Aber diese Unterbrechung geht nicht von meiner Redezeit ab; darum bitte ich doch!
Sehen wir uns doch nun einmal den sozialdemokratischen Antrag an. Da heißt es in der ersten Ziffer, daß eine aus „unabhängigen" Sachverständigen zusammengesetzte Kommission gebildet werden soll. Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, der Herr Kollege Preller, fing seine Betrachtungen mit einem Werturteil über die Bismarcksche Sozialversicherungsgesetzgebung an. Nun, darüber wissen die deutschen Arbeiter etwas. Darf ich daran erinnern, daß der „Eiserne Kanzler" Bismarck bei der Begründung seiner Sozialversicherungsgesetzgebung ein von Sozialdemokraten eigentlich nicht zu vergessendes Wort gesprochen hat. Er hat gesagt: Allein mit Repressalien — der Herr Lehr ist nicht da —,
allein mit Repressalien das Volk zurückzuhalten, das geht nicht. Und nun wörtlich: „Man muß gegen die aufsteigende Sozialdemokratie, die zu einer Staatsgefahr zu werden droht, einen Schutzwall aufrichten". Dieser Schutzwall war die Bismarcksche Sozialversicherungsgesetzgebung.
Sie hat mit christlichen Erwägungen nichts zu tun, sie war nicht etwa der Ausdruck einer „Solidarität der Volksgenossen", sie war ein Schutzwall. Sie haben am Ende Ihrer Betrachtungen auch gesagt, warum Sie den Schutzwall jetzt noch einmal wollen, Herr Kollege Preller; ich komme am Schluß darauf zu sprechen.
Bismarck wollte also eine Sozialversicherung, um eine gewisse gesellschaftliche, politische Entwicklung bei uns im Lande zurückzuhalten. Das war die Entwicklung zum Sozialismus hin. Und dann hat er ein sehr kluges System ersonnen, das System seiner Sozialversicherung auf der Basis eines nach ausgesprochen privatkapitalistischen Prinzipien aufgebauten Deckungssystems, das nicht dadurch in Unordnung geraten ist, daß die Leistungen zu hoch geworden sind, das vielmehr dadurch in Unordnung gekommen ist, daß das Vermögen der Sozialversicherung, das die riesige Höhe von 33 Milliarden Mark erreicht hatte, im Laufe der beiden Kriege und in den Nachkriegsperioden einfach ausgebrannt war. Es war angelegt in Kriegsanleihen, zur Finanzierung sowohl des HitlerKrieges als auch des ersten Weltkrieges benutzt worden. Als Hitler weg war, war das Vermögen der Versicherungsträger auch zum Teufel. So entstand nach 1918 und 1945 die Notwendigkeit, aus Staatsmitteln Zuschüsse zu zahlen.
Die andere große Personengruppe, die Gruppe derjenigen Menschen, die auf kommunale Fürsorge angewiesen sind, die doch auch das Opfer Ihres Systems sind, ist die Gruppe der Kleinrentner, der Kleinsparer. Diese Menschen sind nach 1918 und nach 1945 die Opfer der Inflation bzw. der Währungsumstellung geworden. Also auch diese Personen sind auf Grund der Politik, die in diesem Staat betrieben worden ist und die Ihre Politik von heute ist, notleidend und fürsorgebedürftig geworden.
— Ja, auch Ihre Politik!
— Sie tragen den Herrn Adenauer.
Wie kann man sich angesichts dieser Situation, wo es doch eindeutig und klar ist, warum dieser Staat Sozialpolitik betreibt, einbilden, daß es möglich sein werde, hier eine „unabhängige Kommission" zusammenzustellen, die diese Probleme über den Parteien stehend erörtert.
Das ist doch ein Gedanke, den sich ein Sozialist niemals zu eigen machen dürfte. Wir wissen doch etwas von dem Charakter dieses Staates, wir wissen doch, warum Bismarck diese Sozialpolitik gemacht hat, und wir wissen auch, warum diese Herren heute hier diese — allerdings erbärmliche
— Sozialpolitik betreiben. Sie wissen das auch, Herr Preller. Am Schluß Ihrer Ausführungen haben Sie es ausgesprochen.
— Frau Kalinke, Sie kommen nach mir dran; ich hätte Sie gern vorgehen lassen; dann hätte ich es
noch leichter gehabt. Sie sind so ungeschickt, daß Sie Ihre wahren Ideen, die Ideen Ihrer Klasse etwas unverhüllter als etwa der Herr Horn aussprechen.
Nun zurück zu der Kernfrage: Welchen Charakter hat denn der Staat, in dem wir leben? Das ist doch ein ausgesprochen kapitalistischer Staat.
Wie kann man sich als Sozialist vorstellen, daß es in diesem kapitalistischen Staat, in diesem Staat mit dieser kapitalistischen, imperialistischen Politik, möglich wäre, eine soziale Sicherung zu schaffen! Wie kann man als Sozialist solche Gedanken überhaupt nur in seinem Kopf beherbergen! Wie kann man von der Möglichkeit reden, die „Solidarität aller Volksgenossen" in Bewegung zu bringen! Die Antwort hat Ihnen der Herr Horn gesagt. Er hat Ihnen die beiden Gruppen von Volksgenossen herausgeschält, als er sich dagegen wehrte, daß man die „Selbstversorgung" beseitigen will. Was meint der Herr H o r n? Der Herr Horn denkt an die Klasse, zu der er gehört. Er bejaht das System, daß in diesem Staat dank der Wirtschaft und der sozialen Ordnung ein gewisser, kleiner Kreis von Menschen die Möglichkeit hat, sich auf Grund der Profitwirtschaft, die in diesem Staat besteht, einer Altersversorgung, eine Versorgung schlechthin zur eigenen Sicherstellung zu schaffen. Diese Versorgung will er von der Versorgung jener Millionen armer Menschen getrennt wissen, die auf eine staatliche Sozialversicherung angewiesen sind. So liegen die Dinge doch in Wirklichkeit.
In dem sozialdemokratischen Antrag wird dann verlangt, daß die „Soziale Studienkommission" die Möglichkeiten der Entflechtung der Leistungen prüfen soll. Das klingt doch sehr bedenklich nach Herrn Dehler; denn der will auch eine Entflechtung, der ist auch dagegen, daß die auf Grund von Beitragsleistungen erworbenen Rechte und Ansprüche auf Renten bestehen bleiben sollen, auch er redet von der Notwendigkeit der Intensivierung der Renten. Angeblich will er sie auch erhöhen, aber er will eigenartigerweise dem Rechtszustand ein Ende machen, daß Renten, die auf Grund der Beitragsleistungen wohlerworben sind, nebeneinander und miteinander gezahlt werden. Gibt Ihnen dieser Gleichklang mit Herrn Dehler keinen Anlaß, die Richtigkeit Ihrer Gedankengänge nachzuprüfen?
Nun noch ein letztes Wort. Die Mitglieder dieser sozialen Studienkommission sollen ihrem Gewissen unterworfen sein. Was ist denn das für ein hohles Pathos, „ihrem Gewissen unterworfen sein"? Was heißt denn das?
— Ich will mir keinen Ordnungsruf zuziehen, deshalb kläre ich nicht die Frage, ob ich Ihnen ein soziales Gewissen zutraue, ich bin vorsichtig. Wie kann aber ein Sozialist dieser Gesellschaft zutrauen, daß sie an eine solche Fragestellung vom Standpunkt des sozialen Gewissens herangeht? Was euer Gewissen ist, das ist eure Sucht nach Profit! Das ist euer Gewissen!
Ich komme zum Schluß. Die dreizehn Millionen draußen verlangen von uns eine Erhöhung der derzeitigen Hungerrenten. Das verlangen sie! Sie verlangen nicht die Einsetzung einer Studienkommission. Sie wissen, daß nicht einmal der derzeitige
Stand Ihrer sozialen Zuwendungen gehalten werden kann, wenn die Kriegspolitik Adenauers zum
Zuge kommt. Nun stellen Sie sich hin und sagen:
Bilden wir eine Sozialkommission. Die Koalition
sagt dasselbe. Wir sagen im Namen der Hungernden draußen: Bilden wir eine Sturmkolonne gegen
diese Regierung des Krieges und des Hungers! Darauf kommt es im Augenblick. in Wirklichkeit an.
— Ich bin fertig. Lassen Sie mich nur noch einen Satz sagen. Für einen Sozialdemokraten ist es doch wirklich beschämend, daß er die Möglichkeit bejaht, einen derartigen Harmonieverein zusammenzustellen, die Ausbeuter neben die Ausgebeuteten, einmütig bestrebt, die „soziale Ordnung" zu sichern. Was wollen Sie, Herr Preller, mit Ihrem Antrag? Sie behaupten dasselbe, was der Herr Adenauer vorgibt neben seinen Kriegsvorbereitungen schaffen zu können. Sie bejahen wie Adenauer die Notwendigkeit,
diesen Staat sozial zu untermauern, damit die arbeitenden und hungernden Menschen in diesem Staat für die Adenauersche Abenteurerpolitik des Krieges gewonnen werden können. Darum reden Sie wie Adenauer von der Notwendigkeit,
diesen Staat sozial zu untermauern und die soziale Ordnung in diesem Staat zu sichern. Macht Sie dieser Gleichklang der Gedanken nicht etwas stutzig, Herr Preller? Was die Invaliden, was die Kriegsopfer draußen wollen, das wissen Sie so gut wie ich. Sie wollen ausreichende Renten, sie wollen nicht weiter hungern. Und Sie bieten Ihnen dieses hohle Ei einer Studienkommission zusammen mit den Koalitionsparteien an.