Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Rede gesagt, daß es gut wäre, wenn sich auch bei uns in Schicksalsfragen möglichst breite Mehrheiten dieses Hauses ergäben. Das ist ein vortrefflicher Grundsatz. Aber Mehrheitsbildungen so oder so sind Entscheidungen für oder gegen konkrete und präzise Vorhaben. Über Allgemeinheiten kann man diskutieren, aber sie sind keine möglichen Grundlagen politischer Entscheidungen. Man kann sich unter verantwortlichen Menschen nicht entscheiden, ob es an und für sich gut sein könnte, daß die Deutschen 12 oder x deutsche oder europäische Divisionen aufstellen. Man kann sich vernünftigerweise nur dafür oder dagegen entscheiden, sie unter diesen oder jenen Voraussetzungen, für diese oder jene Zwecke und unter Aufsichnahme dieser oder jener Konsequenz aufzustellen.
Da hat uns aber der Herr Bundeskanzler leider nicht viel gegeben, über das auch nur diskutiert werden könnte, wenn Diskussionen einen politischen Zweck haben sollen, höchstens durch das Verlesen seines Memorandums vom Sommer 1950, in dem er — damals — ein deutsches Europakontingent ohne Voraussetzungen angeboten hat.
Man hat uns weder gesagt, wie der europäische Verteidigungsvertrag aussieht, noch hat man uns gesagt, wie der General-Vertrag und die Zusatzverträge, die ja engstens mit diesem andern Vertrag gekoppelt sind, aussehen, und die spärlichen Zitate, die daraus gegeben worden sind, können das, was nicht gesagt worden ist, nicht ausgleichen. Viel mehr als Vokabeln haben wir nicht gehört, und es erscheint mir unzumutbar, sich auf Grund dieser Vokabeln einen Beschluß des Parlaments erbitten zu lassen, der doch zum mindesten als eine Billigung der bisher befolgten Außenpolitik der Bundesregierung ausgelegt werden könnte.
Es ist viel davon gesprochen worden, was uns die geplanten Verträge alles Gutes bringen: Sicherheit, Gleichberechtigung, Anerkennung des deutschen Einheitsstrebens als eines politischen Zieles auch der Westmächte. Sicher stehen diese Worte in den Verträgen. Was uns aber in erster Linie interessieren sollte, ist doch: Was haben denn unsere Partner an k o n k r e t en Leistungen für die Verwirklichung dieser Dinge versprochen, und was haben wir Deutschen nach diesen Verträgen konkret zu leisten — noch zu leisten oder zusätzlich zum Bisherigen zu leisten — und was bleibt uns auch nach diesen Verträgen vorenthalten, was die anderen für sich selber als das Normale beibehalten wollen? Diese Dinge werden bestimmen, woran wir sind, und nicht die Allgemeinheiten, die in den Präambeln der Verträge stehen!
Es ist uns gesagt worden, daß zwar recht viel, was mit Nutzen hätte konkret ausgedrückt werden können, nicht in den Verträgen stehen werde; dafür aber seien in den Artikeln und in den Präambeln der Verträge Grundsätze ausgesprochen, die zwangsläufig von den anderen ein bestimmtes konkretes Verhalten in bestimmten politischen Situationen verlangten. Mir scheint es eine gefährliche Methode zu sein, sich in solchen schicksalhaften Dingen auf Rückschlüsse und Deduktionen zu verlassen.
Wohin eine, Politik der Deduktionen führen kann, das zeigt uns der Notenwechsel zum Schumanplan, der Notenwechsel über das Saargebiet.
Da hat man auch geglaubt, eine Verpflichtung zu konkretem Verhalten der französischen Regierung zwingend aus gewissen Feststellungen ableiten zu können, und was nachher geschehen ist, hat uns der Herr Bundeskanzler gestern selbst erzählt. Nicht, was sich im Wege des Rückschließens, durch Deduktion erschließen läßt, bestimmt die Realität von Verträgen, sondern nur, was konkret, d. h. mit klarer Abgrenzung vereinbart ist. Wenn das gut gemacht ist, dann braucht man nicht zur Arbeitshypothese der Rückschlüsse zu greifen.
Da ist nun zunächst nötig, daß man sagt, was ist, und vor allem muß man die Differenzpunkte klar herausstellen. Damit fängt doch die Politik überhaupt erst an! Und wenn man uns zurät, wir sollten bei der Behandlung solcher Sachen doch nicht vergessen, daß man diplomatisch reden müsse, — gut; aber man sollte dem Handwörterbuch der Diplomatie nicht nur den Satz entnehmen, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu verbergen, und nicht dazu, sie zu enthüllen.
Und Herr Kollege Strauß: das Tarockspiel mag eine amüsante Sache sein; aber eine gute Politik kann man nur dann machen, wenn man sie so anlegt, daß sie auch dann zum Ziele führen kann, wenn der Gegner die Karten kennt.
Wenn man sich darauf verläßt, daß er nicht merkt, was man noch für Karten haben könnte, dann läuft man Gefahr, daß alles Denken und alles Kalkulieren schließlich doch nur in der nachträglichen Anerkennung eines Zufallsergebnisses endet.
Ehe man über den Wehrbeitrag oder den Verteidigungsbeitrag spricht, sollte man darüber sprechen, ob das Grundgesetz dieser Bundesrepublik die Möglichkeit gibt, eine Wehrverfassung so oder so zu geben. Wir Sozialdemokraten bestreiten das. Wir sind der Meinung, daß unter der Herrschaft des Grundgesetzes — so wie es heute ist — die Aufstellung einer Wehrmacht und einer Wehrverfassung nicht möglich sei. Wir sind der Meinung, daß dazu die Verfassung ergänzt werden müßte. Die Regierung bestreitet die Richtigkeit unseres Standpunktes. Nun gut, das Bundesverfassungsgericht ist angerufen; es wird darüber entscheiden müssen. Über Recht und Unrecht läßt sich nicht durch politische Mehrheitsbeschlüsse entscheiden,
und deswegen, meine Damen und Herren, sollten Sie uns nicht zureden, wir sollten doch in dieser Frage nicht so hartköpfig sein. Wenn man nicht durch politische Mehrheitsbeschlüsse diese Frage entscheiden kann, dann kann man sich auch nicht im Wege eines Kompromisses darüber einigen;
denn zwischen Recht oder Unrecht gibt es keinen Kompromiß.
Nur eines möchte ich sagen. Ich glaube, daß sich die Regierung täuscht, wenn sie der Meinung sein sollte aber vielleicht habe ich gestern nicht richtig verstanden, Herr Bundeskanzler —, daß man um die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung dadurch herumkommen könnte, daß man sich mit einem Freiwilligenheer begnügt. Auch dann wird eine Änderung der Verfassung nötig sein; denn auch bei einem Freiwilligenheer findet eine Änderung der Struktur unserer Verfassungswirklichkeit statt. Auch dann müssen Kompetenzen, die noch nicht gegeben sind, erst begründet werden, und auch das würde nicht gehen — der Text der Weimarer Verfassung zeigt es schon —, ohne daß bestimmte Grundrechte für die Angehörigen der Wehrmacht aufgehoben werden.
Auch in diesem Falle also wäre eine vorherige Ergänzung des Grundgesetzes eine rechtliche Notwendigkeit.
Der Herr Bundeskanzler hat mir gestern die Ehre angetan, mich einige Male gegen mich selber zu zitieren. Ich habe ihm dafür zu danken, daß er meinen bescheidenen Beitrag zum Grundgesetz auf
diese Weise für einen Augenblick der Vergessenheit entrissen hat.
— Es war sehr liebenswürdig von ihm, und ich habe mich ja dafür bedankt.
Nun aber einige Worte zu den Zitaten des Herrn Bundeskanzlers. Er war sehr davon überzeugt, daß er mit diesen Zitaten die Position meiner Partei, die auch ich vertrete, zusammengeschossen habe.
Doch seine juristischen Büchsenspanner haben seine Flinte mit einer Platzpatrone geladen.
Er sollte sich — das ist ein respektvoller Rat, Herr Bundeskanzler — bessere aussuchen.
Ich stehe zu dem, was der Herr Bundeskanzler verlesen hat, heute wie einst; auch zu meinen Bernerkungen zum Art. 24 des Grundgesetzes über einen möglichen deutschen Beitritt zu einem System kollektiver Sicherheit. Der Herr Bundeskanzler hat, was ich gesagt habe, völlig richtig gelesen, jedoch vielleicht mit anderen Akzenten, als diese Worte von mir gesprochen worden sind. Ich habe von einem System kollektiver Sicherheit gesprochen, das die Ganzheit der Staatenwelt umspannen soll, und nicht von einem, das aus einer Reihe machtpolitischer Blöcke bestehen soll.
— Meine Damen und Herren, Sie können noch einige Male Ihrem Gefallen oder Mißfallen Ausdruck geben; schonen Sie Ihre Lungen!
Ihre Berater, Herr Bundeskanzler, scheinen davon auszugehen, daß man einem System kollektiver Sicherheit wirksam und sinnvoll nur durch Einbringen einer Wehrmacht beitreten könne.
— Aber die meisten Systeme dieser Art, Herr Kollege Kiesinger, haben sich bisher im wesentlichen mit politischen und ökonomischen Sanktionen begnügt. Man kann einem solchen System in sehr wirksamer Weise auch durch Einbringung seines Wirtschaftspotentials beitreten, z. B. auch durch Gestattung des Durchmarschrechts und vielleicht sogar dadurch, daß man sein Gebiet zur Verfügung stellt.
Wenn Sie die Debatte im Genfer Völkerbund hätten mitverfolgen können, dann wüßten Sie, daß z. B. in der Gestattung des Durchmarschrechts, in der Beteiligung an wirtschaftlichen Sanktionen die meisten Staaten ihren einzigen Beitrag zu dem System kollektiver Sicherheit, das der Völkerbund war, erblickt haben.
— Herr Kiesinger, bleiben wir bei den heutigen Verhältnissen, nehmen wir das Atlantikpaktsystem: wahrscheinlich — nach Ihrer Meinung, und ich glaube, mit Recht — auch ein solches partielles
System kollektiver Sicherheit. Ihm gehört ein
Staat an — er ist zwar klein —, der keine Wehrmacht hat, z. B. der Staat Island, und man betrachtet in der atlantischen Organisation seinen
Beitrag durch Zurverfügungstellung seines Gebiets
als höchst wertvoll, wahrscheinlich viel wertvoller
als die Zurverfügungstellung von einigen Regimentern, wenn die möglich wäre. Ich sage Ihnen das
nur deswegen, meine Damen und Herren, um Sie
der Verlegenheit zu entheben, vielleicht voreilig
aus einem Wort wie „kollektive Sicherheit"
Schlüsse zu ziehen, die zu ziehen nicht erlaubt ist.
Dann: man kann doch als Staat irgend etwas nur mit dem beitreten, was man hat; und was ein Staat hat, bestimmt seine Verfassung. Ob man mit einer Wehrverfassung eintreten kann oder nicht, das bestimmt diese Verfassung, die auch zu bestimmen hat, in wessen Zuständigkeit es liegt, eine Wehrverfassung zu errichten.
Wenn Ihre These stimmte, dann würde es, um in Deutschland über Bestimmungen des Grundgesetzes hinweggehen zu können, genügen, mit dritten Mächten unter dem Gesichtspunkt kollektiver Sicherheit Verträge über die Änderung der Grundstruktur unserer Verfassung zu vereinbaren
— etwa die Einrichtung einer Bundesfinanzverwaltung als Mittel zur Steigerung des deutschen wirtschaftlichen Wehrpotentials —,
und es würde eine einfache Mehrheit des Bundestags genügen, um die Grundstruktur unserer Verfassung zu ändern, denn der Bundestag brauchte dann nur mit einfacher Mehrheit diesem Vertrag zuzustimmen.
Was durch den Art. 24 des Grundgesetzes geschaffen werden sollte, war die Möglichkeit, durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte, die der Bund schon hat, abzutreten, aber nicht die Möglichkeit, auf dem Weg über internationale Verträge Rechte einzuführen, die der Bund nicht hat.
Dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie den Kollegen Renner zitiert. Sie hätten vielleicht gut daran getan, auch meine Antwort auf die Frage des Kollegen Renner zu zitieren. Herr Kollege Renner hat den zitierten Ausspruch getan auf eine Ausführung, die ich vorher gemacht hatte und die lautete:
Die zweite Antwort
— auf den Antrag des Kollegen Renner im Parlamentarischen Rat —
ist, daß „Ächtung des Krieges" für sich allein nicht so weit geht, wie die Bestimmung dieses Absatzes. Eine Reihe von Staaten, die dem Kriegsächtungspakt beigetreten sind, haben nicht daran gedacht, ihre Wehrmacht abzuschaffen, während unser Text über negative Maßnahmen wirklich noch hinausgeht.
Darauf Herr Kollege Renner: „Sie wollen doch nicht behaupten, daß mit dieser Fassung die Bildung eines Heeres für Westdeutschland abgelehnt ist?" Und nun meine Antwort: „Die Fassung geht noch weiter: Sogar sogenannte Wehrsportvereine sind damit abgelehnt!"
Da sollte man, Herr Kollege Stegner, schon aus Respekt vor Volk und Gesetz beanspruchen, seine Kompetenz auf klare Aussprüche der Verfassung gründen zu können.
Das Grundgesetz schweigt, und das mit Grund; denn wir wollten, als wir im Parlamentarischen Rat zusammensaßen, einen waffenlosen Staat. Das hat niemand besser zum Ausdruck gebracht als Herr Minister Lehr in seiner Eigenschaft als Berichterstatter,
als er am 8. Mai 1949 vor dem Plenum sagte:
Bei der Ausgestaltung der Bundesrepublik tauchte zunächst die Frage auf, inwieweit der Tatsache Rechnung zu tragen sei, daß dieser zu schaffenden Organisation eines Bundesstaates nicht die volle Souveränität gegeben werden konnte. Sollte das Staatsfragment trotzdem auf dem Gebiete der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung so ausgestattet werden, daß es echtem staatspolitischem Handeln Raum gab und künftiger Souveränität genügende Unterlagen schuf? Wir alle, die wir positiv zur Aufgabe eingestellt waren, haben uns bemüht, das Haus, das wir bauten, so wohnlich einzurichten, wie es möglich war, und es nach innen und nach außen mit den Einrichtungen zu versehen, mit denen ein Volk selbständig leben, seine Wirtschaft und seine Kultur günstig aufwärts entwickeln kann. Sicherungen für dieses Ziel konnten wir freilich nicht schaffen.
Wir müssen vertrauen, daß die für uns in Frage kommenden Siegermächte zugleich unsere Schutzmächte sind und daß die Aufnahme in die europäische Völkerfamilie den gegebenen Sicherheitsrahmen für uns darstellt.
Deutlicher kann man doch wohl nicht sagen, daß die Schutzmacht der Alliierten und nicht die Möglichkeit, ein Wehrgesetz zu erlassen, eine Garantie für unsere Sicherheit sein sollte!
Was hätte denn nähe gelegen, meine Damen und Herren, als in den uferlosen Diskussionen über den Katalog der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebung, wo man über alles mögliche gesprochen hat, auch den Antrag zu stellen, dem Bund die Kompetenz in Verteidigungsfragen zu geben!
Kein Mensch hat daran gedacht!
— Dann haben wir ihn abgelehnt, Herr Kollege von Brentano; denn es steht nicht im Grundgesetz!
Nichts hätte doch näher gelegen, als bei der Feststellung der Gesetzgebungsgewalt des Bundes auch die Verteidigung aufzuführen. Man hat das nicht vergessen, sondern man hat es nicht gewollt!
Ich bin dankbar, daß der Herr Bundeskanzler selber als Eideshelfer für seine „Feinde" — wenn Sie mir das auf diesem Gebiete zu sagen gestatten
— aufgetreten ist, und zwar durch das Verlesen seines Memorandums aus dem Jahre 1950, in dem er sagte, daß eine Bundesbereitschaftspolizei nicht ohne eine Änderung des Grundgesetzes aufgestellt werden könne.
Er hat gesagt, das gehe deswegen nicht, weil das Grundgesetz ausdrücklich sage, daß die Polizeigewalt bei den Ländern liege.
— Meine Damen und Herren, das sagt das Grundgesetz nun eben nicht — weder in Art. 91 noch in Art. 104, wo von der Polizei die Rede ist —, sondern das Grundgesetz sagt lediglich nicht, daß der Bundesrepublik Polizeigewalt zustehe! Daraus hat der Herr Bundeskanzler nach der Konstruktion unseres Grundgesetzes den richtigen Schluß gezogen, daß die Bundesrepublik nach dem Grundgesetz eben eine solche Kompetenz nicht hat.
Ich glaube kaum, daß diesen Argumenten wird widersprochen werden können, aber ich glaube, der richtige Ort, darüber zu disputieren, wird Karlsruhe sein, wo man weniger diskutieren als plädieren und nachher entscheiden wird.
— Herr Kollege Tillmanns, ich habe lediglich versucht, dem Herrn Bundeskanzler die Ehre anzutun, auf Worte Antwort zu geben, die er gestern besonders eindringlich an mich gerichtet hat. Diesen Respekt glaube ich dem Herrn Bundeskanzler schuldig zu sein.
Man hat uns gestern auch gesagt, daß es ein besonderer Vorzug des Generalsvertrags sei
— ich bitte um Entschuldigung! —
— Sie könnten an diesen Lapsus linguae vielleicht einige tiefsinnige psychologische Spekulationen anhängen! —
— danke schön, Herr Pünder! —, daß dieser Vertrag die Signatarmächte verpflichtet habe, die Herstellung der Einheit Deutschlands zum Ziel auch ihrer Politik zu machen. Wir wollen diese Feststellung nicht unterschätzen; aber wir müssen doch
fragen: Was verstehen denn die einzelnen Partner unter einem vereinigten, einheitlichen Deutschland, und zu welchen konkreten Dingen verpflichten sie sich, zum Beispiel welches Deutschland ist für sie das ganze Deutschland? Innerhalb welcher Grenzen soll dieses Deutschland vereinigt werden? Die Klausel in dem Generalvertrag ist so allgemein, daß sie, wie ich fürchte, im Grenzfalle leider zu nicht sehr viel verpflichten wird. Sie mag manche beruhigen; an den Realitäten unserer politischen Situation wird sie nicht sehr viel ändern. Ja, wenn sich unsere Partner verpflichtet hätten, die Einheit Deutschlands innerhalb dieser oder jener Grenzen zu betreiben, und sich weiter dazu verpflichtet hätten, durch diese oder jene politischen Maßnahmen darauf hinzuwirken, dann wäre das eine Sache gewesen! Freilich, ich weiß, daß man das heute nicht bekommen konnte. Das ist verständlich. Aber man soll dann nicht sagen, daß die Einheitsklausel in der Präambel des Generalvertrags etwas politisch Wirksames bedeute.
Zum ganzen Deutschland gehört doch schließlich auch die Saar. — Es tut mir leid, daß man immer wieder hört, Deutschland habe an der Saar „Interessen". Deutschland hat an der Saar keine „Interessen", sondern das Saargebiet ist ein Stück von Deutschland! —
Wir hören aber vom französischen Außenminister in seinen Kammerreden immer wieder, daß sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten gegenüber Frankreich verpflichtet hätten, seine, Frankreichs Absichten an der Saal zu fördern, auch bei einem Friedensvertrag. Da möchte ich fragen: Hat die Regierung bei diesen Mächten rückgefragt, ob solche Vereinbarungen bestehen und ob sie, wenn sie einmal geschlossen worden sein sollten, noch weiterhin Bestand haben sollen? Denn wenn solche Sondervereinbarungen weiter bestehen sollten, — was ist dann die Einheitsklausel in der Präambel — was den Westen anbetrifft — noch sehr viel wert?!
Weiter stellt man uns im Generalvertrag eine Friedensregelung, eine ausgehandelte Friedensregelung in Aussicht. Da ist doch die Frage erlaubt: Wer soll denn mit wem diese Friedensregelung vereinbaren? Der Westen mit uns im Westen Deutschlands? Rußland vielleicht mit der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik?! Was würde denn das für Deutschland bedeuten, wenn man diese Möglichkeit auch nur ins Auge faßte! Ich glaube nicht, daß jemand in diesem Hause dies ernstlich tut. Aber immerhin besteht doch die Möglichkeit, daß einmal jemand diese Bestimmung des Vertrags so auslegt! Was wird dann im Osten geschehen? Und was haben wir dann in Deutschland? Zwei Deutschländer werden wir dann haben! Ein gesamtdeutscher Friede ist der einzige Friede, der mit uns geschlossen werden kann;
und der kann doch nicht mit den drei Westmächten allein, sondern doch nur mit allen vier Mächten, mindestens den vier jetzigen Besatzungsmächten geschlossen werden.
Also können doch unsere Partner im Generalvertrag diese Friedensvertragsklausel nur realisieren,
wenn die Russen mit von der Partie sind. Sie werden die Russen dafür gewinnen müssen. Und die Russen werden dafür Bedingungen stellen. Das wird dann den Start geben. Wenn man aber das weiß — und anders kann man es doch wohl nicht sehen —, was ist dann die Klausel praktisch viel wert?! Sie ist eine Verzierung an dem Monumentalgebäude des Generalvertrags, aber nicht sehr viel mehr.
Und wenn ich schon von dem Streben unserer Partner höre, uns dabei zu helfen, die Einheit Deutschlands zu realisieren, — wie reimt sich denn damit das Veto gegen das Überleitungsgesetz für Berlin zusammen?!
Handeln denn so Partner? Wenn man uns sagt: ja, wenn der Generalvertrag geschlossen ist, dann werden wir uns anders verhalten! —: wenn ich die Absicht habe, mit jemand ein Partnerschaftsverhältnis einzugehen, verhalte ich mich ihm gegenüber doch schon als Partner, ehe wir vom Notar zurückkommen!
Man sagt uns weiter, ein besonderer Vorzug des Generalvertrags und der Zusatzverträge sei, daß die in Deutschland stehenden Truppen der bisherigen oder heutigen Besatzungsmächte in dem Vertrag angesprochen werden als Verteidigungstruppen. Nun, was sind denn diese Truppen heute? Man sagt uns doch auch jetzt, sie stünden hier als Verteidigungstruppen! Und man sucht uns die Besatzungskosten schmackhaft zu machen, indem man sagt, das seien unsere finanziellen Verteidigungsbeiträge! Entscheidend dafür, als was diese Truppen da sind, ist doch nicht ihre Benennung, sondern ist doch die Rechtsstellung, die ihnen in diesen Verträgen zugeordnet wird.
Auch hier sind nicht die Vokabeln konstitutiv, sondern der Katalog der Privilegien und Exemtionen zugunsten ,dieser Verteidigungstruppen. Und da hängt alles zusammen: Generalvertrag, Zusatzverträge, das europäische Verteidigungsabkommen.
Auch Sie, meine Damen und Herren, haben gesagt, daß für Sie ein Ja zu dem europäischen Verteidigungsbeitrag nur möglich sei, wenn der Beitritt der Deutschen zu diesem großen politischen System im Zeichen völliger Gleichberechtigung erfolge, und daß Sie nicht beitreten werden, wenn die Deutschen dabei irgendwie deklassiert sind. Wir wollen diese Verträge untersuchen, obwohl meine Aufgabe nicht ganz leicht sein wird. Ich kenne diese Verträge nicht;
ich kenne nur einzelnes, das mir da und dort gesagt wurde und das ich da und dort verstreut lesen konnte. Es mag sein, daß in meine Darstellungen Irrtümer einfließen, obwohl ich mir Mühe gegeben habe, das, was ich sage, so gut ich konnte, zu verifizieren.
Gleichberechtigung, was heißt das? Darüber scheint man verschieden denken zu können. Die einen glauben, Gleichberechtigung heißt gleiche Behandlung. Der britische Hohe Kommissar scheint anderer Auffassung zu sein. Er hat sich jüngst dahin ausgesprochen — so erschien es in der Presse —, daß Gleichberechtigung nicht verwechselt werden dürfe mit gleicher Behandlung.
— Hat es dementiert? Dann freue ich mich. Denn sonst hätte ich sagen müssen, daß uns seine Auffassung von Gleichberechtigung zumutet, eine Partnerschaft zur linken Hand einzugehen,
so etwas wie eine morganatische Ehe mit unseren politischen Freunden. Aber, Herr Kollege Jaeger, Sie lachten gerade so nett. Ich erinnere mich, daß Sie auch einmal bei einer Diskussion über Gleichberechtigung, der von Mann und Frau, differenzierende Ausführungen gemacht und gesagt haben, über gewisse natürliche Unterschiede könne man nicht hinwegkommen. Darüber mag man damals zu Recht diskutiert haben;
aber solche Unterschiede kann man doch mit dem besten Willen, Herr von Brentano, nicht als charakteristisch für das Verhältnis von Staat und Staat ansehen.
Nein, ich meine nicht Sie.
— Ich meine nicht Sie, Herr von Brentano; ich meine unsere Vertragspartner.
Wenn man sagt: Ja, die Notwendigkeit unterschiedlicher Behandlung ergibt sich aus gewissen Situationen, — nun, dann will man diese Situation doch ganz offensichtlich und man will sie ganz offensichtlich behalten; dann will man doch ganz offensichtlich das Verhältnis von Sieger und Besiegtem zu etwas wie einer Naturverschiedenheit machen! Wir glauben nicht, daß das eine gute Methode ist.
Nun ist da und dort, im Ausland vor allen Dingen, gesagt worden: wir Deutschen überschätzten und übertrieben die Bedeutung der Gleichberechtigung, um Prestigefragen könne man sich doch nicht mehr streiten. Ich bin völlig der Meinung der Leute, die das sagen; um des bloßen Prestiges willen lohnt sich unter vernünftigen Menschen kein Streit. Man sollte aber nicht Dinge mit Prestige verwechseln, bei denen es um die Ehre geht.
Und um die Ehre geht es dann, wenn man einem Volke zumutet, sich mit einem geringeren Rang abzufinden.
Es ist unklug, so etwas zu verlangen; denn Demokratie ist doch letzten Endes nichts anderes als der politische Ausdruck dafür, welchen Grad von Selbstachtung ein Volk für sich hat und haben kann! Deswegen sollte man um der Demokratie in Deutschland willen dem deutschen Volke solche Dinge nicht zumuten.
Schließlich kann man doch nur von wirklich Freien eine echte Partnerschaft verlangen und erwarten und nicht von bloßen Freigelassenen. Mit Freigelassenen wird man auch in der Folgezeit nicht umgehen, wie man mit Freien umzugehen pflegt, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie sich mit den Attributen der Unfreiheit gar vertraglich einverstanden erklärt haben sollten.
Fundamentale Bindungen sind nur moglich, wenn man frei ist. Wenn man sie eingeht im Zustande der Unfreiheit, d. h. bei mangelnder Selbstbestimmung, fließt doch mit Notwendigkeit in die Bindungen, die man eingeht, etwas vom Status der Unfreiheit des Ausgangspunktes mit ein. Ehe man frei ist, lassen sich nur Verträge provisorischen Charakters schließen, Verträge über einen modus vivendi, aber auch diese nicht im Junktim mit Dauerbindungen.
Wir haben von Anfang an die Bundesrepublik ein Provisorium genannt, nicht aus Freude an diesem Wort, sondern weil wir damit etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen wollten. Wir wollten damit zum Ausdruck bringen, daß diese Bundesrepublik nichts Endgültiges ist, auch nicht auf einem beschränkten Teil des deutschen Staatsgebietes, und haben damit auch zum Ausdruck gebracht, daß dieses Provisorium keine definitiven Bindungen für ganz Deutschland schaffen kann.
Das Provisorium erlaubt nicht mehr als den modus vivendi. Es erlaubt nicht Status-Verträge. Und dieses Verteidigungsabkommen ist doch ein Vertrag, durch den der Status Deutschlands bestimmt wird, weit, weit über einen modus vivendi hinaus. Dieser Vertrag m u ß doch Rückwirkungen auf Gesamtdeutschland und auf die Möglichkeit, seine Einheit zu verwirklichen, haben. Da frage ich: Kann denn der Teil des Ganzen das Ganze verpflichten? Und wenn sich der Teil auf die Dauer sollte verpflichten können, setzt denn das nicht das Ganze in Gefahr? Löst er sich denn damit nicht — auch wenn er es nicht will! — faktisch vom Ganzen ab?
— Und was wird geschehen, Herr Kollege Euler, wenn einst eine gesamtdeutsche Nationalversammlung, die auch Sie wollen, diese Bindung nicht für Gesamtdeutschland sollte gelten lassen wollen? Das könnte doch sein.
Können wir denn hier als der Teil, der wir sind, Gesamtdeutschland präjudizieren? — Wenn wir sagen, wir könnten das, nun, dann können Sie den Herren in Pankow nicht mit sehr viel Wirkung. das Recht bestreiten, es auch zu tun.
-- Ach, Herr Majonica, nein, ich will sie nicht gleichsetzen. Ich will Ihnen nur sagen: Sie können ihnen gegenüber dann nicht mit der Wirkung bestreiten, mit der Sie es könnten, wenn Sie sich hier richtig verhalten.
Und wer soll denn dann in einem solchen Falle wem beitreten?
— Nein, Herr Euler!
— Warten Sie noch ein paar Minuten. Ich komme auf diese Dinge noch zu sprechen.
Weiter hat die Beratende Versammlung dieses europäischen Verteidigungsbundes u. a. auch die
Kompetenz, eine europäische Verfassung zu entwerfen. Damit wird sie eine Verfassung schaffen, die sich dann vielleicht die Staaten, die dem Europapakt angehören, geben werden. Welche Folgen wird das, wenn es geschieht, für die Einigung Deutschlands haben? Dann haben wir uns doch eine Oberverfassung 'gegeben. Wer sagt uns dann, daß der Teil Deutschlands, der dann noch nicht zu uns gehören wird, miteinbeschlossen werden kann? Was soll überhaupt diese Beratende Versammlung nicht alles tun! Sie soll auf der einen Seite als Beratende Versammlung der Montan-Union die Hohe Behörde überwachen. Auf der andern Seite sollen die gleichen Leute — denn es ist ja die gleiche Versammlung — im Rahmen des europäischen Verteidigungspaktes wirken, dazuhin sollen sie noch diese Verfassung entwerfen. Herr Bundeskanzler, Sie werden Tausendkünstler suchen müssen in diesem Parlament — denn da sollen die Damen und Herren ja auch noch sitzen —, die in diese Versammlung kommen sollen! Wie ist es denn möglich, von diesen Leuten eine ernsthafte Arbeit und die Übernahme ernsthafter politischer Verantwortung zu erwarten? Das ist doch wirklich dilettantisch!
Man hat zu uns in einem Ausschuß viel davon gesprochen, daß_ die Befürchtungen für die Einigung Deutschlands unbegründet seien, denn es gelte ja im Völkerrecht das Prinzip der beweglichen oder veränderlichen Vertragsgrenze. Nun, es gibt diesen Begriff; aber das gilt doch nicht, wenn es sich um ein Drittel der Nation handelt, und zwar um den umkämpften Teil der Nation, um den Teil, der die Grenzmöglichkeiten ganz Deutschlands bestimmt! Trotz der Erklärungen, die man von vielen Seiten bekommen hat, man macht damit die Einigung Deutschlands und die Bedingungen, unter denen sie zustande kommen kann, nur noch mehr zu einer Funktion der Interessen der Westmächte; denn die dadurch hervorgerufenen Veränderungen werden dann noch viel unmittelbarer auf die Interessenlage unserer Partner und damit auf ihre Entschlüsse wirken. Es ist doch noch nicht so lange her, daß einige unserer Partner von morgen in der Separation Deutschlands ein wesentliches politisches Ziel sahen,
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und es ist noch nicht ausgemacht, daß in den Parlamenten unserer Partner die Mehrheiten immer so bleiben werden, wie sie heute sind. Was machen Sie dann mit der Einheitsklausel der Präambel des Generalvertrags?
— Nein, Herr Dr. Schröder, aber ich hätte von Ihnen einen besseren Zwischenruf erwartet.
Der Generalvertrag geht — und zwar um den Westmächten die Möglichkeit zu lassen, für die Einheit Deutschlands zu wirken — davon aus, daß der Substanz nach die Besatzungsmächte die Besatzungshoheit behalten sollen. Die Frage ist: Wer
alles? Auch Frankreich, das ja Partner der Europa-Armee werden soll und in Berlin wohl noch die Besatzungstruppen unterhalten wird? Das bringt doch Frankreich und uns in sehr merkwürdige Lagen. Die Franzosen können sich doch nicht spalten und das eine Mal als das auftreten und das andere Mal als etwas anderes. Wir kommen doch damit in einen militärischen Verband mit Leuten, die sich die Zurücknahme der obersten Gewalt in Deutschland vorbehalten haben. Das ist doch nicht möglich!
— Nein, Herr Kollege, wirklich nicht, aber man sollte es sich nicht so einfach machen.
Ich persönlich bin der Meinung, daß gewisse Verträge der Alliierten mit den Russen — Transit, Versorgung Berlins usw. — diesen Inhalt des Generalvertrags vielleicht zu einer Notwendigkeit machen. Man sollte nicht den Russen die Möglichkeit geben, zu sagen: Die 'Geschäftsgrundlage dieser Verträge war, daß wir alle Besatzungsmächte sind; ihr habt die 'Geschäftsgrundlage beseitigt, also fallen diese Verträge. Es ist vielleicht notwendig, von diesem Gesichtspunkt auszugehen, Herr Kollege Tillmanns.
Aber eines ist doch möglich, nämlich daß die Besatzungsmächte, wenn sie uns wirklich nur gute Partner sein wollen, sagen: Dem Grunde nach behalten wir das Recht; wir verpflichten uns aber, es im Innenverhältnis euch gegenüber nicht auszuüben.
Das hat man aber nicht gemacht.
— Nein, man hat es nur zum Teil gemacht. Wenn man sagt: 'Das geht nicht, das entwertet ja die Wirkung des Vorbehalts den Russen gegenüber, kann demgegenüber auf eine Analogie hingewiesen werden: die Westmächte haben ja durch einseitigen landesrechtlichen Verzicht auch den Kriegszustand landesrechtlich aufgehoben, ohne damit völkerrechtlich aus dem Kriegszustand herauszutreten. Dieselbe Operation wäre doch auch auf diesem Gebiet möglich gewesen! Man hat sie nicht gewählt. Und warum hat man sie nicht gewählt? Weil die Alliierten ganz offensichtlich nicht nur auf einem symbolischen Besatzungsrecht beharren wollen, sondern auf effektiven Besatzungsrechten. Sie wollen 'das Besatzungsstatut — die Urkunde — aufheben, aber sie wollen nicht das Besatzungsregime aufheben.
— Man gibt uns gewisse Rabatte, Herr Euler, aber wir müssen uns verpflichten, den Rest als vertragliche Verpflichtung durchzuführen.
Ich glaube, damit ist klargestellt, daß die Besatzungsmächte das Besatzungsregime nicht nur der Form nach, sondern auch den Tatsachen nach aufrechterhalten wollen.
Es sind in diesen Verträgen einige Klauseln, die mich bedenklich machen, die Notstandsklauseln besonders. Die eine davon sieht für den Kriegsfall vor, daß die Besatzungsmächte Hoheitsrechte an sich ziehen können. Ich glaube, diese Klausel ist
nicht nötig; denn auf dem Schlachtfeld kommandiert der General ja mehr als bloß seine Truppen.
Zu der andern Klausel, dem Notwehrfall, braucht man, glaube ich, auch nicht sehr viel zu sagen. Aber die politische Notstandsklausel erscheint mir doch höchst bedenklich, und zwar nicht nur deswegen, weil wir fragen müssen: Wer wird da entscheiden? — Das Schiedsgericht soll ja in diesem Fall nicht zuständig sein, sondern es soll die Möglichkeit und die Verpflichtung zur Konsultâtion bestehen. Der Atlantikrat soll mit der Sache befaßt werden, wenn ich richtig unterrichtet bin. Aber was kann man denn alles mit einer Klausel anfangen, die einem das Recht gibt, im Falle einer Gefährdung der demokratischen Grundordnung die Fülle der Gewalt wieder an sich zu ziehen? Ich frage mich: Ist das denn nötig? Wenn ich richtig unterrichtet bin, enthält Art. 6 des europäischen Verteidigungsabkommens die Bestimmung, daß die Partner im Katastrophenfall ihre Kontingente zurücknehmen und sich ihrer zur Herstellung der Ordnung bedienen können. Auch wir Deutsche werden das können. Warum dann diese Notstandsklausel zugunsten der Besatzungsmächte einseitig zu Lasten Deutschlands? Warum dann nicht etwa auch zu Lasten Frankreichs, wo dieser Fall doch heute sehr viel wahrscheinlicher ist als bei uns?
Da gibt es doch viele Möglichkeiten für kleine Schikanen, aus denen sich böse Dinge entwickeln können: Sperrstundenverhängung,Übernahme örtlicher Polizeigewalt und ähnliches! Das alles ist doch keine saubere Regelung! Und die größte Gefahr sehe ich darin, daß diese Notstandsklausel unter Umständen einmal in Anspruch genommen werden könnte, wenn Kräfteverschiebungen bei Wahlen die Befürchtung aufkommen lassen, die neue Mehrheit im Parlament könne eine andere als die von gewissen Mächten gewünschte Politik betreiben.
Es ist doch nicht das erstemal, daß man uns sagt: Demokraten seid ihr, wenn ihr unter Demokratie ein Handeln versteht, das wir far gut und zuträglich halten; und wenn ihr darunter ein Handeln versteht, das wir für uns nicht für zuträglich halten, dann seid ihr keine Demokraten.
Weiter werden wir den Status der Truppen selber zu beachten haben. Wir werden vier verschiedene Rechtsstellungen der Truppen in Deutschland haben, einmal die Truppen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens; dann die Truppen, die auf ihre Einladung mit ihnen in ihren Bereichen Garnisonen halten — also die Dänen, Norweger usw. —; dann Truppen, die etwa die Bundesrepublik einladen sollte — vielleicht wie jetzt die Kanadier —; dann die Kontingente der Europa-Armee. Jede dieser Truppen wird Staat und Bevölkerung gegenüber andere Rechte haben. Wie will man denn diese Rechte nicht nur im Verhältnis von Truppe zu Truppe, sondern auch im Verhältnis von Staat, Bevölkerung und Truppe abgrenzen? Und wie ist das denn• Will man die Belgier, die Franzosen und die Holländer — unsere künftigen Partner in der Europa-Armee —. die in Deutschland garnisonieren sollten, auf das Lebensniveau der deutschen Bevölkerung reduzieren? Oder will man den deutschen Kontingenten der Europa-
Armee das bisherige Lebensniveau dieser Truppen geben, sie also der deutschen Zivilbevölkerung gegenüber unter Umständen privilegieren?
Wir kennen den Status der Europa-Armee noch nicht; von dem Status der britischen und der amerikanischen Truppen kennen wir einiges. Und nun frage ich: Stehen diese britischen und amerikanischen Truppen künftig in Deutschland mit denselben Rechten, mit denen sie in Frankreich, in Großbritannien, in Italien usw. stehen? Die Rechte, nach denen sie dort leben, findet man in dem Abkommen der Atlantikpaktmächte vom 19. Juni 1951. Da ist es nun ganz interessant, zu sehen, wie sich die Atlantikpaktmächte gegenseitig behandeln. Da finden Sie in Art. 2 des Abkommens, daß die Gesetze des Empfangsstaates für die Truppen des Entsendungsstaates gelten und daß diesen Truppen jede politische Tätigkeit im Empfangsstaat verboten ist. Das Landesrecht des Empfangsstaates hat also den absoluten Vorrang. Jedes Interventionsrecht ist da ausgeschlossen, auch auf der niedrigsten örtlichen Stufe. Aber wenn ich recht berichtet bin, soll das bei uns anders werden; da sollen die fremden Truppen ihr Recht mitbringen und nach dem Rechte des Entsendungslandes leben.
Die Folge davon ist, daß sie von unserer Rechtsordnung, auch vom Zivilrecht, eximiert sind und man sie nicht einmal vor Gericht wird verklagen können, selbst dann nicht, wenn sie Delikte begangen haben. Nehmen Sie den Art. 7 dieses Atlantikabkommens, Abs. 1 b: Die Gerichtsbehörden des Empfangsstaats sind zuständig für alle innerhalb des Gebiets des Empfangsstaats begangenen und nach seinem Recht' strafbaren Handlungen, wenn sie von Angehörigen der Truppe oder des Wehrmachtgefolges begangen sind; die Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates besteht für alle nach dem Recht des Entsendungsstaats nicht strafbaren Handlungen gegen die Sicherheit des Empfangsstaats. Hochverrat oder Landesverrat kann also von den Gerichten des Empfangsstaats an Mitgliedern der Besatzungsmacht oder ihres Gefolges bestraft werden. Genau das Gegenteil von dem, was bei uns in Deutschland in Anspruch genommen wird! Ich denke nur an den Fall Kemritz und an anderes.
Die Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats soll bei einer Reihe von Fällen den Vorrang vor der Gerichtsbarkeit der Militärgerichte haben, und die Gerichte des Entsendungsstaates, die Militärgerichte also, sollen nach diesem Abkommen keine Zuständigkeit haben, über Staatsangehörige des Empfangsstaates zu richten, in keinem einzigen Fall, auch nicht über Ausländer, die ihren Wohnsitz im Empfangsstaat haben. In Deutschland aber besteht offenbar die Gerichtsbarkeit auch über Deutsehe, wenigstens in gewissen Fällen bei Gefährdung der Sicherheit oder der Person oder des Eigentums der Besatzungstruppen.
Ich habe mir sagen lassen, daß die Besatzungsmächte sogar für sich das Recht der Evokation beanspruchen, also das Recht, einem deutschen Gericht einen Fall wegzunehmen und ihn vor ihr Gericht zu ziehen oder niederzuschlagen,
also das, was im Fall Kemritz getan worden ist.
Nach dem Atlantikvertrag kann die Polizei des Empfangsstaates auch gegen Angehörige der Besatzungstruppen vorgehen; sie hat nur die Meldepflicht. Der Entsendungsstaat ist sogar verpflichtet, Truppenangehörige in das Gewahrsam des Empfangsstaates zu geben, wenn Anklage erhoben ist. In Deutschland umgekehrt! Ich könnte Ihnen noch Dutzende solcher Bestimmungen aufzählen über die Zuständigkeit der Militärpolizei, die dort Zivilisten gegenüber nicht gegeben ist, bei uns aber offenbar, wenigstens zum Teil, noch bleiben soll; die Regelung des Requistionswesens; die Frage, wie es mit den Steuern zu halten ist; die Frage, wie es mit dem Zoll zu halten ist, mit dem Recht der Zollbehörden, sogar Fahrzeuge der Truppen zu durchsuchen, und alles, was da noch zu sagen wäre. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor: Was muß eine amerikanische Truppe fühlen, die eines Tages von Metz nach Landau versetzt werden sollte? Die muß doch das Gefühl bekommen, sie kommt in ein — politisch gesehen — ganz anderes Land!
Das ist doch keine mögliche Grundlage für eine echte Partnerschaft, und da sollte man doch nicht sagen — wie es gesagt worden ist —, die Verhältnisse lägen ja doch bei uns anders, es stünden doch bei uns in Deutschland unendlich viel mehr amerikanische Truppen als in Frankreich, und dieser quantitative Unterschied rechtfertige eine qualitativ andere Behandlung und mache sie geradezu notwendig. So kann man doch nicht sagen! Während des Krieges waren Millionen von Amerikanern in England. Da hat man doch auch nicht gesagt: Weil es Millionen Amerikaner sind, deswegen können sie nicht nach englischem Recht leben und nicht englischen Gerichten unterstehen. Wenn man sagt: Ja, aber die waren doch damals Verbündete, — nun gut; aber was soll denn jetzt bei uns ge- schehen? Da soll man doch auch zum Verbündeten gemacht werden und nicht nur zum Hilfswilligen, dessen Truppen und dessen Land man braucht!
Von besonderer Wichtigkeit in diesem Vertragssystem ist der sogenannte Übergangsvertrag, der in zwölf Teile zerfallen soll. Ich kann auch nur auf einige Bestimmungen eingehen und bin — was die Richtigkeit dessen, was ich sage, angeht auf die Zuverlässigkeit der wenigen Quellen angewiesen, die mir zur Verfügung standen. Die Pflichten und Rechte, die in der Vergangenheit durch Handlungen der Alliierten entstanden sind, sollen anerkannt werden. Das bedeutet doch nichts anderes als die Zementierung bisheriger Maßnahmen der Besatzungsmächte. Insbesondere, fürchte ich, wird man darunter die Weitergeltung der von den Alliierten über das Bundesgebiet abgeschlossenen Verträge verstehen. Ferner soll die Gesetzgebung der Besatzungsmächte weiterdauern. Ein Teil wird zwar zur Diskretion der Bundesrepublik gestellt, ein anderer Teil aber, der das Instrument fur die Durchführung der wichtigsten Besatzungszwecke war, wird auch künftig nicht ohne Zustimmung der Besatzungsmächte abgeandert werden können. Das bedeutet doch die vertragliche Übernahme von Besatzungsrecht, also von Instrumenten der Machtpolitik der Sieger von gestern. Das Gesetz Nr. 63 z. B. soll aufrechterhalten bleiben, der Schutz deutscher Spitzel, die im Dienst der Besatzungsmacht gestanden haben; die Dekartellisierungs- und Dekonzentrierungsgesetzgebung, also das berühmte Gesetz Nr. 27, soll durchgeführt werden. Da hat denn doch ganz offenbar der französische Wirtschaftsminister nicht so ganz unrecht gehabt, als er bei seiner Rede in der Pariser Kammer zum Schumanplan sagte, daß auch das Gesetz Nr. 27 auf Grund internationaler Vereinbarungen gelten solle.
Weiter sollen gewisse Dienststellen . — Agenturen — aufrechterhalten bleiben, die der Überwachung bestimmter Besatzungszwecke dienen sollen. Es soll das allierte Berufungsgericht in Restitutionssachen beibehalten werden. Und was besonders verhängnisvoll ist, es stehen auch Vorbehalte bezüglich der Regelung der Reparationen in diesen Verträgen. Es soll nämlich das Recht zugegeben werden, über die noch nicht liquidierten Auslandsguthaben in Portugal, Spanien, Österreich und der Schweiz zu verfügen.
Gleichzeitig sollen die Auslandsschulden . übernommen und das deutsche Auslandsvermögen preisgegeben werden. Da wird doch der Friedensvertrag vorweggenommen! Da wird doch bei der im Generalvertrag versprochenen auszuhandelnden Friedensregelung nicht mehr sehr viel verhandelt werden können! Auf der anderen Seite sollen Deutsche keine Ansprüche gegen Ausländer und ausländische Regierungen, die mit dem Krieg zusammenhängen, geltend machen können, keine Prozesse gegen die JEIA und Oficomex unseligen Angedenkens aus der französischen Zone anstrengen können. Die Kollegen und Kolleginnen, die aus dieser Zone stammen, wissen ja, was für ein Rattenkönig übler Dinge sich mit dem Namen Oficomex verbindet.
Man wird also von diesen Instituten vor Gericht nicht Rechenschaft verlangen können. Auf der anderen Seite soll alliierten Staatsangehörigen gehöriges Eigentum in Deutschland auf Jahre hinaus privilegiert werden; es soll nicht dem Lastenausgleich unterworfen werden.
Meine Damen und Herren, das ist doch eine Unmöglichkeit! Die Herren haben doch ihr Eigentum
in Deutschland einmal begründet, als sie glaubten,
auf deutschem Boden für s ch Chancen zu finden.
Wer die Chance in Anspruch nimmt, muß auch das
Risiko auf sich nehmen, auch das politische Risiko.
Es werden also durch diese Verträge Dinge übernommen, die sonst nur durch Siegermacht auferlegt werden können,
unter dem Gesetz des „Vae victis!". Wenn man diese Verträge unterschriebe, würde man damit für die Vergangenheit, und in den Notstandsfällen für die Zukunft ein Interventionsrecht anerkennen.
Wie ist ein solcher Zustand rechtlich zu qualifizieren? Entweder als Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes mit vertraglicher Reglementierung seiner Ausübung, — aber mit der Möglichkeit der völligen Wiederinanspruchnahme in bestimmten Fällen. Wenn es so ist, ist es falsch,, davon zu reden, das Besatzungsregime sei beseitigt oder werde beseitigt. Oder wir fassen es so auf, daß das Besatzungsregime als ein Regime eigenen Rechtes aufhört und man den Besatzungsmächten vertraglich die Rechte einräumt, die ihnen das Recht gewisser Interventionen in deutsche Ange-
legenheiten geben. Dann hat man sich eben vertraglich der Fremdbestimmung unterworfen. Auf jeden Fall, ob so oder so, Gleichberechtigung ist dieser Zustand nicht.
Eine Tür ist entweder offen, oder sie ist zu. Man ist entweder besetztes Land oder nichtbesetztes Land.
— Herr Euler, beinahe-nicht-besetzt-sein, das gibt es nicht!
Vielleicht sind diese Dinge alle nötig; ich will es einmal unterstellen.
— Ja, Herr Tillmanns! Dann aber darf man nicht sagen, daß man den Verträgen zustimmt, w e i 1 sie Gleichberechtigung bringen, sondern dann muß man sagen, daß man ihnen aus diesen oder jenen Gründen zustimmt, obwohl sie Gleichberechtigung nicht bringen.
Herr Euler, Sie haben gestern das Junktim zwischen Verteidigungsvertrag und Generalvertrag begrüßt. Tun Sie das auch heute noch
nach der Erklärung des amerikanischen Staatssekretärs für das Außere, Dean Acheson, der gesagt hat, wir bekämen den Generalvertrag nur gegen Soldaten? Das war doch der Sinn dessen, was er gesagt hat.
Man hat also da ganz offen kein Interesse an und für sich an einem freien und unabhängigen Deutschland,
sondern offenbar ein Interesse an einem freien Deutschland nur dann, wenn dieses Deutschland bereit ist, Soldaten zu stellen.
Das war keine gute Schützenhilfe, die da von Washington geleistet worden ist, Herr Euler.
Wie sieht die Gleichberechtigung im Verteidigungsabkommen aus? Es ist gar keine Frage, daß auf dem Gebiet der militärtechnischen Vereinbarungen der Delegierte der Bundesregierung, unser Kollege Blank, und seine Mitarbeiter einiges erreicht haben. Sie haben ganz offenbar hart und gut verhandelt, und sie haben sich nicht damit begnügt, in einer harmonischen Umgebung die Piccoloflöte zu spielen, sondern sie haben ganz offensichtlich auch zu den stärkeren Instrumenten gegriffen. Und das war gut.
Die entscheidenden Probleme aber liegen nicht auf dem Gebiet des Militärtechnischen, sondern auf dem des Militärpolitischen. Es wird auf den Art. 3 des Verteidigungsabkommens hingewiesen, in dem es heißt, daß innerhalb dieses europäischen Verteidigungssystems keine Diskriminierung gegen irgend jemand gelten darf. Ja, innerhalb der europäischen Armee! Aber wir gehen doch mit und in dieser Armee in ein System hinein, in dem wir differenziert sind und bleiben sollen. Es ist doch genau das gleiche Verhältnis, wie wenn innerhalb einer Religionsgemeinschaft die einzelnen Glieder gleich sind, sie aber draußen im bürgerlichen Leben nach verschiedenen Rechten leben müssen. So ähnlich ist doch die Situation. Da kann man doch nicht von Gleichberechtigung sprechen, auch nicht von dem Ausschluß möglicher Diskrimination im Ganzen des Systems! Nur in einem Teil des Gesamtsystems gilt er, und auch in diesem Teil scheint es ja doch einigermaßen mulmig auszusehen.
Es wurde schon darauf hingewiesen, der belgische Verteidigungsminister habe gestern offiziell erklärt, Deutsche würden nicht Kommandeure von Armeekorps werden können. Was ist denn da noch viel mehr zu diskriminieren, wenn so etwas auf Grund dieses Vertrages von einem Manne gesagt werden kann, der diesen Vertrag offenbar mit ausgehandelt hat?
Der Generalvertrag sagt, daß die Eingliederung Deutschlands in eine europäische Gemeinschaft erfolgen solle, die ihrerseits der atlantischen Gemeinschaft angegliedert wird. Die europäische Gemeinschaft ist der atlantischen Gemeinschaft als Ganzes anzugliedern. Dazuhin aber sind außer Deutschland die Partner der europäischen Gemeinschaft als Einzelmitglieder in dieser Atlantischen Gemeinschaft, in der NATO. Deutschland also vermag auf die Atlantische Gemeinschaft nicht zu wirken und ist nur passiv beteiligt. Das heißt, es darf ihre Beschlüsse ausführen, es ist Material für Beschlüsse anderer!
Daß deutsche Offiziere auch in hohe Stäbe kommen können, das schafft doch noch keine Gleichberechtigung. Auch wenn Sie an die Spitze eines Regiments der Fremdenlegion einen Deutschen als Oberst stellen, bleibt das doch noch ein Regiment der Fremdenlegion.
Entscheidend ist doch nicht, wer die Einheiten kommandiert, sondern, wer als letzter über den Einsatz der Truppe verfügt. Das tun die Organe der europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht; sie heben die Truppen aus, sie bilden sie aus und sie stellen sie dem atlantischen System zur Verfügung. Die Verfügung liegt bei den Organen des atlantischen Systems, in dem Deutschland nicht vertreten ist, aber Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg und Italien. Ich möchte davor warnen, sich auf Auswege und ins Zwielicht zu begeben, etwa so, daß man glaubt, es sei schon etwas getan, wenn man sich darauf einigen könnte, daß die Verteidigungsminister der Staaten, die der Europaarmee angehören, in dem Ministerrat der NATO nur einheitlich abstimmen, etwa nach den Vereinbarungen im Ministerrat der Europaarmee. Das wäre doch nur eine Scheinbeteiligung und keine Möglichkeit wirklicher, effektiver Einflußnahme auf das, was die NATO-Organe beschließen können.
Wir wollen diesen Eintritt in das atlantische System nicht; denn auch wenn wir dort eintreten sollten, könnte das den Mangel der notwendigen politischen, militärischen, ökonomischen Voraus-
setzungen für einen sinnvollen deutschen Verteidigungsbeitrag nicht ersetzen.
Wir würden Risiken auf uns nehmen, die wir unter den heutigen Umständen nicht tragen könnten. Denn die Truppen der Atlantischen Gemeinschaft stehen ja zur Verfügung des Sicherheitsrates der UNO, und wir gehören dieser UNO nicht einmal an.
Wenn die Regierung schon von Gleichberechtigung spricht, muß sie sich von uns entgegenhalten lassen, daß nach dem uns bisher bekannten Stand der Verhandlungen Deutschland außerhalb der Institutionen steht, in deren Händen die Verfügungsmacht über ein deutsches Kontingent einer europäischen Armee liegt. Man hat schon die Äußerung des französischen Botschafters Alphand zitiert. Ich kenne sie, ich habe sie einem Kommuniqué von France Presse entnommen; das mir über die Verbindungsstelle des französischen Hohen Kommissars zugegangen ist. Man hat uns gesagt, daß Herr Alphand Herrn Ophüls gegenüber diese Mitteilung dementiert habe. Vorgestern kam im Nachrichtendienst des NWDR die Meldung, daß der französische Außenminister Schuman an diesem Tage in einer Denkschrift an die Nationalversammlung zur Verteidigungsdebatte gefordert habe, daß Deutschland als einziges Mitglied der geplanten europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht in den Atlantikpakt aufgenommen werde. Da haben Sie doch genau das vom Minister bestätigt, was der Untergebene des Ministers dementiert hat!
Was die militärische Verfügungsmacht anbetrifft, so ist das entscheidende militärische Organ im Atlantiksystem das sogenannte permanente Komitee, das Dreier-Komitee, ein Amerikaner, ein Engländer und ein Franzose. Dort fallen die militärischen Entscheidungen, die wichtigen, die echten Entscheidungen. Ein Staat, der dort nicht vertreten ist, ist letzten Endes an der eigentlichen Verfügung über das Schicksal der Truppen, die er stellt, nicht beteiligt.
— Nein, aber ein Staat wie Deutschland, der doch nicht nur einer der größten Partner ist, sondern schon durch seine geographische Lage der Partner ist, auf den es am meisten ankommt, sollte darin vertreten sein.
Man sollte doch auch dem Umstand Rechnung tragen, daß Deutschland der gefährdetste Partner ist Man sagt uns so oft: Ja, mein Gott, man kann doch die Geographie nicht korrigieren! Das ist richtig. Wenn man aber echte Partnerschaft will, muß man bereit sein, das natürliche Gefälle, das zu Lasten eines Partners besteht, durch zusätzliche Leistungen derer auszugleichen, die das können.
Es wäre noch einiges über die Industriebeschränkungen zu sagen, darüber, ob sie weiter bestehen bleiben werden oder nicht. Ich weiß nicht, ob man sich darüber schon geeinigt hat, ob hier präzise Vereinbarungen vorliegen oder ob man sich auch hier mit der Möglichkeit des Rückschlusses begnügen will. Ich weiß auch nicht, wie es mit der alliierten Sicherheitsbehörde ist, ob man präzise Zusagen hat, daß sie verschwinden wird, und zwar sogleich nach Inkrafttreten der Verträge, wenn diese abgeschlossen werden sollten. Wie gesagt, ich weiß das nicht; aber ich glaube, es wäre gut, wenn uns das heute gesagt werden könnte, und zwar nicht nur so, daß man etwa ausführt: Die Sicherheitsbehörde ist eine der Hohen Kommission unterstellte Behörde, die Hohe Kommission wird verschwinden, also auch die Sicherheitsbehörde. Das scheint mir nach der bisherigen Praxis der Besatzungsmächte keine ganz genügende Möglichkeit der Argumentierung zu sein.
Nun werden Sie sagen: Du hast hier sehr vieles ausgeführt, aus dem sich ergibt, daß wir nicht gleichberechtigt sind; aber gegeben den Fall, wir würden die volle Gleichberechtigung bekommen, würdest du dann zu einem deutschen militärischen Beitrag, wie er der Regierung vorschwebt, ja oder nein sagen?
Ich werde nein sagen, Herr Dr. Schröder,
nein sagen, weil die Gewährung der Gleichberechtigung doch nur eine der Voraussetzungen ist, die einen deutschen militärischen Beitrag sinnvoll machen könnten.
Die politischen und militärischen Voraussetzungen seiner möglichen Wirksamkeit sind nicht erfüllt. Denn was wir unter den gegenwärtigen Voraussetzungen aufstellen körnten, würde nicht Sicherheit schaffen, sondern nur den Schein der Sicherheit, den gefährlichen Schein der Sicherheit — eine verhängnisvolle Illusion.
Was hat man denn im Grunde ausgeführt, um das Ja zu begründen? Man hat gesagt: In Korea wird geschossen, in Indochina wird geschossen, in Agypten, in Tunis, überall ist die Hand des Kreml zu spüren.
— Jawohl, überall dort ist die Hand des Kreml zu spüren. Dort führt der Kreml den Kalten Krieg auf diese Weise, und er kann das, weil er sich dort des elementaren Bedürfnisses sozial deklassierter Bevölkerungen bedienen kann, die sich der Herrschaft der Latifundienbesitzer entziehen wollen,
und weil er sich dort des elementaren Freiheitsimpulses von Bevölkerungen bedienen kann, die endlich die Kolonialherrschaft loswerden wollen.
Es genügt doch nicht, zu sagen, wie in dem Memorandum gesagt ist: Es sind in der sowjetisch besetzten Zone soundsoviel Divisionen aufmarschiert — ein richtiger Offensivmarsch wurde das im Memorandum des Jahres 1950 genannt —, deswegen brauchen wir 12 deutsche Divisionen! Dabei wissen wir doch, daß diese 12 deutschen Divisionen vor zwei Jahren nicht einsatzbereit sein könnten, selbst wenn von heute ab alles wie am Schnürchen liefe. Und wer kann denn schon auf die Zeit von zwei Jahren im voraus politisch abschätzen, was dann politisch anstehen könnte.
Auf der andern Seite sagt man uns: Der Westen
ist viel stärker als vor zwei Jahren, also ist das
russische Risiko, anzugreifen, heute größer, also
der Angriff unwahrscheinlicher. Und nun die Folge-
rung: also erst recht jetzt, heute deutsche Divisionen!
— Nun können Sie weiterschließen, verehrte Frau Kollegin Weber: in zwei Jahren wird der Westen noch viel stärker sein, also das Risiko der Russen noch viel größer, also dann erst recht deutsche Divisionen!
Das ist doch keine Logik.
— Man kann doch so, Herr Schröder, weder für noch gegen argumentieren.
Man kann doch nicht an die Stelle von Argumenten Spekulationen setzen
und dadurch unser Verhalten bestimmen lassen.
Wir müssen doch zunächst einmal die Realitäten anschauen. Die erste Realität, vor der wir stehen, ist der Kalte Krieg.
Diesen kalten Krieg müssen wir gewinnen, und wir gefährden die Möglichkeit, ihn zu gewinnen, wenn wir den Glauben des Volkes erschüttern, daß sein Wille respektiert wird. Denn nur dann, wenn das Volk weiß, daß man seinen Willen respektiert, wird es die moralische Widerstandskraft aufbringen, ohne die der Kalte Krieg nicht gewonnen werden kann.
Wir gefährden die Möglichkeit, ihn zu gewinnen, wenn wir uns finanziell ruinieren und wenn wir vor lauter Divisionen vergessen, Herr Kollege, daß alle Soldaten nichts helfen werden,
wenn das Volk nicht von innen her gegen den demoralisierenden Sog immunisiert wird, der vom Osten her nach ihm greift.
Diese Immunisierung wird nur geschehen können, wenn das Volk sieht, daß man nichts von ihm verlangt, was nur sch e i n b a r e Sicherheit gibt,
— Herr Euler —, etwas verlangt, was nur scheinbar e Sicherheit gibt, aber unter Umständen — nutzlos — entsetzliche Opfer fordert, Opfer, die nicht einer wirksamen Verteidigung, sondern nur dem blutigen Flammensymbol einer Scheinverteidigung gebracht werden.
Echte Verteidigung, aber nicht symbolische Verteidigung,
das will das Volk!
Der Westen, sagen Sie, soll Deutschland militärisch stark machen; dann werden die Russen vernünftig werden. Wollen Sie ihnen denn ein Ultimatum stellen lassen? Sie glauben doch nicht, daß die Russen den Zuwachs der westlichen Kraft um 12 Divisionen nicht sehr bald ausgeglichen haben könnten!
Das ist doch reine Spekulation, und das befreit uns doch nicht von der Notwendigkeit, eine Politik zu treiben, bei der Divisionen nicht das einzige Argument zu sein brauchen!
Wenn ein deutscher militärischer Beitrag geleistet werden soll, dann doch nur dann, wenn wir nicht im Abstrakten,
sondern hier und jetzt von ihm erwarten können, daß er das leistet, was er leisten soll.
Das heißt, dieser Beitrag muß eine Chance geben, daß unser Land verteidigt werden kann.
Und was heißt denn verteidigen? Sehen Sie unser Land denn schon als verteidigt 'an, wenn bei uns auch deutsche Panzer herumfahren und schießen und hinhaltenden Widerstand leisten bis zurück an den Rhein?
— Herr Dr. Schröder, Verteidigung ist ein Inbegriff von -Maßnahmen, die eine vernünftige Chance dafür bieten, daß unserem Land das Schicksal, Schlachtfeld und nichts als ein Schlachtfeld zu werden, erspart wird! - -
Noch besser — Sie haben das gesagt, Herr Euler, da stimme ich Ihnen zu —: ein Inbegriff von Maßnahmen, die verhindern können, daß es überhaupt zum Kriege kommt.
Und — darin gebe ich Ihnen wieder recht, Herr Euler — diese Wirkung wird nur dann erzielt werden, wenn hier etwas aufgebaut wird und aufgebaut werden kann, was den Russen einen Angriff auf Deutschland verleidet, weil er mit zu großem Risiko verbunden wäre.
— Herr Strauß, gönnen Sie mir noch fünf Minuten!
Sie haben mit Recht gesagt, ein möglicher Weltkrieg wird in der letzten Schlacht entschieden. Aber, meine Damen und Herren, die letzte-Schlacht wird im Westen durch das militärische Potential von Staaten entschieden werden, die nicht nach der ersten Schlacht schon von den Russen besetzt worden sind.
— Oder glauben Sie, Herr Majonica, daß die Aussicht, daß bei der letzten Schlacht eines dritten Weltkrieges die Reste von zwölf ausgebrannten deutschen Divisionen dabei sein werden, es ist, was den Russen einen dritten Weltkrieg besonders riskant erscheinen lassen wird?
Unter dem Gesichtspunkt dieses Risikos werden die zwölf deutschen Divisionen für die Russen nur interessant sein, wenn sie wissen, daß diese deutschen Divisionen den Ausgang der e r st en Schlacht für sie, die Russen, schicksalsentscheidend machen könnten.
Denn nur dann würde Deutschland imstande sein, die militärische Kraft der westlichen Welt auch für die weiteren Kämpfe zu stärken.
Aber das können Sie nur, wenn die Angelsachsen
— um nur von diesen zu sprechen — jetzt schon so viel eigenes Risiko auf dem Kontinent engagieren, daß dies mit den zwölf deutschen Divisionen mengenmäßig die Streitmacht ergibt, die man braucht, um die Russen mit dem Risiko der e r s t en Schlacht zu schrecken.
Und da haben die Angelsachsen noch nicht getan, was getan werden müßte, und sie scheinen es auch nicht tun zu wollen. Ohne diese unlösliche Verknüpfung des Schicksals der Angelsachsen mit dem unseren, eine Verknüpfung durch Tatsachen, Herr Tillmanns, und nicht auf dem Papier,
werden zwölf deutsche Divisionen auf die Russen heute nicht mehr Schreckwirkung haben als eine Schreckschußpistole. Diese Erkenntnis ist eine schlimme Erkenntnis; aber wäre die Illusion
nicht viel schlimmer, ja noch verderblicher, wenn es nun keine militärische Chance gegen einen russischen Angriff geben sollte — nun, dann wird eben jeder von uns seine persönliche Entscheidung treffen müssen, — die er auch dann würde treffen müssen, wenn bei einer Invasion Deutschlands auf Grund einer mit ungenügenden Kräften geführten Verteidigung dieses Land auch besetzt würde. Da mag nun jeder für sich seine Entscheidung treffen; aber keiner von uns hat das Recht, von den Menschen unseres Volkes zu verlangen, daß sie sich zu Krüppeln schießen lassen ohne militärischen Sinn, ohne Verteidigungseffekt, nur mit der Wirkung doppelt verbrannter Erde, nur um einer symbolischen Wirkung willen!
Nun haben Sie an uns die Frage gestellt: Was habt ihr denn an positiven Vorschlägen zu bieten?
— Herr Hasemann, ich werde versuchen, Ihrer Neugier gerecht zu werden. Ich weiß, sie ist außerordentlich groß, und ich werde mich schon anstrengen müssen.
Nun, ein positiver Beitrag ist doch wohl schon der, daß wir gegenüber der doch recht voraussetzungslosen Bereitwilligkeit der letzten 2 Jahre, auf das Ansinnen des Westens einzugehen, Ihnen einige Voraussetzungen entwickelt haben, die auch Sie sich nun zu eigen gemacht haben. Das ist schon etwas! Und ein Zweites: Herr Strauß, Sie sagten gestern, es trenne uns doch eigentlich fast nichts in dieser Beurteilung der Voraussetzungen.
— Nun. Herr Strauß, die Gleichheit der gewählten Worte ist noch nicht unbedingt eine Identität der eingenommenen Positionen!
— Herr Strauß, ich fürchte, Sie begnügen sich eher mit Worten als wir, und ich fürchte, wir verlangen mehr Beweise von Tatsächlichkeit als Sie.
Ihnen genügt es vielleicht — es hatte den Anschein —, daß man von Gleichberechtigung spricht, und da muß man eben dann die Fakten biegen, bis sie unter die Prämisse passen. Wir schauen uns an, was wir zu leisten haben,
Ein weiterer positiver Beitrag, meine Damen und Herren, ist unsere Forderung nach Neuwahlen,
denn Neuwahlen sind das einzige demokratische Ventil für die Massen unseres Volkes.
Sie wissen, wie das Volk denkt,
und Sie wissen auch, daß nicht alle, die anders denken als Sie, von den Kommunisten aufgehetzt sind.
Versagen Sie dem Volk dieses Ventil und geben Sie damit dem Volk die Gewißheit,
daß in dieser Entscheidungsnot über seinen Kopf weg entschieden wird, dann hilft man dazu — ob man will oder nicht —,daß die Leute aus ganz verschiedenen Motiven, die nicht immer die der KPD sind, auf Reaktionen verfallen, die die Demokratie gefährden könnten.
Das Geschrei „Ohne mich" ist weithin die Kehrseite eines „Unter allen Umständen", das das Volk aus Ihren Reden heraushört, auch wenn Sie es nicht so meinen sollten.
Haben Sie denn den Beitrag vergessen, den wir dadurch für die Sicherheit Europas geleistet haben, daß wir durch unser Verhalten verhindert haben, daß die Kommunisten in Deutschland eine Massenpartei werden konnten wie in Frankreich oder Italien?
Und leisten wir keinen positiven Beitrag durch unsere Bemühungen, eine illusionistische Sicherheitspolitik zu verhindern? Sie meinen, ein wenig Sicherheit sei mehr als gar nichts. Nun, die Hälfte des für die effektive Verteidigung Notwendigen gibt nicht halbe Sicherheit, sondern nur die Gewißheit zehnfacher Zerstörung, zehnfach verbrannter Erde.
Weil wir uns daran nicht schuldig machen wollen, weil man sich nicht in einer Armee zusammenschließen kann mit einer Macht, deren erklärtes Ziel es auch heute noch ist, ein Stück deutschen Landes für immer von Deutschland loszureißen, weil man echte Partnerschaft nicht auf zweierlei Maß aufbauen kann, weil man um des bloßen Scheins einer Sicherheit willen dieses Volk nicht der Gefahr einer Verhundertfachung seines Leidens aussetzen darf — einer von Ihnen nicht gewollten Gefahr, meine Damen und Herren —, und weil wir überzeugt sind, daß unser Nein und unsere Verweisungen auf das Recht des Grundgesetzes die Voraussetzungen für eine wirksame Sicherheitspolitik schaffen können, darum sagen wir zu dem militärischen Vorhaben der Bundesregierung: Nein!