Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen Ende einer zweitägigen ausgedehnten Debatte über ein und denselben Stoff bleibt nach so zahlreichen eingehenden Ausführungen, vor allen Dingen meiner politischen Freunde aus der Koalition und meines Freundes Merkatz nur wenig zu sagen übrig.
-- Ach, Rische, lassen Sie man; Ihre Zwischenrufe haben schon keine Wirkung mehr.
Vor allen Dingen bleibt mir zu Beginn meiner Ausführungen die Genugtuung, festzustellen, daß nach wochenlangen Überlegungen mit mir selbst und meinen politischen Freunden die Einstellung zu der Frage, die uns heute bewegt, mit einem klaren Ja zu beantworten, heute bestätigt wird durch die Illusionen der oppositionellen Argumente, wie wir sie heute gehört haben. Wir haben Argumente vorgebracht bekommen mit einer überspitzten juristischen Findigkeit, gespickt von Ideologien und von ideologischen Vorstellungen, die die innere Unsicherheit aller derjenigen zeigen, die ein Verständnis für die brutale Notwendigkeit eines klaren Ja zur Verteidigung unseres eigenen Volkes und Europas nicht aufzubringen vermögen. Hier ist so getan worden, als hätten wir bereits von der Regierung 'einen Vertrag vorgelegt bekommen, den wir zu ratifizieren, zu beschließen hätten. Die Ausführungen des Kollegen Schmid beschäftigten sich mit der Fiktion von Verträgen, beschäftigten sich mit Pressemeldungen und Äußerungen nicht verantwortlicher Persönlichkeiten, mit Postulaten, die gestern oder vorgestern aufgestellt worden sind und heute oder morgen widerrufen wurden und werden.
Die Beweisführung der Opposition bestätigt deutlich die allgemeine Feststellung, die man seit einer Generation im deutschen Volk machen kann, daß unter der Herrschaft der sozialisitischen Ideolagie das deutsche Volk den Maßstab für die Realitäten verloren hat.
Man tut so, als beginne das deutsche Schicksal und die deutsche Politik erst mit 1945 und vergißt ganz und gar, was vorher gewesen ist. Wir haben nicht nur, Herr Ollenhauer, die Trümmer unserer Städte zu beseitigen, sondern auch die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Trümmer, die diesem jungen Staat als eine ungeheure Hypothek aufgelastet wurden; Trümmer auch außenpolitischer Art sind fortzuräumen. Daher ist die Frage, die wir hier zu entscheiden haben, nicht allein aus dem Gefühl zu entscheiden.
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, eins ist auch nicht zu verkennen: daß Ihre Argumente, bei deren Anführung in erster Linie mit Unterstellungen und Verdächtigungen gearbeitet wurde, geeignet sind, im deutschen Volke Gefühle zu erzeugen, die es die Wirklichkeit nicht sehen lassen. Ebensowenig können wir unter parteitaktischen Gesichtspunkten an diese Frage herangehen, sondern allein aus der nüchternen Verantwortung vor unserer Zukunft und vor dem, was zu geschehen hat, um sie sicherzustellen.
Parteitaktische Gründe, sagte ich, HerrOllenhauer. Sie erwähnten zunächst Lastenausgleich, Arbeitsbeschaffungsprogramm, Mitbestimmung. Ich will Ihnen nicht unterstellen, daß das ein Angebot zu einem politischen Handel sein soll, aber ich frage Sie und ich frage uns alle: Könnte es nicht in nächster Zeit zu spät sein, so daß wir keine Möglichkeit mehr haben, an den Lastenausgleich oder an das Mitbestimmungsrecht oder 'an das Arbeitsbeschaffungsprogramm heranzugehen, wie es notwendig wäre, weil dann der Schatten aus dem Osten so über uns gekommen ist, daß wir keine Gelegenheit mehr dazu haben werden? Reicht das demokratische Staatsbewußtsein, das Bewußtsein, daß wir alle soziale Wesen sind, wie es Goethe einmal genannt hat, nicht so weit, daß wir bereit wären, für die Freiheit unseres Landes, für die Wiedererlangung seiner vollen Unabhängigkeit das zu tun, was seit Menschengedenken die selbstverständliche Pflicht aller gesunden Völker war und immer sein wird? Vermögen tatsächlich nur Diktatoren und Tyrannen einem Volke die Notwendigkeit seiner Verteidigungsbereitschaft klarzumachen? Es hat den Anschein! Wir müssen an alle, die die unverzügliche Schaffung der Verteidigungsbereitschaft jetzt zu hintertreiben versuchen, die Frage richten: Was setzt ihr für unser aller Schutz dagegen? Was könnt ihr unserem Volke antworten, wenn es zu spät sein sollte und wenn es dann die Frage stellt: Was habt ihr für unseren Schutz und für unsere Sicherheit getan?
Herr Kollege Dr. Schmid sagte, man könne auch auf andere Art einen Verteidigungsbeitrag leisten als auf militärische Weise: Durchmarschrecht, Stützpunkte zur Verfügung stellen oder Material liefern. Meine Damen und Herren, das vereinbart sich sehr schlecht mit den Thesen und Bekenntnissen und mit den Postulaten, die Herr Dr. Kurt Schumacher in seinem Buche „Nach dem Zusammenbruch", 1948 in Hamburg verlegt, aufgestellt hat. Auf Seite 73 sagt er:
Wir bejahen ohne Vorbehalt die praktische Zusammenarbeit mit der KPD.
Auf Seite 70 heißt es:
Wir wünschen keine antikommunistische und noch weniger antirussische Spitze unserer Politik.
Und auf Seite 97:
Was wir brauchen, sind engere, normale Beziehungen zu Sowjetrußland.
Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von der SPD, wie sich diese Thesen mit den Konzessionen vereinbaren lassen, die Sie jetzt den Westmächten zu machen bereit wären, indem Sie ihnen Durchmarschrecht geben oder Material liefern wollen.
Wir alle haben uns auch Rechenschaft abzulegen, und keiner kann dann zu seiner Entschuldigung sagen: Meine Parteifreunde wollten mit dem Verteidigungsbeitrag einen Tauschhandel gegen Neuwahlen machen, bei denen wir zur Macht zu gelangen hofften, um dann das Volk unter unserer Führung erst in Abwehrbereitschaft zu setzen. Und niemand kann zu seiner Entschuldigung anführen. Meine Interessenvertretung wollte für ein Ja das Mitbestimmungsrecht für ihre Funktionäre gegen ihre Zustimmung zur Verteidigungsbereitschaft eintauschen, um so die Hand am wirtschaftlichen Hebel zu haben. Solches parteipolitisches und interessenvertretendes Paktieren wird heute und in Zukunft niemand aus seiner Verantwortung vor dem Volk entlassen können. Wer sich berufen fühlt, die Geschicke der Gemeinschaft auf Grund des Vertrauens, das ihm seine Landsleute geschenkt haben, zu gestalten, der muß den Mut zur Tat mitbringen und den Mut zur Verantwortung, zum Wohle der Gemeinschaft, des Volkes und des einzelnen. Der muß sich in diesem Sinne auch für die notwendigen Maßnahmen entscheiden, selbst dann, wenn sie noch nicht in diesem Augenblick von allen als dringend anerkannt werden. Wer dagegen gegenwärtig mangelndes Einsichtsvermögen noch weiter nährt, wer sich vor allem dadurch beliebt machen will und parteipolitisch Kapital aus dieser Unverantwortlichkeit zu schlagen versucht, der ist nicht wert, daß ihm auch nur seine nächsten Angehörigen, seine Frau und seine Kinder ihre Stimme in die Wahlurne werfen. Bei unserer Entscheidung geht es nicht um Krieg und Angriff, sondern hier geht es um Frieden und Verteidigung.
Meine Damen und Herren, die Einstellung, die van der Opposition hier gezeigt wird — gewollt oder ungewollt --, und die Einstellung, wie sie uns Frau Kollegin Wessel predigt, führt bestimmt zu dem, was man im Osten gern möchte: Zur Neutralisierung Deutschlands.
Neutralisierung Deutschlands! — Ein verführerisches Wort, das uns die Möglichkeit vorgaukelt, in
Ruhe und Frieden unserer Arbeit nachzugehen, für
unsere Familie und für unsere Kinder und auch
für die Zukunft Deutschlands zu sorgen. Diese Neutralität ist in dem Zustande, in dem sich die westdeutsche Bundesrepublik befindet,eine Fiktion. Nur eine bewaffnete Neutralität hat Aussicht auf Verwirklichung. Und unsere Neutralität würde deshalb auch nur so lange dauern, als keine Konflikte zwischen West und Ost eintreten. Man berufe sich nicht auf das Beispiel der Schweiz! Ihre geographische Lage und ihre gute Wehrmacht und andere politische Gründe erhalten ihr die Selbständigkeit.
An dieser Stelle mächte ich, weil ich weiß, daß mein deutsches Volk allzu sehr bereit ist zu vergessen, was gewesen ist, an einige historische Ereignisse erinnern, die für uns eine sehr ernste Mahnung sein sollten. Ich erinnere an die Neutralität Belgiens 1914 und 1939, ich 'erinnere an die Neutralität der Niederlande und Dänemarks 1940, die feierlich verbrieft und besiegelt war, und ich erinnere an die Situation Polens 1939, das mit Deutschland einen Nichtangriffspakt geschlossen hatte und wenige Monate später von Hitlerdeutschland und von der anderen Seite von Sowjetrußland überrannt wurde; und ich erinnere an das Schicksal der Tschechoslowakei nach 1945, wo gute tschechische Patrioten des Glaubens waren, durch eine Neutralität, durch ein freundnachbarliches Verhalten zu Sowjetrußland ihr Vaterland, die Existenz ihres Volkes erhalten zu können. Benesch verschwand in der Versenkung, Masaryk besiegelte den Bankrott seines patriotischen Wollens mit dem Freitod, und die Tschechoslowakei als Nation und Volk wurde zum Satellitenstaat.
Es hat einmal ein guter Deutscher, Heinrich von Kleist, gesagt: „Es bricht der Wolf, Europa, in deine Hürden ein, und deine Hirten streiten um eine Handvoll Wolle." Haben wir Deutschen und Europäler noch die Zeit, uns um diese Handvoll Wolle zu streiten? Das Zeitmotiv gehört nicht, wie Herr Ollenhauer behauptet, zum alten Eisen. Seit August 1950 Mindestens, also seit 18 Monaten, erörtern wir in Europa und anderswo das Thema der Verteidigungsgemeinschaft Europas und des Verteidigungsbeitrags Deutschlands. Wieviel Monate und vielleicht Jahre werden noch weiterhin vergehen, bis wir den Schutzwall um Deutschland und um Europa vollendet haben?
Man kann auch nicht mit dem Einwand kommen, daß eine Mitgliedschaft Deutschlands in der Verteidigungsgemeinschaft Europas die Spaltung Deutschlands verhärten würde. Warum sollen wir denn nicht ehrlich gestehen, daß die wahre Demokratie der Bundesrepublik, ihre weit besseren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Vergleich zur Sowjetzone weit eher zu dieser Verhärtung der Spaltung geführt haben. Wir glauben vielmehr, daß mit der Schaffung der Bundesrepublik als Rechtsstaat, als Staat des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs, die Wiedervereinigung erst dann eine echte Chance erhält, wenn wir der europäischen Verteidigungsgemeinschaft angehören.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns auch nicht durch das, was von Frankreich in der Saarfrage gegen den Geist der europäischen Gemeinschaft provoziert worden ist, zu Entschlüssen verleiten lassen, die einigen Kreisen in Frankreich sehr angenehm wären. Wir können uns auch nicht dazu bereit finden, für das Saargebiet eine Volksabstimmung zu fordern. Hier gibt es keine Volksabstimmung. Das Saarvolk hat 1935 endgültig und abschließend seine Zugehörigkeit zum deutschen
Staate und zum Deutschen Reiche bekundet, und an diesem Zustand, an diesem Rechtszustand hat sich bis heute nichts geändert.
Für meine politischen Freunde und für -mich ist daher die Volksabstimmung an der 'Saar nicht diskutabel. Wir wollen Europa nicht mit einem Unrecht beginnen, und dieserhalb möchte ich hier an Frankreich eine ernste Mahnung richten, in Erinnerung ernster historischer Stunden für das europäische Schicksal im 17. Jahrhundert, als die Türken vor Wien standen und eine kurzsichtige französischle Politik es sich glaubte leisten zu können, der gesamteuropäischen Verteidigung unter Führung Österreichls in den Rücken zu fallen, indem es den Vormarsch über den Rhein begann.
Meine Damen und Herren, es ist für uns, für meine politischen Freunde, der Beitritt zur Verteidigungsgemeinschaft — —
— Ach Gott, Herr Loritz, Sie sind doch .nur noch medizinisch interessant!
— Nachher!
Deutschlands Lage zwischen Ost und West zwingt uns zu einer klaren Entscheidung. Um die Zukunft des deutschen Volkes' in Frieden und Freiheit zu sichern, muß Deutschland seinen Beitrag zur 'europäischen Verteidigungsgemeinschaft leisten; und Deutschland kann diesen Beitrag nach Auffassung meiner Freunde nur dann leisten, wenn folgende Voraussetzungen gewährleistet sind,
die ich 'hier im Auftrage meiner Fraktion bekanntzugeben habe:
1. Ein wirksames Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht für die Bundesrepublik in allen Gremien, insbesondere beim Atlantikpakt, von dessen politischen und strategischen Entscheidungen die Bundesrepublik stärker als andere europäische Länder betroffen wird;
2. eine befriedigende Lösung des Problems der noch im westlichen Gewahrsam befindlichen sogenannten Kriegsverbrecher;
3. die Anerkennung der besonderen Belastungen der Bundesrepublik bei Bemessung des finanziellen deutschen Verteidigungsbeitrages und Festsetzung dieses Beitrages in einer Form, die es der Bundesrepublik gestattet, eine der Lösung der bestehenden Spannungen dienende Wirtschafts- und Sozialpolitik fortzusetzen;
4. Fortfall sämtlicher die Bundesrepublik beschränkenden, insbesondere aller sie diskriminierenden alliierten Bestimmungen. Nur solche Sonderregelungen, die zum Schutze Deutschlands mit Rücksicht auf seine geographische und politische Lage unerläßlich sind, sind auch tragbar.
5. Die endgültige Lösung des Saarproblems ist sofort in Angriff zu nehmen. Eine befriedigende Behebung der durch die französischen Schritte hervorgerufenen Besorgnisse bezüglich der Saar als
Beweis einer Gesinnung der europäischen Solidarität ist für einen wirksamen Verteidigungsbeitrag unerläßliche Voraussetzung. Insbesondere ist zu fordern, daß das politische Leben an der Saar von allen die Meinung der Bevölkerung verfälschenden polizeistaatlichen Beschränkungen befreit wird. Eine erneute Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit der Saar kann nicht erwogen werden, weil diese Frage zu Gunsten Deutschlands 1935 von der Saarbevölkerung abschließend entschieden worden ist.
In der brutalen Wirklichkeit, die sich uns aufzwingt, können wir die Augen nicht vor dem verschließen, was uns nottut. Nicht mit Begeisterung, sondern mit tiefem Ernst bekennen wir uns dazu, daß unter diesen Bedingungen, wie ich sie eben genannt habe, ein Verteidigungsbeitrag unseres Volkes geleistet werden muß zur Sicherung unserer deutschen Zukunft. Und die deutschen Männer, die einst bereit waren, für Deutschland zu sterben, sie mögen jetzt bereit sein, für Deutschland zu leben und zu arbeiten.