Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir fällt die Aufgabe zu, den Antrag der CDU/CSU auf Drucksache Nr. 3136 zu begründen, der besagt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, möglichst bald einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den der Belegschafts- und Behördenhandel untersagt wird.
Die Angelegenheit steht zur Zeit im Mittelpunkt lebhafter Erörterungen in den verschiedensten Zweigen unserer gewerblichen Wirtschaft; denn an diesem Antrag ist nicht nur das Handwerk interessiert, sondern in gleicher Weise der Handel und auch die Konsumgenossenschaften. Durch die Nöte der hinter uns liegenden Mangeljahre bedingt, waren die Bemühungen vieler Betriebe begreiflich, die Arbeitskraft ihres Personals durch Beschaffung zusätzlicher Lebensmittel und sonstiger Bedarfsgüter zu erhalten und zu fördern. Nachdem aber der Mangel und die Bewirtschaftung längst aufgehört haben, sollte man annehmen, daß mit dem Belegschafts- und Behördenhandel Schluß gemacht worden wäre. Wir haben aber heute leider die Feststellung zu treffen, daß sich dieser Handel in den letzten Jahren wesentlich vermehrt und an Bedeutung zugenommen hat. Die Ursache ist darin zu sehen, daß man versucht, unter Umgehung des normalen Versorgungsweges den täglichen Lebensbedarf für die Betriebsangehörigen gemeinsam billiger zu beschaffen. Wer sich der Mühe unterzieht, einen Einblick in den Belegschafts- und Behördenhandel zu bekommen, der spürt, daß hier volkswirtschaftlich und sozial etwas nicht in Ordnung ist, daß mit der Rückbildung der im Wettbewerb organisch gewachsenen Arbeitsteilung ein volkswirtschaftlicher Leistungsverlust mit allgemeinen Rückwirkungen auf die reale Kaufkraft verbunden sein muß, daß man die Möglichkeit der freien Konsumwahl, die man vom Einzelhandel als Leistung selbstverständlich fordert, beeinträchtigt, daß im Rahmen des volkswirtschaftlichen Gesamtkostenausgleichs über den Preis und die Steuern letztlich die Sondervorteile einzelner von der Gesamtheit getragen werden müssen. Man darf diese Dinge nicht bagatellisieren.
Wenn es auch keine genauen Anhaltspunkte für den Umfang dieses Handels gibt, so läßt sich doch aus der Fülle bekannter Vorfälle errechnen, daß auf den Belegschafts- und Behördenhandel jährlich eine Umsatzsumme von mehr als einer Milliarde DM entfällt und daß nach ganz vorsichtigen Schätzungen mit einem Steuerausfall von jährlich etwa 120 Millionen DM zu rechnen ist. Erfahrungsgemäß werden die von den Beauftragten der Behörden- und Betriebsbelegschaften getätigten Geschäfte meistens überhaupt nicht zur Versteuerung gemeldet. Es ist also der Schluß zu ziehen, daß dem Staat hier Steuerbeträge in einer Höhe entgehen, die das Aufkommen mancher kleinen Steuerart in den Schatten stellen. Die Verhinderung dieser illegalen Handelstätigkeit durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen, wie es unser Antrag Drucksache Nr. 3136 fordert, dürfte den Herrn Bundesfinanzminister auf alle Fälle mancher Sorgen um die Schließung der Lücken des Bundesetats entheben. Auch daran ist die Allgemeinheit interessiert.
Ich habe soeben von einem Umsatz im Belegschafts- und Behördenhandel von mehr als einer Milliarde DM gesprochen. Da hier Zweifel auftauchen könnten, ob diese Zahlen richtig sind, will ich sie durch einige Beispiele erhärten. Mir ist ein sogenannter Fall Bremen bekanntgeworden, in dem sich das Geruht mit einer Angelegenheit beschäftigen mußte, die es erforderlich machte, daß ihm die gesamten Akten über den Belegschaftshandel vorgelegt wurden. Dabei hat sich herausgestellt, daß ein einziges Werk in einem Zeitraum von 8 Monaten einen Umsatz von 350 000 DM mit der Belegschaft getätigt hat. Was hat man dort nicht alles gehandelt: Schmelzkäse, Schmalz, Schokolade, Speck, Zigaretten, Kaffee, Kakao, 01, Kernseife, Herrensocken, Kinderstrümpfe, Herrenhalbschuhe, Damenhalbschuhe, Taschentücher, Fahrradbereifungen, Stoffe für Anzüge und noch weiteres mehr, ein ganzes Warenlager!
— Das war in den Monaten von Herbst 1948 bis Frühjahr 1949. Die genauen Daten kann ich Ihnen angeben. —
Keine Konsumgüter hat man dort umgesetzt, sondern Ware, die sich leicht absetzen läßt.
Mir hat ein Flugblatt vorgelegen, daß die Überschrift trug: „Bitte nicht viel mit Außenstehenden darüber reden!" Es war an. die Mitglieder eines Lehrervereins in Rheinland-Pfalz gerichtet und enthielt 223 Angebotspositionen. Man sieht also, in diesen Kreisen hat man im großen zu handeln versucht. In den vergangenen Jahren war es z. B. den Bundesbahnbeamten möglich, Fahrräder zum Großhandelseinkaufspreis zu erstehen. Im Lande Oldenburg soll man, wie ich gehört habe, diese Dinge in der Verwaltung nicht lieben. Aber selbst in der Justizverwaltung Oldenburgs hat man in
den vergangenen Jahren das Sozialwerk Justiz gegründet. Dieses hat dann bei allen Justizbehörden Verkaufsstellen eingerichtet; sogar das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft in der Stadt Oldenburg sind nicht ausgenommen.
Es gehört nicht direkt zum Behördenhandel, aber es fällt auch in diese Kategorie, daß es z. B. eine ganze Reihe von Stadtbauräten gibt, die gegen Entgelt Bauzeichnungen, Pläne und dergleichen herstellen, während die Architekten in ihrer Arbeit gemindert sind, aber ihre Arbeit versteuern müssen.
Wie sich aber manche Dinge im Belegschafts-und Behördenhandel auch zum Nachteil und Schaden des einzelnen Werks auswirken können, so daß die Frage entsteht, wer diese Dinge bezahlt, das entnehme ich einem Flugblatt der Gewerkschaft deutscher Bundesbahnbeamten und der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer. Darin werden Angriffe gegen das Eisenbahnersozialwerk der Bundesbahndirektion Wuppertal vorgebracht, bei dem durch verfehlte Geschäftspolitik ein Verlust von 100 000 DM entstanden ist. Wenn wir hier von einem Verlust von 100 000 DM hören, dann können wir uns ungefähr ausrechnen, wie groß der Umsatz dieses Sozialwerks gewesen sein muß. Ich weiß von einem Polizeirevier in meiner Stadt, wo man vor nicht allzu langer Zeit ein ganzes Warenlager herausgeholt hat. Es gibt Belegschaften, die, weil man die Ware nicht absetzen konnte, dazu übergegangen sind, Textilien z. B. dem legalen Handel anzubieten. Mir ist ferner von einem Fall erzählt worden, in dem ein Betriebsrat — zunächst gegen den Willen des Werks, aber letzten Endes doch mit dessen Zustimmung — für einen großen Betrag Mäntel gekauft hat, die nachher einfach nicht abzusetzen waren. Solche Verluste trägt einzig und allein die Allgemeinheit.
Wenn man nun die Frage stellt, warum Belegschafts- und Behördenhandel getrieben wird, dann wird einem gesagt, man kaufe dort billiger. Meine Damen und Herren, dieses Billiger-Kaufen ist ein zweischneidiges Schwert. Die Startbedingungen sind für den Einzelhandel einerseits und den Belegschafts- und Behördenhandel andererseits völlig ungleich, so daß von einem echten Leistungswettbewerb nicht gesprochen werden kann. Nur weil der Groß- und Einzelhandel ein umfassendes Sortiment führt und dem Verbraucher zeitlich, räumlich und in materieller Hinsicht die freie Konsumwahl ermöglicht, kann der Belegschaftshandel überhaupt gedeihen. Beim Belegschafts- und Behördenhandel werden die persönlichen und sachlichen Kosten der privaten Handelstätigkeit von Beamten, Angestellten und Arbeitern in Form einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands oder einer Minderleistung vom Betrieb getragen. Diese Kosten müssen sich letztlich in irgendeiner Form im Preis der von dem betreffenden Betrieb hergestellten Güter oder Leistungen niederschlagen. Dies bedeutet, daß die Sondervorteile einzelner, nämlich der Abnehmer im Belegschafts- bzw. im Behördenhandel, durch entsprechend höhere Lasten bzw. höhere Preise von allen anderen getragen werden müssen.
Ein gleicher Start von Belegschafts- und Behördenhandel sowie Handel und Handwerk wäre gegeben, wenn auch die für die Gesamtversorgung der Bevölkerung wichtigen und etwa 50 % des Umsatzes des Lebensmitteleinzelhandels umfassenden sozial kalkulierten Massenkonsumartikel vertrieben würden, wenn der Belegschafts- und Behördenhandel wie der Einzelhandel Gehälter, Mieten, Sozialabgaben, Lagerkosten, Kreditkosten, Umsatz-, Gewerbe-, Einkommensteuer, Heizung, Beleuchtung, Versicherung und Transportkosten, Telefongebühren usw. zu tragen hätte, wenn die Vermittlungspersonen des Werks- und Behördenhandels in den Arbeitsstätten wie der reguläre Handel ihren Lebensunterhalt aus dieser Tätigkeit bestreiten müßten, statt ihn aus den von ihren Arbeitgebern für ihre Haupttätigkeit gezahlten Gehältern und Löhnen gesichert zu erhalten. Nur wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt wären, könnte von einer gleichen Ausgangsbasis für den Wettbewerb zwischen dem regulären Handel und dem Werks- und Behördenhandel gesprochen werden. In Wirklichkeit sind die Startbedingungen jedoch völlig ungleich, so daß von einem echten Leistungswettbewerb nicht gesprochen werden kann.
Im Falle des Behördenhandels werden die personellen und sachlichen Kosten der privaten Handelstätigkeit von Beamten, Angestellten und Arbeitern in Form einer Erhöhung des Verwaltungsaufwandes oder einer Minderleistung der betreffenden Beamten von der Gesamtheit der Steuerzahler getragen.
Außer dem eben angeführten Mißstand, daß dem Staat Steuern in Höhe von etwa 120 Millionen DM verlustig gehen, ist von uns als ein weiteres wesentliches Moment die Freisetzung von Arbeitskräften im Handel berücksichtigt worden. Ich habe einleitend schon gesagt, daß Handel, Handwerk und Konsumgenossenschaften an diesem Antrag in gleicher Weise interessiert sind. Wenn ich von der Freisetzung von Arbeitskräften im Einzelhandel spreche, so ist es selbstverständlich, daß sich der durch den Werks- und Behördenhandel hervorgerufene Umsatzausfall in Höhe von mehr als einer Milliarde DM in einer Minderausnutzung der personellen Kapazität des Einzelhandels bemerkbar machen muß. Der Werks- und Behördenhandel ist zweifellos für viele Entlassungen bzw. für die Nichteinstellung von arbeitslosen Angestellten im Einzelhandel verantwortlich zu machen. Wenn man die durchschnittliche jährliche Umsatzleistung je Kopf des Beschäftigten nach den Ergebnissen des Betriebsvergleichs mit rund 40 000 DM beziffert, so ergibt sich unter Zugrundelegung des oben genannten Umsatzausfalls von über einer Milli arde DM, daß etwa 25 000 Angestellte durch den Werks- und Behördenhandel aus ihrer Berufsarbeit ausgeschaltet worden sind, das heißt, daß die Arbeitslosigkeit von Einzelhandelsangestellten fast völlig auf die Ausbreitung des Werks- und Behördenhandels zurückgeführt werden kann. Wir haben zur Zeit etwa 30 000 stellenlose Einzelhandelsangestellte. In zugespitzter Formulierung könnte man also sagen: 25 000 arbeitslose Angestellte des Einzelhandels sind es in erster Linie, die mit ihrer Arbeitslosigkeit die Sondervorteile bezahlen müssen, die die Käufer im Werks- und Behördenhandel für sich in Anspruch nehmen.
— Mag sein, daß es überspitzt ist; Sie können das Gegenteil j a nachher beweisen!
Ich glaube abschließend sagen zu können, daß die getroffenen Feststellungen gebieterisch eine gesetzliche Regelung fordern. Soweit mir bekannt ist, vertreten die Gewerkschaften aus dem eben angeführten Grunde den gleichen Standpunkt. Ver-
boten werden soll und muß der organisierte Werksund Behördenhandel. Über etwaige Ausnahmen lange bestehender Einrichtungen läßt sich bei passender Gelegenheit dann reden.
Ich darf Sie bitten, unserem Antrag Drucksache Nr. 3136 Ihre Zustimmung zu geben.