Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei über die Berichterstattung durch den Untersuchungsausschuß — den 46. Ausschuß — liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Die sozialdemokratische Fraktion hatte am 5. Oktober 1951 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung von Mißständen in der Bundesverwaltung im Zusammenhang mit dem von Dr. Platow herausgegebenen Nachrichtendienst beantragt. Das Plenum des Bundestages beschloß am 11. Oktober 1951 gemäß Art. 44 des Grundgesetzes die Einsetzung dieses Ausschusses, der dann in vier, fünf Sitzungen beraten und Zeugen vernommen hat. In seiner Sitzung vom 25. Januar 1952 wurde dann nach einem Bericht des Oberstaatsanwalts in Bonn auf Grund eines Antrages der Christlich-Demokratischen Union mit der Mehrheit der Stimmen der Regierungsparteien die Arbeit dieses Ausschusses ausgesetzt.
Dieser Beschluß, meine Damen und Herren, ist um so verwunderlicher, als im Ausschuß grundsätzliche Einmütigkeit darüber herrschte, daß ganz zweifellos neben dem Verfahren vor der Staatsanwaltschaft auch das Verfahren des parlamentarischen Untersuchungsausschusses ohne Bedenken laufen kann. Diese Frage hat seit jeher eine bedeutende Rolle gespielt. Sie wurde in der Zeit der Weimarer Republik wiederholt besprochen, insbesondere auf dem 34. Deutschen Juristentag n Köln. Sie hat also nicht nur eine politische, sondern auch eine streng verfassungsrechtliche Bedeutung, und ich bitte, mir zu erlauben, bei meinen weiteren Ausführungen insbesondere auf die Beratungen des 34. Deutschen Juristentages häufiger Bezug nehmen zu dürfen. Auf diesem Juristentag sagte der Staatsrechtler Professor Dr. Jacobi — und nun bitte ich, zitieren zu dürfen —:
Man bedenke auch, daß auf diese Weise, d. h. durch ein Nachstehen des Untersuchungsausschusses des Parlaments nach dem staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren gerade die erfolgreich arbeitenden Untersuchungsausschüsse nicht zum Ziele kommen würden; denn ihre Aufdeckung von Mißständen würde immer neuen Anlaß zur Einleitung von Strafverfahren geben, und der Ausschuß müßte immer wieder sein Verfahren einstellen. Man braucht noch gar nicht einmal an die Möglichkeit zu denken, daß dann ein Strafverfahren auch mit dem ausgesprochenen Zweck eingeleitet werden könnte, das parlamentarische Untersuchungsverfahren lahmzulegen, um zu erkennen, daß eine Bestimmung des von Rosenberg vorgeschlagenen Inhalts im. Grunde auf eine Verneinung der parlamentarischen Untersuchung herauskommt.
Mit dieser Frage des Nebeneinanders von staatsanwaltschaftlichem Untersuchungsverfahren und den Arbeiten im parlamentarischen Untersuchungsausschuß nach Art. 44 des Grundgesetzes hat sich auch der Parlamentarische Rat sehr eingehend befaßt. Darüber schreibt der bekannte Bonner Kommentar in der Anmerkung 3 zu Art. 44:
In der zweiten Sitzung des Hauptausschusses wurde als neuer Absatz die Bestimmung beantragt, daß die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses keiner richterlichen Nachprüfung unterliegen solle, weil die Untersuchung nach der politischen Seite stattfinde. Deshalb müsse auch vermieden werden, daß sieh irgendein Gericht zur Kontrollinstanz aufwerfe. Der Abgeordnete Walter von der Christlich-Demokratischen Union meinte dazu, daß der Untersuchungsausschuß, wenn der Tatbestand einer strafbaren Handlung festgestellt wird oder wenn bloß dieser Verdacht sich im Laufe der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses ergibt, seine Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens einstellen müßte.
— Also er dachte etwa an einen Fall, wie er uns heute vorliegt. —
Diese schon im Organisationsausschuß und dann im Allgemeinen Redaktionsausschuß angeschnittene Frage wurde in die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses nicht mit aufgenommen, weil man der Ansicht war, daß, durch eine solche Vorschrift die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses praktisch lahmgelegt werden könne.
Ich bitte also zu beachten, meine Damen und Herren: der Parlamentarische Rat hat sich bei der Fassung des Art. 44 des Grundgesetzes ausdrücklich auf den Standpunkt gestellt, daß unter allen Umständen der parlamentarische Untersuchungsausschuß neben dem staatsanwaltschaftlichen Verfahren laufen kann. — Es heißt dann im Kommentar ausdrücklich:
Die Forderung, ein Nebeneinander von Gerichts- und Enquêteverfahren gesetzlich zu verbieten, hat in den Debatten des Parlamentarischen Rates eine Rolle gespielt, ist aber abgelehnt worden.
Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich schon aus der völlig verschiedenen Aufgabenstellung von Untersuchungsausschuß des Parlaments und Staatsanwaltschaft. Wir haben politische Fragen zu beantworten, und ich bitte Sie, daraufhin einmal unsern Antrag Drucksache Nr. 2657 anzusehen, in dem die Rede ist von den „Beziehungen zwischen Mitgliedern der Bundesregierung sowie Verwaltungsangehörigen der Bundesministerien und des auswärtigen Dienstes zu dem Nachrichtendienst Platow", in dem die Rede ist von „Fehlern der Personalpolitik", von „Zuwendungen" und so fort. Dabei handelt es sich also ganz zweifellos um politische Fragen, während die Staatsanwaltschaft sich ausschließlich mit der strafrechtlichen Frage zu befassen hat, ob sich Herr Platow und dieser oder jener seiner Mitarbeiter und vielleicht auch einige Angestellte oder gar Beamte der Ministerien strafbar gemacht haben.
Ich möchte aus den Untersuchungen des Juristentages von 1926 nur zwei Sätze des bekannten Professors Rechtsanwalt Dr. Alsberg zitieren, der damals gesagt hat:
Man muß sich darüber klar sein, was der Untersuchungsausschuß will, was seine Aufgabe ist, und muß dahin streben, im Untersuchungsausschuß lediglich das Politische zu behandeln und im Strafverfahren das Kriminelle; und ich glaube, daß unser Parlament, wenn die Institution des Untersuchungsausschusses sich bei uns einmal entwickelt hat,
auch durchaus in der Lage ist, die Grenze zu ziehen.
Ich glaube, wir sollten uns heute nicht weniger zutrauen, als man damals dem Parlament in der Weimarer Republik zugetraut hat. Ich möchte mit allem Ernst darauf hinweisen, meine Damen und Herren: an der Aufklärung dieser politischen Tatbestände, wie sie in unserem Antrage angesprochen worden sind, hat das ganze Volk und hat also auch der ganze Bundestag ein eminentes Interesse, und darum sollten wir ganz zweifellos die Priorität bei den Untersuchungen dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zuweisen.
Der Herr Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Herr Kollege Hoogen, hat im Untersuchungsausschuß in dieser letzten, entscheidenden Sitzung, in der er sich vertagte, selbst gesagt:
Wir stehen also zwischen dem Recht der qualifizierten Minderheit auf Einsetzung des Ausschusses und auf Durchführung der Untersuchungen und auf der andern Seite dem Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft. Wir
dürfen weder das eine noch das andere Recht
verletzen.
Diese Sätze waren zweifellos sehr gut gemeint; aber man hat dann eine halbe Stunde später mit der üblichen Mehrheit die Rechte der Minderheit ganz zweifellos verletzt.
Ich habe schon gesagt: das Ziel der parlamentarischen Untersuchung ist die Vorbereitung der parlamentarischen Maßnahmen. Es geht also um Interessen, die das ganze Volk angehen. Bei der gerichtlichen Entscheidung handelt es sich lediglich um die Strafbarkeit einer oder mehrerer Einzelpersonen. Wer kann da noch die Frage aufwerfen, welche dieser Aufgaben bedeutender und wichtiger ist? Derselbe Alsberg, den ich schon zitiert habe, hat auf dem Juristentag dazu das Folgende gesagt:
Das ungleich wichtigere Ziel dieses Staats-
organs des Untersuchungsausschusses geht an-
deren Zwecken und anderen Organen unbedingt vor.
Also schon damals hat man sich genau wie im Parlamentarischen Rat auf den Standpunkt gestellt, daß unter allen Umständen die Zuständigkeit des Untersuchungsausschusses des Parlaments vorzugehen hat. Wir wissen ja, daß auch sonst häufig Fragen, die in einem Verfahren geregelt werden, gleichzeitig auch in einem anderen Verfahren besprochen werden, so daß auch aus diesem Grunde keinerlei Bedenken gegen das, wenn ich einmal so sagen darf, zweigleisige Verfahren erhoben werden können.
Trotzdem wurde nun mit den Stimmen der Regierungsparteien die Aussetzung der Arbeiten bis zum 31. März 1952 beschlossen. Damit hat dieser Untersuchungsausschuß 46 dasselbe Schicksal wie einige Wochen vorher der Untersuchungsausschuß 45 erlitten. Sie erinnern sich an die Aussetzung der Arbeiten des sogenannten Dokumentendiebstahl-Ausschusses gegen unsern Widerspruch und gegen unsere Stimmen. In dieser Aussetzung sehen wir zweierlei: erstens eine Verletzung des Auftrages, den der Untersuchungsausschuß vom Parlament erhalten hat, zweitens eine Verletzung des in dem Grundgesetz garantierten Minderheitenrechts. Ich sprach von einer Verletzung des Auftrages. Das Parlament hat dem Untersuchungsausschuß den Auftrag gegeben, die Fragen, die in der Drucksache Nr. 2657 gestellt worden sind, so schnell
wie möglich durch Beweiserhebungen zu klären. Der Untersuchungsausschuß ist zweifellos ein unselbständiges Organ, also ein Hilfsorgan des Plenums. Er kann also auch niemals Beschlüsse fassen, die ihn vom Plenum des Bundestages unabhängig machen. Er hat vom Parlament den Auftrag, unverzüglich seine Arbeiten aufzunehmen und die Untersuchungen zu einem Ende zu führen. Wenn er diesen Auftrag nicht befolgt, verstößt er gegen Art. 44 des Grundgesetzes.
Herr Professor Dr. Jacobi, der Staatsrechtler, von
dem ich schon gesprochen habe, hat dazu auf dem
Deutschen Juristentag 1926 das Folgende gesagt:
Wenn aber im Anschluß an einen politischen
Skandal Klarheit darüber verschafft werden
soll, ob man Idas persönliche oder sachliche System eines Verwaltungszweiges ändern muß,
so kann der die Parlamentsentscheidung vorbereitende Untersuchungsausschuß mit seinen
Arbeiten nicht warten, bis alle aus dem Skandal sich ergebenden Untersuchungen im Strafverfahren rechtskräftig erledigt sind. Das wäre
gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die parlamentarische Untersuchung gerade in den
Fällen, für die sie in erster Linie berufen sind.
Gegen diesen Grundsatz ist im Untersuchungsausschuß mit dem Mehrheitsbeschluß verstoßen worden.
Ich habe gesagt: wir sehen in diesem Beschluß gleichzeitig eine Verletzung des in der Verfassung garantierten Minderheitsrechtes. Ich möchte dazu den bekannten Kommentar von Anschütz zur Weimarer Reichsverfassung zu Art. 34 zitieren, der zu dieser Grundfrage das Folgende sagt:
Dadurch sind die Untersuchungsausschüsse, die nach Art. 82 der preußischen Verfassung einseitig als Kontrollinstrumente der Parlamentsmehrheit gegenüber der Regierung gedacht waren, zugleich auch in den Dienst des Schutzes der Minderheit gegen die Mehrheit innerhalb des Parlaments gestellt. Es ist Abhilfe für den Fall geschaffen, daß eine mit der Regierung zusammengehende Mehrheit es unterläßt, Erhebungen anzustellen, deren Ergebnis ihr oder der Regierung nicht genehm sein könnte.
Diesen Vorwurf aber erheben auch wir: daß eine mit der Regierung zusammengehende Mehrheit es unterläßt, Erhebungen anzustellen, auf die die Minderheit ein Recht hat. Anschütz fährt fort:
Die Mehrheit darf die Erfüllung der ihr durch Abs. 1 auferlegten Pflicht selbstverständlich weder verweigern noch verschleppen, letzteres 'insbesondere nicht dadurch, daß sie die Einsetzung ides von der Minderheit geforderten Untersuchungsausschusses vertagt oder in einem Ausschuß begräbt.
Sie, meine Damen und Herren, sind dabei — jedenfalls war das der Beschluß des Ausschusses —, die Erhebungen in diesem Ausschuß tatsächlich für eine bestimmte Zeit zu begraben.
Weil wir nun der Ansicht sind, daß der Ausschuß sich unter keinen Umständen vertagen darf — damit würde er gegen die von mir genannten Bestimmungen verstoßen —, müssen wir zum mindesten zunächst einmal verlangen, daß der Ausschuß dem Parlament, also seinem Auftraggeber, Bericht darüber erstattet, warum er die Durchführung seiner Aufgabe unterbrochen hat. Dazu ist er auf Grund seines Auftrages, den wir ihm gegeben haben, verpflichtet. Dazu ist er weiter auf Grund seiner Stellung als unselbständiger Teil des Plenums verpflichtet. Es ist also zweifellos die Pflicht des Ausschusses, über seinen Aussetzungsbeschluß hier zu berichten. Es ist seine Pflicht, sich diesen Beschluß sanktionieren zu lassen, obwohl wir der Ansicht sind, daß ein solcher Beschluß des Parlaments ebenfalls ein Verstoß gegen den Art. 44 des Grundgesetzes, gegen das Minderheitsrecht, wäre. Ich zitiere noch einmal und verspreche Ihnen, daß es das letztemal ist. Ich zitiere aus dem bekannten Handbuch des deutschen Staatsrechts von Anschütz-Thoma die folgenden beiden Sätze:
Da die Volksvertretung Herr der Untersuchung
ist, kann sie grundsätzlich auch die Tätigkeit
des Untersuchungsausschusses vor Abschluß
seiner Arbeit durch Beschluß beenden, d. h.
ihm die Einstellung seiner Tätigkeit aufgeben. Damit ist also die Frage dahin beantwortet, daß dieser Untersuchungsausschuß ein unselbständiges Organ des Parlaments ist. Es heißt dann weiter — und darauf kommt es an —:
Rein formal betrachtet, wäre sie
— also die Volksvertretung —
hierzu auch dann in der Lage, wenn sie den Untersuchungsausschuß seinerzeit auf Verlangen der verfassungsmäßigen Minderheit eingesetzt hat, doch wäre eine solche Rücknahme des Auftrags eine Verletzung des Rechts der Minderheit auf Durchführung der Verfassung und daher verfassungswidrig.
Auf diesen Satz, meine Damen und Herren, kommt es an: die Rücknahme des Auftrags, der dem Untersuchungsausschuß erteilt wurde, wäre verfassungswidrig!
Nun bleiben uns die folgenden Fragen: Warum wollte die Mehrheit des Ausschusses denn dem Parlament diesen Bericht über seinen Aussetzungsbeschluß nicht erstatten? Vielleicht aus dem Grunde, weil dies nun schon der zweite Fall ist, daß die Arbeiten eines Untersuchungsausschusses durch Mehrheitsbeschluß abgewürgt werden? Darf ich Sie daran erinnern, mit welcher Begleitmusik die Regierungsmehrheit den sogenannten Dokumentendiebstahl-Untersuchungsausschuß eingesetzt hat? Und darf ich Sie daran erinnern, daß man dann wenige Wochen später gegen unsere Stimmen die Arbeiten dieses Ausschusses ebenfalls ausgesetzt hat? Vielleicht wollte man durch den Verzicht auf den Bericht in unserem Ausschuß verhindern, daß die Rede auch etwa auf die Aussetzung der Verhandlungen des Untersuchungsausschusses 45 käme. Das konnte keiner besser als der Abgeordnete Onnen zum Ausdruck bringen,. der nach der Niederschrift des Protokolls des 46. Ausschusses folgendes gesagt hat:
Und wenn diese Frage tatsächlich im Plenum erörtert würde, dann würde ja auch die Frage zur Erörterung stehen, wie es denn möglich war, daß der Dokumentenausschuß vertagt werden konnte.
Vielleicht war das ein Grund für den Ausschuß, auf eine Berichterstattung, die seine Pflicht gewesen wäre, zu verzichten.
Ich darf Sie daran erinnern, daß es dieselbe Mehrheit gewesen ist, die den Untersuchungsausschuß 46 wie den Untersuchungsausschuß 45 vertagt hat. So, meine Damen und Herren, schützt man nicht die Rechte der Minderheit, die in der Verfassung garantiert werden! Setzt man, so möchte ich
fragen, so die Verfassungskorrektive gegen mißbräuchliche Mehrheitswirtschaft außer Kraft?
Wenn Sie über unseren Antrag abstimmen, dann bitte ich Sie, daran zu denken, daß es bei Ihrer Entscheidung nicht allein auf die Rechte dieser beiden Ausschüsse ankommt, sondern daß es hier um die Grundlagen unserer Verfassung und daß es hier auch um die Rechte des Parlaments geht.