Rede von
Johann
Cramer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache Nr. 3034, der von Abgeordneten der verschiedensten Fraktionen dieses Hauses unterschrieben worden ist, wünscht in seinem ersten Teil unter a, daß der Herr Bundesminister der Finanzen ersucht
B) wird, die Regelung der Eigentumsverhältnisse an der Wilhelmshavener Verkehrsgesellschaft mbH. Wilhelmshaven unverzüglich zum Abschluß zu bringen.
Meine Damen und Herren! Wir haben in Wilhelmshaven das in der westdeutschen Bundesrepublik wahrscheinlich einzigartige Kuriosum, daß eine Stadt von über 100 000 Einwohnern gar keine eigenen Versorgungseinrichtungen hat. Das ist nicht darauf zurückzuführen, daß sich die Stadt Wilhelmshaven in früheren Jahren nicht um solche Verkehrseinrichtungen bemüht hat. sondern es ist darauf zurückzuführen, daß die Kriegsmarine, die in Wilhelmshaven beheimatet war, Wert darauf legte, alle diese Versorgungseinrichtungen selbst zu besitzen und zu kontrollieren. Das bezog sich sowohl auf die Gas- und Wasserwerke und die Elektrizitätswerke als auch auf die Krankenhäuser und auch auf den Verkehrsbetrieb.
Der Verkehrsbetrieb in Wilhelmshaven lag bis zum Jahre 1939 in den Händen einer Gesellschaft, an der eine Frankfurter Kleinbahn-Aktiengesellschaft und die Stadt Wilhelmshaven beteiligt waren. Im Jahre 1939 wollte dann die Stadt Wilhelmshaven diesen Betrieb selbst übernehmen, käuflich erwerben. Da mischte sich die Kriegsmarine ein und bot den doppelten Preis von dem, den die Stadt Wilhelmshaven anlegen wollte, und erwarb natürlich die Gesellschaft für ihre Zwecke. Sie stellte bald fest: Es war mit diesem Betrieb kein Geschäft zu machen. Deshalb erklärte sie im Jahre 1942 gegenüber der Stadt. sie sei bereit, nach Ablauf von drei Jahren nach Kriegsende, spätestens aber am 1. April 1946, ihren Anteil am Gesellschaftskapital an die Stadt zu verkaufen. Das ist natürlich nicht geschehen, weil es 1946 keine
Kriegsmarine mehr gab. Es sollte aber zu einer Vereinbarung zwischen dem Verwaltungsamt für Reichs- und Staatsvermögen und der Stadt Wilhelmshaven kommen. Auch dazu ist es nicht gekommen, weil die Militärregierung dagegen Einspruch erhob. Die Militärregierung wollte nicht, daß an diesem ehemaligen Reichsvermögen irgendwelche Veränderungen vorgenommen wurden. Man kam dann zu einer Notlösung, zu einem Pachtvertrag. Die Stadt bildete eine Abteilung, den Verkehrsbetrieb, und pachtete nun von der Verkehrsgesellschaft, die zu 97,5 % im Besitz des Bundes und zu 2 1/2 % im Besitz der Stadt ist, das gesamte Inventar und die Einrichtung des Verkehrsbetriebes.
Dieser Pachtvertrag ist nun am 1. April 1952 abgelaufen. Es kommt uns darauf an, daß bis zu diesem Zeitpunkt endgültige Verhältnisse und eine endgültige Regelung Platz greifen. Ich glaube, es kann nicht die Rede davon sein, daß der Bund ein Interesse daran hat, diese Gesellschaft weiterhin unter seiner Kontrolle zu behalten oder gar in Wilhelmshaven einen Verkehrsbetrieb durchzuführen. Dieser Verkehrsbetrieb, der ja nun heute, bis zum 1. April 1952, auf Rechnung und Gefahr der Stadt betrieben wird, erforderte im vergangenen Jahr einen Zuschuß von 500 000 DM. Es kann, glaube ich, nur im Interesse des Bundes liegen, schnell zu handeln, zu einer Regelung und Übereinkunft mit der Stadtverwaltung zu kommen, damit beide Teile wissen, wie sie dran sind.
Die Stadtverwaltung selbst wünscht die Übergabe des Gesellschafterkapitals kostenlos, also ohne Vergütung ihrerseits. Sie glaubt, diese Forderung stellen zu können, weil sie seit dem Tage der Währungsreform mehr als eine Million aufgewendet hat, um das Inventar gebrauchsfähig zu halten, auch Neuerwerbungen durchzuführen usw. Aber über diesen Punkt kann ja die Bundesfinanzverwaltung mit der Stadtverwaltung verhandeln. Wir wünschen ja unter Buchstabe a unseres Antrags nur, daß diese Verhandlungen unverzüglich zum Abschluß gebracht werden.
Zu b ist folgendes kurz zu sagen. Neben diesem Verkehrsbetrieb, der also auf der Straße mit Omnibussen betrieben wird, gibt es noch die Vorortbahn in Wilhelmshaven, auch eine Einrichtung der Kriegsmarine, die heute aber für zivile Zwecke verwendet wird, um den Personenverkehr von den nördlichen Vororten nach der Stadt durchzuführen. Es bestehen also zwei Verkehrsbetriebe innerhalb der Stadt nebeneinander, die beide mehr oder weniger im Besitz des Bundes sind, die beide defizitär sind, weil sie sich gegenseitig Konkurrenz machen. Da hat die Stadtverwaltung den Vorschlag gemacht, und zwar im vergangenen Jahre schon — oder es liegt noch weiter zurück —, einen dieser beiden Betriebe eingehen zu lassen, und zwar den Personenverkehr auf der Vorortbahn. Im vergangenen Jahre hat die Stadtverwaltung einen Betrag von 500 000 DM als Darlehen bekommen, das zur Erhöhung des Gesellschafterkapitals der Verkehrsgesellschaft verwendet worden und also dem Bunde verblieben ist. Sie wünscht, daß nun in diesem Sinne weiter verfahren wird, damit die Frage der Überführung des Personenverkehrs von der Vorortbahn auf den Verkehrsbetrieb, nämlich auf die Omnibusse, endlich durchgeführt wird. Ich will hier keine Summen nennen, die da in Frage
kommen können, damit wir uns und auch die Stadtverwaltung nicht festzulegen brauchen. Die Summen sind zwischen den Verwaltungen ausgehandelt worden. Wir wünschen also nur, daß die Regierung nun die geeigneten Maßnahmen trifft, um auch diese Sache zu einem baldmöglichen Abschluß zu bringen.
Da ich nun einmal bei der Vorortbahn bin, möchte ich im Anschluß an diesen Antrag noch eine Angelegenheit vorbringen, die gerade in diesen Tagen zu einer Beunruhigung des Personals der Vorortbahn geführt hat. Es schweben im Augenblick mal wieder Verhandlungen mit der VTG; das ist eine Gesellschaft, die auch Kesselwagen verwaltet. Die Vorortbahn besitzt aus Zeiten der Kriegsmarine noch 2000 Kesselwagen. Diese Wagen werden vermietet und bringen, soviel ich weiß, jährlich einen Mietertrag von 2,4 Millionen. Die VTG wünscht nun diese Kesselwagen zu mieten und bietet dafür einen jährlichen Pachtzins von 1,2 Million. Es handelt sich hier nach der Schätzung von Sachverständigen um ein Objekt von 28 Millionen DM. Der angebotene Pachtzins von 1,2 Million entspricht also keinesfalls dem Wert des Unternehmens. Außerdem besteht die Gefahr, daß bei Übergabe der Kesselwagen an die neue Gesellschaft die Arbeitsplätze, die heute zur Pflege der Kesselwagen in Wilhelmshaven vorhanden sind, verschwinden. Zwar sind in dem Vertrag Sicherungen vorgesehen; aber diese reichen nach unserer Auffassung nicht Aus die Arbeitsplätze für die mit der Reinigung
und Instandhaltung der Kesselwagen beschäftigten Arbeiter sicherzustellen. Wir möchten, daß die Regierung bei den Verhandlungen mit der Gesellschaft außerordentlich vorsichtig zu Werke geht, damit hier Bundeseigentum nicht etwa verschleudert wird.
Herr Staatssekretär Hartmann hat neulich einmal aus Anlaß der Debatte um die Howaldtwerft gesagt, daß kein Verkauf von Bundeseigentum ohne Zustimmung des Parlaments stattfinden werde. Hier handelt es sich nach dem Wortlaut des Vertrags um einen getarnten Kaufvertrag, weil der Mietzins zum Teil auf den Kaufpreis angerechnet wird. Darin liegt eine gewisse Gefahr, daß nämlich nach Ablauf von 6 bis 7 Jahren der gesamte Kesseiwagenbestand von der Vorortbahngesellschaft auf die neue Gesellschaft, die VTG, übergeht. Hier haben wir also ein doppeltes Interesse: einmal die Arbeitsplätze für die Wilhelmshavener Arbeiter zu erhalten, und zum andern das Interesse, daß nicht auf dem Wege eines getarnten Pachtvertrags ein Kaufakt vorgenommen wird.
Nun zum Antrag selbst! Da wir in diesem Antrag die Regierung keineswegs festlegen oder ihr irgendwelche Richtlinien mit auf den Weg geben, möchte ich darum bitten, diesen Antrag nicht erst einem Ausschuß zu überweisen, sondern gleich über ihn abzustimmen.