem Eingriff in die Substanz abgesehen und hier eine Abgabe aus dem Ertrag auf 30 Jahre vorgesehen hat. Man kann hier nicht den Vergleich ziehen und sagen: der kleine Mann mit dem Eigenheim muß zahlen und der Millionär aus dem Osten bekommt, sondern man muß die miteinander vergleichen, die ungefähr in der gleichen Situation sind. Da kommt man dann zu ganz merkwürdigen Ergebnissen, auch noch nach unserem Vorschlag. Denn wenn Sie sich einmal die Tabelle ansehen: bei 2 Millionen kommen 84 000 Mark heraus; plus 2 v. H., das sind also nochmal 20 000 Mark, wenn Sie auf 3 Millionen gehen. Sie kommen dann auf 104 000 DM Entschädigung. Das bedeutet doch inhaltlich, daß der Mann mit einem großen Vermögen — hier sind es 3 Millionen — auch nach dem bisherigen Vorschlag 97 % seines Vermögens abschreiben muß. Die Entschädigung beträgt dann nur noch 3 %. Ich glaube, daß man das vertreten kann. auch unter sozialen Gesichtspunkten.
Eines muß noch hervorgehoben werden. Diese Stellungnahme steht durchaus nicht im Widerspruch zu unserer Auffassung hinsichtlich des erhöhten Finanzbedarfs für die ersten Jahre. Denn die ganze Auszahlung ist doch nach sozialen Gesichtspunkten geregelt. Die Priorität des wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisses ist doch absolut sichergestellt. Diese 250 oder, wie wir sagen, 100 Millionen — der Betrag mag auch auf der Mittellinie sein — kommen also überhaupt erst in einer Zeit zum Zuge, wo der Bedarf nicht mehr so groß ist. Ich bin daher der Meinung, wir können uns schon unter dem Gesichtsnunkt der Gleichberechtigung zwischen Geschädigten und Nichtgeschädigten niemals damit einverstanden erklären, daß hier überhaupt ein solcher Strich gemacht wird. Ich habe mich nie gescheut, über diese Frage zu diskutieren; ich habe sie auch oft auf Vertriebenenkundgebungen und -versammlungen angeschnitten.
Ich habe immer gesagt: wenn bei einem das Rechtsempfinden an seinem eigenen Portemonnaie und an der eigenen Tasche aufhört, daß er also kein Verständnis hat, wenn man auch einmal für andere Leute, die sich in einer anderen Situation befinden, sorgen will, dann ist das kein gutes Rechtsempfinden.
Ich bitte es also bei der bisherigen Fassung des Ausschusses zu belassen, weil ich die darin vorgesehene Regelung für rechtlich notwendig und sozial durchaus vertretbar halte.