Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am dritten Tag der Schumanplandebatte spielte sich während der Rede des Bundeskanzlers hier im Bundestagssaal ein höchst unliebsamer Vorgang ab, der weder von dem Platz des Präsidenten noch von dem des Redners aus bemerkt werden konnte und den auch nicht alle Abgeordneten wahrnahmen, wahrzunehmen brauchten, weil er sich eben auf der Tribüne des Bundesrats begab, die normalerweise weder im Blickfeld noch in der Aufmerksamkeit der Abgeordneten liegt. Diejenigen Abgeordneten, die den Vorfall wahrnahmen — bisher haben sich zehn gemeldet, die alle das gleiche bekunden —, haben folgendes beobachtet:
Ein bis dahin auf der Bank des Bundesrats noch nicht wahrgenommener Herr, den hier im Hause vielleicht einige Hessen, aber sonst niemand kennt, saß dort und zeigte ein äußerst auffallendes Gebaren während einer Zeit, die man nicht feststellen kann, die aber jedenfalls eine halbe Minute bestimmt überschritt. Er faßte mit beiden Händen an seine Stirn, indem er die Augen zudeckte — vielleicht eine gebetsähnliche Haltung ---, nahm die Hände vom Gesicht zurück, tupfte sich auf die Schultern, wobei er sein Gesicht in ein feixendes Grinsen verzog und mit dem Mienenspiel zum Bundeskanzler deutete,
und schlug dann auf der Brust ein Kreuz.
— Das ist kein Schmus, sondern das sind Wahrnehmungen, die sehr nüchterne Abgeordnete dieses Hauses in der Mittagsstunde, gegen 12 Uhr, beobachtet haben und die man durch keine Lüge aus der Welt schaffen kann.
— Der amtierende Präsident hat davon nichts gesehen, er konnte auch gar nichts sehen. Bitte, setzen Sie sich mal da oben hin und sehen Sie zu, was dahinten passiert, während Sie das Haus im Auge haben wollen! Das haben nur einzelne gesehen. Diejenigen aber, die es gesehen haben,
stürzten mit einer Entrüstung vor, die beispiellos ist, und brachten dadurch sowohl den Redner wie den Herrn Präsidenten in die größte Verwirrung, weil sonst keiner wußte, was passiert war.
Diese Angelegenheit hätte sehr glatt erledigt werden können, wenn sich der beteiligte Gast des Hauses genau so anständig benommen hätte wie derjenige, der ihn hier eingeführt hat, der Vertreter des Landes Hessen, der sich in einer einwandfreien Weise beim Präsidium dafür entschuldigt hat, daß er in unerlaubter Weise einen Gast auf die Tribüne des Bundesrats eingeschmuggelt hat.
Der Herr selbst aber — oder seine Hintermänner, ich weiß nicht wer — verbreitete, er habe mit jemandem in den Reihen seiner eigenen politischen Freunde Begrüßungsgesten ausgetauscht, was auch eine Unverschämtheit wäre — denn er hat als Gast hier niemanden zu begrüßen —, was aber einfach schlicht gelogen ist! Denn wir Abgeordneten — nicht nur Herr Majonica allein, sondern es waren mindestens 10, vermutlich werden es im ganzen an die 30 gewesen sein, denn soviel stürzten vor — haben mit unseren durchaus uribestochenen Augen das genaue Gegenteil beobachtet. Dabei bedenken Sie: wir kannten den Herrn nicht, wir hatten keine Ahnung, wer das war, kein Mensch dachte daran, daß es ein SPD-Mann sein könnte! Hier ist von politischer Stellungnahme überhaupt nicht die Rede, sondern man sieht einen Vorgang und sieht, daß der Herr Bundeskanzler und dieses Haus durch Verhöhnung katholischer Gesten, ich kann nur sagen: beschimpft und in einer Weise bloßgestellt werden sollen, die nach meiner Auffassung überhaupt nur ein Mann an den Tag legen kann, der unsere demokratische Staatsform, unser demokratisches Haus, unser demokratisches Wesen in den Kot ziehen will. Das ist die Situation, vor der wir stehen.
Hätte er sich entschuldigt, wäre es gut. Stattdessen wurde die Lüge in die Welt gesetzt, es habe sich um „Begrüßungsgesten" gehandelt, und die Presse — zunächst „Die Welt", dann z. B. der Rundfunk mit Herrn Steigner, oder die illustrierte Zeitung „Quick"; ich nenne nur beispielsweise einige Organe — verbreiteten, an dem dritten Tag der Schumanplan-Debatte hätten einige Abgeordnete „die Nerven verloren"
und hätten offenbar gesponnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nunmehr ist eidlich festzustellen, nicht wer hier „spinnt", sondern wer hier lügt. Es handelt sich bei der Ausrede um eine nackte, bleiche Lüge, und um gar nichts anderes. Wer mir bei meinen immerhin in einem langen juristischen Leben geläuterten Sinnen vorwerfen will, ich hätte mittags um 12 nicht die Möglichkeit, eine Begrüßungsgeste von einer Verhöhnungsgeste gegenüber der katholischen Religion zu unterscheiden, der soll es mit mir zu tun bekommen, der kommt vor Gericht.
Daher der Antrag, der meines Erachtens nunmehr, nachdem diese Verzerrung in die Welt gesetzt ist, im Interesse des ganzen Hauses, von ganz links bis ganz rechts, einfach geboten ist. Soll er noch — was ich für unnötig halte — im Geschäftsordnungsausschuß vorgeprüft werden, so ist dagegen nichts einzuwenden; wir wollen hier nichts übers Knie brechen. Aber daß das heute nicht mehr ohne gerichtliches Nachspiel abgehen darf, wenn wir auch nur die geringste Spur von Selbstachtung haben, darüber sollte sich jeder, der es mit der Demokratie ernst nimmt, überhaupt keinem Zweifel hingeben.