Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuvor einige Bemerkungen den Kollegen gegenüber, die gestern und heute die Freundlichkeit hatten, die Tätigkeit der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas" in ihren Reden zu erwähnen. Eigentlich müßte ich mich ja für diese Propaganda bedanken, denn als die Notgemeinschaft im November gegründet wurde, schrieb eine westdeutsche Zeitung: „In Bonner Parlamentskreisen mißt man der Notgemeinschaft keine große Bedeutung zu". Aber ich kann Sie über Charakter und Umfang der Notgemeinschaft beruhigen. Sie besteht aus genau 10 Mitgliedern, die verschiedensten Parteien und Konfessionen angehören und die — das dürfen Sie glauben — nach ihrer politischen Einstellung völlig einwandfrei sind. Durch diese 10 Träger der Notgemeinschaft sind wir vor jeder Gefahr einer Unterminierung gesichert. Natürlich kann sich jeder zu den Zielen der Notgemeinschaft bekennen, wenn er sie für richtig hält. Und wenn, Herr Kollege Kiesinger, auch ehemalige Berufssoldaten bis zu den höchsten Chargen gegen die Wiederaufrüstungspolitik der Bundesregierung sind,
— ist das so überraschend, und sollte sich diese Tatsache noch nicht bis zu diesem Hohen Hause herumgesprochen haben?
— Wenn die Notgemeinschaft einen so starken Anklang findet, wenn bei ihren Versammlungen die größten Säle überfüllt sind, — —
— Fragen Sie doch einmal sich selbst, ob es nicht die unruhig gewordenen, in Angst und Sorge lebenden Menschen sind, die von Ihnen nicht aufgeklärt worden sind,
wie Kollegin Brauksiepe selber erklärt hat! Hier
kann man doch nur das eine sagen: es ist die
Schuld und es ist das Versäumnis der die Regierung tragenden Parteien, daß sie es nicht verstanden haben, für ihre Politik das entsprechende Echo zu finden.
Nicht zuletzt dürfte es doch nicht uninteressant sein, daß sich Menschen aus allen Parteikreisen der Notgemeinschaft zur Verfügung stellen, und, meine Herren von den Regierungsparteien, staunen Sie doch einmal! Ihre Vertreter in der Bürgerschaft sogar, Ihre Landtagsabgeordneten, Ihre Ortsparteivorsitzenden leiten die Versammlungen dieser Notgemeinschaft!
Sie haben also nicht das Recht, hier von einer Arbeit zu sprechen, die verhängnisvoll sei! Ich bin der festen Überzeugung: man wird uns noch einmal dankbar sein, weil wir den Mut gefunden haben, die Menschen vor der Propaganda der Kommunisten zu bewahren.
Aber lassen Sie mich auch noch eines sagen, Frau Kollegin Brauksiepe. Ich kann aus meiner mehr als 37jährigen politischen Vergangenheit einige Fakten anführen.
Ich, meine Damen und Herren, habe 1933 als preußische Landtagsabgeordnete den Mut gehabt, dem Ermächtigungsgesetz des Herrn Goring nicht zuzustimmen!
Fragen Sie einmal die Kolleginnen und Kollegen aus Ihren Parteien, wer das gemacht hat!
Ich habe den Mut gehabt, weil ich als national unzuverlässig galt, mit nur 80 Pfennig Stundenlohn in einem Krankenhaus anzufangen, und ich war froh, wenn ich mal 100 Mark im Monat hatte! Und noch ein Letztes, Frau Kollegin Brauksiepe: Erkundigen Sie sich mal bei Frau Kultusminister Teusch, ob ich es nicht gewesen bin, ob ich nicht, als sie im Krankenhaus Neheim-Hüsten verhaftet war, zu ihr gefahren bin in der Erwartung, dann selbst verhaftet zu werden!
— Ich mußte einmal etwas aus der Vergangenheit erwähnen, weil hier in Pathetik gemacht wird, auch von Kollegen, die auf Grund ihrer politischen Vergangenheit nicht so einwandfrei auftreten können.
Aber nun zum eigentlichen Thema. Bei meinen Ausführungen, die ich zum Für und Wider eines deutschen Verteidigungsbeitrags machen möchte, geht es mir nicht um das Problem der Wehrlosigkeit, sondern um die Frage, ob die Aufrüstung und Eingliederung der Bundesrepublik in den Westblock angesichts des zweigeteilten Deutschlands nicht nur für Deutschland, sondern überhaupt in der gegenwärtigen Weltsituation der rechte Weg ist, um die Freiheit und den Frieden zu sichern. Der Grundsatz des Verteidigungsrechts eines Volkes und Staates soll in keiner Weise verneint werden.
Auch muß gesagt werden, daß es begreiflich ist, wenn der Herr Bundeskanzler und deutsche Politiker den Standpunkt vertreten, Westdeutschland dürfe sich als unmittelbarer Nachbar der sowjetischen Satellitenstaaten sowie der sowjetisch besetzten Ostzone zum Zwecke der militärischen Verteidigung gegenüber dem Osten einer Aufrüstung nicht entziehen; einer Staatsführung müsse bei dieser Lage das Recht zuerkannt werden, um ihren Auftrag der Erhaltung von Recht, Freiheit und Frieden durchführen zu können.
Von meinen Vorrednern ist das Für und Wider einer deutschen Aufrüstung von den verschiedensten Gesichtspunkten aus dargelegt worden. Es ist von den Vorschußleistungen gesprochen worden, die man von uns verlangt, von der uns nicht gewährten vollen Souveränität im Generalvertrag, von der Frage, ob die Wehrpflicht nach dem Grundgesetz möglich ist, von den finanziellen Lasten, die uns die Aufrüstung auferlegt und die notwendigerweise unsere sozialen Möglichkeiten beschränkt. So wesentlich alle diese Gesichtspunkte sind, so scheint mir doch das Gewicht darauf zu liegen, ob durch einen deutschen Verteidigungsbeitrag die Friedenschancen verstärkt oder die Möglichkeiten eines Krieges vermehrt werden.
In dieser ernsten und verantwortungsvollen Debatte sollten wir, meine Damen und Herren, eines als selbstverständlich voraussetzen — jedenfalls tue ich es —: daß jeder, ob er für oder wider die Aufrüstung spricht, von dem ernsthaften Bemühen erfüllt ist, dem deutschen Volke den Frieden zu erhalten, und auch wer anderer Meinung ist als der Herr Bundeskanzler, sollte jeden Vorwurf zurückweisen, daß der Herr Bundeskanzler nicht von ehrlichem Willen erfüllt ist, durch seine Politik dem deutschen Volke den Frieden zu sichern. Wir sollten nicht die Methode der Diffamierung benutzen, wenn es um die Schicksalsfrage unseres Volkes geht.
Ein weiteres möchte ich den Abgeordneten der KPD sagen. Wären Sie nicht in dieser einseitigen Weise die Satelliten der Sowjets, würden Sie nicht diese gehässige Propaganda gegen alles machen, was im Westen geschieht, dann wäre höchstwahrscheinlich der Wille des deutschen Volkes zur Verständigung mit dem Osten stärker. Wenn Herr Reimann nach seiner gestrigen Rede dafür sorgte, daß in der Ostzone die politischen Gefangenen aus den Zuchthäusern entlassen würden, daß die in _ Rußland noch zurückgehaltenen Kriegsgefangenen endlich zurückkämen, hätte er mehr Berechtigung, so zu sprechen, wie es gestern geschehen ist.
Sie, Herr . Reimann, werfen dem Herrn Bundeskanzler Amerikahörigkeit vor und sprechen gleichzeitig von dem „großen Stalin". So geht es nun auch nicht, meine Herren von der KPD!
Meine Damen und Herren! „Man dürfe niemals daran denken" — so schrieb in diesen Tagen Liddell Hart in der „Daily Mail" — „wie gewisse Ereignisse auf einen selbst wirken; man müsse sich auch immer in das Denken des andern einfühlen." Gerade wir Deutschen sollten aus den Erfahrungen einer schweren Vergangenheit heraus am ehesten beurteilen können, daß in Liddell Harts Mahnung viel Wahrheit steckt. So scheint es mir notwendig zu sein, daß im Hinblick sowohl
auf den Westen wie auf den Osten die Besonderheit der deutschen Lage, nämlich des zweigeteilten Deutschlands, in den Überlegungen über eine Wiederaufrüstung gesehen werden muß. Wir haben gestern gehört, daß der Herr Bundeskanzler den Standpunkt vertritt, westdeutsche Aufrüstung und Eingliederung in den Westblock sei der Weg zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. Der „Münchner Merkur" brachte am 31. Januar 1952 Ausführungen der Schweizer Zeitung „Die Tat". Darin heißt es — ich möchte es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen —:
Die Westmächte haben bisher großes Gewicht darauf gelegt — und Frankreich ganz besonders —, daß die Integration Westdeutschlands in das geplante neue Europa nur als Gesamtheit konzipiert werden dürfe . . Adenauer hat sich damit einverstanden erklärt. Er tat dies in der Absicht, Westdeutschland unlösbar mit dem Westen zu amalgamieren. Dieser Absicht brachte er ein gewaltiges Opfer dar: er verzichtete stillschweigend auf die Einheit Deutschlands,
auf die Möglichkeit, den geteilten Staatskörper Deutschlands je wieder zusammenzufügen. Denn in dem Augenblick, da deutsche Truppen im Rahmen der Europa- Armee dienen und die deutsche Schwerindustrie mit den Montanindustrien des übrigen Westeuropa vereinigt
ist, muß die Sowjetunion jedes Interesse an
einer noch so problematischen Freigabe der sowjetischen Zone Deutschlands oder an einer Revision der Oder-Neiße-Grenze verlieren. Adenauer brachte diese Opfer um den Preis der Gleichberechtigung.
Das steht in einer Zeitung, von der man nicht sagen kann, daß sie kommunistisch sei.
Hier liegt der Kernpunkt der Frage: wird es nach der Eingliederung Westdeutschlands in den Verteidigungsblock des Westens ohne die Gefahr eines Krieges, d. h. auf friedliche Weise möglich sein, die Russen zu veranlassen, ihre Zustimmung zu gesamtdeutschen Wahlen und damit zur Befreiung der 18 Millionen Menschen in der Ostzone von dem sowjetischen System zu geben? Werden nicht vielmehr die Russen — und diese Frage müssen wir uns doch auch einmal stellen — aus Angst vor einem aufgerüsteten Westdeutschland die Ostzone als Faustpfand behalten und ihrerseits nun in weit verstärktem Maße als bisher aufrüsten? Gegen westdeutsche Divisionen können ostdeutsche gesetzt und so d:e deutschen Menschen hier und drüben in den Rüstungsaufmarsch der Weltmächte einbezogen werden. Wir stehen hier vor der Frage, ob die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nicht in Frage gestellt wird, wenn West- und Ostdeutschland in die Blockbildungen der Weltmächte eingruppiert sind. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist aber nicht nur ein brennender Wunsch des deutschen Volkes, sondern würde eine akute Gefahr des Weltfriedens beseitigen.
Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hohen Hause am Mittwoch die Notwendigkeit gesamtdeutscher Wahlen mit dem Ziel der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung erneut angesprochen. Wir sind uns dabei durchaus der Schwierig-
keiten bewußt, die der Erreichung dieses Ziels entgegenstehen. Daß es nicht erreicht werden kann ohne die Zustimmung, d. h. gegen den Willen Rußlands, ist nun einmal eine Realität, die gesehen werden sollte.
Ebenso scheint es mir eine Realität zu sein, daß Rußland aus Angstgefühl und Sicherheitsbedürfnis heraus nicht ohne weiteres bereit sein wird, seine Zustimmung zu gesamtdeutschen Wahlén und damit zur Preisgabe seines Systems in der Ostzone zu geben, wenn Westdeutschland jetzt aufrüstet. Also steht die Frage so: Ist Rußland bereit, eine gesamtdeutsche Regierung aus freien Wahlen entstehen zu lassen und damit das kommunistische System in Deutschland zu opfern — hören Sie gut zu, Herr Renner —, wenn der Westen als Preis dafür den Verzicht auf westdeutsche Aufrüstung anbietet? Das müßte aber auch bei den Bemühungen, festzustellen — darauf kommt es doch an —, ob eine Verständigung mit Rußland zu erreichen ist, ausgesprochen werden.
Meine Damen und Herren, die Wiedergewinnung von 18 Millionen Deutschen für die Ordnung der freiheitlichen Demokratie für den Westen scheint mir ein größerer Vorteil für die Erhaltung und Sicherung des Friedens zu sein, als es die Eingliederung von West- und Ostdeutschland in den Rüstungswettlauf der beiden Mächtegruppen bieten kann.
Entsteht aber heute eine westdeutsche Armee, dann scheint mir diese Chance der Zukunft von vornherein ausgeschlossen zu sein.
Gegenüber dem Argument, daß ein unbewaffnetes Deutschland
— meine Damen und Herren, ich gehöre nicht zu den Neutralisten, um das einmal festzustellen!
daß ein unbewaffnetes Deutschland mit sehr viel — —
— Hören Sie doch einmal zu! Sie können ja gar nicht mehr ruhig zuhören. Sie meinen nur, alles müsse von vornherein klar sein!
Gegenüber dem Argument, daß ein unbewaffnetes Deutschland nach Durchführung gesamtdeutscher Wahlen ein Opfer des Bolschewismus werden könnte, ist zu antworten: Eine gesamtdeutsche Regierung bedeutet keine Neutralisierung, denn Deutschland wird auch unter einer gesamtdeutschen Regierung bis zu einem Friedensvertrag besetztes Land bleiben. Alle Fragen der Sicherung Deutschlands und seiner Nachbarn werden erst dann akut, wenn eine Entspannung unter den Weltmächten den Abschluß eines gemeinsamen Friedensvertrags
mit Deutschland
und eine gemeinsame Räumung seiner Gebiete erlaubt.
Wenn es mit Übereinstimmung aller vier Besatzungsmächte zu einer Räumung Deutschlands kommt, dann entsteht die Frage des Schutzes und seiner Sicherung gegen eine Antastung seiner freiheitlichen Ordnung oder seiner Gebiete. Wenn aber die vier Besatzungsmächte — ich sage: die vier Besatzungsmächte — sich über eine gemeinsame Räumung Deutschlands verständigt haben, dann sieht die Welt anders aus,
und nicht mehr so gefahrvoll wie heute.
Sie werden mir vielleicht sagen — das möchte ich Ihnen auch noch zugeben —, diese meine Ausführungen berücksichtigten nicht genügend die' Realität eines kommunistischen Systems
mit seinen weltumspannenden revolutionären Zielen. Die „Hamburger Freie Presse" schrieb am 16. November 1951:
Es gibt in der Tat nur zwei Wege zur Beseitigung der Gefahr eines Krieges. Der eine heißt radikaler Abbau der Rüstungen, um die Gefahr der Selbstentladung, die in diesen Rüstungen liegt, zu vermindern, der andere heißt Wiederherstellung eines Vertrauens, gegründet auf der Erkenntnis, daß die Erde Raum genug hat nicht nur für eine Weltmacht und nicht nur für eine Weltideologie.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Der Tenor dieser Debatte heißt doch von uns allen: sich retten vor einem Krieg! Das ist es, worum es in der Sache Deutschlands und Europas heute geht.
Denn Europa hat keine Zukunft als nur eine Zukunft in Frieden.
Zu dieser Erkenntnis kommt noch eine zweite, mit der ich schließen möchte: Krieg löst nicht die Streitfragen der Völker! Abraham Lincoln schrieb am 4. März 1861:
Gesetzt, ihr entschließt euch zum Kriege. Ihr könnt nicht immer weiter kämpfen und wenn ihr — nach mancherlei Verlust auf beiden Seiten und keinerlei Gewinn hüben und drüben — den Kampf einstellt, dann stehen dieselben alten Fragen nach den Bedingungen des Zusammenlebens wieder vor euch!
Vizeprasident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.