Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern mit großem Interesse die Rede des Herrn Bundeskanzlers auf der einen und die des Herrn Ollenhauer auf der anderen Seite gehört. Beide Reden enthielten außerordentlich viel Dinge, die uns gefielen.
Gegen beide Reden wäre aber auch manches einzuwenden.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in längeren Ausführungen über die Gefährlichkeit der Sowjetunion verbreitet, er hat Dinge vorgetragen, die uns — uns allen! — seit langer Zeit bekannt sind. Aber er hat leider versäumt, auf manch konkrete Einzelheiten einzugehen, die uns gerade in dieser Situation besonders interessiert hätten. Wir haben wenig, ja wir haben nichts von dem konkreten Inhalt des Generalvertrags gehört, der die politische Voraussetzung für jede militärtechnische Abmachung ist, und wir haben des weiteren nichts über das Verfahren gehört, das man beim Aufbau eines neuen Heeres einzuschlagen gedenkt.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Rede erklärt, daß er aus Gründen der diplomatischen Rücksichtnahme manches nicht sagen könne, was er vielleicht gern sagen möchte. Dann ist es aber auch nicht möglich, von dem Hause nun ein klares Ja zu Dingen zu verlangen, die es noch nicht zu übersehen vermag, wenn der Bundeskanzler manches Wesentliche noch nicht sagen kann.
Bisher haben wir lediglich etwas über die Präambel des Generalvertrags vernommen. Sie stellt nicht mehr als eine Sammlung frommer Wünsche dar, deren Auswirkungen in der Praxis — und das ist der eigentliche Inhalt des Vertrags — aber nicht zu überblicken sind. Wir sind davon überzeugt, daß uns der Petersberg theoretisch das Beste wünscht; aber wir sind gleichermaßen der festen Überzeugung, daß er uns erst dann etwas Gutes zu geben beabsichtigt, wenn er seine eigenen Angelegenheiten zunächst einmal hundertprozentig zu seinem Nutzen geregelt hat.
Das, was wir gestern gehört haben, war unzureichend. Aber noch wesentlicher ist, daß wir in der letzten Zeit von unseren künftigen Verbündeten erhebliche Enttäuschungen erlebt haben. Als die Alliierte Hohe Kommission das Gesetz über die finanzielle Eingliederung Berlins inhibierte oder sistierte, erklärte sie, daß sie das tun müsse, weil man sonst mit Protesten der Sowjets zu rechnen habe. Meine Damen und Herren, daß die Sowjets protestieren würden, ist keine tiefschürfende Entdeckung; denn seit 1945 protestieren sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Uns fällt aber auf, daß man in diesem Fall auf eventuelle, mögliche russische Proteste Rücksicht nimmt, während man es in anderen Fällen gar nicht tut. Ich erinnere daran, daß z. B. der japanische Friedensvertrag — es wäre für uns recht schön, wenn der zukünftige deutsche Vertrag manches davon hätte — abgeschlossen wurde, ohne daß man sich um die heftigen russischen Proteste kümmerte. Des weiteren
hat man, ohne sich um die ständigen russischen Proteste zu kümmern, den italienischen Friedensvertrag in vielen Dingen modifiziert und verbessert. Bei uns aber glaubte man auf die sowjetischen Proteste Rücksicht -nehmen zu müssen.
— Nein, der Grund ist leider noch ein ganz anderer, Herr Mellies, und zwar folgender. Wir sehen in diesem Vorgang die leider noch vorhandene Gefahr, daß sich der Westen eines Tages auf unsere Kosten mit seinem ehemaligen Kriegsverbündeten einigt; er würde es tun, wenn er es nur irgendwie könnte, Herr Dr. Tillmanns.
Ich glaube, der Bundeskanzler hat wegen der Frage, ob sich die Brüder nicht eventuell doch noch über unseren Kopf hinweg einigen könnten, genau so viele schlaflose Nächte gehabt und wird sie noch haben, wie wir alle.
— Ich komme auf die besondere Situation Berlins noch zu sprechen, Herr Dr. Tillmanns. Die einzige Grundlage für die Betrachtung unserer Situation ist bisher nur die konsequente negative Haltung der Sowjets gewesen, nichts anderes.
Meine Damen und Herren, es ist immerhin bemerkenswert, daß die Westmächte bisher noch keinerlei Ansätze gemacht und Versuche unternommen haben, die Basis zu verlassen, die mit den Abkommen von Yalta und Potsdam umschrieben ist. Wir haben bis jetzt nichts davon gehört, daß die Alliierten diese uns belastenden Verträge aufgekündigt haben, etwa wegen Bruchs durch den Osten. Ich bin aber der Auffassung, daß es völlig ausgeschlossen ist, ein neues deutsches Heer aufzubauen, solange unser Verhältnis zu den künftigen Verbündeten mit der Hypothek dieser beiden Verträge, die auf unsere Zukunft nicht nachwirken dürfen, belastet ist. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß in dem Generalvertrag so etwas wie, sagen wir einmal, ein Nullpunkt hergestellt wird und daß die Alliierten gewillt sind, von der Linie der Vergangenheit, die doch konsequent von der Konferenz von Casablanca 1943 bis zum Petersberg-Abkommen 1949 verläuft, hundertprozentig abzugehen. Ein hundertprozentiges Abgehen von dieser Linie und eine hundertprozentige Liquidation der, ich möchte einmal sagen, Ära der bedingungslosen Kapitulation ist aber unbedingte Voraussetzung dafür, daß wir uns in irgendein neues Bündnis oder Vertragsverhältnis mit den Westmächten begeben. Es ist doch ein grotesker Zustand, daß wir, während wir hier verhandeln, in Deutschland noch Gesetze der Hochkommission — nicht mehr des Kontrollrats — haben, die eine Beschäftigung mit diesen Dingen unter Geldstrafen bis zu einer Million D-Mark stellen. Auch sind nach wie vor unendlich viele Kontrollratsgesetze in Kraft. Es wäre interessant, würde aber zu weit führen, einmal festzustellen, was denn bis jetzt überhaupt noch verboten ist. Soweit mir bekannt, ist bisher nur von Schreiben der Alliierten Hochkommission an unsere Regierung die Rede gewesen, worin diese erlaubte, sich trotz der Bestimmungen dieser Gesetze mit den Dingen zu befassen.
Ein anderes Ereignis der letzten Zeit hat uns aber noch skeptischer gemacht: das Vorgehen Frankreichs an der Saar. Wenn die — zufälligerweise im Amt befindliche — französische Regierung es für notwendig hält, den Herrn Grandval, von dem man sagt, daß sein Name früher einmal in deutschen Adreßbüchern gestanden hat, zum Botschafter bei seiner eigenen Kreatur zu machen, dann bedeutet das nicht etwa bloß eine Unterstützung dieser Kreatur Hoffmann, sondern wir erblicken darin ausschließlich einen festen und massiven Schritt auf dem Wege, im Saargebiet vollendete Tatsachen zu schaffen. Der Bundeskanzler hat bisher sich und uns immer mit der Formel getröstet, daß die Saarfrage in dem Friedensvertrag gelöst werde und daß nach seinem Schriftwechsel mit Schuman Frankreich keinerlei Dinge tun würde, die irgend etwas vorwegnehmen könnten, was dem endgültigen Friedensvertrage vorbehalten bleibe. Aber die Franzosen sind zu nüchterne Realisten, als daß sie nicht jede sich bietende deutsche Schwäche ausnutzen würden, um ihre eigene Position zu festigen. Mit der Ratifizierung des Schuman-plans durch das deutsche Parlament ist aber auch die letzte fadenscheinige Begründung für eine französische Intervention im Saargebiet verlorengegangen; denn wirtschaftliche Interessen können ja kaum mehr als maßgeblich ins Feld geführt werden, nachdem die beiden wirtschaftlichen Hauptwerte des Saargebiets, nämlich Kohle und Stahl, in den europäischen Montanpakt eingebracht sind.
Ein weiteres hat uns außerdem in der letzten Zeit skeptisch gemacht. Meine Damen und Herren, was nützt die schönste Gleichberechtigung deutscher Truppen im Rahmen des Plevenplan-Vertrags,
die Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung, die im Art. 3 dieses Vertrags festgelegt ist oder festgelegt werden soll oder sein wird, wenn diese Organisation der Europaarmee letztlich nicht entscheidend ist. Entscheidend ist im ganzen Gebäude dieser verschiedenartigen Verträge bisher nur die Organisation der NATO. Es ist ausgeschlossen, im Ernste von einer deutschen Gleichberechtigung innerhalb der Europaarmee zu reden, wenn wir auf der eigentlichen Kommandobrücke, der NATO nämlich, nicht vertreten sind.
Auch wenn es der Herr Bundeskanzler gesagt hat — es ist gut, daß er es gesagt hat —, muß von allen Seiten des Hauses erklärt werden, daß dies die Kardinalforderung, die Forderung Nr. 1 ist, die von dem Bundestag mit Ausnahme der Satrapen Moskaus geschlossen unterstützt wird und entsprechend vertreten werden muß.
Man ist nicht imstande, wenn wir auf dieser. eigentlichen Befehlszentrale nur mit einer Art besserem Ordonnanzoffizier vertreten sein sollten, von einem gleichberechtigten deutschen Soldaten zu sprechen; denn gleichberechtigt wären wir ja nur dann, wenn wir dasselbe Verfügungsrecht hätten wie alle anderen. Ohne gleichberechtigte Vertretung dort oben wäre dies aber nicht möglich.
Und ein anderes. Man redet von deutschen Divisionen. Gleichzeitig tut man aber den Begriff einer deutschen Wehrmacht in Acht und Bann. Ich bin der Auffassung, daß Divisionen, die nicht Teil einer Wehrmacht eines Volkes sind, eben Teile einer Fremdenlegion sind und daß eben nur eine dem
Vaterland direkt verpflichtete Wehrmacht das Gegenteil einer Fremdenlegion ist. Ich glaube, daß es ganz besonders aus psychologischen Gründen wesentlich sein wird, den Deutschen jegliches Gefühl zu nehmen, in irgendeiner Art zweitrangig zu sein bzw. behandelt zu werden.
— Herr Dr. Reif, ich bin überzeugt, daß die Überlegenheit des Westens auf materiellem Gebiet im ständigen Rückgang begriffen ist, wie die letzten Ereignisse in Korea mit einer erschreckenden Deutlichkeit gezeigt haben. Die materielle Überlegenheit des Westens gegenüber dem Osten war in der ganzen Debatte ein sehr wesentlicher Punkt. Wenn sich dies nun zugunsten des Ostens verschiebt — physisch sind wir ohnehin wesentlich weniger als die —, dann ist es noch wichtiger, daß der Soldat, der dagegen eingesetzt werden soll, eine sichere und geistig überlegene psychologische Basis gegenüber dem Steppenmenschen von drüben hat, mit dem er sich eines Tages, was Gott verhüten möge, vielleicht auseinandersetzen muß.
— Doch! — Des weiteren ist uns nichts über die Fragen gesagt worden, wie in Zukunft unser Heer ausgerüstet und bewaffnet werden soll. Da ist folgendes zu sagen. Herr Bundeskanzler, vom Schumanplan verstanden nicht mal alle Abgeordneten dieses Hauses etwas, hinzugenommen vielleicht einige Funktionäre der Gewerkschaften, der Industrie und sonstiger Verbände. Von der Ausrüstung und Bewaffnung verstehen aber Hunderttausende etwas; hunderttausende ehemaliger deutscher Obergefreiter wissen ganz genau, wie eine solche Sache aussieht. Es ist notwendig und es scheint mir dringend notwendig zu sein — —
— Nein, das ist kein gefährliches Zitat.
Es ist dringend notwendig, daß das Gefühl der Gleichberechtigung auch in waffenmäßiger Hinsicht rechtzeitig und frühzeitig geschaffen wird. Wir haben einmal davon gehört, daß mangels Masse die Amerikaner vielleicht auch genötigt sein könnten, uns Sherman-Panzer hierher zu bringen. Meine Damen und Herren, seien Sie sich bitte darüber im klaren: In solche Dinger setzt sich ein deutscher Soldat, der den Krieg hinter sich gebracht hat, nicht rein, und zwar deshalb, weil, angesichts der überlegenen Qualität der russischen Panzer, er Befürchtungen hat, sich hineinzusetzen.
Diese Dinge müssen vorher klargestellt sein, ehe man verlangen kann, daß deutsche Menschen mit dem notwendigen inneren Schwung an einen Verteidigungsbeitrag herangehen.
Es ist des weiteren nicht ganz begreiflich, daß sich eine gewisse Sorte deutscher Zeitungen auf der einen Seite den alliierten Forderungen hinsichtlich der Vorbereitung einer Wehrbereitschaft etc. anschließt, auf der anderen Seite aber schreibt, daß es natürlich nicht notwendig, j a im Gegenteil sogar zu verurteilen wäre, wenn wir hier in Deutschland eine eigene Rüstungsindustrie aufmachten. Ich, bin überzeugt, es wäre viel angenehmer, wenn wir die Waffen von woanders beziehen könnten und in dieser Richtung nichts zu tun brauchten; aber ein Heer, das sich nicht direkt auf eine vorhandene Rüstungs- und Reparaturindustrie stützt, wird im Ernstfall nutzlos sein.
— Das ist keine schwierige Sache, das ist eine sehr einfache Sache; denn Sie müssen bitte daran denken, daß im Ernstfall das ganze Bundesgebiet — um es mal mit einem militärischen Fachausdruck zu belegen — rückwärtiges Heeresgebiet ist. Es ist völlig ausgeschlossen, eine Truppe hier aufzubauen, wenn gleichzeitig nichts an technischen Zurüstungsbetrieben, die aber notwendig sind, vorhanden ist. Das ist das Wesentliche. Es wäre sehr angenehm, wenn wir alles das hierhergebracht kriegen und unendlich viel Geld damit sparen könnten; aber was angenehm ist, hat meistens mit den nüchternen Realitäten, um die es hier geht, nur sehr wenig zu tun.
Was nun die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer angeht, so habe ich dazu kurz folgendes zu bemerken. Herr Ollenhauer hat mit Recht an vielen Dingen, die der Bundeskanzler gesagt hat — bzw. nicht gesagt hat, und das waren eigentlich die wesentlicheren —, Kritik geübt. Die sozialdemokratische Kritik hat aber unseres Erachtens in ihrer sachlichen Durchschlagskraft darunter gelitten,
— ich bin gleich fertig —, daß eben hinter dieser Kritik ausschließlich der Wunsch stand, möglichst schnell an die Regierung zu kommen. Ich bin der Auffassung, daß es das gute Recht einer parlamentarischen Opposition ist, alles zu tun, um möglichst schnell an die Regierung zu kommen; aber eine Verkoppelung des Dranges zur Regierung mit der Negation dieser Lebensfrage scheint uns nun allerdings zumindest leicht, ja, zu riechen.
Meine Damen und Herren! Meine Redezeit
ist gleich beendet.
Lassen Sie mich einen Satz noch sagen zum Thema Kriegsdienstverweigerung.
— Ein Satz, Herr Präsident! — Meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Argumentation steht meines Erachtens deswegen auf wackeligen Füßen, weil, wenn man von einem Recht der Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe aus Gewissensgründen spricht, dieses implicite die Pflicht zum Kriegsdienst voraussetzt. Hätten Ihre Leute, die im Parlamentarischen Rat bei der Schaffung des Grundgesetzes mitgewirkt haben, sich nicht diesen Zak-ken abgebrochen und gar nichts über dieses Thema ins Grundgesetz hineingeschrieben, dann wäre darüber zu diskutieren, ob nun eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist oder nicht. Wir sind aber der Auffassung, daß es sich hier weniger um eine Wehrpflicht. als vielmehr um ein Naturwehrrecht eines jeden Volkes handelt, und wenn es ein Naturwehrrecht eines jeden Volkes gibt, dann sollte es wohl möglich sein, hier nun die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, auf denen eben eine den Zeitläuften angepaßte moderne Kriegsdienstpflicht errichtet werden kann.