Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich am Schluß dieser zweitägigen Debatte nicht mit allen Argumenten auseinandersetzen, die hier gegen die sozialdemokratischen Auffassungen vorgebracht worden sind. Aber es scheint mir doch notwendig, einige Punkte in dieser Debatte zu behandeln, damit sie nicht unwidersprochen so stehenbleiben, wie sie hier aufgeworfen wurden.
Das Thema, vor das wir gestern und heute gestellt waren, war eine konkrete Frage. Es war die konkrete Frage: Kann die Politik der Bundesregierung zu einer sinnvollen und vertretbaren Mitwirkung der Bundesrepublik an einer europäischen Verteidigung führen? Wenn wir jetzt die Debatte in ihrer Gesamtheit übersehen, müssen wir zu der Feststellung kommen, daß diese Frage nicht befriedigend beantwortet ist,
weder vom Herrn Bundeskanzler noch von den Sprechern der Koalition. Statt dessen haben wir hier eine große Anzahl von Bekenntnissen und allgemeinen Betrachtungen über den Wert der Freiheit, über die Bedeutung ihrer Verteidigung, über ihre Bedrohung gehört.
— Nur zum kleinen Teil, Herr Kollege Euler; und ich finde nicht, daß besonders in Ihrer Rede dieser Anteil sehr ausgewachsen war.
Aber auch diese allgemeinen Betrachtungen haben zum Teil Tendenzen erkennen lassen, die aufschlußreich sind für die Einstellung, mit der die Vertreter der Regierungsparteien in diese Aussprache gegangen sind. Fürchten Sie nicht, daß ich jetzt in dieser späten Stunde auf alle diese Dinge eingehe.
— Dann ist es gut! — Aber einiges möchte ich doch hier erwähnen. Zum Beispiel hat sich Herr Dr. Ehlers in einer Passage seiner Rede auch polemisch mit der sozialdemokratischen Fraktion auseinandergesetzt. Er hat als ein polemisches Argument gegen uns den Hinweis auf die Leistungen Amerikas für Europa und Deutschland herausgestellt. Ich weiß nicht, was dieses Argument in dieser Diskussion, in der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie eigentlich soll.
Denn über die Bedeutung der amerikanischen Leistungen nach 1945 für den europäischen und deutschen Wiederaufbau gibt es jedenfalls in der Sozialdemokratischen Partei nicht die geringste Meinungsverschiedenheit,
und es ist nicht wahr, daß z. B. mein Freund Arndt in seiner Rede davon gesprochen hat, wir wollten die amerikanische Kraft oder die amerikanischen Möglichkeiten in irgendeiner egoistischen Weise ausnutzen. Darum geht es überhaupt nicht. Es ist offensichtlich, daß das Schicksal der europäischen und internationalen Demokratie steht und fällt mit ihrer Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Welche kritischen Einstellungen wir immer zu dem
demokratischen Regime in Amerika haben mögen,
was wir hier behandelt haben oder — ich möchte
sagen — was wir hier behandeln sollten, ist die
konkrete Frage: Wie sollen sich die Beziehungen
zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten
Staaten auf einem bestimmten Gebiet gestalten,
nämlich auf dem Gebiet der Zusammenarbeit in bezug auf die gemeinsame Verteidigung, und zwar auf der Basis der Partnerschaft? Das ist die Frage. Wenn wir den Grundsatz akzeptieren, daß das Verhältnis zwischen den beiden Völkern auf dieser Basis gefunden werden muß, dann ergibt sich dar-
aus für jeden der beiden Partner das Recht, klarzustellen, unter welchen Voraussetzungen ihm eine effektive und wirkungsvolle Zusammenarbeit für den gemeinsamen Zweck möglich erscheint. Ich habe dazu in meiner Rede — es tut mir leid, es wieder in Erinnerung rufen zu müssen — ausdrücklich erklärt: es gibt keine Politik der Verteidigung, die jedes Risiko ausschließt. Es ist nicht unsere Meinung, daß wir mit den Händen in den Hosentaschen beiseitestehen sollten, wenn es um die Verteidigung von Werten geht, die auch uns angehen. Aber — und das ist der Punkt — in dieser Lage, in diesem weltumspannenden Konflikt gibt es nur eine sinnvolle und aussichtsreiche Konzeption: die Konzentration aller Kräfte, das gleiche Risiko und die gleiche Chance für alle. Es hilft nicht, daß wir hier unsere aufrichtige und ehrliche Sympathie gegenüber dem amerikanischen Volk zum Ausdruck bringen.
Ehe wir die Frage einer sinnvollen Verteidigung der Bundesrepublik bejahen können, müssen wir von diesem befreundeten amerikanischen Volk wissen, nach welcher strategischen Vorstellung und Auffassung es Deutschland und Westeuropa zu verteidigen gedenkt.
Das ist der einzige Punkt.
— Herr Preusker, Sie haben eben gesprochen. Lassen Sie mich ausreden; ich habe Sie auch nicht unterbrochen. — Ich möchte feststellen, daß Sie in Ihren Erklärungen auf diese Frage keine eindeutige Antwort geben konnten, weil es bis heute eine verantwortliche und verbindliche Erklärung der amerikanischen Politik in dieser Frage nicht gibt.
Diesen Tatbestand festzustellen, ist doch wohl eine Notwendigkeit, wenn wir uns hier über die Moglichkeiten und Chancen eines deutschen Verteidigungsbeitrages unterhalten wollen.
Dann möchte ich noch eine andere Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Ehlers machen, der sich, wieder im Laufe einer Auseinandersetzung mit unseren Argumenten, hier auf Debatten im Deutschen Reichstag der Weimarer Republik bezogen hat. Das war außerordentlich interessant.
Ich glaube nämlich, daß der Versuch, mit Zitaten eine bestimmte These zu beweisen, wie z. B. mit dem Zitat aus der Rede unseres ermordeten Freundes Rudolf Breitscheid im Jahre 1930, überhaupt kein echtes Argument in dieser Diskussion darstellt.
Denn wir können doch hier, jedenfalls in diesem
Hause, die Tatsache nicht ignorieren, daß die Wemarer Republik vom Jahre 1930 etwas völlig anderes war als die Bundesrepublik vom Jahre 1952.
Herr Dr. Krone, ich bin erstaunt, daß Sie dieses Argument aus Ihren Erfahrungen im Reichstag der Weimarer Republik nicht anerkennen. Damals hatten wir erstens einen Friedensvertrag,
zweitens war die Weimarer Republik nicht besetzt,
drittens war Deutschland nicht gespalten, und viertens gab es damals nicht eine internationale Situation mit den Spannungen, die heute die ganze Welt belasten.
Es ist unmöglich, aus einer Situation von damals Schlußfolgerungen für eine Politik zu ziehen, die im Jahre 1952 in der Bundesrepublik Deutschland getrieben wird. Außerdem habe ich auch den Eindruck, daß dieses Zitat gerade von Ihrem Standpunkt nicht sehr glücklich war.
Denn schließlich war die Rede, die damals mein Freund Breitscheid hielt, ja nicht zuletzt gegen einen erheblichen Teil der Menschen und Gruppen im Deutschen Reichstag gerichtet, die heute innerhalb der Regierungskoalition ihre politische Heimat gefunden haben.
-- Herr Wuermeling, ich möchte hier die polemische Note nicht verschärfen; sonst könnte ich noch etwas anderes in diesem Zusammenhang sagen.
-- Gut, dann möchte ich Sie daran erinnern, daß wir in bezug. auf die Auseinandersetzung um die Erhaltung der Weimarer Demokratie etwas vorsichtiger in diesem Hause sein sollten. Denn es sind ja die Parteien sehr maßgeblich vertreten, deren Vorgänger im Deutschen Reichstag im März 1933 für das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben.
— Sie können das Argument für schäbig halten oder für armselig, Herr Bausch; vielleicht hören Sie es sich genau so ruhig an, wie wir uns ja auch einige sogenannte armselige Argumente Ihrer Seite anhören mußten.
Aber ich komme jetzt zu einem anderen Punkt.
— Es ist ein ganz anderes Gebiet; Sie kommen im Augenblick nicht dran. Ich meine jetzt meinen Kollegen Herrn Dr. Mühlenfeld, der es für richtig gehalten hat, obwohl seine Partei mit diesem Versuch schon einmal auf die Nase gefallen ist, aus einer Schrift von Vorträgen und Artikeln meines Freundes Kurt Schumacher Zitate zu bringen, die den Nachweis erbringen sollen, daß wir als kommunistenfreundlich verdächtigt werden können. Ich glaube, am meisten überrascht von dieser Feststellung sind die Mitglieder der kommunistischen Fraktion in diesem Hause. Wenn es hier in diesem Hause überhaupt eine freundschaftliche Beziehung zu Kommunisten gibt, dann ist es wohl die des Herrn Bundeskanzlers zu Herrn Renner.
Diese Art der Zitierung mag ja in Versammlungen ganz schön sein, Herr Mühlenfeld; vielleicht klappt es in Niedersachsen manchmal auch. Aber hier sollten Sie es lassen. Ich kenne Sie gut genug, um zu wissen, daß Sie es nicht mit gutem Gewissen getan haben. Denn Sie haben auch die Stellen gelesen, aus denen hervorgeht, daß alles das, was Sie hier hineinlesen möchten, in vollem Widerspruch — ich muß sagen, selbstverständlich — zu den Grundauffassungen steht, die mein Parteifreund Dr. Schumacher mit der gesamten Sozialdemokratischen Partei seit 1945 -und früher vertreten hat. Wir haben ja schließlich mit der Kom-
munistischen Partei schon im offenen Kampf gestanden, als andere deutsche Parteien noch in „Blockbildung" begriffen waren.
Damit Sie auch noch das Gegenzitat haben, Herr Dr. Mühlenfeld, will ich hier nur einen Satz zitieren, der eine grundsätzliche Bemerkung ist, nämlich den Satz von Dr. Schumacher: „Wir sehen grundsätzlich in der KP nicht eine deutsche Klassen-, sondern eine fremde Staatspartei". Ich meine, das genügt. Der Kommentar zu dieser Feststellung wird durch unser praktisches Verhalten gegenüber allen kommunistischen Infiltrationsversuchen gegeben.
Die Bemerkung des Herrn Kollegen Mühlenfeld veranlaßt mich noch zu einer anderen Anmerkung. Ich bedaure, daß in dieser zweitägigen und, wie Sie alle wissen, außerordentlich kritischen Debatte die antibolschewistische Note eine außerordentlich starke Rolle gespielt hat. Verstehen Sie mich nicht falsch; ich meine es sehr ernst. Ich meine nämlich, daß auch diejenigen unter Ihnen, die auch unter den heutigen Umständen für einen Verteidigungsbeitrag sind, es sich wegen der nationalpolitischen Gesamtkonsequenzen sehr überlegen sollten, ob es richtig ist, die Debatte über einen deutschen Verteidigungsbeitrag auf diesem Niveau zu führen.
Ich will Ihnen genau sagen, was ich meine. Ich bedaure es sehr, daß einen wesentlichen Beitrag dazu der Herr Bundeskanzler selbst durch die fast wörtliche Verlesung seines Memorandums vom August 1950 mit all den Passagen über die angebliche oder tatsächliche Massierung militärischer Kräfte der Sowjetunion in der Sowjetzone geleistet hat. Die Daten stammen aus dem Jahre 1950.
In ihrer Häufung sind sie natürlich, wenn sie echt sind, ein Element, das eine außerordentliche Beunruhigung in das Volk tragen muß. Meine Mei- nung ist, die schlechteste Politik, welche Sie, die Sie anscheinend den Verteidigungsbeitrag wollen, machen können, ist die, daß Sie ihn in der Stimmung des Volkes durchzusetzen versuchen, indem Sie an die Furcht appellieren.
Seien Sie damit sehr vorsichtig! Ich muß offen sagen, és gibt in diesem Augenblick — Herr Bundeskanzler, verzeihen Sie, daß ich es ausspreche; aber ich glaube, es ist eine Pflicht des Parlaments, das am Ende dieser Debatte auszusprechen, nachdem Sie den Inhalt der Denkschrift in dieser massiven Weise vor der Öffentlichkeit ausgebreitet haben —, es gibt nach Ihrer und nach meiner Kenntnis der Situation in der gegenwärtigen Lage keinen Anhaltspunkt dafür, daß wir das Volk mit einer solchen Unruhe erfüllen.
Mir lag daran, das hier ausdrücklich festzustellen. Ich bedaure, daß es von dem Vertreter der Opposition in diesem Hause geschehen muß und nicht von den Repräsentanten der Regierung geschieht.
Ich möchte nun noch einige kleine Berichtigungen bringen, damit sie hier ebenfalls festgehalten werden. Herr Bundeskanzler, eine Bemerkung! Sie haben es im Laufe dieser Debatte, zum zweiten Male in den letzten Monaten, für richtig gehalten, sich in Auseinandersetzungen mit der Opposition auf einen Hohen Kommissar der Besatzungsmächte zu berufen. Sie taten es im Zusammenhang mit der Schumanplan-Debatte. Sie haben es gestern getan mit Ihrer Bemerkung über angebliche Äußerungen, die Kurt Schumacher gegenüber Mr. McCloy über die Zahl der amerikanischen Divisionen gemacht haben soll. Meine Damen und Herren, ich bin nicht bereit, über diese Frage mit dem Herrn Bundeskanzler zu diskutieren,
weil ich es eines deutschen Bundeskanzlers für unwürdig halte, daß er Hohe Kommissare der Besatzungsmächte in innerdeutsche Auseinandersetzungen hineinzieht.
Eine zweite Bemerkung. Herr Bundeskanzler, Sie haben heute während der Rede _meines Freundes Carlo Schmid, als er den Versuch machte, eine Rede des Herrn Hohen Kommissars für die britische Zone Mr. Kirkpatrick zu zitieren, in der dieser die These aufgestellt hat, Gleichberechtigung heiße nicht gleiche Behandlung, den Zwischenruf gemacht: „Diese Erklärung ist dementiert!" Herr Bundeskanzler, hier ist der volle Wortlaut der Erklärung von Sir Kirkpatrick in der „Englischen Rundschau", mit allen Einzelheiten nicht nur dieser Feststellung, sondern mit einer umfassenden Erläuterung dieser Feststellung, mit Dutzenden von Beispielen, die ich Ihnen hier nicht vorzulegen brauche, weil Sie sie selbst nachlesen können. Herr Bundeskanzler, bemerkenswert ist: das Dementi, von dem Sie sprechen, ist hier nicht veröffentlicht!
Es gibt kein Dementi dieser Erklärung.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte auf eine Feststellung oder eine Redewendung — vielleicht war es nicht mehr, aber ich möchte sie nicht untergehen lassen — zurückkommen, die der Herr Bundeskanzler, ich glaube, gestern vormittag — ja — in seiner einführenden Erklärung gebraucht hat. Er hat da die Worte gebraucht:
Wir werden sicher zunächst anfangen mit Freiwilligen. Aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo der Frage eines deutschen Wehrgesetzes nähergetreten werden muß.