Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen ging eine erschütternde Nachricht durch die deutsche Presse. 28 200 deutsche Fremdenlegionäre seien bis zum jetzigen Zeitpunkt in Indochina gefallen. Die Zahl der Gefallenen ist in Wirklichkeit bedeutend höher. Hinzu kommen Tausende von jungen Menschen, die dort zu Krüppeln geschossen worden sind oder Opfer des mörderischen Klimas und der Mißhandlungen durch die Offiziere der französischen Kolonialarmee geworden sind,
Was sind das für Menschen? — Das sind junge Menschen, die über die offiziellen Werbebüros gewisser Besatzungsmächte, über Sammellager und Nachschubzentralen für Menschenware wie z. B. in Holderstock bei Offenburg in den Tod geschickt worden sind. Es sind Menschen, die auch auf dem Wege über Werbebüros anderer ausländischer Staaten auf deutschem Boden diesem Schicksal entgegengeschickt worden sind, so z. B. von Holland, dessen Werber ihre Tätigkeit selbst in deutschen Arbeitsämtern in Räumen ausüben, die ihnen von deutschen Behörden für dieses verbrecherische Tun offiziell zugewiesen worden sind.
Aber die Frage „Was sind das für Menschen?" ist nicht mit der lächerlichen Behauptung abzutun, das seien Menschen, die Lust auf Abenteuer hätten. Das sind Menschen, die die Not getrieben hat, das Schicksal der Arbeitslosigkeit, die Verzweiflung, das Gefühl, keine Chance zu haben, in diesem Staat einen ordentlichen Beruf zu erlernen. Allerdings: dieses System hier hat kein Interesse daran, der Jugend die Möglichkeit zu ordentlicher beruflicher Leistung zu geben, zum Studium und zu sozialem und kulturellem Aufstieg. Hier diese Regierung spekuliert allein darauf, daß die jungen Menschen keine Arbeit haben, keinen Lebenssinn in diesem Dasein empfinden, weil sie meint, daß sie dann eher bereit seien, die Uniform und die Marschstiefel anzuziehen und einem neuen Gestellungsbefehl Folge zu leisten.
Meistens sind es ganz junge Menschen. Einer von ihnen schrieb am 6. November 1951 aus Sétif in Nordafrika einen Brief, der mir vorliegt, in dem es unter anderem heißt:
Mutter, ich sage Dir ehrlich, es ist jetzt schlimm hier. Von 100 Mann kommen 5 wieder. Hier geht es noch. Aber in Indochina! Komme ich gesund zurück, dann will ich Dir tausendmal danken; denn jetzt weiß ich wirklich erst, was Du mir bedeutest.
Einige aus dieser großen Armee von verzweifelten, von blutjungen Menschen, die dem unbarmherzigen, schmutzigen Krieg in Vietnam im Interesse der französischen Kolonialherren ausgeliefert worden sind,
stehen hier im Mittelpunkt der Diskussion. Sie sind diejenigen, für die sich unser Antrag einsetzte, der bereits am 3. September 1951 eingereicht worden ist: Martin Dutschke, Gerhard Wolter, Friedrich Fleutz, Siegfried Richter, Heinz Müller und der zum Tode verurteilte Jack Holsten. Jack Holsten war 17 Jahre alt, als er den Weg zum Werbebüro der französischen Fremdenlegion antrat. Er schickte seiner Mutter, die in Berlin-Charlottenburg, Kirchenallee, wohnte, im September 1947 einen Abschiedsbrief, in dem er u. a. sagte:
Ich bekomme in Berlin keine Stellung, und da
ich weiß, wie wenig Geld wir haben, möchte
ich Euch nicht länger auf der Tasche liegen.
Er schrieb weiter, er wolle versuchen, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Er war 17 Jahre alt! Danach erhielt seine Mutter lediglich noch einmal einen Kartengruß aus Afrika im Mai 1948. Dann war Jack Holsten verschollen. Kein Gruß und kein Lebenszeichen erreichte die Familie mehr.
Er war in der Zwischenzeit nach Indochina verfrachtet worden. Dort allerdings gewann er neue
Erkenntnisse über das Leben und das Sterben und den Sinn des Sterbens und des Lebens der Menschen. Er erkannte, daß ihm gegenüber keine Rebellen, keine Mordbrenner stehen, sondern Menschen, die für die Freiheit kämpfen und die kein anderes Sinnen und Trachten haben, als die fremden Bedrücker und Bedränger aus dem Lande zu verjagen. Er sah ein, daß er für schmutzige Zwecke mißbraucht worden war. Er ließ sich von seinem Ehrgefühl, von seinem Gewissen leiten, lief zu den Soldaten der vietnamesischen Befreiungsarmee über und ließ sich gefangennehmen.
— Sie haben es nötig, Pfui zu rufen.
Vielleicht fühlen Sie sich solidarisch mit Herrn
Carlo Schmid, der vor 14 Tagen hier sagte, es
handle sich um deklassierte Bevölkerungsschichten.
— Sie, Herr Junker von Merkatz, sollten über dieses Thema schweigen.
Die Deutsche Demokratische Republik teilte den zu der Volksarmee von Vietnam Übergelaufenen mit, daß sie alles in die Wege leiten werde, um ihre baldige Heimkehr in ihre heimatlichen Wohnorte zu gewährleisten. Dieses Versprechen wurde gehalten. Jack Holsten und seine Kameraden kehrten auf dem Wege über China nach Deutschland zurück. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik verschaffte ihnen einen mehrwöchentlichen Erholungsurlaub, und dann wurden sie in ihre West-Berliner Heimat entlassen.
Und dort, in ihren West-Berliner Wohnungen, wurden sie am Morgen des 22. Juni 1951 von den Organen der Stumm-Polizei verhaftet. Sie wurden auf der Polizeiinspektion Charlottenburg der französischen Gendarmerie übergeben. Es gibt einen Vermerk im Tätigkeitsbuch dieser Charlottenburger Stumm-Polizeiinspektion, der die ganze Infamie, die ganze Kaltschnäuzigkeit der Vollstrecker in diesem Verfahren kennzeichnet. Diese Eintragung lautet: „Vier männliche Personen deutscher Staatsangehörigkeit festgenommen." Kein Name, kein Alter, keine sonstigen Angaben. Es sind ja nur ein paar arme Deutsche! Und wie zum Hohn wurde dann der Mutter von Jack Holsten, die sich beschweren, die den Polizeipräsidenten Stumm sprechen wollte — der sie aber abwies, der für sie nicht zu sprechen war —, erklärt, es handle sich gar nicht um Deutsche; sie solle sich also darum keine Sorgen machen.
Es wurde hier vom Berichterstatter erklärt, die Sache ginge rechtlich — also nach den Paragraphen, die Herr von Merkatz im Kopf hat — ganz in Ordnung. Das sei nun einmal nach dem kleinen in Berlin gültigen Besatzungsstatut so zulässig. Ich widerspreche Ihrer Darstellung, Herr von Merkatz.
Ein Sprecher des Foreign Office wurde Ende August über diese Angelegenheit befragt; denn bekanntlich wurden die jungen Menschen ja auf dem Boden des britischen Sektors in Berlin festgenommen, nicht auf dem Boden des französischen Sektors. Dieser Sprecher des Foreign Office erklärte, die britische Regierung habe keinerlei offizielle An-
forderung von französischer Seite auf Festnahme oder Auslieferung dieser ehemaligen Fremdenlegionäre erhalten. Wenn die britische Polizei in Berlin in diesem Falle tätig geworden sei, so habe sie ohne Instruktionen im Rahmen ihrer eigenen Befugnisse gehandelt. Nun frage ich Sie, Herr von Merkatz, der Sie doch ein maßgeblicher Sprecher der Regierungskoalition sind: Wenn schon das britische Außenamt erklärt, das war in Berlin eine eigenmächtige Sache, hinter der wir nicht stehen und für die wir keinerlei Rechtsbegründung anführen können, — warum ist Ihre Regierung dann nicht sofort nach dieser Erklärung des Vertreters des britischen Außenamts tätig geworden?
- Nein, sie ist es nicht!
- Sie ist es nicht, Herr Höfler; denn in dieser Verlautbarung des Foreign Office heißt es weiter — lassen Sie mich das auch zitieren —,
„daß von deutscher Seite bisher offiziell gegen das Verhalten der britischen Stellen in dieser Frage zumindest in London noch niemals protestiert worden ist".
Ich zitiere aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 3. September 1951.
Haben Sie das dementiert? Sie haben es nicht dementiert, weil es wahr ist!
Dieses beschämende Spiel hat allerdings einen politischen Hintergrund. Der Chef der Berliner Kriminalpolizei, Linke, wurde über die Beweggründe des Verhaltens seiner Leute und seines eigenen Verhaltens — denn er leitete die Aktion — befragt. Er sagte: „Die Berliner Polizei ist auf engste Zusammenarbeit mit den Alliierten angewiesen." Jawohl, „auf engste Zusammenarbeit mit den Alliierten angewiesen". Darum sagten die Stumm-Polizisten zu den Müttern: „Meine Damen, was wollen Sie denn; Ihre Söhne sind ja Franzosen, und wenn sie in der Fremdenlegion etwas ausgefressen haben, dann müssen sie auch dafür geradestehen." So fassen die Herren von der StummPolizei in Berlin „Verpflichtungen" gegenüber fremden Mächten auf, „Verpflichtungen", die hier in anderer Sprache als die „Erfordernisse einer guten Zusammenarbeit" dargestellt werden. Jack Holsten ist im Dezember 1950 zum Tode verurteilt worden, die anderen bis zu 20 Jahren Zuchthaus. Die Stumm-Polizisten und die deutschen Behörden in Berlin wußten also genau, welches Schicksal diesen Jungens droht, wenn sie sie den Franzosen ausliefern.
Sie sind nach dem berühmten Straflager von Colomb Bechar in Süd-Algerien verschleppt worden; drei davon sind in Strafbataillone der Vietnam-Armee überführt worden, und der Verbleib der übrigen ist unbekannt.
Ja, meine Damen und Herren, hier handelt es sich um ein politisches System, um ein System der bewußten, gewollten Hilfestellung für die französischen Kolonialherren, eine Hilfestellung, die die Bundesregierung duldet, stützt und fördert aus politischen Erwägungen,
weil Sie mit diesen Mächten um jeden Preis, auch um den Preis der Verleugnung
einfachster Menschenrechte, zusammenarbeiten will im Interesse des Aufbaues einer sogenannten europäischen Armee.