Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bereits in der 193. Sitzung Gelegenheit genommen, Auffassungen, die von der Bundesregierung zu dem jetzt in Rede stehenden Thema vorgetragen wurden, zu bekämpfen. Wir haben bezweifelt, daß die optimistischen Darlegungen der Regierung mit den Tatsachen in Einklang stehen. Ich muß angesichts der heutigen Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers erneut feststellen, daß wir nicht in der Lage sind, seinen Darlegungen zu folgen.
Der Herr Bundesjustizminister hat zunächst gleichsam in Fortsetzung von Bemerkungen, die der Herr Kollege Huth von der CDU in der 193. Sitzung vorgetragen hat, geglaubt, allgemeine wirtschaftspolitische . Bemerkungen machen zu sollen. Er hat von der Notlage des Althausbesitzes gesprochen und eine Philippika für eine Regelung dieser Dinge versucht. Dabei ist ihm, glaube ich, wieder einmal entgangen, daß wir von der Sozialdemokratischen Partei bei wiederholten Gelegenheiten betont haben, wir legten Wert darauf, die gesamte Materie sachlich zu erörtern. Wir haben ja auch mit unserem Antrag Drucksache Nr. 3044, der in der 193. Sitzung an die Ausschüsse verwiesen worden ist, zum Ausdruck gebracht, daß uns eine Regelung vorschwebt, die die Tatbestände eindeutig durch Gesetz regelt. Wir haben die Hoffnung zum Ausdruck gebracht und wir hegen diese Hoffnung heute noch, daß es gelingt, in einer sachlichen Aussprache im Ausschuß alle Fragen, die direkt und indirekt im Zusammenhang mit dem aufgeworfen werden, was sich nach Erlaß der beiden von uns bekämpften Verordnungen ergeben hat, eingehend zu beraten.
Wir glauben aber nicht, daß der heute vorgelegte Gesetzentwurf eine besonders glückliche Diskussionsgrundlage darstellt. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien — und diese Bemerkung sei besonders an die Kollegen von der CDU und CSU gerichtet —, haben besonders in letzter Zeit großen Wert darauf gelegt, von Zeit zu Zeit eine Reihe von Anträgen vorzulegen, die sich mit der Notlage des Handwerks, mit Sorgen des Mittelstandes beschäftigen. Ich glaube, es sind neun Anträge, die in dieser Richtung 'demnächst hier im Bundestag zu behandeln sind. Sie brauchen gar nicht diesen Umweg zu gehen. Wenn Sie wirklich dem Handwerk und dem Mittelstand helfen wollen, dann müssen Sie mit Rücksicht auf das, was durch die von uns bekämpften Verordnungen ausgelöst worden ist, mit uns dafür eintreten, daß diese Verordnungen keinesfalls aufrechterhalten bleiben,
und anerkennen, daß sich in den Auswirkungen, die der Alltag gebracht hat, schon die absolute Unmöglichkeit zeigt, auf der Grundlage dieser Verordnungen weiterzuhandeln.
Der Herr 'Bundesjustizminister hat soeben von den beati possidentes, von den glücklichen Besitzern gesprochen und im selben Atemzug erklärt, nun bestehe vielleicht die Möglichkeit, auch einmal einem Flüchtling irgendeinen Gewerberaum zuzuweisen; ich glaube mich nicht verhört zu haben. Herr Minister, ich kann Ihnen aus der Flut der Briefe, die ich seit Dezember in dieser Sache bekommen habe, eine ganze Anzahl Unterlagen bringen, die den Nachweis darüber führen, daß diese beiden Verordnungen gerade dazu benutzt werden, Heimatvertriebene wieder aus Gewerberäumen hinauszuweisen.
Ich habe hier 'einen Brief, der typisch ist für viele. Aus ihm ergibt sich, daß bei Anwendung dieser Verordnungen eine Reihe von Hausbesitzern — ich schematisiere und generalisiere hier nicht — keineswegs etwa den Versuch machen, sich mit den Rechtsfragen zu beschäftigen, die hier ausgelöst werden, sondern daß eine absolut eindeutige Machtpolitik getrieben wird. Wir wissen doch, daß es besonders häßliche Dinge außer bei Familienstreitigkeiten gerade auch bei Mietstreitigkeiten gibt. Das ballt sich alles zusammen. Da wird soviel Unfrieden in die Lande getragen, und da wirkt sich 'soviel Unheil aus, daß es auch bei den Heimatvertriebenen nicht haltmacht, die nunmehr weitgehend von den Verordnungen in Mitleidenschaft gezogen wenden. Dieser Heimatvertriebene, der sich jetzt in Frankfurt ein Geschäft eingerichtet hat mit
— wohlgemerkt — 5000 DM Soforthilfemitteln und mit Geldern, die er sich auf nicht ganz einfache Weise erst hat beschaffen müssen, der eine Miete zahlt, die durchaus schon den Gesichtspunkten der Kostenmiete entspricht, wird zum 1. April damit zu rechnen haben, daß 'der Vermieter alles daransetzt, eine wesentliche Steigerung der Miete zu erreichen, ein Vermieter, der die Hoffnung hegt, sogar diesen Heimatvertriebenen aus dem Ladenraum herausdrängen zu können. Und hierzu würde ihm das heute zur Beratung stehende Gesetz durchaus eine 'Handhabe geben! Ich werde vielleicht nachher noch im einzelnen darauf zurückkommen.
— Ach, idas sind „Einzelfälle"? Ich lade Sie ein, zu mir zu kommen und die Hunderte von Briefen 'durchzulesen. Ich kann Ihnen auch gleich eine ganze Reihe von Einzelfällen nachweisen. Im übrigen genügt 'es aber auch, wenn nur Einzelfälle Unrechtstatbestände darstellen,
um auch in einem solchen Einzelfall Protest und Verwahrung einzulegen gegen derartige Maßnahmen, gegen ein Freibeutertum, das sich heute auf dem Wohnungsmarkt austobt und an dem die Bundesregierung gewollt oder ungewollt dadurch mitwirkt, daß sie mit diesen beiden Verordnungen den Leuten, die so handeln, gewissermaßen Waffen in die Hand gegeben hat.
Hier 'habe ich 'den Brief eines bekannten Einzelhändlers in Bonn. Ich will den Namen verschweigen, das Originaldokument steht Ihnen aber zur Verfügung. Von diesem Mann wird mit Wirkung vom Dezember — man richtet sich ja nicht danach, ob die Verordnungen erst ab 1. April anwendbar sind oder nicht — für ein Ladengrundstück, das noch keine 30 qm groß ist, eine Erhöhung der Ladenmiete von 181,50 DM auf 500 DM verlangt.
Vorsorglich 'hat der ehrenwerte Vermieter bereits im Dezember die Zahlung 'in 'der bisherigen Höhe lediglich als à-Konto-Zahlung quittiert und droht mit Räumung.
In einem anderen Falle — es handelt sich ebenfalls um ein Geschäft in Bonn — 'ist die monatliche Miete von 250 DM auf 1200 DM erhöht worden.
Auch ein allgemein bekanntes Ladengeschäft! Es ist durchaus nicht so, daß es sich dabei vielleicht um Einzelfälle handelt. Mir sind rund 20 Fälle 'bekannt, in denen sich Mietdifferenzen ergeben von 160 auf 500, von 45 auf 150, von 100 auf 400 DM und so fort. Nicht nur aus einem Ort, aus einer ganzen 'Reihe von Orten wird 'in dieser Beziehung völlig gleichlautend berichtet.
Ich will in der Aufzählung nicht fortfahren, sondern nur bemerken, daß- es ja nicht nur die sozialdemokratische Opposition ist, — —
— Fürchten Sie nicht, daß ich wieder einmal mit der „Kölnischen Rundschau" komme! Die hat genug Kummer gehabt 'dadurch, daß ich sie zitiert habe. Das hat eine wahre Rebellion in Köln gegeben. Am 3. März findet sogar eine Großkundgebung der Haus- und Grundbesitzer gegen die „Kölnische Rundschau" statt. Das habe ich ihr weiß Gott nicht bescheren wollen. Aber es liegen Einsprüche vor
— Herr Dr. Kather ist heute leider nicht da —, zum Beispiel vom Zentralverband der vertriebenen Deutschen eine geharnischte Stellungnahme, die die völlige Unmöglichkeit dieser Verordnungen und ihrer Auswirkungen dartut. Mir sind auch Schreiben von Einzelhandelsverbänden zugegangen, in denen im 'einzelnen aufgezeigt wird, zu welcher Unsicherheit, zu welch bedenklicher Entwicklung die beiden Verordnungen geführt haben. Ich will es mir ersparen, Ihnen all das vorzulesen, was da berichtet wird. Aber wenn beispielsweise vom Einzelhandelsverband Südbaden in einer Eingabe berichtet wird, daß in einer Stadt wie Baden-Baden, also einer Stadt ohne Kriegsschäden, die Mieten für gewerbliche Räume jetzt schon ganz allgemein bis zu 100 % erhöht worden sind, dann spricht dieser Hinweis dafür, wie gefährlich der mit diesen beiden Verordnungen beschrittene Weg ist.
Der Einzelhandelsverband weist auf Grund einer Erhebung nach, daß in bombenzerstörten Städten wie Köln und Wiesbaden 'im Durchschnitt eine Erhöhung auf 300 % eingetreten ist. In bezug auf die Frage, ob davon Auswirkungen auf den allgemeinen Preisstand zu erwarten sind, wird hier gesagt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich —:
Mietpreissteigerungen in solchen Höhen können aber von den Einzelhandelsfirmen nicht mehr innerbetrieblich aufgefangen werden. Sie finden also automatisch im Endverbraucherpreis ihren Niederschlag, so daß im Schlußergebnis die Mietpreiserhöhung einer Abwälzung der Lastenausgleichsabgaben auf den Verbraucher gleichkommt.
Nun, werden einige andere Fälle genannt — ich zitiere immer noch einen Einzelhandelsverband, meine Damen und Herren — und dann heißt es hier:
Die alteingesessenen Handels- und Handwerksbetriebe können diese Forderungen nicht erfüllen, und deswegen werden ihnen laufend Kündigungen zugestellt.
— Und schließlich wird etwas sehr Bemerkenswertes angeführt; es heißt hier weiter:
Neben den Mietpreisforderungen tauchen seit etwa 14 Tagen auch Forderungen nach verlorenen Baukostenzuschüssen für Instandsetzungen bzw. Modernisierungen an den Außenfronten der Geschäftshäuser auf. In dem drastischsten Falle haben wir erlebt, daß ein Vermieter seinen acht Einzelhandelsmietern eine Generalklausel im neuen Mietvertrag zur Unterschrift vorgelegt hat, die kurz besagt, daß der Mieter alle Kosten, 'die nach den Bauplänen des Vermieters entstehen, übernimmt. Die Pläne des Vermieters bewegten sich zwischen schwarzem und gelbem Marmor. Die Forderungen an den einzelnen Mieter dürften zwischen 7000 und 25 000 DM liegen.
Gewiß, so etwas hat die Bundesregierung nicht gewollt. So etwas wird natürlich an sich auch von den Verordnungen her Rechtens nicht ermöglicht. Aber wir leben nun einmal in einer Zeit, in der in dem Augenblick, wo das Schlagwort von marktwirtschaftlichen 'Grundsätzen auftritt, sehr viele Leute daraus den Antrieb herleiten, nun ihrerseits den Versuch zu machen, zu verdienen, wo sie verdienen können.
Und dann bekommen wir den Streit, und wir haben es mit einer Kraft des Faktischen zu tun, der man mit rechtlichen Erwägungen nicht mehr beikommen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind nicht der Meinung, daß der heute in erster Lesung zur Beratung stehende Entwurf einen Ausweg bietet. Der Herr Bundesjustizminister hat zwar schon in der 193. Sitzung die Meinung vertreten, an diesem Gesetzentwurf brächen sich die Angriffe gegen die Mietpreisverordnungen. Er hat auch heute wieder der Meinung Ausdruck gegeben, die Situation scheine jetzt in irgendeiner Weise aufgelockert und verbessert zu sein. Das ist nicht richtig. Worüber ich mich aber am meisten gewundert habe, ist seine Bemerkung — ich habe sie wörtlich mitgeschrieben —, die Bundesregierung sei nach wie vor der Auffassung, daß ernstliche Bedenken gegen die Verordnungen nicht bestehen könnten. Wir haben schon bei Gelegenheit der letzten Debatte darauf hingewiesen, daß uns mit einer solchen apodiktischen Feststellung nicht gedient ist, und wir haben auch heute wieder den Eindruck, daß der Herr Bundesjustizminister doch wohl selbst gewisse Hemmungen verspürt und daß er nun zu einer Sache steht, die er loyalerweise vom Kabinett her verteidigen muß, die ihm als Juristen 'aber offensichtlich ,doch selbst reichlich problematisch vorkommen dürfte.
Ich hatte anläßlich der letzten Debatte die Gelegenheit, Ihnen im einzelnen, wenn auch nur kurz, darzutun, daß diese beiden Verordnungen rechtsunwirksam sind, und ich darf feststellen, daß sich diese Meinung mindestens bei den Juristen im Lande allmählich allgemein durchgesetzt hat. Die Bundesregierung läßt auch durch den heute zur
Beratung stehenden Gesetzentwurf eine beschränkte Einsicht gegenüber den mehrfach und nachdrücklich vorgetragenen Bedenken gegen die beiden Verordnungen und ihre Auswirkungen erkennen — das kann man zwischen den Zeilen lesen —, doch es bleiben gegenüber der heutigen Vorlage darüber hinaus schwerwiegende Bedenken. Sie ergeben sich einmal aus der gesetzestechnischen Anlage, zum anderen aus dem materiellen Inhalt des Gesetzentwurfs.
Der Streit um die Rechtsverbindlichkeit der beiden Regierungsverordnungen vom 27. November 1951 stellt eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dar, und zwar nicht nur im Hinblick auf die mehrfach erörterten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte, sondern auch im Hinblick auf die Gesetzgebungstechnik und -ökonomie. Wir halten an unserer Feststellung fest, daß die Verordnungen rechtsunwirksam sind. Wir halten es deshalb aber auch nicht für angängig, 'bei der Fassung des vorliegenden Gesetzentwurfs das rechtswirksame Bestehen der Verordnungen nahezu als unzweifelhaft vorauszusetzen und durch die Gesetzgebungskörperschaft zu bestätigen. Ein solches Verfahren scheint uns untunlich und bedenklich zu sein.
Ich darf noch einmal kurz zusammenfassen, aus welchen Gründen wir die Verordnungen als rechtsunwirksam ansehen. Diese Gründe könnten noch um einige Punkte vermehrt werden. Ich könnte mich schon nach dieser Richtung hin auf eine Reihe von Beschlüssen von Amtsgerichten berufen, die die Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofs ausgesetzt haben. Ich will mich noch einmal auf die kurze summarische Aufzählung der Gründe beschränken, die die Rechtsunwirksamkeit der beiden Verordnungen dartun. Sie sind rechtsunwirksam
1. wegen Verstoßes gegen Art. 80 und 129 des Grundgesetzes, — es ist das verfassungsrechtliche Erlöschen der 'Ermächtigung festzustellen;
2. wegen Aufhebung der im Leitsätzegesetz vom 24. Juni 1948 enthaltenen Ermächtigung, auf welche die Verordnungen allein hätten durch das erste Preisrechtsverlängerungsgesetz gestützt werden können, — also ist die gesetzesrechtliche Aufhebung der Ermächtigung festzustellen;
3. wegen Überschreitung der beschränkten Ermächtigung, wenn deren Fortgeltung einmal unterstellt wird. Es fehlt die gebotene Zustimmung des Bundesrats und Bundestags gemäß § 1 des Preisgesetzes. Das, was der Herr Bundesjustizminister zu diesem Punkt heute wieder nur andeutungsweise gesagt hat, ist völlig unzureichend und ist nichts anderes als eine deklamatorische Bemerkung. Wir halten es aber für völlig unmöglich, daß der Gesetzentwurf, wenn er mit Erfolg und Sinn beraten werden soll, von zwei Verordnungen ausgeht, die so umstritten sind. Er wird nach unserer Vorstellung umgebaut werden und eine Gesamtregelung der Materie enthalten müssen. Das ist das einzige, was uns möglich erscheint, daß nämlich die gesamten in den Verordnungen enthaltenen Regelungen in das zu beschließende Gesetz eingebaut werden. Nur so kann das unleugbar aufgetretene Dilemma behoben werden.
Trotz unserer Bereitschaft, unter dieser ersten Voraussetzung an der Beratung des materiellen Inhalts des uns vorgelegten 'Gesetzentwurfs mitzuarbeiten, legen wir in schärfster Form Verwahrung ein gegen die im vorliegenden Fall von der Bundesregierung angewandte Praxis, durch mit dem Schein der Rechtsverbindlichkeit ausgestattete
Rechtsverordnungen Situationen zu schaffen, die den Gesetzgeber zwingen, in bestimmter Weise und zu bestimmten Terminen gesetzliche Regelungen zu treffen. Ich habe jüngst unter dem Gesichtspunkt der Verordnungsermächtigungen unter Berufung auf die Entscheidung unseres Bundesverfassungsgerichts und die darin bestätigten Grundprinzipien der Gewaltentrennung auf das Gewichtsverhältnis und die Abgrenzung zwischen Legislative und Exekutive hingewiesen. Hier gibt die Bundesregierung ein Exempel für die Auswirkungen, die bei Durchbrechung dieser fundamentalen Grundsätze unvermeidbar sind. Ein Parlament, das sich das ihm eigene Recht der Gesetzgebung nehmen oder beschränken läßt, verzichtet nicht nur auf sein verfassungsmäßiges Recht, das, um es sehr deutlich zu sagen, mehr Pflicht als Recht ist, sondern versetzt sich selbst als das höchste Organ der staatlichen Willensbildung in die peinliche Situation, Fehler des mißbräuchlich ermächtigten oder sich als ermächtigt gerierenden Organs durch eigene Maßnahmen ausgleichen zu müssen. Das gesetzgebende Organ begibt sich bei einer 'derartigen Praxis nicht nur eines Rechts, nein, es bürdet sich zugleich das Amt des Lückenbüßers auf. Wir sind nicht bereit, eine solche Praxis ohne Kritik an uns vorbeipassieren zu lassen.
Hinsichtlich der Gesetzestechnik eine kurze Bemerkung. Es bürgert sich in zunehmendem Maße eine Praxis ein, sachlich und organisch zusammengehörige Materien in einer Unzahl von Sonderbestimmungen zeitlich auseinandergerissen von verschiedenen Organen regeln zu lassen. Darunter leidet nicht nur die praktische Anwendbarkeit jener Vorschriften, die nachgerade ohne alphabetisches Schlagwortverzeichnis selbst von den bestausgebildeten und erfahrensten Verwaltungs' beamten und Richtern, geschweige denn vom Staatsbürger überhaupt nicht gefunden, viel weniger 'gewußt und beachtet werden können.
Schwerer wiegt der Schaden, den die Rechtsklarheit und Rechtssystematik nehmen müssen. Rechtsklar und rechtssystematisch können nur solche auf eine zusammengehörige Materie bezogenen Gesetze und Verordnungen sein, die von einer sich in jeder Einzelbestimmung bestätigenden Gesamtkonzeption getragen sind. Teillösungen sind ein Notbehelf und keine Lösung. Das uns vorliegende Beispiel — ich meine den Entwurf des Gesetzes, der jetzt zur Beratung steht — ist kennzeichnend hierfür.
Ich will mir das Eingehen auf weitere Einzelheiten ersparen und mich insoweit auf den Hinweis beschränken, daß wir in einigen Punkten schon jetzt klar und erkennbar zum Ausdruck bringen möchten, daß wir die Regelung des Gesetzes in dieser Form nicht akzeptieren können. Es erscheint uns z. B. nicht zwingend, daß man bei der Regelung der Prozeßführung und Beweislast den Mieter in eine Rolle zwingt, in die er nicht gehört, da ja nicht er es ist, der fordert. Es ist im übrigen kein Gebot der Logik, hier ein andersartiges Verfahren einzuführen, als dies auch in gleichgelagerten Fällen üblich ist. Solange den Vermietern von Wohnräumen die Prozeßführung und Beweislast aufgebürdet bleiben, so lange ist nicht einzusehen, weshalb nicht auch die Vermieter gewerblicher Räume ebenso behandelt werden sollen, wenn diese schon den Vorzug freier Preisbildung genießen sollen.
Das Rechtsinstitut der Kündigungswiderrufsklage, das wir hier in diesem Gesetzentwurf finden, ist zwar in unserem Recht nicht neu; die von der Bundesregierung gezogene Parallele zum Arbeitsrecht ist jedoch nicht schlüssig, weil es eben das auch hier der Natur der Sache nach ungeeignete Beispiel der Aufhebungsklage nicht gibt. Auch im Mietrecht hat es bereits einmal dieses Institut der Kündigungswiderrufsklage gegeben. Es ist von allen Praktikern als umgeeignet erkannt worden. Das Mieterschutzgesetz ist daher in seiner verfahrensmäßigen Anlage als ein erheblicher Fortschritt — und zwar nicht nur für die Mieter — betrachtet worden. Für das Gebiet des Mietrechts bedeutet die Wiedereinführung der Kündigungswiderrufsklage einen offensichtlichen Rückschritt.
Im übrigen haben wir wegen einer ganzen Reihe von Einzelbestimmungen Bedenken. Wir betrachten im § 2 beispielsweise das Fehlen jeder Interessenabwägung als einen großen Mangel. Wir finden den personell und sachlich geregelten Tatbestand viel zu weit. Ich spreche jetzt von der Bestimmung über den Eigenbedarf. Wenn wir in das Gesetz schauen, sehen wir die Möglichkeit, daß in Zukunft „Eigenbedarf" immer dann bejaht werden muß, wenn der Vermieter für sich selbst oder für die Zwecke seines Ehegatten oder eines Verwandten oder eines Verschwägerten gerader Linie die Räume dringend benötigt. Das bedeutet, daß vom Urahn bis zum Enkel — so weit geht der Rahmen bei Verschwägerten und Verwandten gerader Linie — Strohmänner vorgeschoben werden können, um jemand, der vielleicht bisher — durchaus ohne daß 'Zerwürfnisse zwischen Mieter und Vermieter entstanden sind — einen Gewerberaum beansprucht hat, nunmehr unter dem Vorwand des Eigenbedarfs aus dem Mietverhältnis zu drängen. Wer entscheidet im übrigen darüber, ob eine dringende Notwendigkeit besteht? Es fehlt an einer Aufzählung klarer Tatbestände.
Wir sehen auch Schwierigkeiten erwachsen aus dem § 4 Abs. 2 Buchstabe b. Dort ist eine off en-sichtliche Unterbewertung der Mieterinteressen festzustellen, und ich kann in dem ganzen Gesetz nicht eine Regelung finden, die mir die Bemerkung des Herrn Bundesjustizministers verständlich machte, hier gehe man zum Teil im Schutze der Mieter weiter als bisher. Das scheint mir nur am Rande der Fall zu sein; im großen und ganzen ist hier ein Gesetzentwurf zu behandeln, der die Vermieterinteressen sehr viel stärker berücksichtigt als die Interessen der Mieter.
Wir halten also einmal den Ausgangspunkt des Gesetzes für verfehlt. Wir schließen uns den Bedenken des Bundesrates hinsichtlich der Kündigungswiderrufsklage an, und wir haben im übrigen zu einer ganzen Reihe von Einzelbestimmungen schwerste Bedenken anzumelden. Wir behalten uns vor, sie 'bei den Ausschußberatungen im einzelnen vorzutragen. Dabei haben wir die Hoffnung, daß bei einer sachlichen Aussprache die Möglichkeit besteht, diesen ganzen Gesetzentwurf umzubauen. Vielleicht bietet er die Möglichkeit, das zu realisieren, was wir schon mit unserem Antrage vom 8. Februar angestrebt haben: daß ein Gesetz entsteht, das in gerechter Abwägung der Interessen der Beteiligten die Mieten oder Pachten für Geschäftsräume oder gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke in der Weise regelt, daß die erhöhten Unkosten der Vermieter oder Verpächter eine angemessene Berücksichtigung finden, aber Preistreiberei ausgeschlossen wird.