Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich habe kein Wort darüber gesagt — und gedenke das nicht zu tun —, wodurch dieser Weg, der 1929
völlig richtig und verantwortungsbewußt gegangen wurde, 1933 in den Zusammenbruch und das Elend führte. Wir sind uns hoffentlich alle darüber klar, daß wir jedenfalls in dieser Frage sämtlich keine Veranlassung haben, immer nur auf den anderen zu zeigen.
Aber hier geht es um etwas anderes; und das ist nicht nur eine politische Frage. Hier geht es um das Problem, daß die Frage der Gleichberechtigung heute in der ungeheuren Gefährdung steht, daß sie zum Vorspann für eine nationalistische Verfälschung wird.
Wir danken dem Herrn Kollegen Schmid das Wort, 'von dem ich glaube, daß wir es uns mit ehernen Buchstaben vor Augen stellen sollten, das Wort von der Kollektivunschuld. Es ist leider so — und das dürfen wir nicht übersehen —, daß dieser Kampf um die echte Gleichberechtigung zu einem merkwürdigen Kampf um eine summarische Unschuld aller derer geworden ist, die ihre Verantwortung heute nicht gern wahrhaben wollen. Ich muß in diesem Zusammenhang auch sagen: Zwischen Generälen, die heute aus mancherlei Gründen den alten, wirklich bei uns allen innerlich zutiefst überwundenen Geist wieder propagieren,
und anderen Generälen, die sich zu Propheten des „Ohne mich" machen, ist häufig die gemeinsame geistige Grundlage nur zu leicht erkennbar.
Ein weiteres — ich brauche nicht viel dazu zu sagen, weil der Kollege Ollenhauer das auch schon ausgesprochen hat — zum Thema des Pazifismus. Er hat gesagt: Wir achten eine pazifistische Gesinnung, die aus ethischen, religiösen oder anderen weltanschaulichen Gründen jeden Dienst mit der Waffe ablehnt. Ich glaube nur, daß wir das etwas näher untersuchen müssen. Es gehen mir zuviel Leute im Lande herum und wenden ein Gebot — „Du sollst nicht töten!" — sehr primitiv auf die politischen Verhältnisse der Welt an,
weil es ihnen gerade so paßt.
Es ist nicht in unserer Macht, hier in Deutschland und anderswo aus der Kraft unseres guten Willens eine Welt zu schaffen, die das Wort Gottes erst zu einem ganz anderen Zeitpunkt verheißt. Das, was uns-Frau Kollegin Brauksiepe über die Auslegung des Pazifismus in östlicher Sicht gesagt hat, läßt einiges davon erkennen.
Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte für mich persönlich erklären, daß jedes Gespräch über die Wiederbewaffnung davon abhängig ist, daß der Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes unverändert und klar ernst genommen wird. Ich vermag ein anderes Gespräch über die Wiederbewaffnung nicht zu führen.
Wir haben uns dahin entschieden, das Gewissen, auch das vielleicht irrende Gewissen ernst zu nehmen. Ich meine, daß wir niemanden im Volke dem Druck aussetzen können, daß das unter irgendeinem anderen Vorzeichen einmal anders entschieden werden könnte.
Ich muß aber zwei Dinge hinzufügen, damit das nicht unklar bleibt. Zwischen der Nötigung des an Gott gebundenen Gewissens und dem von Gott gesetzten Anspruch des Staates ist der Raum, in dem wir unsere Position zu bestimmen haben. Der Staat und die Kirche haben das Gewissen, auch das irrende Gewissen zu schützen. Sie haben aber ebenso klar herauszustellen, daß das selbstsüchtige Ich, das sich selbst zur Norm setzt und das die Lasten der Ordnung, deren Schutz es in Anspruch nimmt; ablehnt, nicht von Staat und Kirche geschützt werden dürfte.
Aber wir wissen, daß in keiner anderen Frage mehr als in dieser die psychologische Situation unerhört schwierig ist und daß wir lieber in diesem Zusammenhang etwas mehr als etwas zu wenig tun sollen.
Einen Satz noch: ich wundere mich sehr, daß in dem- Entschließungsantrag der Föderalistischen Union die Forderung gestellt wird, daß die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt werden dürfe. Meine Damen und Herren, wir sind heute ja noch nicht so weit; aber ich habe mich gerade mit Erfolg von Karl Barth — ausgerechnet von Karl Barth — darüber belehren lassen, daß die eigentliche Form des soldatischen Dienstes im Staat, die vor dem christlichen Gewissen bestehen könne, nicht das Söldnersystem, sondern die allgemeine Wehrpflicht sei.
Es ist zu der sozialen Frage schon gesprochen worden; ich brauche das nicht mehr zu tun.
— Ich tue es gern, nur: sich mit Ihnen über soziale Fragen zu unterhalten, — dazu müßten doch erst noch einige Voraussetzungen drüben geschaffen werden!
Ich möchte aber doch noch etwas sagen, weil das viele Menschen bei uns umtreibt, nämlich darüber, daß die Frage der deutschen Einheit weithin mit einem geradezu religiösen Pathos in diesem Zusammenhang genannt wird. Unsere gemeinsame Überzeugung ist — das haben wir vorgestern erst wieder bewiesen —: daß es nichts gibt, was uns mehr bewegte und was uns als völkische Aufgabe größer wäre als die Wiederherstellung der deutschen Einheit.
Wir sollten nicht den peinlichen Weg gehen, der in Diskussionen beschritten worden ist, zu behaupten daß hier in Bonn jeder Schritt zur deutschen Einheit nur mit verkniffenem Gesicht getan wurde. Ich hatte vorgestern nicht den Eindruck, daß wir den weiteren Schritt mit verkniffenem Gesicht getan hätten; und dann sollten wir uns das auch nicht so vorwerfen.
Ich habe mich in den letzten Wochen gefragt, ob irgend jemand, der die Eventualität nur so sieht: entweder Wiederbewaffnung oder deutsche Einheit, uns einen Weg weisen würde, der heute und 'hier in einer anderen und wirkungsvolleren Weise die Wiederherstellung der deutschen Einheit ermöglichte. Ich habe von keinem Weg gehört, keinem einzigen!
Meine Damen und Herren, wir können die Frage der Einheit nicht ohne das Wort Freiheit aussprechen. Die Freiheit ist nicht nur ein politisches Postulat, sondern die Freiheit ist eine Forderung des Glaubens, weil die Würde des Menschen davon abhängt, daß er frei ist.
Darum kämpfen wir für die Freiheit.
Eine Einheit, die die Freiheit opfert, ist irreparabel, aber eine Freiheit, die die Einheit, weil denn kein anderer Weg gewiesen ist, notgedrungen zeitweise suspendiert, gibt die Entscheidung über das, was geschehen muß, künftig in unsere Hand. Wir dürften kein Gespräch über die Wiederbewaffnung führen, ohne uns zu versprechen und mit allem Ernst es auch durchzuführen, daß wir diesen Entschluß, wenn wir ihn denn fassen müssen, verbinden mit einer Offensive in der Frage der deutschen Einheit, die es niemandem gestattet, Zweifel an unserem Willen dazu zu hegen.
Wir 'haben in der Frage, die vor uns steht, keine Summierung der verschiedenen Beweggründe vorzunehmen, sondern wir haben um der inneren Bedeutung dieser Dinge willen zu fragen: aus welchem Grunde kommt der einzelne 'zu seiner Meinung. Ich nehme -- und spreche das hier noch einmal aus — kein Argument und keine innere Not ernster und tiefer als die, die aus der Not eines christlichen Gewissens kommt.
Und wir sollten das alle tun!
Frau Kollegin Wessel hat gemeint, daß sie mit ihrer Notgemeinschaft die Menschen vor der Propaganda des Kommunismus bewahrt habe.
Verehrte Frau Kollegin Wessel, ich verstehe dann nicht ganz, warum die Tätigkeit dieser Notgemeinschaft in der Propaganda des Ostens eine so besondere Sympathie genießt.
Es geht um die Prüfung der Geister, und, meine Damen und Herren, hier wird eine Frage wichtig, die Herr 'Kollege Ollenhauer beiseitegeschoben hat, nämlich die Frage nach dem Wie. Er hat gesagt, es handele sich nur um das Ob und nicht um das Wie. Ich muß sagen: es handelt sich sicher um die Frage des Ob. Aber für mich persönlich ist die Frage des Ob unausweichlich mit der Frage nach dem Wie verbunden.
Wenn wir dahin kommen, daß wir durch das Wie ein gutes Anliegen und eine rechte Verantwortung gefährden, dann wollen wir diese Verantwortung lieber nicht wahrnehmen.
Wenn der Geist, den manche Leute, die sich als die patentierten Hüter deutschen Soldatengeistes verstehen, heute schon wieder haben und den sie auch in die Diskussion hineinbringen, durchdringt, dann habe ich die ernste Sorge, ob wir eine deutsche Wiederbewaffnung überhaupt verantworten können.
Wir erkennen jede echte Sorge an; sie ist die
unsrige. Wir achten jedes Gewissen, weil wir for-
dern, daß unsere Gewissen geachtet werden. Aber wir lehnen alles ab, was direkt oder auf einem Umwege die deutsche Freiheit stürzt, weil dann nicht nur wir, sondern Europa und vielleicht noch mehr stürzen.
Ich habe in einem Vortrag der Notgemeinschaft den so primitiven Satz gelesen: „Wer nicht schießen will, muß sprechen."
Meine Damen und Herren, es hat leider noch niemals geholfen, daß man gegen Kanonen und Panzer angeredet hat.
Ich glaube, daß wir vielmehr in einer sehr bitteren und ernsten Verantwortung genötigt sind, die Entscheidung dahin zu fällen: Wer nicht erschossen werden will, muß nüchtern sein und handeln!