Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer gestern die Redner nach meinem Parteifreund Erich Ollenhauer hörte, der mußte sich verwundert fragen, ob wir hier versammelt sind, um Bekenntnisse allgemeiner und nicht unmittelbar verpflichtender Art abzulegen, in denen wahrscheinlich alle Demokraten einig sind,
während wir doch in Wirklichkeit vor der unsagbar schweren Aufgabe stehen, jetzt, hier und heute auf Grund einer Erklärung der Bundesregierung eine unwiderrufliche, eine geschichtliche Entscheidung wenn auch noch nicht zu fällen, so doch nahezu vorwegzunehmen. Nach dieser Entscheidung kann der Herr Bundeskanzler in einer absehbaren Zukunft seine Unterschrift unter Verträge setzen, durch die unser deutsches Volk die Verpflichtung auf sich nimmt, seine Jugend als Soldaten zu bewaffnen, und zwar — so allein lautet unsere Frage — unter Voraussetzungen und Bedingungen, nicht wie wir sie vielleicht wünschen mögen, sondern wie wir sie in der harten Welt der Tatsachen als gegeben kennen.
Auf der Goldwaage der Verantwortung, die wir vor unserem Volk und vor der Geschichte zu tragen haben, wiegt unsere Hoffnung nichts, wiegt unsere Tat alles, und zwar nach dem Maß unserer Einsicht und dem Gewicht unserer Gründe. Mit „wenn" und „aber" konnen wir daher nicht ausweichen. J a oder Nein, einzig eine dieser beiden möglichen Antworten ist von uns gefordert.
Was wir dabei auf den Tisch zu legen haben — das will ich dem Herrn Kollegen Strauß erklären —, das sind keine Karten wie in einem Tarockspiel, die der blinde Zufall mischt, das sind die Gründe unseres Ja oder Nein. Denn davon, ob diese Gründe wohlerwogen und gut sind oder nicht, hängt Wohl und Wehe unseres Volkes ab.
Sehen Sie, wenn ich jetzt auf die Rede des leider nicht anwesenden Kollegen Majonica komme und sie auf solche Gründe hin prüfe, so finde ich viele fromme Wünsche, die ich achte und teile, insbesondere seinen Wunsch nach einem Recht auf ein Leben in Würde. Aber mit diesem Wunsch ist doch ebenso wenig gewonnen wie mit dem Wunsch, daß nie wieder Krieg sein möge. Auch Herr Majonica sollte sich dem hier in Bonn wirkenden Moraltheologen Schöllgen anschließen und von ihm die Lehre annehmen, daß auch Klugheit eine Tugend ist.
Ich verdanke Herrn Professor Schöllgen den Hinweis auf die uralte Bitte um Schutz vor Pestilenz, Hungersnot und Krieg und auch die kluge Einsicht, daß die Pestilenz nicht durch Verwünschung der Hexen, sondern durch Beseitigung der Unsauberkeit und Bekämpfung der Ratten, und die Hungersnot nicht durch Verfolgung der Juden, sondern durch die Entdeckung des Kunstdüngers beseitigt wurde, und wohl auch die Verhütung des Krieges eine Leistung nicht nur unserer Wünsche, sondern unserer Vernunft sein muß,
eIner Politik, die wohl ein heißes Herz, aber auch einen klaren Verstand erfordert.
Herr Kollege Euler hat in seiner Rede Gedanken darüber entwickelt, wodurch die Gefahr gebannt werden und wodurch sie wieder heraufbeschworen werden kann. Solange überhaupt amerikanische Divisionen hier stehen, ohne daß es dabei entscheidend auf ihre Zahl ankäme — hat Herr Euler ausgeführt —, sei die Gefahr gebannt. Dem kann ich grundsätzlich zustimmen; denn Herr Euler hat sich insoweit einen immer und immer wieder von Herrn Dr. Kurt Schumacher betonten Gedanken zu eigen gemacht, daß nämlich die deutsche Lage mit der koreanischen nicht vergleichbar ist, sondern ein sowjetischer Angriff auf amerikanische Divisionen in Deutschland unmittelbar den Ausbruch eines dritten Weltkriegs mit Amerika bedeutet und darum für Risiko und Kalkül des Kremls keinesfalls unsere Wehrlosigkeit, sondern die Einschätzung der amerikanischen Macht allein ausschlaggebend ist. Herr Euler glaubt jedoch, man müsse die Gefahr darin sehen, daß sich das amerikanische Volk von seiner Politik der allumfassenden Friedens- und Freiheitssicherung abwende. Offenbar um dies zu verhüten, scheint Herr Euler es für erforderlich zu halten, daß Deutschland durch einen Wehrbeitrag seinen guten Willen beweise. Diese mehr auf Mißtrauen — um nicht zu sagen: auf Angst — begründete Erwägung halten wir für falsch, ja, für verhängnisvoll. Durch Angst ist noch niemals ein Krieg verhütet worden, aber durch Angst sind schon Kriege ausgebrochen.
Die deutsche Sozialdemokratie hat sich noch zu keiner Stunde der Einsicht versagt, daß der freie Teil des deutschen Volkes eine seinen Kräften angemessene und ihm zumutbare Last der Verteidigung auf sich nehmen müsse. Gerade mein Parteifreund Schumacher hat sich als erster nicht gescheut, die keineswegs sehr populäre Forderung sogar nach einer Vermehrung der Besatzungstruppen in Deutschland zu erheben, obwohl wir wissen, welche harte Last das für die Bevölkerung bedeutet. Aber wir wissen auch, daß die Freiheit des Westens auch unsere Freiheit ist und man sich seine Freiheit nicht als ein Almosen bewahren kann. Weder aber ist damit erwiesen, daß unser Beitrag zùr Verteidigung allein oder mindestens am besten in Soldaten bestünde, noch ist es stichhaltig, durch das doch so gefährliche Argument der Panik glauben zu machen, die amerikanische Sicherheitspolitik hinge von einigen deutschen Divisionen ab, die ohnehin noch Jahre brauchen würden, um eine Kampfkraft zu werden. Denn es gibt keine amerikanische Politik, die in der Lage wäre, Deutschland und Europa aufzugeben. Die Weltgeltung Amerikas, seine eigene Sicherheit und seine Position gegenüber dem Weltkommunismus lassen das nicht zu.
Selbst Herbert Hoover spricht nicht mehr die Sprache des alten Isolationismus und hat soeben erst wieder erklärt, daß jede Aggression der Sowjetunion, wo immer in der Welt sie erfolge, einen direkten Angriff auf Amerika selbst bedeute. Denn nicht nur die Freiheit, Herr Tillmanns, auch die Sicherheit in der Welt, in dieser einen Welt, ist unteilbar. Und selbst einer Demokratie darf man so viel Einsicht in
die einfachste Notwendigkeit ihrer Selbsterhaltung. zutrauen, daß sie das drittgrößte Industriepotential der Erde nicht ohne Widerstand an die Sowjetunion fallen läßt. Herr Kollege Tillmanns, nicht Wunschträume, nicht unsere schönen Augen, sondern dieses Industriepotential ist es, was für die Amerikaner von einer solchen Bedeutung in Europa ist.
Die Rede des Herrn Euler kann also nicht davon überzeugen, daß ein •deutscher Verteidigungsbeitrag unter allen Umständen nur in Soldaten bestehen müßte, und es ist noch weniger beweiskräftig, wenn Herr Kollege Strauß auf die Not der Besatzungsverdrängten hinwies und meinte, ob ich in Hessen denn noch mehr Deutsche durch amerikanische Truppen aus ihren Wohnungen verdrängen lassen wollte. Haben Sie, Herr Strauß, denn gar nicht die Rückwirkung Ihrer Worte überlegt, als Sie damit andeuteten, daß wir weitere Truppen eigentlich nicht brauchen könnten, weil .ihre Unterbringung lästig ist?
Sollen wir Menschen stellen, um nicht Wohnungen herzugeben?
Ich kenne sehr wohl das Elend der Besatzungsverdrängten.
Aber gerade an ihrem Los muß sich erweisen, ob die Verteidigung wahrhaft als ein gemeinsames Anliegen verstanden und verwirklicht wird.
Herr Kollege, lesen Sie Ihre Worte nach und hören Sie gut auf das, was ich jetzt sage.
Häuser lassen sich bauen, Und die Versicherung, daß man seitens der anderen auch unsere Gefährdung als die eigene und die gemeinsame ansieht, muß sich in der Gemeinsamkeit des Wohnens bestätigen, um glaubhaft zu werden.
Herr Kollege Strauß hat uns im Ergebnis erklärt, ein Nein um jeden Preis sei falsch, ein Ja unter unmöglichen Umständen sei auch falsch, weil es uns zum Aufmarschgebiet und- Brückenkopf für beide Seiten machen würde. In dieser doppelten Negation sind wir uns einig.
Aber ehe ich prüfen will, ob und welche Position Sie, Herr Kollege Strauß, nun eigentlich bezogen haben, muß ich ein Wort — und ich bedaure sagen zu müssen, ein anklagendes Wort — zu den pathetischen Äußerungen des Herrn Kollegen Kiesinger über das Wachsen des radikalen „Ohne mich" einflechten. Aus welchem Abgrund ist denn dieses in seiner Wirkung prosowjetische „Ohne mich!" aufgetaucht in einem Volke, das wie kein zweites in der Welt immun war gegen den Kommunismus? Die Geburtsurkunde des „Ohne mich" ist das Memorandum, das der Herr Bundeskanzler im August 1950
den auch damals in Washington versammelten I Außenministern der westlichen Alliierten über-. sandte und in dem er mitteilte, er sei bereit, einen deutschen bewaffneten Beitrag zu leisten.
Diese Bereitschaft wurde geheim, sie wurde ohne jede Erörterung ihrer Voraussetzungen erklärt.
— Herr Wuermeling, wir alle kennen den Wortlaut dieses nicht mehr geheimen Memorandums, das die Worte enthält: „. . . bereit, einen bewaffneten Beitrag zu leisten". Und die Stoßkraft gewann die „Ohne-mich"-Bewegung durch die vielfachen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers, er werde diese seine Ein-Mann-Politik notfalls auch mit einer 'Mehrheit durchführen, die nach der Tradition der Mutter der Parlamente nicht einmal mehr für eine normale Regierungstätigkeit ausreicht. Hierdurch hat sich der Abgrund an Mißtrauen in unserem Volke aufgetan.
(Abg. Dr. Wuermeling: Im ganzen hessischen
Lande! Unerhört! — Weiterer Zuruf von der
CDU/CSU: Sie wissen ja überhaupt nicht
mehr, was Wahrheit ist! — Zurufe: Das
Wahlplakat! — Anhaltende Unruhe, —Glocke des Präsidenten.)
Sie selbst, Herr Kollege- Kiesinger, haben gestern auch nur Öl ins Feuer gegossen, als Sie sich rühmten, nicht im Gefühl eines beschränkten Mandats in den Bundestag eingezogen zu sein. Bei aller Wertschätzung für Sie muß ich Sie fragen, was Ihre Gefühle denn bedeuten gegenüber den Gefühlen der Menschen draußen, die sich in ihrem innersten Wert getroffen fühlen dadurch, daß eine solche Schicksalsfrage auf Leben und Tod über ihre Köpfe hinweg entschieden werden soll.
Sie müssen doch ein Empfinden dafür haben, daß man die Wehrpflicht nicht auferlegen kann wie eine Steuer.
Erst das „Ohne euch!" und das „Unter allen Umständen!" hat den scheußlichen Heerwurm der „Ohne uns!"-Schreier gezeugt.
Nun hat Herr Kollege Strauß mir soeben das gestern ' schon von ihm vorgewiesene Plakat hierher gelegt: „Nie wieder! Noch ist es Zeit! Wählt SPD!" aus der Stuttgarter oder ich weiß nicht welcher Zeitung. Herr Kollege Strauß, ich erinnere mich aus meiner früheren Zeit sehr gut eines Plakats des Jahres 32 ungefähr,
auf dem stand: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!" Das war keine Prophezeiung, denn das konnte man sehen, daß es so kommen würde.
— Das würde ich heute auch sagen, daß, wer Hitler wählt, Krieg wählt,
und hier auf diesem Plakat ist nichts weiter gefordert als eine Politik, die nie wieder von uns aus
eine Kriegsgefahr heraufbeschwört oder verstärkt.
Meine Damen und Herren, Sie sind heute morgen sehr lebhaft. Aber ich möchte noch einmal sagen, ohne daß Sie mir das bitte verübeln: Die Tugend der Klugheit läßt sich durch einen Aufwand an Geräusch nicht ersetzen!
Und, Herr Kollege Kiesinger, Sie können sich von dieser Verantwortung auch nicht loskaufen durch das Schaumgold Ihrer Rednergabe, daß Sie nicht an eine weltgeschichtliche Pause zugunsten des Deutschen Bundestages' geglaubt hätten.
Bittere Wahrheit ist, daß die Weltgeschichte dem deutschen Volke keine Pause gönnt.
Aber weder das deutsche Volk noch die Weltgeschichte werden Schaden nehmen, wenn dieser Bundestag durch Neuwahlen abgelöst wird.
Meine Damen und Herren, fürchten Sie denn die Neuwahlen. da ja doch Herr Kiesinger uns gestern so gepriesen hat, wie der Herr Bundeskanzler in zweijähriger Arbeit mühsam Schritt für Schritt den Kredit der Welt zurückgewonnen habe? Warum scheuen Sie denn, sich das vom Volke bestätigen zu lassen?
Meiner Meinung nach aber hat seine Politik nicht einmal Kredit in seinem eigenen Volke gefunden, geschweige denn in der Welt.
Ergebnislos deshalb, weil sie in ihrem Ansatz falsch
war. Denn diese Außenpolitik hat versäumt, zwischen der Liquidierung des letzten Krieges und der
Fundierung einer gemeinsamen Zukunft klar zu
unterscheiden und deutlich zu machen, daß für uns
die innere und äußere Freiheit sowie die soziale
Fundamentierung unteilbare und unabdingbare
Voraussetzungen eines bewaffneten Beitrags sein müssen, also der Wehrbeitrag für uns kein Akt der Wiedergutmachung sein kann. Jetzt müssen wir deshalb von Frankreich den Vorwurf der Erpressung hören.
Nun, Herr Kollege Euler, Sie glauben nicht, daß der Wehrbeitrag ein Akt der Wiedergutmachung sein soll?
Hier in Bonn hat mir vor einem Jahr M. Pierre Montel als Leiter einer französischen Delegation und damals Vorsitzender des Verteidigungsausschusses in Paris die Frage gestellt — der Kabinettschef von Herrn François-Poncet war zugegen —, ob ich denn kein Verständnis dafür hätte, daß- der bewaffnete Beitrag auch ein Akt der Wiedergutmachung sei.
Daran, Herr Kollege Kiesinger, können auch Ihre noch so gut gemeinten Appelle an die Franzosen nichts ändern. Unser beider Wunsch ist es ganz bestimmt, daß die Völker der Franzosen und der Deutschen zu einer Versöhnung und einem Einverständnis kommen.
Aber es handelt sich hier nicht um Gefühle, sondern um die Einsicht, daß der Herr Bundeskanzler sich um die Quadratur des Zirkels müht, seit er in ihrer Zahl und ihrem Potential so von Natur aus ungleiche Völker wie die Franzosen und die Deutschen in ein Gleichgewicht zu bringen sucht, statt, daß die Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich auf der höheren Ebene einer Vereinigung aller Völker Europas in Freiheit und Gleichheit aufgehoben werden.
S8 'aber fürchten jetzt die Menschen in Deutschland, eine in ihrem Ansatz und ihren Methoden verfehlte Außenpolitik noch durch einen Wehrbeitrag büßen zu müssen, von dem hoch niemand sagen kann, daß er sinnvoll und sicherheitsfördernd sei. Eine Regierung, die zu sich selbst nicht mehr das Vertrauen besitzt, jederzeit ihr Mandat von den Wählern bestätigen zu lassen, ist ihrem Wesen nach keine demokratische Regierung mehr.
Und für ein Parlament gilt dasselbe.
Aus dem zahlreichen Schrifttum besonders über die angelsächsische Praxis verweise ich Sie nur auf das 1950 erschienene Buch des Münchener Staatsrechtslehrers Friedrich Glum über „Das parlamentarische Regierungssystem in Deutschland, Großbritannien und Frankreich", wo es auf Seite 82 heißt — ich will mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Präsidenten Ihnen wörtlich vorlesen, was ein Staatsrechtler ganz unabhängig von unserem konkreten Streit schreibt —:
Auch hat sich die Theorie immer mehr durchgesetzt, daß das Parlament über neue Fragen von fundamentaler Bedeutung nicht ohne einen Auftrag der Nation entscheiden kann.
Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß das Parlament als solches in dem Sinne delegierte Gewalt ausübt, daß es moralisch verpflichtet sei,
keine Fragen zu behandeln, die dem Volk nicht bei den vorhergehenden Wahlen unterbreitet worden sind.
— Das gilt auch für das Grundgesetz, Herr Kollege Schröder.
Aber ich will über die Rechtsfragen nicht mehr sagen, als notwendig ist, um auf die Rede des Herrn Kollegen Kiesinger und des. Herrn Bundeskanzlers zu erwidern. Wenn Sie die Rechtsfragen vertiefen wollen — ich bin im Verlaufe der Debatte dazu bereit, aber mir scheint das hier nicht der Platz zu sein.
Der Herr Bundeskanzler hat uns zweierlei vorgeworfen: erstens, daß wir die Person des Herrn Bundespräsidenten in die Debatte gezogen und zweitens, daß wir mit unserer Klage seine Verhandlungposition geschwächt hätten.
Auf 'eine künftige politische Haltung des Herrn Bundespräsidenten haben wir uns niemals berufen, wohl aber Sie, Herr Bundeskanzler, bei der ersten Lesung - des Ratifikationsgesetzes zum Schumanplanvertrag.
In die Wehrdebatte hat der Herr Bundespräsident selbst durch die öffentliche Äußerung einer Rechtsansicht eingegriffen. Daran zu erinnern, kann die dem Staatsoberhaupt geschuldete Achtung keinesfalls verletzen.
Zu unserer Verfassungsklage ihre Rechtsauffassung darzutun, hat die Bundesregierung nicht nur das Recht, sondern die Pflicht;
aber sie ist nicht befugt, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einer Regierungserklärung durch die Feststellung vorwegzunehmen, .daß die Klageaussichtslos und überflüssig sei.
Soweit der Herr Bundeskanzler sich auf meinen Parteifreund Carlo Schmid berufen hat, wird mein Parteifreund Carlo Schmid die Antwort noch selbst erteilen. Über die Klage m ag Karlsruhe entscheiden.
Für uns steht heute und hier die politische Frage an, für die kein Gericht zuständig ist, deren Entscheidung aber wir vor dem Volk und vor dem Forum der Geschichte verantworten müssen: Glauben Sie denn wirklich, Herr Bundeskanzler, daß eine Wehrentscheidung überhaupt möglch und sinnvoll ist, die nicht vom Vertrauen und der freiwilligen Zustimmung eines Volkes in seiner Gesamtheit getragen wird? Meinen Sie im Ernst, daß die - Verhandlungsposition eines Bundeskanzlers stärker ist, der sich bloß auf die formaljuristische Macht einer schmalen Mehrheit stützt? Auch am Verhandlungstisch ist es im Gegenteil doch ein Argument von Gewicht, daß ein Ergebnis der Konferenzen so wertvoll und so überzeugend sein muß, daß es die Zweidrittelmehrheit gewinnen kann.
Uns scheint — und damit komme ich wieder auf die Rede des Herrn Kollegen Strauß zurück —, daß Sie, Herr Bundeskanzler, bisher noch nicht einmal Ihre eigenen Freunde gewonnen haben. Denn Herr Strauß hat zwar zweimal nein gesagt, nein zu einem Wehrbeitrag „um keinen Preis" und nein zu einem Wehrbeitrag „um jeden Preis". Aber wo ist eigentlich das klare Ja geblieben?
Statt dessen hat er uns hier ein „unter Umständen Nein" gesagt. Also muß es doch auch für Sie, Herr Strauß, mögliche Umstände geben, unter denen Sie glauben, daß ein Wehrbeitrag _nicht gut, sondern schlecht ist und die deutsche Sicherheit verringert statt vermehrt.
Also müssen auch Sie, Herr Strauß, und Sie, Herr Euler, glauben, daß sich nach solchem „unter Umständen Nein" andere und bessere Verhandlungsmöglichkeiten ergeben, ohne daß die Torschlußpanik begründet ist, ohne daß sich Deutschland isoliert und ohne daß insbesondere Amerika uns im Stich läßt. Also gerade Ihre Hauptgründe, daß nämlich das Nein die Katastrophe bedeute, fallen doch in sich zusammen, wenn Sie selbst mit einem „unter Umständen Nein" rechnen. Aber leider haben Sie die Umstände, unter denen auch Sie nein sagen wollen, mindestens nicht deutlich genug gekennzeichnet.
Gerade aber diese Umstände zu erfahren, darauf hat das deutsche Volk ein Recht; denn es wünscht von uns Wahrheiten und Entscheidungen, aber keine Worte.
Sie haben davon gesprochen, daß man bei uns gegen den „Schwindel mit Worten", wie Herr Strauß sich ausgedrückt hat, immun geworden sei. Ich will den Ausdruck Schwindel vermeiden. Aber ich muß Ihnen sagen, daß wir gestern von der Bundesregierung und den Rednern der Koalition viele Worte, vielversprechende Worte zu hören bekommen haben, doch keinen Aufschluß — Aufschluß haben wir aber zu verlangen — in der Frage, ob und warum der Herr Bundeskanzler in einer absehbaren, ja fast drohenden Zukunft seine Unterschrift unter Verträge setzen will und kann, durch die unser deutsches Volk die Verpflichtung auf sich nimmt, seine Jugend als Soldaten zu bewaffnen, und zwar, ich wiederhole, unter Voraussetzungen und Umständen, die wir als gegebene Tatsachen kennen müssen. Weder die Sicherheit, noch die Gleichberechtigung, noch die Freiheit, noch die deutsche Einheit, noch Europa lassen sich durch Worte beschwören.
Uns ist der Wahrheitsgehalt dieser Begriffe viel zu ehrfurchtgebietend, als daß wir zulassen können, daß man mit den bloßen Namen Mißstände zudeckt, die dieser Namen nicht würdig sind.
Wenn die Westmächte Deutschlands Wiedervereinigung im Generalvertrag als auch ihr Ziel anerkennen, warum beginnen sie dann nicht bei den deutschen Menschen, über die sie die Macht haben,
bei den deutschen Menschen an der Saar? Wenn die Westmächte Deutschlands Wiedervereinigung im Generalvertrag als auch ihr Ziel anerkennen, warum spielt denn hierbei das Zeitargument keine Rolle? Warum furchtet man denn in dieser Frage nicht, die Zeit zu verspielen? Welche Stärke, will der Westen noch abwarten und erreichen, um auf höchster Ebene der Vier-Mächte-Basis ernstliche Verhandlungen in dieser Frage zu beginnen, die nicht über uns, sondern mit' uns zu führen
Es ist ist ja so leicht gesagt, daß man über ein vereinigtes Europa zu einem in Freiheit einigen Deutschland kommen wolle. Aber wer verbürgt sich dafür, daß dieser Weg zum Ziel führt und die Eingliederung des westlichen Teils der Bundesrepublik Deutschland nach Westeuropa nicht die unwiderrufliche Ausgliederung ihres östlichen Teils bewirkt? Die Wiedervereinigung Deutschlands ist doch kein nur nationales Problem, ja, sie ist sogar mehr als ein europäisches, sie ist ein Problem des Weltfriedens. Und was wird aus Berlin?
Auf keine dieser Fragen haben wir von der Bundesregierung eine irgendwie befriedigende Auskunft erhalten. Keinen stichhaltigen Grund haben wir dafür erfahren, warum der Generalvertrag zur Ablösung des geschichtlich doch längst überholten Besatzungsstatuts nur — und nur — auf dem Fundament des deutschen Wehrbeitrags abgeschlossen werden kann und dadurch unserem Volk jede freie Entscheidung genommen wird. Diese Freiheit der Entscheidung aber ist für unser Volk unverzichtbar, wenn es prüfen und selbst beurteilen soll, ob es Vertrauen hegen darf und einsehen kann, dar die ihm zugemuteten Opfer sinnvoll sind und Sicherheit gewährleisten, ob sie geeignet sind, den Frieden zu' gewinnen. Gestern noch hat der Herr Bundeskanzler sich von dieser Stelle aus dagegen verwahrt, daß mein Freund Ollenhauer gesagt hat, wir sollten nach dem Fahrplan erst den Wehrbeitrag leisten und dann den Generalvertrag bekommen. Heute steht in allen Zeitungen, daß der amerikanische Außenminister Dean Acheson gestern mit aller Eindeutigkeit erklärt hat, es gebe keinen Generalvertrag, solange die Frage des Wehrbeitrags ungeklärt sei.
Da ist der Herr Bundeskanzler wieder einmal desavouiert.
Aber unsere Freiheit der Entscheidung ist nicht gewährleistet, solange man uns gegenüber diese Politik der Koppelung und Fesselung betreibt.
Wir Sozialdemokraten haben seit Jahren die Voraussetzungen aufgezeigt, die in ihrem Zusammenhang unteilbar und unabdingbar sind, um den Weg geradeaus nach Europa zu nehmen. Wir müssen feststellen, daß es nach wie vor an diesen Voraussetzungen fehlt, und darum das klare und das ganze Neinsagen, das allein den Weg zu neuen Anfängen eröffnet. die um der Sicherheit und der Freiheit und der Einheit Deutschlands und Europas willen notwendig sind.