Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Erörterung, glaube ich, ist etwas über das hinausgegangen, was heute überhaupt erörtert werden kann. Wir stehen noch nicht unmittelbar vor Abschlüssen von Verträgen;
so handelt es sich um Entscheidungen, die weder paraphiert noch unterzeichnet sind; es handelt sich vielmehr um unsere Stellungnahme in einem Vor-oder Zwischenstadium der politischen Entwicklung, das erst demnächst zu bestimmten Niederschlägen in Verträgen und Abmachungen führen soll. Wenn das aber so ist, dann scheinen mir Darlegungen, die sich schon mit den weitestgehenden Ausführungsbestimmungen, etwa mit der Bremsvorrichtung von Panzerfahrzeugen und dergleichen, beschäftigen, nicht ganz zeitgemäß zu sein.
Man verliert sich nämlich damit in Details, in technische oder auch in juristische Einzelheiten, die von dem ablenken, was von uns eigentlich hier an Grundsatzerklärung zu geben ist.
Es kommt hier nicht darauf an — und darauf will ich meine Ausführungen abstellen —, Rezepte zu verschreiben, sondern Tendenzen zu erregen.
Und die allgemeine Tendenz, die erregt werden muß, das ist die Einsicht in unsere eigene geschichtliche Situation.
Hier gibt es zwei Wege zu unterscheiden, zwei Gänge der Entwicklung, die sich gegenwärtig überschneiden. Es geht auf der einen Seite darum, aus dem Abgrund, in den uns ein furchtbares Schicksal gestürzt hat, herauszukommen zu einer eigenstaatlichen Entwicklung, zu einer selbständigen und freien Volksordnung nach unseren eigenen Überlegungen; auf der anderen Seite gilt es, die Sicherheit für eine solche freiheitliche Entwicklung unseres eigenen Volkes nicht nur durch Bekenntnisse und papierne Deklamationen zu erreichen, sondern sie zu sichern, indem wir sie hineinstellen in die Solidarität einer kollektiven Sicherheit der freien Welt.
An diesem Schnittpunkt der Entwicklung stehen wir, und um sie hat die Auseinandersetzung zu gehen.
Da sollten wir doch nicht vergessen, welchen Weg wir zurückgelegt haben. Wissen Sie noch, meine Damen und Herren, wie die Dinge im Frühjahr 1945 ausgesehen haben? Und wissen noch diejenigen, die hier mit im Parlamentarischen Rat waren, wie wir damals ein Ziel hatten: die Besatzungswillkür in ein Besatzungsrecht umzuwandeln, wie wir nach einem Besatzungsstatut gerufen haben? Und heute stehen wir nun vor der Frage, wie wir dieses Besatzungsstatut überwinden durch eine freie Rechtsordnung unseres Volkes zwischen den Völkern.
Ich weiß nicht, ob man, wenn man sich diesen Weg von Stufe zu Stufe vorstellt, nicht dann schon sagen kann, daß diejenigen, die auf diesem Stufenweg der letzten zwei Jahre die Führung gehabt haben, den Beweis dafür erbracht haben, daß sie fähig sind, die Stufenfolge richtig zu beurteilen und richtig zu bemessen.
Ich finde, dieser Aufstieg von der unbedingten Kapitulation über das Besatzungsstatut und das Petersberger Abkommen bis zu der heutigen Erörterung um die Ablösung des Besatzungsstatuts durch einen Generalvertrag zeigt an den zurückgelegten Phasen der Entwicklung und an ihren Ergebnissen, daß diejenigen, die als Träger der Verantwortung darüber nachgedacht und gegrübelt, die darum gerungen und gekämpft haben, zum mindesten Maß und Weg der Möglichkeiten gesehen, aber über das Maß hinaus auch den Willen zur Verwirklichung ihrer Forderungen bewiesen und bewährt haben.
In diesem Rahmen möchte ich aber, um jede Mißdeutung von draußen her abzuwehren, doch noch eines hinzufügen. Es ist uns nicht nur darum zu tun, unser eigenes nationales Schicksal wieder zu festigen, zu bessern, zu vervollkommnen und zu formen; sondern wir sind uns darüber klar, daß das Ringen eines einzelnen Volkes in dieser weltgeschichtlichen Situation um seine Eigenwünsche und Eigensüchte nicht ausreicht, um ausreichende Erkenntnisse über das, was außènpolitisch sicher und klug ist, zu vermitteln. Wir sind uns von vornherein darüber klar, daß unsere eigene Förderung und die Zukunft der ganzen freien Welt nicht auf den Rahmen der nationalstaatlichen Eigenentwicklung beschränkt ist, sondern sich nur in den Formen der kollektiven Sicherheit, insbesondere aber nur in der Einheit einer europäischen Gemeinschaftsbildung vollziehen kann.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zu der Frage nach der Friedenspolitik. Worum geht denn letzten Endes alle politische Bemühung um außenpolitische Einsicht und Erkenntnis? Doch wohl darum, daß man den Menschen das Gefühl des Friedens und der Sicherheit bringt. Um was wir uns hier streiten und eigentlich allein streiten dürfen, ist nicht die Frage, ob wir diesen oder jenen populären Erfolg haben, sondern ob wir den sinnvollsten Beitrag zur Sicherung des Friedens in der Welt finden.
Ja, meine Damen und Herren, was ist denn das eigentlich, was den Frieden stört, seit Jahrtausenden stört? Das sind Menschen und Menschengruppen, die die Anbetung der Macht auf ihr Panier geschrieben haben,
die mit der Gewalt der Waffen andere unterwerfen und unterjochen wollen und meinen, der Sinn der Politik sei die Machtentfaltung schlechthin. In Wirklichkeit kommt es darauf an zu erkennen, daß Friedenspolitik im Grunde genommen eine statische Aufgabe ist, nämlich ein Versuch, zwischen den Völkern und zwischen den Mächten ein solches Gleichgewicht zu schaffen, ein solches gegenseitiges Aufheben von Macht zu bewirken, daß sich die Macht wechselseitig reduziert und so um ihre Virulenz, um ihre ansteckenden und töd-
8162 deutscher Bundestag — 191. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Februar 1952
lichen Wirkungen gebracht wird. Das ist der Sinn des Friedensstrebens. Nun, was tut denn ein Statiker, wenn er ein Gebäude errichtet, wenn er eine Eisenkonstruktion erstellt? Dann überlegt er sich doch zuerst, wie er Kraft gegen Kraft setzt, wie er Zugfestigkeit gegen Druckfestigkeit setzt, wie er Anziehungskraft und wie er unter Umständen abstoßende Wirkungen so gegeneinander einstellt, daß sich die Dynamik der wirkenden Kräfte wechselseitig aufhebt, damit eine Stabilität eintritt. Anders ist es in der Politik auch nicht. Wir kommen nur dann zu einer Politik des Friedens, wenn wir den Kräften der Zerstörung, der Kräfteverschiebung, die Gegenkräfte der Stetigkeit entgegensetzen. Das ist das Ziel, um das es hier geht! Ich brauche nicht zu wiederholen — denn es ist schon genügend darüber gesprochen worden — von wo heute die Kräfte ausgehen, die das Weltbild wandeln und den Menschen ihre Tyrannei aufzwingen wollen. Aber immerhin sollte man doch immer wieder an das erinnern, was da geschieht, weil es zu leicht vergessen wird. Ach, es gibt so viele Menschen, die meinen, sie wären klug, wenn sie wie jener berühmte Vogel den Kopf in den Sand stecken und dann mit den Pleureusen wackeln.
Wir können uns das nicht leisten. Das Bild der Völker des Ostens steht vor uns. Was ist denn da immer wieder dieselbe Methode? Die Bildung von Prätorianergarden aus Menschen mit asozialen Instinkten, zu denen insbesondere auch ein starker Hordeninstinkt gehört. Mit Hilfe einer solchen machtpolitischen Hordenbildung dann die Ausschaltung jeder freiheitlichen Entwicklung und jeder Möglichkeit, in einer echten Auseinandersetzung der Geister mit wechselnden Übergewichten von Koalitionen und Oppositionen weiter die Entwicklung zu fördern!
— Nein! Ich kann Ihnen verraten, daß ich mich genauer gerade mit Ihrer eigenen Literatur beschäftigt habe.
Aber ich habe jetzt den Zitatenschatz nicht da; er würde mich auch von anderen, wichtigeren Dingen ablenken.
— Ach, ich will Ihnen einmal etwas sagen und Sie auf eines aufmerksam machen: Lesen Sie doch einmal die Berichte eines Journalisten aus dem Krim-Kriege über die Methoden und die Anlagen des russischen Volkes in bezug auf die Staatenbildung und über die Gefährdung der künftigen europäischen Entwicklung!
Es war ein sehr interessanter Mann für Sie; er hieß nämlich Karl Marx.
Aber ich will jetzt nicht mit diesen Einzelheiten aufhalten.
Wir stehen vor der Tatsache, daß sich die heutige Wirrnis wieder einmal im Anschluß an einen Koalitionskrieg ergeben hat. Es ist immer das geschichtliche Verhängnis, daß Koalitionskriege geführt werden und daß am Ende von Koalitionskriegen die Friedensbildung nicht gelingt, weil sich die Koalitionspartner im Streit um die Beute nicht einig werden, insbesondere dann, wenn der eine Partner von völlig anderen politischen und moralischen Prinzipien ausgeht als der andere.
Innerhalb solcher Bedingtheiten haben wir zunächst einmal ganz allgemein von der Außenpolitik zu sprechen. Wenn ich das, was ich als die statische Aufgabe der Friedenssicherung bezeichnete, auf unsere Wirklichkeit anwende, dann bedeutet das für uns die Folgerung: Wir müssen zwischen den Völkern Konstellationen bewirken, fördern oder verstärken, die dem Zweck dienen, den Störern des Gleichgewichts,- den Vertretern rein machtpolitischer Prinzipien entgegenzustehen und entgegenzuwirken.
Das ist die Aufgabe einer echten Friedenspolitik! Sie besteht darin, für den Angriffslustigen den Anreiz zum ersten militärischen Gewaltakt dadurch herabzusetzen, daß man die Einsicht vom Wagnis des Verlustes, des Endes, vergrößert. Nur der dient dem Frieden, der den Anreiz zum Angriff durch die Betonung und Verdeutlichung der Gefahren des Endergebnisses vermindert.
Damit, meine Damen und Herren, möchte ich aber nicht den Eindruck aufkommen lassen, als bereiteten uns alle diese Überlegungen ein Vergnügen! Wir wären weiß Gott lieber damit beschäftigt, uns ausschließlich um unsere — ach so zahllosen — inneren Probleme zu bekümmern.
Es ist wirklich kein Vergnügen, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Es liegt uns keine Vorstellung ferner als das Bild von der schimmernden Wehr und ähnlichen Traumgesichten der Vergangenheit! Im Gegenteil: Mit viel Beklemmung und viel Verdruß gehen wir an diese Überlegungen heran! Weil wir selbst mit dieser inneren Hemmung und diesen inneren Vorbehalten gegenüber einer als realistisch erkannten Notwendigkeit denken und handeln, sind wir natürlich um so stärker gezwungen, die politischen und psychologischen Voraussetzungen zu untersuchen, die erfüllt sein müssen, wenn wir mit Aussicht auf Wirksamkeit unsere Bereitschaft zu einer Beteiligung an der europäischen Verteidigung aussprechen.
Auf diese Voraussetzungen kommt es wesentlich an; nicht, weil wir da besondere Vorteile herausholen wollen! Es ist ja gar nicht unsere Schuld, daß Generalvertrag und Verteidigungsbeitrag in einen zeitlichen Zusammenhang und damit in ein Junktim gebracht werden, wie das in der Außenpolitik und in der Diplomatie heute leider Gottes üblich geworden ist. Die verfluchte Politik des Junktims ist eine -ungeheure Erschwerung. Statt daß man daran geht, jedes Problem zunächst einmal für sich zu lösen und zu ordnen, fabriziert man dauernd ein neues Junktim — übrigens auch in unserer Innenpolitik —, das die Entscheidungen ungeheuer verwickelt, kompliziert und erschwert. Aber wir stehen nun einmal vor der Tatsache dieser schlechten Gewohnheit.
Ich will nicht alles wiederholen, was gestern über die Schwierigkeiten psychologischer Art und über die Hemmnisse auch in der Vorstellung des deutschen Bürgers ausgeführt worden ist. Sie müssen beseitigt werden, bevor er die Folgerungen für sich zieht. Man hat gesagt, was an Beschränkungen unserer Lebensrechte aufgehoben werden
muß, ehe wir das Vertrauen haben können, einer echten überstaatlichen Solidaritätsgemeinschaft anzugehören. Noch sind wir von diesem Ergebnis entfernt. Mein Kollege Euler hat sich gestern schon ausführlich mit konkreten Details, vor allem auch den Gegenständen der Zusatzverträge, beschäftigt. Ich brauche daher auf diese Einzelheiten nicht einzugehen, möchte aber auf eines hinweisen: Es erscheint mir allerdings als selbstverständlich, daß man einen Vertrag, der zu außenpolitischen Zwecken hinsichtlich gemeinsamer Maßnahmen Souveränitätsrechte des eigenen - Volkes abtritt, nur in dem Maße schließen kann, in dem auch 'die anderen Beschränkungen ihrer Souveränität auf sich nehmen.
Mari kann aber niemals einem Vertragswerk zustimmen, das darauf hinausläuft — beispielsweise durch die Festlegung von innerpolitischen Regelungen —, das Gesetzgebungsrecht des Parlaments für bestimmte Zeiträume einfach einzuschränken.
Man muß ferner auch jeden solcher Verträge unter dem Gesichtspunkt einer gewissen Zeitbedingtheit ansehen; diese ändert nichts an der Absicht der Durchführung der gemeinsamen Ziele. Wie man die gemeinsamen Ziele anstrebt und verwirklicht, ist aber doch auch wandelbar, ist Wandlungsmöglichkeiten ausgesetzt. Eine zeitliche Unbeschränktheit. von Abmachungen ohne Revisionsmöglichkeit auf bestimmten Gebieten ist infolgedessen eine praktische Unmöglichkeit, zumal wenn es sich darum handelt, Souveränitätsrechte abzutreten. Dabei ist- auch zu beachten, daß die Abtretung solcher eigenstaatlichen Rechte für die verschiedenen Partner unter Umständen durchaus verschiedene Wirkungen hat. Eine formale Rechtsgleichheit bedeutet noch lange nicht immer Gleichgewichtigkeit.
Diese Überlegung muß also hinzukommen, wenn wir uns eine Vorstellung von der Bedeutung dieser Abmachungen machen wollen. Zur Gleichrangigkeit gehört natürlich auch, daß bei der Durchführung von Verteidigungsbeiträgen nicht etwa eine Zurücksetzung deutscher Soldaten hinsichtlich der grundsätzlichen Möglichkeiten stattfindet, bis in die Entscheidungen der obersten Instanzen des ganzen vielschichtigen Verteidigungsgebäudes mitzuwirken. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, daß gestern ein belgisches Regierungsmitglied in der belgischen Kammer eine gegenteilige Feststellung getroffen hat. Dazu kann ich nur sagen, daß dabei die eigentlichen Voraussetzungen einer echten Partnerschaft wohl übersehen oder verkannt worden sind.
Es geht, bis wir uns zu dieser europäischen Solidarität und zu dieser atlantischen Verteidigungsgemeinschaft für die freie Welt durchentwickeln, allerdings auch von Stufe zu Stufe. Es sind nicht nur bei uns psychologische Hemmnisse zu beseitigen und Hindernisse für unsere Bereitschaft, mitzutun, auszuräumen, sondern es ist gleichzeitig ein Ungeist abzubauen, der immer wieder neue Schwierigkeiten auftürmt; es ist die Internationale der Chauvinisten, die es zu bekämpfen gilt.
Es ist ein ewiges Verhängnis, daß sich die Chauvinisten in allen Ländern fortgesetzt die Bälle wechselseitig zuwerfen.
Das haben wir in der Weimarer Zeit erlebt und erleben es heute wieder. Da wird so ein Willkürakt durchgeführt oder so eine Angelegenheit vollzogen, die mit allen Abmachungen und Überlegungen der letzten Zeit nicht vereinbar ist, wie etwa die Berufung des französischen Botschafters im Saarland. Prompt wird verständlicherweise von unserer Seite zugespitzt reagiert. Dann folgt in der ausländischen Presse eine Entstellung, eine Verzerrung des deutschen Standpunktes, die verhängnisvoll ist. So spielt man sich wechselseitig die Argumente in die Hand, um die Völker gegeneinander aufzuhetzen.
Gegen diese Verschwörung des bösen Willens gilt es genau so den Kampf zu führen wie gegen den Chauvinismus im eigenen Land.
Unter diesem Gesichtspunkt, glaube ich, sollten wir die Saarangelegenheit in erster Linie betrachten.
Bei voller Würdigung unseres Rechts, unserer Ansprüche, die hier in diesem Hause in früheren Rechtsverwahrungen deutlich 'ausgesprochen worden sind, sollten wir uns doch alle Möglichkeiten überlegen, um den Chauvinisten hüben und drüben keine Gelegenheit zu geben, aus diesem Vorkommnis etwas zu machen, was die europäische Föderation, die europäische Integration verhindert. Wir sollten endlich die Möglichkeit suchen, nun über alle alten Vorurteile, über vergangenheitshörige Vorstellungen hinweg auch hier auf den Weg in die Freiheit einer europäischen Entwicklung zu gelangen, die davon ausgeht, daß jedes Volk ein Recht auf Wahrung der Menschenrechte, auf völlige Freiheit seiner innenpolitischen Ordnung, insbesondere aber ein Recht auf sein historisches und angestammtes Territorium hat.
Ich habe ja schon gesagt: Gleichberechtigung ist nicht allein eine formale Angelegenheit. Es kommt auch auf die Berücksichtigung der Gewichte an. Da kommt es natürlich auch sehr' auf die Lasten an, die ein Volk als die Folgen einer schrecklichen Vergangenheit an sich schon trägt. Es wird also bei den Fragen des gemeinsamen Wehrhaushaltes Rücksicht zu nehmen sein auf die Besonderheit unserer Vorbelastungen, insbesondere auf die Kriegsfolgelasten.
Es wird an unsere exponierte Stellung als Frontgebiet der europäischen Verteidigung zu denken sein.
Dabei wird zu beachten sein, daß die innere Stetigkeit, aber auch die Überlegenheit der westlichen Welt an der deutschen Entwicklung in einer besonderen Überlegenheit der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Wohlstandes in den weiten Schichten der Bevölkerung demonstriert werden muß.
Auch diese Funktion als Schaufenster der westlichen Welt sollte als ein wesentliches Element der Verteidigung `beachtet werden. Verteidigung wird ja nicht nur mit Waffen, sondern auch mit sehr
wichtigen psychologischen Einwirkungen und Methoden gemacht. Dabei kommt es nicht auf raffinierte Spekulationen an, sondern auf die Darstellung einfacher Wirklichkeiten, die überzeugend ist.
In diesem Zusammenhang muß aber auch eines auf der anderen Seite erkannt werden: Der Lebensstil, der gewisse Teile der bisherigen Besatzung in einen merkwürdigen Gegensatz 'zur deutschen Bevölkerung gebracht hat,
ist kein Mittel der Verstärkung der psychologischen Verteidigung.
Man muß da sehr gründlich erkennen, was man angerichtet und was man schleunigst zu beseitigen hat.
Nun sind gegen den Standpunkt der Regierung und der Koalitionsparteien — soweit in diesem Stadium der Übergänge von einem Standpunkt die Rede sein kann — von seiten der Opposition mancherlei Argumente ins Treffen geführt worden. Ich mu 3 allerdings sagen, ich habe versucht, sehr aufmerksam zuzuhören; aber mir ist eigentlich nicht klar geworden, was denn die Opposition nun an positiven Dingen anzubieten hat.
Wo ist auch nur der Versuch eines konstruktiven Gedankens in all dem gewesen, was hier ausgeführt worden ist?
Ich habe verschwommene Geschichten gehört. Also möchte ich beinahe sagen: Namentlich die Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer war ein wunderbares Beispiel für eine Politik des Hell-Dunkels,
d. h. man strahlte einen besonders heftigen Lichtkegel auf ein Nein, und darum herum war dann eine Fülle von schattenhaften Vorbehalten, die als „Umstände" bezeichnet werden. Ich würde so furchtbar gern hören, was der Herr Kollege Ollenhauer denn unter den anderen Umständen versteht, die nun der „Konzeption" der Regierung, wie er gesagt hat, entgegenzustellen sind.
— Ich habe schon von einer Reihe von Schatten gesprochen, indem ich eine ganze Fülle von Dingen genannt habe, die Hindernisse darstellen, die zu überwinden sind und die eben in diesem Stadium der Verhandlungen von uns als sehr ernste Hemmnisse für eine Vereinbarung angesehen werden.
— Ich habe nicht von Schatten geredet, sondern ich habe gesagt, daß da eine Fülle von Andeutungen, von halben Bereitschaften, ja zu sagen, war, von Anerkennung der Verteidigungsprinzipien, von Abkehr von einem, sagen wir einmal, ideologischen, sektiererischen Pazifismus und ähnlichen Dingen, aber nie mit dem Willen, nun an der entscheidenden Stelle zur Beleuchtung der konstruktiven Gedanken durchzudringen, die man, wenn man schon im Endergebnis verneint, als Methoden und Prinzipien
einer Außenpolitik der Politik der Bundesregierung entgegenzustellen vermöchte.
Es ist dann gesagt worden: Also um Gottes Willen kein „Appell an das Gefühl". Ja, meine Damen und Herren, Appell an das Gefühl! — Ich weiß nicht, was wir nun heute gehört haben, was uns z. B. heute morgen von Herrn Kollegen Arndt vorgeführt worden ist. Ich muß sagen, das war doch ein heftiger Appell an das Gefühl. Ist es nicht überhaupt einmal nötig, zu unterscheiden, was populär und was vulgär in der Politik ist. Ich fürchte, daß man diesen Unterschied bei der Debatte nicht immer gemacht hat-. Ist es nicht z. B. Gefühlspolitik, wenn man durch Verharmlosung der Weltgefahren Beruhigungspillen verabfolgt? Sie sind doch eben durch das, was der Herr Bundeskanzler aus dem Memorandum des vorigen Jahres verlesen hat, ganz hübsch illustriert worden. Inzwischen hat sich j a sogar noch einiges gegenüber dem verändert, was dort an Tatbeständen aufgezeigt war. Ich weiß nicht, ob es so ganz völlig frei von Gefühlspolitik ist, Beruhigungspillen zu versetzen.
Ich gebe zu, Herr Kollege Ollenhauer hat sich nicht identisch gemacht mit denjenigen, die das Chloroform überhaupt zum Mittel der Politik machen, indem sie sagen: Na ja, wir wollen den Frieden, also machen wir Methode Coué und versuchen wir, den Frieden durch psychosomatische Behandlung von Diktatoren herbeizuführen.
Ich muß sagen, es ist mir nicht mehr möglich, diese Dinge zu begreifen. Ich sehe den guten Willen; aber man kann doch nicht in Wunschvorstellungen Grundlagen sehen
für das, was man erreichen will und was herbeizuführen gelingt. — Ja, Herr Mellies, dann noch eins, wenn wir schon so weit sind, daß wir uns unterhalten müssen. Es ist bei Ihnen auch so schrecklich viel davon die Rede gewesen, als ob Sie die Idee der Demokratie so in einer besonderen Reinheit für sich allein gepachtet hätten.
Ich darf doch einmal darauf aufmerksam machen, daß es auch in der Demokratie so etwas wie eine Teilung der Funktionen gibt. Menschengruppen sind nämlich nur handlungsfähig, wenn man zwischen Führung und Ausführung eine Funktionenteilung durchführt. Das hat zur Konsequenz, daß man jemand, den man mit der Durchführung bestimmter politischer Maßnahmen beauftragt, auch Handlungsfreiheit geben muß. Ich bestreite also, daß eine gesunde Außenpolitik dadurch herbeigeführt werden könnte, daß in jedem Stadium einer außenpolitischen Verhandlung immer wieder öffentliche Auseinandersetzungen kommen.
Selbst wenn ich mir vorstelle, daß wir in diesem Hause das nötige Maß von Verschwiegenheit erreichen könnten, was wird dann immer geschehen? Die Verschwörung des bösen Willens, von dem ich gesprochen habe, würde schon aus Sensationshunger durch fortgesetzte Kreuz- und Quermeldungen in der Presse die Herstellung der europäischen Einheit und die Verwirklichung eines Friedens hintertreiben!
Es ist dann von der sozialen Sicherheit gesprochen worden. Ich habe es auch schon getan, meine Damen und Herren. Sie ist wirklich in unserer Frontsituation mit der besonderen Notwendigkeit ausreichender Lebenshaltung eine ungeheuer schwere Sache, wenn man nach dem Bankrott des diktatorischen Staates so viel aufzuholen hat. Darum ist von sozialer Sicherung und ihrer Notwendigkeit zu sprechen. Aber ich weiß nicht, ob es genügt, nur den ganzen Kanon oder ganze Variationen von solchen Kanons der sozialen Sicherheit immer wieder herauf- und herunterzukomponieren, wenn man sich über eine sehr primitive Einsicht klar ist: daß nämlich alles Mühen um soziale Sicherheit sinnlos und ergebnislos ist, solange sie nicht eingebettet ist in den Rahmen einer politischen Sicherheit.
Ich will aber das nicht in der Weise sagen, wie Sie in der Opposition das so gern tun. Sie sagen immer, dies muß als erstes und jenes als zweites geschehen. Diese Regieanweisungen sind für die Herstellung eines Films ganz nett. Die Politik und die Durchführung einer politischen Entwicklung vollzieht sich selten nach einem Drehbuch, sondern sie besteht, wenn sie gescheit ist, in der Wahrnehmung der wechselnden Gelegenheiten und Gegebenheiten, und infolgedessen hat sie sich nicht nach einem starren Programm zu vollziehen.
— Im Endziel und in den Grundzügen muß natürlich eine Konzeption da sein. Ich habe am Anfang ja ausdrücklich gesagt: Nicht Rezepte verschreiben, sondern Tendenzen erregen! Das ist der Sinn unserer ganzen Beratungen und Verhandlungen. Und um Tendenzen habe ich mich bisher in meinen Darlegungen bemüht und versucht, Tendenzen zu entwickeln. Wir müssen uns also klar sein, daß ein unlösbarer Zusammenhang zwischen sozialer und politischer Sicherheit besteht. Wer da sagt, das eine zuerst und dann das andere, der täuscht sich selbst über die Möglichkeiten. Das eine geht ohne das andere nicht; das eine ist ohne das andere gar nicht zu verwirklichen.
Da wir gerade vom Thema Demokratie sprechen und wohl auch unter dem Gesichtspunkt des demokratischen Denkens an die Fragestellung der heutigen Debatte heranzutreten haben, darf ich noch eines sagen. Wer ein richtiger, überzeugter Demokrat ist, der betrachtet es als eine Konsequenz seines demokratischen Wollens, gegenüber jeder Tyrannei auf die Barrikaden zu gehen.
Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Muß man immer warten, bis der Tyrann da ist, um die Barrikaden zu bauen?
Sollte es nicht die Pflicht der Demokraten sein, die Barrikaden vorher zu errichten, ehe der Tyrann wieder einmal gekommen ist?
Ich denke, wir haben einiges gelernt auf diesem Gebiet.
Der ist kein konsequenter Demokrat, der nicht bereit ist, gegenüber einer drohenden Tyrannei die Barrikade zu errichten, solange er noch die Gelegenheit dazu hat.
Dann noch eins, meine Damen und Herren! Es ist von der Legitimation des Bundestags viel gesprochen worden. Das haben wir schon im Jahre 1950 gehört, und ich will nicht wiederholen, was ich damals ausgeführt habe. Es ist eine merkwürdige Auffassung, die völlig den Prinzipien der repräsentativen Demokratie, wie wir sie im Grundgesetz haben, widerspricht,
einen programmatischen Inhalt mit einem Mandat zu verbinden. Ein Abgeordneter wird gewählt, weil man ihm und seinen Darlegungen, seinen Überzeugungen und seinen Auffassungen Vertrauen entgegenbringt. Damit erhält er eine zeitlich begrenzte Vollmacht. Die Vollmacht ist inhaltlich nicht begrenzt. Es ist aber für einen Abgeordneten nach meiner Meinung geradezu eine Pflichtwidrigkeit, zu behaupten, daß er in bestimmten Dingen nicht Stellung nehmen könne, und sich deswegen — entgegen der klaren und eindeutigen Ordnung des Grundgesetzes — bei irgendwelchen ihm unerwünschten Beschlüssen unter dem Vorwand von Neuwahlen der persönlichen Verantwortung und Entscheidung zu entziehen.
Aber da sind allerdings noch andere Überlegungen, die mir sehr bedenklich erscheinen. Man vertritt den Standpunkt, daß bestimmte Fragen eine solche Wichtigkeit haben, daß man sie zum Gegenstand einer Volksabstimmung machen -kann: Nun, wir sind damals im Parlamentarischen Rat uns darüber klar gewesen, daß im modernen Massenstaat das Plebiszit eine durch seine Psychosenwirkung gefährliche Bedrohung für die Demokratie schlechthin ist. Wir stützen uns da auf die Erfahrung, daß fast jede Tyrannis in der Welt durch eine Art von Plebiszit in die Höhe gekommen ist.
Wer die Diktatur bannen will, darf nicht selber mit verschleiert plebiszitären Bestrebungen beginnen.
Im übrigen sollten wir bei aller Bereitschaft, ehe wir endgültig entscheiden, die Verträge und ihre Texte und die in ihren Formulierungen bekundeten Gesinnungen genau prüfen und uns auch darüber klar sein, daß es so etwas wie eine Gestaltungskraft der Fakten gibt. Wer Europa ernstlich will, muß europäische Tatsachen schaffen.
Um das zu erreichen, kann man sich nicht zuerst über die Verzierungen und Arabesken oder die Einrichtung von Kellern usw. unterhalten. Wir stehen in der ungeheuren Gefahr — nicht nur bei uns, sondern überhaupt in allen europäischen Staaten —, daß wegen des Gezänks um alle möglichen Nebendinge, um die Erker in dem Gebäude „Europa", die eigentliche Idee in Vergessenheit gerät, ja, in Gefahr gebracht wird. Ich weiß nicht, ob wir dabei die Größe dieser Zielsetzung übersehen können. Bei all den Vorbehalten, die wir zu machen haben und in denen wir teilweise durchaus mit der Opposition übereinstimmen, sind wir uns auf der anderen Seite aber auch darüber klar, daß man dort, wo es sich um Grundideen und Grundsätze handelt wie etwa bei dem Versuch, die Qesetzgebungsvollmacht des
Parlaments durch Versteinerung von Besatzungsrecht oder ähnliche Dinge einzuschränken, zugleich den Glauben an die Macht neuer Fakten bekunden muß, wenn man das Neue auf Grund einer fortschrittlichen Gesinnung wirklich will.
Es geht hier um sehr einfache Entscheidungen, und alles Wortgeklingel kann nicht darüber hinwegtäuschen. Es handelt sich um die Lebensfrage für die Bundesrepublik: Sicherheit — j a oder nein? Es handelt sich um die Frage: Freiheit — ja oder nein? Es handelt sich um die Frage: Europa — ja oder nein? Es handelt sich um die Frage: Rechtsstaat — j a oder nein? All das steckt in diesen Entscheidungen.
Wer ohne den Willen zu konstruktiven Lösungen nur das Nein ausspricht, muß sich darüber klar sein, daß er damit die Sicherheit und die Freiheit in die größte Gefahr bringt.
Meine Damen und Herren, die große geistige Richtung des Humanismus hat auch die Vorstellungen von der Verabscheuungswürdigkeit des Krieges hervorgebracht. Wir sind heute in einem Stadium, wo derjenige, der die Humanität erstrebt, sagen muß: Die Bestialität droht die Humanität zu verschlingen. Und deswegen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß nur ein wehrhafter Humanismus eine wahrhafte Humanität verwirklicht.
Da möchte ich mit einem Hinweis schließen, der über die Grenzen hinausgeht. Man sollte endlich uns gegenüber einsehen, daß, wenn wir nichts anderes fordern als Menschenrecht, Demokratie und Rechtsstaat, wir damit die seelischen Überzeugungskräfte eines glaubhaften Verteidigungsbeitrages kräftigen. Und man sollte handeln nach der Erkenntnis, daß Politik der praktischen Vernunft nicht moralisierende Deklamation, sondern angewandte Ethik ist.