Rede von
Dr.
Linus
Kather
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Frage, die wir in diesen Tagen hier behandeln und die wir in einigen Monaten zu entscheiden haben werden, spielt die Hauptrolle die Gefahr aus dem Osten.
Sie ist ausschlaggebend für die Entscheidung, die wir zu treffen haben.
Ich glaube, daß die aus dem Osten vertriebene Bevölkerung der Bundesrepublik dabei ein Wort mitzusprechen hat. Schon die Tatsache, daß 15 Millionen Deutsche aus ihrer angestammten Heimat vertrieben worden sind, zeigt eindeutig die Größe und die Furchtbarkeit dieser Gefahr.
Von diesen 15 Millionen sind nur 12 Millionen wieder zum Vorschein gekommen. 3 Millionen sind verschleppt, verhungert, ermordet worden;
allein eine Million bei der Vertreibung. Jede deutsche Frau, die in die Hände der Russen gefallen ist, ist geschändet worden.
Selbst Priestermord in großem Umfang ist begangen worden. Ich halte es für erforderlich, das auch bei dieser Gelegenheit ganz offen auszusprechen; denn es ist doch wohl so, daß die Größe dieser Gefahr bei uns in der Bundesrepublik — und ganz besonders gilt das auch für Frankreich — noch immer nicht erkannt worden ist.
Wenn man sich das Wesen der totalitären Systeme vor Augen hält, dann weiß man, daß sie sich nicht beschränken und daß sie nicht aufhören können, daß sie sich niemals mit dem kleinen Finger begnügen, sondern immer die ganze Hand haben wollen. Deshalb kann es für uns Vertriebene nicht zweifelhaft sein, daß diese Gefahr besteht und daß es eine geradezu tödliche Gefahr ist. Und so sollte man meinen — und das trifft auch zu — daß die Vertriebenen in dieser Frage für die Bereitschaft zu einer Verteidigung ganz besonders aufgeschlossen sein sollten,
und sie sind es auch gewesen. Aber es ist nicht zu leugnen, daß diese Bereitschaft in starkem Umfange in Zweifel gezogen worden ist.
Ich möchte kurz auf die Ursachen dieser Entwicklung eingehen. Es sind schwere Besorgnisse, die dieses Problem für die Vertriebenen aufwirft. Da ist einmal die Frage: Was wird aus unserer Heimat? Es ist in der Debatte bisher nicht zu viel vom Saargebiet gesprochen worden, aber doch wohl etwas zu wenig von unserer Heimat, und es ist meine Aufgabe, dieses Thema hier anzuschneiden.
Wir wissen, daß die Haltung der Vertriebenen zu dieser Frage im Ausland Besorgnis auslöst, ganz besonders in Frankreich, wo man sich sagt: Unsere Soldaten wollen nicht für Königsberg sterben. Die Vertriebenen sagen: Wir wollen nicht für Potsdam oder Yalta sterben, und ich glaube, der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit aller Vertriebenen sicher zu sein, wenn ich sage: für diese Frage soll überhaupt niemand sterben!
Die Vertriebenen wünschen keinen Krieg, auch nicht um den Preis der Wiedergewinnung ihrer Heimat.
Das ist keine Äußerung ad hoc. Ich verweise auf die Charta der deutschen Vertriebenen, in der es heißt: „Wir verzichten auf Rache und Vergeltung", und dieser Verzicht, der gleichzeitig die Wiedereroberung unserer Heimat mit Waffen ablehnt, ist endgültig.
Aber ebenso endgültig ist, daß wir unser Recht auf die Heimat nicht preisgeben wollen und nicht aufhören werden, dieses Recht mit friedlichen Mitteln zu suchen.
Wir sind uns seit langem darüber einig geworden, daß der Weg zur friedlichen Wiedergewinnung der Heimat über Europa führt.
Als wir vor einigen Wochen in Hannover den Bund der vertriebenen Deutschen gründeten, da stand diese Tagung unter dem Wort „Für Heimat, Deutschland und Europa".
Eine unserer größten Vertriebenenzeitungen nahm das zum Anlaß, ihren Namen „Die Stimme der Vertriebenen" zu ändern in „Die Stimme für Heimat, Deutschland und Europa".
Wir wissen, daß diese Frage beim Friedensschluß entschieden werden soll, und wir können daraus die Gewähr entnehmen, daß sie nicht ohne Zustimmung Deutschlands entschieden werden kann. Aber wir glauben, wir sollten noch eines mehr verlangen. Wir sollten verlangen, daß bei dieser Frage und ihrer Entscheidung die Grundsätze der Atlantik-Charta Anwendung finden. In der Atlantik-Charta heißt es, daß keine territorialen Erweiterungen erstrebt werden, daß kein Volk seines Gebiets ohne seine Zustimmung verlustig gehen soll. Es kommt darin auch zum Ausdruck, daß es einen Unterschied zwischen Siegern und Besiegten nicht geben kann. Wenn wir von den Alliierten — und ich glaube, sogar Stalin hat ein Jahr später die Atlantik-Charta unterschrieben — verlangen, daß sie zu ihrer eigenen feierlichen Erklärung stehen, so bewegen wir uns damit im Rahmen dessen, was wir unter allen Umständen mit Recht verlangen können.
Aber die Vertriebenen haben auch Besorgnisse, die sich nach innen wenden. Eine echte Verteidigungsbereitschaft setzt voraus, daß diese' große Gruppe unseres Volkes das Gefühl hat, hier eine Heimat zu haben, solange bis sie ihre alte Heimat wieder bekommen kann, daß sie gleichberechtigt im Volksganzen steht und daß ihre soziale Sicherheit gewährleistet ist.
Die Bundesregierung verlangt mit Recht, daß die Gleichberechtigung Deutschlands gegenüber Europa sichergestellt wird. Wir alle teilen dieses Verlangen. Aber ein solches Verlangen würde wenig Überzeugungs- und Stoßkraft haben, wenn wir im Innern nicht selbst danach sehen würden, daß nicht zweierlei Recht geschaffen wird. Hier muß ich — um nur ein Beispiel herauszugreifen — zurückkommen auf das Unrecht, das den Vertriebenen und nicht nur den Vertriebenen bei der kleinen Besoldungsreform geschehen ist. Man hat sie einfach schlechter gestellt als alle anderen, bloß weil nicht genügend Geld da war. Wenn solche Unrechtstatbestände nicht schleunigst ausgeräumt werden, dann wird sich eben die echte innere Bereitschaft nicht einstellen, da mögen wir reden, was wir wollen.
Die zweite Frage, die die Vertriebenen mit großer Besorgnis erfüllt, ist in diesem Hause schon mehrfach angeschnitten worden: Werden die großen Leistungen, die uns der Verteidigungsbeitrag auferlegt, nicht zu Lasten derer gehen, die auf Hilfe aus Bundesmitteln angewiesen sind? Werden sie nicht gerade zu Lasten des Lastenausgleichs gehen? Diese Rivalität zwischen Lastenausgleich und Verteidigungsbeitrag ist auch von der Bundesregierung immer zugegeben worden, und zwar schon in der Begründung zum Lastenausgleich, wo gesagt ist, daß alles das, was hier geleistet wird, ein echter Beitrag zur Verteidigung ist.
Ich will hier auf Einzelheiten nicht eingehen, ich kann es auch nicht. Aber es ist Tatsache, daß die Angelegenheit nun schon zu lange dauert und daß nach dem bisherigen Konzept ein echter Ausgleich, eine wirkliche Beseitigung der Unordnung in der Besitzverteilung, die ja schon früher bestand und durch die Zufallsentscheidungen des Krieges noch verschlimmert worden ist, nicht beabsichtigt ist. Die Überzeugung also, daß das bisherige Konzept eine solche Entscheidung bringen wird, ist bei den Vertriebenen nicht vorhanden und kann bei ihnen auch nicht vorhanden sein. Bis jetzt ist nach meiner Meinung nicht einmal sichergestellt, daß die Leistungen der Soforthilfe in der bisherigen Höhe aufkommen werden, und erst recht nicht die Leistungen, die wir nach unserem Konzept brauchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre verhängnisvoll, militärische Verteidigungsvorbereitungen zu treffen und es zu unterlassen, die soziale Ordnung zu schaffen, die allein die Ideologie des Ostens von innen her wirksam bekämpfen kann.
Ich möchte die Bundesregierung bitten, in den Verhandlungen, die sie jetzt zu führen hat, gerade auf diese Seite der Angelegenheit hinzuweisen. Auch die Amerikaner — insbesondere Mr. Sonne, der ja hier war und das Problem studiert hat — haben zugeben müssen, daß das eine so wichtig ist wie das andere.
Wir wollen die Dinge nicht leicht nehmen. Die „Zeit" hat einmal geschrieben, die Vertriebenen seien „Figuren in Stalins Spiel". Der Herr Bundeskanzler hat gestern hier aufgezählt, welche Tarnorganisationen wirksam sind, um unsere Organisationen zu unterwandern. Gerade auch wir können solche Beobachtungen machen. Man hält westdeutsche Flüchtlingskongresse ab, man hat jetzt schon eine besondere Flüchtlingszeitung gegründet, die sehr preiswert abgegeben wird, man bietet sich den Treckvereinigungen schon als Bundesgenosse an, und man versucht, alle anderen Organisationen zu unterwandern. Deshalb bin ich der Auffassung, daß, wenn wir in einigen Monaten vor die Entscheidung gestellt werden, bis dahin schon durch die Tat bewiesen sein muß — insbesondere durch die Endkonzeption des Lastenausgleichs —, daß man nicht nur Worte machen will, sondern wirklich bereit ist, dieser Gruppe, die noch im Schatten steht, das zu geben, was sie haben muß, wenn sie mit ganzem Herzen für die gemeinsame Heimat eintreten soll.
Meine Damen und Herren! Die Beteiligung an dem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung Europas ist für uns alle tragbar und annehmbar nur unter dem Gesichtspunkt, daß wir auf diese Weise
— und nur auf diese Weise!, — den äußeren Frieden erhalten können. Aber die weitere Voraussetzung ist, daß wir uns durch soziale Leistungen den inneren Frieden bewahren und erhalten!