Rede von
Aenne
Brauksiepe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen!
Wenn ich in dieser Stunde dem so erregten Gespräch der Männer als Frau etwas hinzufügen möchte, dann darum, weil der Bundestag an dem inneren Kampf zwischen Herz und Verstand, der sich in den letzten Wochen in unzähligen Frauenherzen entsponnen hat, am Widerstreit der Gedanken und Gefühle nicht vorübergehen kann und weil ich der Meinung bin, daß das Ja zum kleineren Übel nicht nur von den Männern gesprochen werden muß.
Die Frauen sind zu allen Zeiten, vor allem aber an den Kreuzpunkten ihrer Geschichte, die unsichtbaren Pfeiler der Geschichte gewesen,
von deren Tragfähigkeit unendlich viel abhängt, mehr, als man sich seit der letzten Bundestagsdebatte im November 1950 offenbar hier klargemacht hat. Damals wie heute verfolge ich mit steigender Erregung, wie man sich landauf, landab und wiederholt auch bei den Neinsagern dieses Hauses von der ursprünglichen Frage entfernt und wie sich diese Verlagerung von dem absoluten Ausgangspunkt in unserem Volke bereits verhängnisvoll auswirkt. Meine Herren und Damen! Man soll uns Frauen nicht fragen, welchen Beitrag wir zum Krieg zu geben bereit sind, sondern was wir für den Frieden zu geben bereit sind.
Erst wenn wir von dieser Ausgangsfrage her den tiefen Sinn der Sicherung des Friedens, vor allem aber des friedendienenden Verteidigungsinstruments aufhellen, dann werden sich auch die zaghaftesten unter den Frauen wieder ihrer Tapferkeit entsinnen, die immer dann in den Herzen der Frauen aufgebrochen ist, wenn' sie von tiefem Erbarmen mit der Not ihres Volkes erfüllt waren. Stattdessen — und das bedaure ich auf das tiefste — hat man hier versäumt, früh genug und klar _genug der Infiltration der Angstpropaganda von der anderen Seite ein kontinuierliches und gelassenes Aufklären entgegenzusetzen, eine Informationsarbeit entgegenzusetzen, die von vornherein Klarheit auch bei den zaghaften Frauen geschaffen hätte; statt dessen hat man es zugelassen, daß eine geradezu babylonische Sprachverwirrung um sich gegriffen hat, daß man mit gleichen Vokabeln im doppelten Sinn arbeitet, daß man mit abgewerteten Schagworten uns Frauen zu bearbeiten versuchte, und wir haben dem nicht beizeiten die ganz klare Antwort entgegengesetz, die wir alle in Zeiten der Not fordern.
Wenn wir eines Tages — wir brauchen es noch nicht heute — aber wenn wir eines Tages das Ja von allen Frauen haben wollen, das freiwillige Ja zu dem der Sicherung des Friedens dienenden Verteidigungsinstrument, das Ja auch von den 750 000 Witwen, das Ja auch von den Frauen, die heute noch auf die Heimkehrer warten, das Ja auch von all denen, die nach wie vor in die Gefangenenlager Pakete schicken, dann allerdings müssen wir anfangen, die hieb- und stichfeste Sprache, die gestern hier von vielen meiner Kollegen gesprochen wurde, mutvoll und furchtlos in die Öffentlichkeit hineinzutragen und der irreführenden KPD-Propaganda, die auch den Frieden, aber den Kirchhofsfrieden will, unsere Auffassung vom Frieden entgegenzusetzen.
Ebenso furchtlos und klar muß man den Frauen und Männern im Lande die Sinnlosigkeit der von Frau Wessel eingeschlagenen Wege klarmachen,
die weiß Gott in dieser Stunde ihrem Volke einen schlechten Dienst erwiesen hat.
Fast bin ich versucht zu sagen, verehrte Frau Kollegin: wenn Sie Ihren Standpunkt und Ihre Zukunftsillusionen hier am Pulte klarmachen wollen, dann müßten Sie schon beinahe mit Flügeln hier
herüberfliegen; denn ihre Füße erreichen schon gar
nicht mehr den Boden der konkreten Wirklichkeit.
Sie reden und reisen durch das Land, als seien seit 1946 — und damals sah noch manches nach Sanftmut aus, was längst demaskiert ist! — weder eine Luftbelagerung Berlins noch ein Bürgerkrieg in Griechenland noch die Putsche in Prag, in Warschau, in Bukarest und in Budapest gewesen, sei endlich und nicht zuletzt, was in Korea ist, nicht geschehen.
Sie scheinen mit den Leuten, die Ihnen Glauben
schenken, gutgläubiger zu sein als viele von uns.
Wir versuchten, aus der Vergangenheit etwas zu
lernen und in die Zukunft hinein zu bauen. Aber
ich bezweifle — das sage ich hier ganz aufrichtig
— den echten Friedenswillen des Ostens, der so häufig in schamloser Offenheit die wegweisenden Leitsätze in die Welt hineingesprochen und -geschrieben hat. Und wenn die Tatsachen seit 1946 nicht ausreichen sollten, so würde vielleicht ein Hinweis aus dem „Wörterbuch der Fremdsprachen" vom Moskauer Staatsverlag, Seite 484, ausreichen, um den Gutgläubigen einmal zu sagen, was man selbst dort drüben z. B. über den Pazifismus denkt.
Pazifismus
— heißt es dort —
ist eine bourgeoise Bewegung, die sich jedem Krieg widersetzt. Indem sie sich heuchlerisch hinter dem Wort „Pazifismus" verkriechen,
— heißt es da weiter —
sträuben sich diese Reaktionäre gegen Kriege der nationalen Verteidigung,
Kriege der Revolution, Bürgerkriege und andere gerechte Kriege,
deren Ziel es ist, die Völker aus der kapitalistischen Versklavung zu befreien, die Kolonialländer und die von der kapitalistischen Unterjochung abhängigen Gebiete zu befreien. So trägt die Politik der Pazifisten
— heißt és wörtlich —
zu den ungerechten kriegerischen Aggressionen der Imperialisten bei.
Wörtlich im Buche nachzulesen! Vielleicht nicht am wenigsten interessiert eine andere Stelle aus der „Theorie und Praxis unserer Partei". Sie werden es besser kennen als ich; ich muß es leider ablesen. Da steht:
Die Stellung des Marxismus und Leninismus
zum Kriege: Aus vielen Beispielen
— wörtlich — _
geht hervor, daß wir niemals mit einer Schablone an einen Krieg herangehen dürfen, sondern jeweils konkret untersuchen müssen, ob der Krieg einen gerechten oder ungerechten Charakter trägt.
Und jetzt kommt das Wesentliche:
Dabei spielt die Frage des Angriffs- oder Verteidigungskrieges gar keine Rolle.
Meine verehrten Zuhörer! Diese Worte reden für jene, die der Praxis nicht glauben konnen, die der Theorie eher glauben wollen. Es ist eine wahrhaftig offene und unzweideutige Sprache. Die Leute hinter dem Eisernen Vorhang, vor allem aber die Frauen, kennen diese Sprache zur Genüge. Wahrhaftig, Frau Wessel, Sie haben auch den Frauen hinter dem Eisernen Vorhang einen schlechten Dienst erwiesen.
Wir aber nehmen diese Worte, diese Definitionen ganz klar in uns auf und ubermitteln sie ebenso klar auch den zaghaftesten Frauen. Darum knupfe ich an das, was mein Kollege Strauß gestern hier leidenschaftlich vorgetragen, hat: Diese von uns langst durchschaute Ostpropaganda ist es gewesen, die die wahre Notgemeinschaft hergestellt hat, die die wahre Notgemeinschaft hier schmieden geholfen hat. In der Notgemeinschaft sind alle Frauen des Westens einbegriffen,
nicht nur die deutschen Frauen und Mütter; in dieser Notgemeinschaft sind die Frauen, aller westlichen Lander, nicht wir deutschen Frauen allein. Es geht ja gar nicht nur um Deutschland; denn Deutschland ist nicht der Mittelpunkt der Welt. In diesen Stunden der kommenden politischen Entscheidung geht meine Sorge genau so gut nach Frankreich, diesem Lande, daß trotz der vielen hrschutterungen einen so kraftvollen Aufbruch in der Familienbewegung gezeigt hat.
geht meine Sorge ebenso gut nach Italien, das von
Kommunisten durchsetzt ist und in dem so unsterbliche Werte von dem Geist getragen sind,
den wir unter allen Umständen zu erhalten suchen.
Diese Notgemeinschaft verbindet uns Frauen und Manner des deutschen Volkes mit all jenen Ländern, in denen die moralische Kraft noch von dem unzahmbaren Drang nach der Sicherung der Familie, der freien Persolnichkeit und des christlichen Menschenbildes überhaupt erfüllt ist.
In dieser Stunde möchte ich dem Bundeskanzler die Versicherung geben: es gibt noch eine Phalanx von Frauen,
denen die Sicherung dieser Werte heilig ist, eine Phalanx von Frauen, zusammengeschmiedet mit tapferen Herzen, und dahin gehoren nicht zuletzt die Mütter derer, die in Korea kämpfen.
Sagen wir doch nicht fortgesetzt: Wir gehen nach Europa.
Ich sage in dieser Stunde: Wir brauchen nicht erst nach Europa zu gehen, wir sind mitten drin in Europa!
Wir gehören schon längst dazu, und wir sind einander so nah in der wachsenden Sorge über die Gefahrdung und Sicherung des Friedens und der Freiheit. Wenn wir Europa meinen, haben wir
eine Konzeption. Der Regierungschef h a t eine Konzeption von Europa; der Negierungschef hat sie nicht.
Immun geworden, schon längst immun geworden, und in dem zähen Daseinswillen, der zum Ausdruck gekommen und uns offenbar geworden ist, angefangen bei dem beispielhaften Kampf um Berlin bis zum letzten Eigenheimsparer hier in Deutschland, und in der tausendfach erwiesenen heimschaffenden Kraft unserer Frauen lassen wir uns in gar nichts mehr lähmen. Von hier aus, glaube ich, wird eines Tages, wenn es von uns gefragt ist — heute wird lediglich darüber debattiert —, auch vielleicht manch eine Frau das Ja finden.
Meine Herren und Damen! Es gehört in der Tat sehr viel Böswilligkeit dazu, den Befürwortern eines deutschen Friedensbeitrags, eines — das wiederhole ich immer wieder — dem Frieden dienenden Verteidigungsinstruments, das gelassen und ernst seine Wächteraufgabe erfüllt, zu unterschieben, sie wollten nicht den Frieden. Niemand unter den vielen Nein-Sagern im Lande oder hier im Hause, niemand unter den Neutralitätsaposteln war einfallsreich genug, etwa eine europäische Wach- und Schließgesellschaft zu erfinden, die für uns, aber ohne unser Dazutun, auf Wache gezogen wäre und uns vor Überraschungen behütet hätte.
Das Ja ist allerdings ein Risiko, aber es fand sich kein geringeres. Die Lösungen, die angeboten wurden, sind keine Lösungen. Niemand nimmt uns hier die geschichtliche Notwendigkeit des Ja- oder Nein-Sagens ab, und ein Ausweichen in die Neutralität ist nicht möglich. Das werden Kollegen von mir noch erläutern, die es wahrscheinlich viel besser können als ich.
Eines aber ist in dieser Auseinandersetzung und in dieser Debatte wichtig: die Freiheit, Ja sagen zu können. Das ist das große Privileg vor den Völkern, die längst nicht mehr die Freiheit haben, das ich persönlich empfinde: die Freiheit, ungestraft über eine so lebenswichtige Aufgabe das Ja oder das Nein zu künden.
Noch können wir Menschen einer freien Welt, als sittlich freie Persönlichkeiten geachtet, unser Opfer freiwillig bringen, das wir vielleicht eines Tages nicht mehr freiwillig bringen können und in zehnfacher Höhe zu bringen gezwungen werden.
Von diesem Blickpunkt aus betrachtet mag es mancher Frau leichter sein, das Wort, von zwei Übeln das kleinere zu wählen, eines Tages gelassen zu überdenken. Von da aus findet sie vielleicht eher die Bereitschaft, sich für den Frieden zu entscheiden, den wir meinen, und nicht für den Kirchhofsfrieden, den die anderen mit leeren Parolen propagieren. Für diesen Frieden werden wir auch die Opfer bringen können, um die Wächter auf die Beine zu stellen, damit nie wieder an unseren Grenzen das furchtbare Wort in die Ohren der Frauen hineingeht: „Frau, komm mit!"
Wenn die christlichen Frauen in den kommenden Wochen und Monaten ihr klares und freiwilliges Ja sagen sollen, dann kommt es tief und mutig und klar, wenn sie erfahren, daß die hier zu treffenden
politischen Entscheidungen, die einen so hohen Mut erfordern, ihnen nach menschlichem Ermessen die Ruhepause sichern, die sie nach dem Schock und nach der Zerstörung weiß Gott verdient haben, wenn die politischen Entscheidungen, die hier getroffen werden, basieren auf dem unbeirrbaren Glauben an die Unantastbarkeit der freien Persönlichkeit und an die unzerstörbaren Werte, die eine Familie innerhalb des Volkes und der Völker wahrhaftig bedeutet. Dann werden die Frauen nicht nur mit dem Herzen ihr Ja sagen, aber auch nicht, wie soviele Männer, nur mit dem Verstand; dann werden sie, so hoffe ich, mit beherztem Verstand an die Dinge herangehen.
Meine verehrten Zuhörér! Wenn ich in diesem Augenblick diese meine Meinung zur Opferbereitschaft, zum Frieden zum Ausdruck bringe, dann als eine Frau, die in einer Stadt gewählt wurde, die zu den schwerst heimgesuchten Orten dieses Landes gehört, dann als eine Frau, die die Endphase des wahnwitzigen totalen Krieges im Ruhrkessel erlebt hat. Der totale Krieg bedeutet ja heute für die Frau nicht mehr nur, daß sie als Frau und Mutter getroffen wird, d. h. daß sie ihren Sohn oder ihren Mann verliert; im totalen Krieg wird sie selber preisgegeben. Ich sage das als eine Frau, die monatelang gewartet hat, bis sie ihren anfänglich vermißten Mann fand. Ich komme und spreche im Namen sehr vieler Frauen der Stadt, die mich gewählt hat, der Stadt, die noch in der vergangenen Woche um des Friedens und nicht um des Krieges willen, unabhängig von Konfession oder Partei, einstimmig eine Orgel für das großzügige Mahnmal der Weltfriedenskirche in Hiroshima gestiftet hat, aus dem Friedensgedanken und nicht aus dem Kriegsgedanken. Weil mich das zutiefst erfüllt, weil mich das bis in mein Innerstes bewegt, stehe ich hier auf und bringe diesen winzigen Beitrag der Frau zum Gespräch der Männer.