Rede von
Dr.
Erik
Nölting
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Begriff der Handwerksförderung sollte nach Auffassung meiner Freunde breiter gefaßt und umfassender gedacht werden, als es der Antrag Drucksache Nr. 3137 der CDU/CSU vorsieht. Weil Herr Kollege Schmücker entgegen den Warnungen und Empfehlungen seines Kollegen Stücklen heute gleich bei Punkt 1 der Tagesordnung sich so elegant über die Hürde zur Generaldebatte hinweggesetzt hat und weil andere Sturmgesellen ihm nachgefolgt sind, möge auch mir gestattet sein, einige allgemeine Bemerkungen zu machen, die durchaus zur Sache gehören und sogar mit diesem Punkt zusammenhängen.
Wir sind gewillt, meine Damen und Herren, einem zeitgemäßen, leistungsstarken und aufgeschlossenen Handwerk jedwede geeignete Förderung zukommen zu lassen, was natürlich nicht die Verpflichtung einschließen kann, daß soziale, technische oder betriebswirtschaftliche Rückständigkeit konserviert wird.
Wir begrüßen es, daß der Schutt der Vorurteile heute allgemein und in allen Lagern aus dem Wege geräumt ist, daß niemand mehr, wie es noch um die Jahrhundertwende der Fall war, das Handwerk auf die Invaliden- oder Absterbeliste setzt, wie es noch Professor S o m b a r t tat, der mit elegischer Apathie erklärte: An allem Kleingewerbe nagt der Wurm. Unsere Sympathie gilt dem Handwerk gleichermaßen aus wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gründen. Das Handwerk übt nicht nur wirtschaftlich eine anderweitig gar . nicht ersetzbare Funktion aus, vor allem in der Welt der Güter, die noch Persönlichkeitsaroma an sich tragen und sich für Großserienherstellung, Normierung und Typisierung nicht eignen, sondern es nimmt auch eine wertvolle und ausgleichende Brückenstellung in den sozialen Spannungen unserer Zeit ein.
Wir schätzen seine soziale Durchlässigkeit und die sozialen Aufstiegschancen, die es auch noch heute gewährt.
Hart an die soziale Bedeutung grenzt die kulturelle. Das Handwerk ist Träger alter Geschmackskultur, es weiß, wofern es seine Aufgabe begreift, Niveau zu wahren, den Sinn für Gediegenheit und Materialechtheit wachzuhalten. Und es soll ihm nicht vergessen sein, daß es vor allem am Beginn der industriellen Ara der gräßlichen Geschmacksverwilderung erfolgreich entgegengewirkt hat. Gesunde Durchblutung, die dem Handwerk not tut und die es bewahrt vor einem engstirnigen und engherzigen Zünftlertum, das einst seinen Ruf verdorben hat, ist keineswegs identisch mit hemmungsloser Überflutung, die zwangsläufig zum Leistungsabfall führen müßte. Deshalb haben wir uns schon immer zum Befähigungsnachweis bekannt, der die Ausübung des Handwerksberufes und vor allem die Anleitung von Lehrlingen von der Ablegung der Meisterprüfung abhängig macht.
Aber, meine Damen und Herren, das Handwerk braucht auch eine größere Geborgenheit. Es gedeiht nicht im kapitalistischen Wildwest,
es bedarf eines Ordnungsrahmens — jawohl, meine Herren! —, sagen wir, wenn Sie das lieber hören: eines Mindestmaßes an Ordnung im Wirtschaftsablauf. Dann aber entsteht die Frage — und die Regierungsparteien sollten sich diese Frage vorlegen —, ob eine vernünftige Handwerkspolitik überhaupt als legales Kind der derzeitigen allgemeinen Wirtschaftspolitik angesprochen werden kann, ob sich das liberale Entfesselungs- und das soziale Schutzprinzip zusammenreimen lassen und ob die Anträge, die uns hier vorliegen, nicht etwa doch einen Seitensprung der von Ihnen so heiß propagierten Marktwirtschaft bedeuten. Sind doch gewisse planende und lenkende Eingriffe des Staates hier am allerwenigsten zu entbehren. Im Grunde bedeutet diese Serie — ich will nicht sagen: „Inflation", um nicht wieder böses Blut zu machen — oder Flut von Anfragen und Anträgen, wie sie hier vorliegen, doch nichts anderes als besorgte Kritik an den Prinzipien Ihrer Marktwirtschaft und des bisherigen wirtschaftspolitischen Kurses.
Diese Anträge nehmen sich propagandistisch gut aus. Aber der Herr Kollege Schmücker war es ja, der heute bereits sagte: Dem Mittelstand ist nicht damit gedient, daß man für ihn Propaganda macht, vielmehr geht es um die reale Sicherung seiner Existenzgrundlagen. Man sollte sich, meine Damen und Herren, von allem fernhalten, was nach bloßer „Optik" oder, wenn wir Fremdwörter vermeiden wollen, nach bevorstehendem Wahlkampf schmeckt. Warum sagt man das eigentlich alles so lautstark vom Balkon? Die Regierungsparteien hätten doch die Möglichkeit, den Ministern, die ihre Parteifreunde sind, das alles soviel wirksamer ins Ohr zu flüstern!
— Diesmal vielleicht nicht!
Im September vergangenen Jahres hat der Handwerksrat des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks der Bundesregierung ein Memorandum übermittelt, das heute schon mehrfach erwähnt wurde und in dem die speziellen Bedrängnisse des Handwerks unter folgenden Stichworten zusammengefaßt sind. Das Handwerk leidet — so heißt
es — unter mangelnder Kaufkraft weiter Bevölkerungskreise für handwerkliche Qualitätserzeugnisse und — daraus resultierend — unter einer unbefriedigenden Entwicklung seines Auftragsbestandes.
Das greift aber doch über in die allgemeine Wirtschaftspolitik! Das Handwerk sollte niemals vergessen: Lohn von heute ist Kaufkraft von morgen, und ohne ausreichende Massenkaufkraft droht auch dem Handwerk Einsturzgefahr.
Als zweiter Beschwerdepunkt wird dann Materialmangel aufgeführt, insbesondere bei Walzwerksprodukten und bei anderen Eisenmaterialien, Mangel an Stab-, Form- und Profileisen, an Schwarzblechen und an Feinblechen. Das ganze eisenverarbeitende Handwerk ist notleidend, es geht aber hier um die Mindestversorgung von 150 000 Betrieben. Die auf die Eisenlenkungs-Verordnung gesetzten Hoffnungen auf eine Entspannung der Versorgungslage haben sich nicht erfüllt. Mein Fraktionsfreund Kalbfell hat schon darauf hingewiesen, daß Beton- und Moniereisen auf dem Wege des normalen Bezuges überhaupt nicht mehr zu beschaffen sind, während der Schwarzhandel den Handwerksbetrieben auch ausgesprochene Mangelware — darunter nicht zuletzt Kohle — zu wucherischen Überpreisen liefert. Bei manchen Handwerksbetrieben hat die offizielle Zuteilung an Kohle, wie die Handwerkspresse gemeldet hat, im vergangenen Winter nur fünf bis sechs Zentner ausgemacht, und im günstigsten Falle sind 30 % des vom Handwerk angemeldeten Mindestbedarfs geliefert worden. Wenn wir dennoch halbwegs mit einem blauen Auge davongekommen sind, so liegt das einerseits an der milden Witterung, andererseits aber vor allem daran, daß viel mehr Kohle „schwarz" beschafft worden ist, als der Herr Bundeswirtschaftsminister „weiß" hat zuteilen können.
Als nächste Sorge wird die Schere zwischen erzielbaren Preisen und Materialpreisen genannt. Noch im letzten Quartal 1951 haben, wie aus dem Bericht des Wirtschaftsministeriums hervorgeht, die Holzpreise — ich zitiere wörtlich — „ungewöhnlich stark" angezogen und damit das gesamte holzverarbeitende Handwerk unter Druck gesetzt. Aber es werden auch Preissteigerungen für zahlreiche andere Roh- und Hilfsstoffe gemeldet, darunter Eisen und Stahl, ferner Felle und Häute. Selbstverständlich hat die Aufhebung des Mieterschutzes für gewerbliche Räume das Handwerk schwer betroffen. Denn hier ist jeder Sinn für Maßhalten vielfach völlig verlorengegangen, werden doch Mieterhöhungen weit über 25 bis 35 % gemeldet, die vom Handwerk ohne Preisabwälzung nicht verkraftet werden können, was sich dann notwendigerweise auf die Beschäftigungs- und Auftragslage auswirkt. So reißt eine uneinheitliche Wirtschaftspolitik auf der einen Seite wieder ein, was auf der anderen zusammengeflickt wurde.
Des weiteren beklagt man sich über hohe, zum Teil blockierte und nicht realisierbare Außenstände, über Kreditnot, Liquiditätssorgen und zunehmende Insolvenzen. Auch das stammt zum guten Teil aus der Abfallkiste der heutigen Wirtschaftspolitik! Der viel beklagten Verschlechterung der Zahlungsmoral liegt eine Zahlungsunfähigkeit weiter Schichten zugrunde, die in schwerste Notlagen geraten sind. D a s ist die Wurzel des Borgunwesens. Es ist zuzugeben, daß das Handwerk bei
seiner gegenwärtigen Situation nicht als Finanzier seines Kunden auftreten kann. Unter Kreditnot leidet namentlich der kleinere Betrieb, der die Bedingungen nicht erfüllen kann, insbesondere eine bankmäßige Besicherung vielfach nicht aufzubringen vermag und deshalb leer ausgeht. Er verlangt Kleinkredite zu tragbaren Zinsen, und man sollte es sich sehr überlegen, Herr Wirtschaftsminister, ob man den Zins freigeben will, nicht zuletzt mit Rücksicht auf das Handwerk, das billigen Kredit braucht zur Beschaffung von Roh- und Werkstoffen, um dem Nachholbedarf und dem Investitionsbedarf zu genügen. Aber der Handwerker muß diese Kredite auch vielfach als laufende Betriebsmittel einsetzen. Besonders sind es Flüchtlingshandwerker und solche, die durch Kriegsschäden schwer betroffen sind, die der kreditmäßigen Stützung bedürfen. Immer mehr muß das Handwerk zu der ihm nicht nur wegen der hohen Wechselspesen unsympathischen Methode der Finanzierung durch Wechsel übergehen.
Die Kredite aus der Existenzaufbauhilfe sind rege nachgefragt, aber sie sind nur unzureichend vorhanden. Hingegen sind die aus der Soforthilfe bereitgestellten Mittel zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen nur wenig in Anspruch genommen worden. Den einzigen Lichtblick stellen die für das exportorientierte Handwerk aus den STEG-Geldern bereitgestellten Kredite in Höhe von 6,5 Millionen DM dar; 5 Millionen DM wurden über den Sparkassensektor abgewickelt und 1,5 Millionen DM über den Sektor der Volksbanken. Das mit 25 Millionen DM ausgestattete Hilfsprogramm für die von der Bundesregierung anerkannten Sanierungsgebiete ist nur sehr zögernd angelaufen und hat noch zu keinerlei Breitenwirkung geführt. Dabei hat namentlich das ländliche Handwerk in wirtschaftsschwachen Gebieten nicht nur mit Schwierigkeiten, es hat teilweise direkt um seinen Bestand zu kämpfen.
Was die handwerkliche Förderung 'im engen Sinne dieses Antrages anlangt, sollte auch auf der Bundesebene begriffen werden, daß man an einer Leistungssteigerung höchlichst interessiert ist, und man sollte dem Rechnung tragen, nicht durch platonische Sympathieerklärungen, sondern durch Bereitstellung ausreichender Mittel. 300 000 DM im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums sind ein völlig ungenügender Posten, wobei ich darauf hinweisen darf, daß allein das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Etat für die einzelnen Haushaltsjahre und so auch für das kommende Haushaltsjahr 350 000 DM für diesen Zweck vorsieht. Man sollte meinen, auch wenn es sich nur um die geistige Aufrüstung handelt, könnte man etwas spendier- und bewilligungsfreudiger sein.
Diese Mittel sind natürlich nicht für einen einzelnen Betrieb gedacht, sondern sie sind für Gemeinschaftseinrichtungen und Gemeinschaftszwecke anzusetzen, insbesondere im Rahmen der Nachwuchs- und Erwachsenenförderung, teils um zusätzliche Schulungseinrichtungen zu schaffen, teils um die vorhandenen besser zu inventarisieren. Ich darf ein praktisches Beispiel geben: Zur Heranbildung von Schweißern und zur Ausfüllung von Lücken in der Schweißtechnik, insbesondere in der Technik des Kunststoffschweißens, hat der Westdeutsche Kammertag unter Hilfestellung des Landes Nordrhein-Westfalen einen D-Zug-Wagen zu einer Lehrwerkstätte ausgebaut, die nun auf dem Schienenwege an die zentralen Schwerpunkte der einzelnen Kammerbezirke herahgebracht wird.
Dieser Schweißerlehrzug läuft seit dreiviertel Jahren, wird sehr stark frequentiert und hat sich gut bewährt. Es werden dort achttägige Lehrgänge durchgeführt.
Aber, meine Damen und Herren, um zur grundsätzlichen Linie zurückzuführen und damit abzuschließen: Wir sind, wie ich eingangs sagte, zwar nicht gewillt, dem Handwerk besondere Sicherheitsbezirke und Einkommenspfründe auf Kosten der Allgemeinheit zuzuschanzen, was ja gerade die wertvollen und wachstumskräftigen Teile des Handwerks auch gar nicht verlangen; aber wir sind bereit, die Schaffenden im Handwerk vom Drucke der kapitalistischen Willkürherrschaft und der monopolistischen Ausbeutung zu befreien,
sie herauszuführen aus einer Unfreiheit, wo ihnen Preise, Rohstoffe, Produktions- und Lieferbedingungen entweder von einem anarchischen Markt oder von der Brutalität kapitalistischer Machthaber diktiert werden. Wie wir keine Bauern wollen im Nachtrab der Großgrundbesitzer, so wollen wir keine Kleingewerbetreibenden an der Deichsel der großkapitalistischen Fuhrherren.
Der moderne zeitgenössische Sozialismus ist längst bündnisfähig geworden auch für die alten und neuen Mittelschichten. Wir streben an einen höheren Lebensstandard auf breitester Grundlage, der auch dem Handwerk Entfaltungsraum verbürgt. Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist die beste und wirksamste Form positiver Handwerksförderung.