Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Zweifellos ist es richtig, daß dieser § 269 wohl das wichtigste Kernstück des Teiles des Gesetzes ist, der insbesondere die Forderungen der Geschädigten behandelt. Dieser Paragraph wird noch eine gewichtige Rolle unter allen 'Gruppen der Geschädigten spielen. Denn hier handelt es sich darum, inwieweit ihre Verluste und Schäden durch den Beschluß des Bundestags anerkannt bzw. ausgezahlt werden sollen, so daß sie in wirtschaftlicher und in anderer Beziehung eine wirkliche Grundlage für ein neues Leben erhalten. Die Argumentation der Redner von 'der Regierungsseite zu dem Antrag der Fraktion der Kommunistischen Partei, zu den Forderungen, die wir dazu zu erheben haben, wird versuchen, die Frage der Feststellung des Schadens und des Grundbetrags in eine Verbindung mit der Einnahmeseite, mit dem Aufkommen der Mittel zu bringen. Ich kann mir vorstellen, daß Herr Kunze und auch andere Redner darauf 'besonders herumreiten und begründen werden, warum sie diesem 'unserem Antrag ihre Zustimmung nicht geben. Wir haben ja gestern bei der Behandlung des Abschnitts der Abgabepflichtigen gerade diesen Punkt sehr eingehend behandelt. Mein Fraktionskollege Rudolf Kohl hat darauf hingewiesen, daß absolut und real die Möglichkeit gegeben ist, solche Beträge dem Lastenausgleich, wenn er einen wirklichen Lastenausgleich bringen soll, zuzuführen, daß ein Minimum der Forderungen der Anspruchsberechtigten erfüllt werden kann. Unsere Anträge, die insbesondere die Erfassung der Kriegsgewinne und die Erfassung der Währungsgewinne bezweckten, wurden abgelehnt. Durch Ihre Zustimmung zu unserem Antrag über die Währungsgewinne und entsprechende Beschlußfassung hätten wir allein auf der Grundlage der Aktienwährungsgewinne 41/2 bis 5 Milliarden dem Fonds für den Lastenausgleich zuführen können. Aber dieser Antrag, ich sagte es schon, wurde abgelehnt. Und nun wird man auch die Ablehnung
der Festsetzung des Schadensbetrags bzw. des darauf fußenden Grundbetrags damit begründen, daß keine oder nicht genügende Mittel da seien.
Meine Damen und Herren! Dieser § 269 in der Vorlage des Ausschusses symbolisiert aber noch etwas anderes — ich hatte vorhin bereits Gelegenheit, darauf hinzuweisen —, nämlich den Willen und die Konsequenz der Regierungssprecher, unter allen Umständen zu verhindern, daß ein sozial gerechter Lastenausgleich durchgeführt wird. Als ich vorhin den Antrag hinsichtlich der Sparguthaben begründete, da wurde unser Antrag, auch die Sparguthaben bis zu 500 Mark zu berücksichtigen, abgelehnt. Dieselbe Tendenz haben wir in dem § 269. Nach der Absicht der Regierungskoalition werden also zunächst einmal alle Schadensbeträge bis zu 500 Mark von jeglichem Anspruch auf einen Grundbetrag ausgeschlossen. Sie beginnen bei 500 Mark.
Nun möchte ich, daß sich auch die Öffentlichkeit ein Bild über die Zahlen und Tatsachen machen kann.
— Nun, Sie werden es nicht wagen können, mit diesem Gesetz zu den Umsiedlern und Flüchtlingen zu gehen. Die werden Ihnen sehr bald die Möglichkeit geben, schleunigst den Saal zu verlassen, wo Sie auftreten wollen.
Meine Damen und Herren, einige wenige Tatsachen werden den Geschädigten vor Augen führen, wie es die Regierungssprecher verstanden haben, die Schwachen nicht oder nur mangelhaft zu berücksichtigen, dagegen den Reichen um so mehr zukommen zu lassen.
Bei einem Schadensbetrage von 501 bis 1800 RM soll der Grundbetrag, der dem Anspruchsberechtigten, dem Geschädigten zuerkannt werden soll, 675 DM betragen.
— Das war ein sehr unkluger Zwischenruf; denn ich werde Ihnen das Spiel mit den Prozenten nachher gleich vor Augen führen.
Bei einem Schadensbetrage von 2 600 RM bis 5000 RM — und das betrifft eine sehr große Anzahl von Geschädigten — soll der Grundbetrag 1455 DM betragen, bei 5000 RM : 2535 DM, bei 10 000 RM : 4035 DM, bei 50 000 RM : 8835 DM, bei 500 000 RM : 34 335 DM, und bei 3 Millionen RM würde der Grundbetrag 124 335 DM betragen.
Das heißt also, man gibt nach dieser Regelung den am schwersten Geschädigten, der Masse der Geschädigten, nicht einmal das, was sie durch den Schaden verloren haben, während die Festsetzung der Grundbeträge um so höher wird, je größer die Ansprüche sind.
Nun glaubt der Kollege Schütz, mit den Prozenten eine Begründung für die Haltung der Regierungskoalition finden zu können. Mit Prozentsätzen läßt sich ein wunderbares Spiel betreiben, ein Spiel, das bei den Geschädigten den Eindruck erwecken soll, als ob man ein soziales Verständnis habe. Ich werde Ihnen dieses Spiel mit den Prozenten zerschlagen.
Bei der Gruppe bis zu 1800 RM Schadensbetrag spricht man großspurig davon, daß man dort einen Grundbetrag in einer Höhe von 75 % des Schadensbetrages gewähre. Das macht in dieser Relation, Herr Schütz, 675 DM. Nun werden Sie sagen, Sie haben ja eine gleitende Skala, die nach unten verläuft; sie betrage bei 500 000 RM Schaden nur noch 5 %. Aber diese 5 %, Herr Kollege Schütz, machen nicht wie bei dem Armen mit seinen 1800 RM nur 675 DM aus, sondern diese 5 % machen 12 500 DM aus. Nehmen Sie den Betrag von 3 Millionen RM, dann können Sie sich in der Öffentlichkeit hinstellen und sagen: Ja, wir geben denen nur 2 %. — Aber, Herr Kollege Schütz, bei 3 Millionen RM betragen diese 2 % gegenüber dem Grundbetrag von 675 DM bei 1800 RM doch 40 000 DM! Ich glaube also, Herr Kollege Schütz, mit dieser Argumentation, mit diesem Spiel der Prozente, werden Sie draußen bei den Flüchtlingen usw. keinerlei Resonanz finden. Hier wird jedem eindeutig und offensichtlich, wie sich die Herren schützend vor das Vermögen, vor die Aktionäre stellen, so wie sie es gestern getan haben und heute bei der für die Anspruchsberechtigten, für die Geschädigten, entscheidenden Frage ihren alten Grundsatz, nämlich die Reichen zu schonen, wiederholen.
Und nun zu unserem Antrag. Wir sind der Meinung, daß nach der Festsetzung der Hauptentschädigung für alle bis zu einem bestimmten Schadensbetrag der volle Schadensersatz gewährleistet werden muß. Deswegen bezweckt der Antrag der kommunistischen Fraktion, daß die Hauptentschädigung für alle Schäden bis zu 20 000 RM in voller Höhe anerkannt werden soll. Bei Schäden über 20 000 bis 30 000 RM soll die Hauptentschädigung 20 000 DM züzüglich 75 % des 20 000 Mark übersteigenden Betrages — also von 20 000 bis 30 000 RM — ausmachen, also insgesamt bis 27 500 DM ausmachen. Bei Schäden über 30 000 bis 80 000 RM sollen zu der eben genannten Hauptentschädigung 50 % des 30 000 RM übersteigenden Betrages treten. Und als Höchstgrenze für Schäden von 80 000 bis 120 000 RM kommen zu der Hauptentschädigung noch 10 % des 80 000 RM übersteigenden Betrages hinzu.
Eine Entschädigung und Festsetzung eines Grundbetrags darüber hinaus lehnen wir ab. Wir sind auch der Auffassung, daß die überwiegende Mehrheit der Geschädigtengruppen eine darüber hinausgehende Festsetzung des Grundbetrags für die Hauptentschädigung ablehnen wird. Wir haben ja aus dem Ausschuß gehört, wie groß der Kreis -ist, der daran interessiert ist, eine solche Begrenzung unter allen Umständen zu beseitigen. Es sind, wie schon erwähnt wurde, rund 52 000, die mit ihren Forderungen — zuzüglich Zinsen — einen Betrag von annähernd einer Milliarde D-Mark beanspruchen. Dieser verschwindende Prozentsatz an Menschen mit seiner Forderung von einer Milliarde D-Mark im Verhältnis zu der großen Zahl der übrigen Anspruchsberechtigten demonstriert eindeutig, daß die Politik der Koalitionsparteien mit der Beseitigung einer Höchstgrenze darauf berechnet ist, dieser kleinen Anzahl von Reichen ihr Besitztum zu erhalten. Alle Gruppen der Geschädigten und insbesondere die große Masse jener, deren Schadensbeträge bis zu 120 000 DM gehen — also unsere Höchstgrenze — werden sich dagegen wehren, daß einer kleinen Gruppe auf Grund dieses Gesetzes eine Milliarde zugeschanzt werden soll.
Meine Damen und Herren, wir haben in unserem Antrag gefordert, daß die Grundbeträge bis
zu 20 000 DM dem Anspruchsberechtigten innerhalb eines Jahres auszuzahlen sind
und die darüber hinausgehenden Beträge in einer Frist von zwei Jahren.
— Gerade darauf wollte ich jetzt kommen, Herr Kollege Farke. Ich werde Ihnen erneut zeigen, daß Sie gar nicht daran denken, mit diesem Gesetz den Geschädigten zu helfen, ganz abgesehen von der Laufdauer von 30 Jahren, die das Gesetz vorsieht. Denn bei diesem Zeitraum ist zweifellos zu erwarten, daß ein sehr, sehr großer Teil der Geschädigten nicht mehr lebt und infolgedessen nicht in den Besitz der ganzen Entschädigung kommen wird.
Aber abgesehen von dieser Frage, die erneut demonstriert, mit welchen raffinierten Methoden man arbeitet, um die Geschädigten zu prellen,
besteht die Möglichkeit, diesen unseren Antrag auch tatsächlich durchzuführen. Damit möchte ich auch auf die Ausführungen eingehen, die ein Kollege aus der sozialdemokratischen Fraktion zu unsrem Antrag gemacht hat.
Ich sagte einleitend: Sie haben es gestern ausgezeichnet verstanden, Ihre Pläne durchzusetzen, nämlich diejenigen, die für die Aufbringung zu einem Lastenausgleich i. erster Linie herangezogen werden müssen, zu schonen. Ich möchte noch einmal unterstreichen: Würden Sie alle Kriegsverbrecher mit ihrem Vermögen zu dem Lastenausgleich heranziehen, würden Sie alle Währungsgewinnler mit dem Betrag ihres Gewinnes. den sie bei der Währungsreform gemacht und mit dem Vermögenszuwachs, den sie seither erzielt haben,
Aber es gibt noch einen zweiten Weg. Wenn Ihre bisherige Politik — ich erwarte es nicht von Ihnen - geändert würde, d. h. wenn Herr Schäffer nicht mehr berechtigt wäre, den sogenannten Drei Weisen oder den Herren vom Petersberg
12 Milliarden für die Aufrüstung zur Verfügung zu stellen, wenn weitere Milliarden nicht
für die Erstausstattung der ersten Panzer- und motorisierten Divisionen bereitgestellt würden —wofür aus dem Amt des Sonderbeauftragten des Herrn Dr. Adenauer, Herrn Blank, die Summe von 13 Milliarden genannt worden ist —, wenn endlich einmal diese unglaublichen Besatzungskosten verschwänden,
wenn Regierungskoalition und Regierung
— ich verstehe schon, warum Sie hier abwehren —
dafür sorgen würden, daß diese Milliarden statt für die Besatzung nun für den Lastenausgleich verwendet werden würden, dann wären die Mittel für die Erfüllung der Ansprüche der Berechtigten vorhanden. Das wollen Sie aber nicht. Sie wollen lieber die Millionen dreißig Jahre lang warten lassen, bevor Sie ihnen einige Pfennige geben bzw. ihre Ansprüche erfüllen. Dafür aber wollen Sie jetzt und jährlich diese Milliarden für die Rüstung und für die Kriegsvorbereitung zur Verfügung stellen.
Hier ist der Weg, um den Flüchtlingen, um den Besatzungs- und Fliegergeschädigten usw. zu helfen! Aber hier scheidet sich eben auch der Weg. Sie wollen den Weg der Finanzierung des Krieges und damit des Krieges gehen. Aber die Millionen erwarten, daß ihnen geholfen wird, daß ihnen die Gelder zur Verfügung gestellt werden, damit sie endlich aus dieser unerhörten sozialen und wirtschaftlichen Not herauskommen. Das aber wollen viele, meine Damen und Herren, von der Regierungskoalition und die Regierungsbank nicht.
Ich sage also: unser Antrag ist absolut realisierbar. Es besteht keinerlei Grund, irgendwie an der Möglichkeit der Durchführung zu zweifeln, wenn die von mir genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Deswegen wird dieser Antrag auch von draußen unterstützt; und ich glaube, Herr Dr. Kather wird wohl auch am Sonntag Gelegenheit gehabt haben, zu hören. wie unter der Versammlung die Fragen der Remilitarisierung und des Generalvertrags keine untergeordnete Rolle — nach den mir zugegangenen Nachrichten — spielten.
Und nun noch eine Bemerkung. Wir fordern in der Ziffer 3 des Antrags, daß den Anspruchsberechtigten auf die ihnen zustehenden Grundbeträge unverzüglich — d. h. innerhalb von zwei Monaten nach Verkündung des Gesetzes — ein Vorschuß zu zahlen ist. Eine Forderung, die so selbstverständlich ist, daß ich sie wohl im einzelnen nicht mehr näher zu begründen brauche.
Meine Damen und Herren, der wirkliche Inhalt Ihrer Politik in bezug auf die Geschädigtengruppen ist der, ihnen nur Versprechungen zu machen und mit diesem Gesetz das vorzuenthalten, was sie berechtigt sind an Mindestforderungen aufzustellen. Auf der andern Seite schonen Sie die, die in erster Linie für den Lastenausgleich herangezogen werden müßten. Die Geschädigten werden aus dieser Haltung ihre Schlußfolgerungen ziehen. Manche glaubten nämlich, sich so einen besonderen Nimbus als die berufenen Interessenvertreter der Geschädigten zulegen zu müssen. Das ist mit diesem Gesetz ein für allemal vorbei. Ich bin davon überzeugt, daß die Geschädigten sich nicht mehr länger mit Versprechungen abspeisen lassen. Dieses Gesetz ist alles andere als ein Lastenausgleichsgesetz. Die Geschädigtengruppen lehnen dieses Gesetz ab. Der Weg zu einem wirklichen sozialen und gerechten Lastenausgleich kann nur der sein, daß sich alle Geschädigten zusammenschließen und ihre eigene organisierte Kraft gegen Bonn einsetzen. Dann werden sie auch ihre Forderungen durchsetzen.