Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache, die gestern morgen hier im Bundestag begonnen hat, war durch zwei Anfragen veranlaßt. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn -seiner Ausführungen mit Recht darauf hingewiesen, daß diese beiden Anfragen an sich den Rahmen der Diskussion bestimmen sollten. Ich habe aber den Eindruck, daß wir einerseits den Rahmen, der uns gesteckt war, nicht einmal ausgefüllt haben, daß wir andererseits aber zuweilen auch über Dinge gesprochen haben, über die wir sicherlich noch Weiter sprechen müssen, da sie für eine endgültige Diskussion doch wohl noch nicht reif sind.
Ich bin aber durchaus der Meinung, daß der
Fragenkomplex, den wir hier diskutieren, nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern daß er in dem gesamten großen Zusammenhang der politischen Gegebenheiten, der politischen Beziehungen und der politischen Spannungen gesehen werden muß. Darum, glaube ich, sollten wir nicht etwa den Generalvertrag diskutieren, und wir sollten nicht darüber diskutieren, ob die Bundesrepublik diesen Generalvertrag demnächst ratifizieren soll oder ob die Bundesrepublik sich in irgendeiner Weise ah den Bemühungen der freien Völker der Welt beteiligen soll.
Ich glaube, es ist erforderlich, zunachst einmal über die Ziele und die Aufgaben der deutschen Politik schlechthin zu sprechen und dann erst in Erörterungen darüber einzutreten, ob der Weg, auf dem wir diese Ziele zu erreichen versuchen, der richtige ist. Wir können nicht darauf verzichten — und mein Kollege Schäfer hat es gestern schon getan —, doch noch einmal in Gedanken den Weg zurückzugehen, den das deutsche Volk seit dem Jahre 1945 zurückgelegt hat, seit der Stunde, als das deutsche Volk zusammenbrach, nachdem es eine frevelhafte Führung mit einer bewundernswerten Beharrlichkeit wirklich bis an den Rand des Abgrunds geführt hatte. Am Ende dieses schweren Weges des deutschen Volkes stand die Kapitulation, standen die Potsdamer Beschlüsse, die Beschlüsse, die ja in einem untrennbaren inneren Zusammenhang auch mit den vorangegangenen Beschlüssen von Teheran und Yalta stehen.
Niemand von uns, meine Damen und Herren, hat bezweifelt, daß Deutschland auch durch diese Entwicklung nicht seine Eigenschaft als Staat und als Volk verloren hat. Die Forderung nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit innerhalb der Grenzen des Jahres 1937, diese unverzichtbare und unabdingbare Forderung, zu der sich jeder Deutsche aus dem Verantwortungsgefühl gegenüber dem ganzen deutschen Volk bekennt und die jeder Deutsche mit der ganzen Leidenschaft seines Herzens und mit dem ganzen politischen Wollen verfolgen muß, ist ein Ausdruck dieser gemeinsamen Überzeugung eines großen Volkes von 70 Millionen Menschen. Aber ich meine doch, wir haben Anlaß, mit einer' gewissen Befriedigung festzustellen, daß in der Entwicklung dieser letzten Jahre etwas erreicht worden ist, worüber wir vor Jahren noch nicht hätten sprechen können,
daß nämlich die freie Welt diesen legitimen Anspruch Deutschlands anerkannt hat, ja sogar, daß die freien Völker der Welt diesen Anspruch nun zu ihrem eigenen gemacht haben.
Ich habe es mir zur Ehre angerechnet, daß ich vor den Vereinten Nationen diesen Standpunkt des deutschen Volkes vertreten durfte. Ich möchte mit allem Ernst feststellen, daß ich mich, als ich dort in Paris vor dem ad-hoc-Ausschuß der UN sprach, wirklich als Vertreter des ganzen deutschen Volkes fühlte, weil ich glaube, daß die deutsche Delegation, die aus dem Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin, Professor Reuter, unserem Bundestagskollegen Schäfer, Herrn Dr. Gradl und mir bestand, damals das deutsche Volk zu 95 % hinter sich hatte.
Aber dieser Weg von Potsdam nach Paris scheint
mir auch in einer recht eindrucksvollen und überzeugenden Weise die Ziele der deutschen Politik
aufzuzeigen. Aufgabe der deutschen Politik war
und wird es bleiben, mit allen Kräften, die uns zur Verfügung stehen, an der Erhaltung und an der Sicherung des Friedens mitzuarbeiten. Aufgabe wird es sein und bleiben, allen anderen, die die Segnungen der Freiheit genießen, diese Freiheit zu sichern. Aufgabe wird es sein, die Einheit unseres deutschen Volkes wiederherzustellen und auch die 18 Millionen Menschen, die heute noch von uns getrennt sind, mit uns — aber auch, mit allen anderen, die guten Willens sind — instand zu setzen, in dem gesicherten Frieden und in echter Freiheit zu leben.
Es ist manchmal beängstigend, zu spüren, wie die Begriffe Frieden, Freiheit und Einheit, die doch eigentlich absolute Werte ausdrücken, im Bewußtsein nicht nur der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch der Welt entwertet worden sind.
'Einer meiner Freunde hat gestern schon von der Notgemeinschaft gesprochen, und auf die Gefahr hin, daß Frau Kollegin Wessel mir den Vorwurf macht, daß ich Propaganda für sie triebe,
möchte ich doch noch einmal darauf zurückkommen. Gibt es denn im deutschen Volke — abgesehen von ein paar Verbrechern oder Hasardeuren — wirklich irgendeinen, der erst einer solchen Notgemeinschaft zur Erhaltung des Friedens beitreten müßte?
Ich empfinde es wirklich als Ausdruck einer beispiellosen Anmaßung,
wenn einige Wanderredner diesen Anspruch für sich monopolisieren.
In Deutschland leben heute noch Millionen von Menschen, denen wir trotz der größten Anstrengungen nicht das geben konnten, was der Mensch über das karge Existenzminimum hinaus braucht.
Wir haben Millionen von Kindern in Deutschland, deren Väter nicht zurückgekehrt sind,
wir haben Millionen von Frauen, deren Männer
nicht zurückgekehrt sind, und wir haben Millionen
von Eltern, deren Söhne draußen geblieben sind.
Es bedarf aber keines Appells an unser soziales Gewissen, meine Damen und Herren, uns daran zu erinnern, daß hier noch manches getan werden muß. Vielleicht sollte man an diejenigen appellieren, die ihre 'Staatsgesinnung und ihre Staatstreue manchmal von der Erfüllung berechtigter, häufig auch unberechtigter Ansprüche abhängig machen.
Für meine Freunde und für mich nehme ich in Anspruch, daß wit den unschätzbaren Wert eines Friedens für ein Volk erkennen, das Jahre und Jahrzehnte brauchen wird, um die Wunden zu heilen, die ihm dieser Krieg geschlagen hat. Aber ich finde, es ist eine gewollte oder ungewollte- Unaufrichtigkeit, zu verschweigen, daß die schauerlichste Form der Friedlosigkeit die Unfreiheit ist!
Ich kann nur hoffen, daß ein gütiges Schicksal und der Herrgott unser deutsches Volk davor bewahren mögen, spät die gesetzmäßige Affinität zwischen diesen Begriffen von Frieden und Freiheit zu erkennen.
Ich habe gesagt, es muß das Ziel der deutschen Bundesrepublik sein, den Frieden zu sichern und die Freiheit zu wahren. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß wir dieses Ziel nur zu erreichen vermögen, wenn wir uns ohne jeden Vorbehalt und in vollkommener innerer Aufrichtigkeit mit denjenigen zusammenschließen, die mit uns die gleichen Lebenswerte bejahen.
Daher hat auch die Politik der Bundesregierung unsere Zustimmung. Ich glaube, es ist wirklich nicht richtig, hier von einer Geheimpolitik zu sprechen;
denn diese Politik, hinter der ja nicht etwa nur die 'Bundesregierung, sondern hinter der auch die Koalition der Bundesregierung steht, wird, wie ich glaube,
nicht nur von uns, sondern im Grundsätzlichen von der großen Mehrheit des deutschen Volkes vorbehaltlos bejaht.
Ich 'gehe nicht mehr auf den Vorwurf ein — er ist auch nicht mehr erhoben worden —, als seien diese Ziele der deutschen Politik von irgendwelchen außerdeutschen Mächten oder Kräften bestimmt.
— Wenn Sie von nationaler Würde und Ehre sprechen als so armselige Handlanger einer fremden Macht, dann erspare ich mir die Auseinandersetzung mit Ihnen.
Das deutsche Volk hat uns diese Auseinandersetzung in den Wahlgängen seit 1946 in überzeugender Weise abgenommen!
Aber, ich glaube, das scheint mir auch ein Grund vieler Mißverständnisse zu sein, daß wir. uns über die Begriffe, über die wir diskutieren, erst einmal verständigen sollten. Ich habe manchmal den Eindruck, daß sich Meinungsverschiedenheiten am Wort entzünden und nicht am Sinngehalt der Äußerung, vielleicht weil manchmal dieser Sinngehalt nicht maßvoll und klug genug erläutert wird. Ich halte das für um so notwendiger, als ich doch glaube, daß wir, wenn wir eine solche Lebensfrage unseres deutschen Volkes diskutieren, ungeachtet aller sachlichen Meinungsverschiedenheiten gemeinsam mit dem letzten Ernst und mit letztem Verantwortungsgefühl darum ringen sollten, eine richtige Entscheidung zu finden.
Der Begriff des Friedens bedarf wohl keiner Erläuterung mehr. Aber was die Freiheit angeht, meine ich, bedürfen wir der Erkenntnis des
Wesensgehalts der Freiheit, wenn wir sie begehren. Wir bedürfen des Bewußtseins des Genusses der Freiheit, wenn wir sie schützen wollen.
Es gibt, glaube ich, viele, die die Freiheit nur in der Anarchie kennen. Es gibt eine echte Freiheit! Wir sind, weil wir ein junger Staat sind, noch nicht so weit, sie im letzten verwirklicht zu haben. Es gibt eine echte Freiheit innerhalb der staatlichen Ordnung, und diese Freiheit . ist nicht bestimmt vom Katalog des Grundgesetzes, der ja nur den Versuch unternimmt, einen Ausdruck für das zu geben, was gewollt ist. Diese Freiheit ist eine tiefe sittliche Idee, und über diese tiefe sittliche Idee sollten wir uns, glaube ich, verständigen können. Es kommt nicht auf die Formulierungen an! Wie wenig es darauf ankommt, zeigt ein Blick in die sowjetzonale Verfassung, die man wie eine schöne Lyrik lesen kann und von der man weiß, daß sie zur Verfassungswirklichkeit in einem so grauenvollen Widerspruch steht.
In der Verfassungswirklichkeit, wie ich sie sehe und wünsche, muß der Mensch im Mittelpunkt des politischen Geschehens stehen, und die Achtung vor der Würde des Menschen muß der staatlichen Gewalt eine unüberbrückbare Grenze ziehen. Darum geht es, wenn wir von Freiheit sprechen, die wir dem deutschen Volke erhalten wollen.
Ich gebe dem Herrn Kollegen Ollenhauer ohne Einschränkung recht, wenn er sagt, daß eine echte Freiheit nur innerhalb einer gerechten sozialen Ordnung bestehen kann. Das wissen wir so gut wie er. Aber ich meine, auch er weiß so gut wie wir, daß der Erfüllung dieser Forderung bisher noch Grenzen gezogen waren, Grenzen, die nicht aus dem bösen Willen gezogen waren, sondern aus der Macht der Verhältnisse, die wir noch nicht zu ändern vermochten. Ich meine, ein Blick in die Gesetzgebung der letzten Jahre, ein Blick in die Haushalte des Bundes und der Länder zeigt, daß wir uns — und, wie ich glaube, mit erstaunlichem Erfolg — bemüht haben, unsere sozialen Aufgaben zu erfüllen,
manchmal das Volk vielleicht sogar über die Grenze der Leistungsfähigkeit beansprucht haben um der Erfüllung dieser Pflicht willen.
Vielleicht werden wir uns über die Wege, die wir gehen müssen, mit Ihnen, Herr Kollege Ollenhauer, nicht verständigen können; aber über das Ziel sollten wir uns verständigen. Ich meine auch, wir sollten uns doch gegenseitig — und das schien mir nicht ads allen Reden, die gestern und heute hier gehalten wurden, mit der nötigen Klarheit herauszuklingen — nicht die anständige Gesinnung bezweifeln.
Wir sollten doch für einander in Anspruch nehmen, daß sich jeder von uns bemüht — mindestens so lange sollten wir das von jedem annehmen, bis er das Gegenteil bewiesen hat —, in solchen Fragen, ich wiederhole: in solchen Fragen, von deren Beantwortung nicht nur das Schicksal des deutschen Volkes, sondern vielleicht auch das von Europa abhängt, die letzte Entscheidung vor dem
eigenen Gewissen und in dem Gefühl der Verantwortung vor dem gesamten deutschen Volk zu finden.
Meine Damen und Herren, ich sagte, wir wollen nicht darüber diskutieren, was im einzelnen im Generalvertrag steht, was im einzelnen in einem andern Vertrag, in einem Annexvertrag oder sonstwo steht; der Zeitpunkt scheint mir noch nicht gekommen zu sein. Das, was wir bisher von diesem Vertrag wissen, befriedigt auch uns nicht etwa so, daß wir sagen könnten, der heutige Stand würde es uns ermöglichen, ein Ja zu diesen Verhandlungen auszusprechen.
Wir werden auch — die Drucksachen liegen vor Ihnen — der Bundesregierung eine Reihe von Wünschen mit auf den Weg geben, von denen wir hoffen, daß sie auch von unseren ausländischen Gesprächspartnern richtig verstanden werden.
Wir wollen, daß das Besatzungsstatut wirklich ein
Ende findet. Das bedeutet, daß man dem deutschen
Volk mit dem Vertrauen, das es nunmehr in Anspruch nehmen kann, auch wieder die Rechtsstellung einräumt, die einem freien Volk zukommt.
Das bedeutet, daß man ihm grundsätzlich die Regelung seiner inneren und äußeren Angelegenheiten überläßt.
Wir wollen mit der neu zurückgewonnenen Souveränität keinen Mißbrauch treiben. Wir sind sogar bereit und haben es schon oft gesagt, diese neugewonnene Souveränität in dem Augenblick, in dem sie uns gegeben wird, in die Gemeinschaft einzubringen, wenn und soweit auch die andern bereit sind, das gleiche zu tun.
Es ist aber der Ausdruck eines unguten und gefährlichen Mißtrauens, wenn man glaubt, noch irgendwelche Relikte aus der Zeit des Besatzungsstatuts in einem solchen Vertrag verewigen zu müssen. Ich meine auch, wenn man eine echte Partnerschaft sucht, die so weit gehen soll, daß man sich gemeinsam bemüht, den Frieden und die Freiheit zu verteidigen, dann sollte man an den Partner nicht mit dem Mißtrauen herangehen, daß er innerhaltb seiner eigenen Gesetzgebung aus Unrecht Recht und aus Recht Unrecht machen würde.
Auch die anderen Beschränkungen, etwa auf dem Gebiet der industriellen Produktion sind unerträglich und müssen in Wegfall kommen. Ich brauche gar nicht hinzuzufügen, daß, was heute schon gesagt worden ist, 'Beschränkungen, wie sie etwa in der Äußerung eines belgischen Offiziers zum Ausdruck gekommen sind, für uns indiskutabel sind. Es ist ein Irrtum, wenn gesagt wird, es sei der belgische Verteidigungsminister gewesen. Nach der Notiz meiner Zeitung war es ein belgischer Oberst. Es soll ja auch in Belgien Obersten geben, die nicht sehr klug sind. Dieser hat gesagt, daß ein Deutscher nicht Armeekommandeur werden könne. Ich glaube, wir brauchen über solche- Dinge gar nicht zu sprechen; denn es wird hier im ganzen Hause — davon bin ich überzeugt — niemand geben, der einem Vertrag zustimmt, der solche Bedingungen enthält.
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Wir stellen keinen deutschen Soldaten, wenn wir keine deutschen Generäle stellen dürfen.
Ein besonderes Anliegen ist — das ist auch schon ausgesprochen worden - folgendes. Die Stadt Berlin ist de facto ein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland. Wir lassen an diesem Zustand nicht rütteln. Wenn heute — zum Teil im wohlverstandenen Interesse der Stadt Berlin — noch ernste Bedenken dagegen bestehen, diesen defacto-Zustand in den de-jure-Zustand zu überführen, dann wollen wir das anerkennen, und ich glaube, daß ich darin mit unseren Freunden aus Berlin vollkommen einig bin. Aber die faktische Einheit sollte nicht bestritten und ihre praktische Anwendung auch nicht erschwert werden.
Mit allen diesen Forderungen — ich sage es erneut und mit großem Nachdruck — verfolgen wir keine primitiven nationalistischen oder egoistischen oder von irgendeinem Prestigebedürfnis diktierten Ziele. Wir erwarten das Verständnis der anderen dafür, daß es hier um Lebensfragen geht und daß eine echte vertrauensvolle Lebensgemeinschaft, wie wir sie zwischen den freien Völkern schaffen wollen, undenkbar ist, wenn auf solchen Gebieten, wie ich sie nur andeutungsweise nannte — Sie finden ja den Niederschlag unserer Auffassungen in den Resolutionen, die Ihnen vorliegen —, noch Meinungsverschiedenheiten aufrechterhalten werden, die für den einen oder anderen Partner unerträglich, untragbar sind.
Ich möchte nicht über die Frage des Junktims sprechen; darüber ist schon gesprochen worden. Ich bin nicht der Meinung, die hier von der Opposition vertreten worden ist, daß dieses Junktim für uns nicht tragbar ist. Ich persönlich bin der Meinung — ich mag mich irren —, daß wir dieses Junktim sogar begrüßen sollten. Ich sehe in diesem Junktim die praktische Verwirklichung der Sicherheitsgarantie von Washington. Wir können eine solche Sicherheitsgarantie ja nur erwarten, wenn wir zu einer vertraglichen Vereinbarung kommen. Es kommt mir im Interesse des deutschen Volkes sehr entscheidend darauf an, daß wir durch solche Verträge eine Vereinbarung mit den anderen dahin herbeiführen, daß sie nicht nur da sind, um die deutsche Grenze zu sichern, sondern 'daß sie da sind, um sich mit uns und uns mit sich gemeinsam verteidigen.
Das scheint mir die Frage zu sein, die wir diskutieren sollten, wenn wir das Ob behandeln, wenn wir nämlich die Frage stellen, ob wir uns an einer solchen Verteidigung beteiligen können, dürfen und müssen. Ich bin mir bei dieser Fragestellung der inneren Not sehr wohl bewußt, in der sich Millionen von Menschen befinden. Ich habe dem, was auch mein Freund Ehlers hier darüber gesagt hat, gar nichts hinzuzufügen. Es gibt Hunderttausende von Menschen, die wirklich mit sich selbst ringen und noch nicht entschlossen sind, die noch aus der Erkenntnis, aus dem Erleben der Vergangenheit heraus mit einem Trauma belastet sind. Diese Menschen sollen wissen, daß wir mit dem gleichen Ernst, mit der gleichen Leidenschaft und mit dem gleichen Verantwortungsgefühl auch versuchen, ihren Vorstellungen Rechnung zu tragen, ihre Bedenken zu verstehen, und daß niemand von uns bereit oder gar entschlossen ist, solche Bedenken beiseite zu schieben.
Ich unterstreiche deswegen auch, was mein Freund Ehlers gesagt hat: Die Frage einer Verweigerung des Kriegsdienstes, die wir im Grundgesetz ausdrücklich ausgesprochen haben, muß so beantwortet werden, wie es dem Willen des Gesetzgebers damals entsprach. Es kann und darf kein Gewissenszwang ausgeübt werden. Aber, meine Damen und Herren, es war kein Mitglied der Bundesregierung, das am 20. November 1950 in München den Satz ausgesprochen hat: „Wenn wir ein Wehrgesetz machen, gibt es keine Kriegs- dienstverweigerer". Das war Herr Dr. Kurt Schumacher.
Herr Kollege Schmid hat heute in seinen Ausführungen, auf die ich noch kurz eingehen muß, einiges gesagt, was meines Erachtens nicht unwidersprochen bleiben kann, wie ich überhaupt zugeben muß, Herr Kollege Schmid, daß ich das meiste von Ihren Ausführungen heute schlechthin nicht verstehen konnte. Es mag an mir liegen.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Schmid, als Sie zunächst über die Frage der Legitimation des Gesetzgebers sprachen, man habe sich über diese Dinge im Parlamentarischen Rat nicht unterhalten. Herr Kollege Schmid, ich war auch im Parlamentarischen Rat. Darf ich Sie daran erinnern — und ich glaube, Herr Kollege Wagner wird es Ihnen bestätigen können, ich werde ihn nämlich wörtlich zitieren —, daß in 'der 12. Sitzung des Zuständig- keitsausschusses der Antrag gestellt wurde, in dem damaligen Artikel 76, glaube ich, bei den Worten „auswärtige Beziehungen" die Worte aufzunehmen „und den Schutz des Bundes nach außen". Daraufhin erklärte Herr Abgeordneter Wagner, SPD, Mitglied des Parlamentarischen Rates und Jurist:
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß man das
nicht bringen soll und auch nicht bringen kann
und nicht zu bringen braucht, weil „auswärtige
Angelegenheiten" das deckt.
Wir sollten doch nicht so tun, als ob wir i Parlamentarischen Rat damals in einem Vogelkäfig gesessen und die Welt nicht gesehen hätten. Damals war die Zeit der Luftbrücke nach Berlin. Ich habe die Gefahr damals erkannt; ich glaube, Herr Kollege Schmid, auch Sie!
Wenn es damals politische Gründe gab, die uns veranlaßt haben, nicht expressis verbis
diese Frage in das Grundgesetz aufzunehmen, dann sind Ihnen diese Gründe genau so gut bekannt wie mir und wie dem Herrn Kollegen Wagner.
Ich habe aber noch anderes nicht verstanden. Herr Kollege Schmid hat gesagt, es sei unsere Aufgabe, dieses Provisorium nicht durch Statusverträge in irgendeiner Weise zu ändern oder zu stabilisieren; wir hätten nur einen modus vivendi zu finden. Herr Kollege Schmid, Sie selbst und Ihre gesamte Fraktion haben am 26. Juli 1950 hier im Bundestag eine Entschließung auf Abschluß eines europäischen Bundespaktes zur Schaffung einer übernationalen Bundesgewalt angenommen. Ist das kein Statusvertrag?
Wenn überhaupt der völkerrechtliche Status der
Bundesrepublik einmal geändert, und zwar entscheidend geändert werden könnte, dann durch den
Beschluß, den Sie angenommen und hier von der Tribüne des Hauses aus befürwortet haben.
Ich muß sagen, ich finde das auch nicht sehr überzeugend, daß Sie vom Kolonialstatut sprachen, als Sie vom Besatzungsstatut gesprochen haben. Herr Kollege Schmid, ich bitte Sie: Mäßigen Sie sich ein wenig! Ich weiß nicht, ob Sie mit diesem Nachdruck vom Kolonialstatut gesprochen haben, als Sie Staatspräsident in Württemberg-Hohenzollern waren.
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Ich habe
doch nicht vom Kolonialstatut gesprochen!)
— Sie haben es hier ausgesprochen.
— Heute in der Rede.
— Herr Kollege, wir werden dann auch Ihr korrigiertes Manuskript erhalten.
— Nein, das geht Sie gar nichts an.
Ich komme jetzt noch einmal auf das zurück, was Herr Kollege Ollenhauer ausgeführt hat, und möchte ihm sagen: Er hat mit Recht — ich wiederhole es — an den Anfang seiner Ausführungen die Bemerkung gestellt, wir sollten weniger das Wie als das Ob besprechen. Ich stimme ihm zu. Aber Herr Kollege Ollenhauer, ich möchte Ihnen eines sagen: damit, daß man die Unzuständigkeit des Bundestages hier behauptet — ich will die Frage hier offenlassen —, können Sie und Ihre Freunde sich nicht einer klaren Antwort auf eine klare Frage entziehen.
So geht es nicht, daß man sich hier hinstellt — wie es geschehen ist —, ein grundsätzliches Ja sagt und schließt: Wir bleiben beim Nein.
Meine Damen und Herren! Sie verlangen vom deutschen Volke, Sie verlangen von jedem Wähler eine Entscheidung über das Ob, Sie verlangen sogar Neuwahlen, damit das deutsche Volk das Ob legitimieren kann. Und Sie wagen es nicht, hier von der Tribüne des Deutschen Bundestages aus in einer klaren Form zu sagen, ob ja oder ob nein.
— Sie können, wenn Sie zu Ihrem Ja oder Nein etwas sagen können, Ihre Einwendungen und Vorbehalte bringen, wie wir das auch tun. Aber ich fürchte, es geschieht hier etwas, was Sie sehr schwer verantworten können. Es geschieht hier etwas aus rein parteitaktischen Erwägungen,
daß der eigene innere Standpunkt vernebelt wird, daß eine Verwirrung im Volk angerichtet wird. Und sie wird angerichtet werden, wie ich Ihnen sagte. Lesen Sie heute die Schlagzeilen in den Zeitungen! In den Überschriften der Zeitungen lesen Sie nicht das, was Sie über die Notwendigkeit der Verteidigung gesagt haben — das ist etwas, was das Volk wissen will —, sondern Sie lesen die Schlagzeile: „SPD sagt nein". Das ist eine, wie ich glaube, gefährliche Methode.
Für genau so gefährlich halte ich Ihre Methode, die Legitimation dieses Bundestags zu bezweifeln. Meine Damen und Herren, auch Sie rechnen damit — das ist verständlich —, einmal die Regierungsgewalt und die Regierungsverantwortung zu tragen. Bereiten Sie sich heute schon auf die Antwort vor, wenn die Minderheit, der Ihre Politik nicht gefällt, Ihnen die Legitimation bestreitet, irgendein Gesetz zu erlassen, und sagt: Das ist ja ,im Wahlkampf nicht diskutiert worden!
Ich wiederhole und stelle diese klare Frage erneut auch an Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei. Sagen Sie hier vor dem deutschen Volk unmißverständlich, ob Sie Deutschland, ob Sie die Freiheit Deutschlands verteidigen und ob Sie den Frieden Deutschlands sichern wollen oder nicht.
Sie werden sich, Sie werden Ihren Wählern und Sie werden der deutschen Öffentlichkeit damit einen guten Dienst tun, und Sie werden, wie ich meine, nicht nur Ihre politische Pflicht als Abgeordnete, Sie werden Ihre politische Pflicht als Deutsche erfüllen!