Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Es ist ermutigend für uns, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Frage der deutschen Einheit zu ihrer Angelegenheit gemacht und sie erörtert hat. Ich finde, es ist besonders ermutigend, daß sich eine solch große Anzahl von Rednern aus so vielen Ländern in einer Weise dafür interessiert hat, die weit über eine formale Sympathiebekundung hinausgeht. Man darf wohl sagen, daß die Frage der deutschen Einheit auf Grund dieser Beratungen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht mehr nur eine nationale Angelegenheit der Deutschen selbst ist, sondern daß sie damit eindeutig zu einer Angelegenheit der Weltdemokratie geworden ist; das hat auch zum Ausdruck gebracht werden sollen. Vielleicht haben die Erörterungen von Paris für die Besatzungsmächte auch die Bedeutung, daß ihnen durch die zum Teil leidenschaftliche Erörterung der deutschen Frage vor einem so breiten internationalen Gremium gegenwärtig geworden ist, welche Rolle die deutsche Einheit bei der Ordflung der Verhältnisse und der Überwindung der Spannungen spielen kann bzw. welche Rolle ihr zukommt.
Es ist zur Stunde nicht zu übersehen, wie die Kommission, die gebildet wurde und über deren Kompetenzen wir hier einen Bericht gehört haben, ihre Tätigkeit in Angriff nehmen wird und kann. Schon die Konstituierung dieser Kommission ist auf ganz erhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Die polnische Regierung, die durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen aufgefordert worden war, einen Vertreter in diese Kommission zu entsenden, hat brüsk abgelehnt. Sie hat sich dabei — das ist schon erwähnt worden — auf den Art. 107 der UNO-Satzungen berufen. Dieser Art. 107 hat doch in der Essenz den Zweck gehabt — das steht auch so drin und ist so kommentiert worden —, die Behandlung der Angelegenheiten früherer Feindstaaten der im Kriege befindlichen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen vor diesem Forum auszuschließen. Der Art. 107 ist inzwischen, nachdem 7 Jahre seit dem Abschluß der Kriegshandlungen vergangen sind, hinfällig geworden. Es ist ein besonders trübes Zeichen, daß es in diesem Hause eine — wenn auch kleine — Gruppe gibt, die applaudiert, wenn die Rede davon ist, daß sich eine Macht darauf beruft, auf Grund des Art. 107 keine deutschen Fragen behandeln zu wollen, obwohl es doch eine Frage des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie für die ganze Welt und für alle diese Länder ist.
Darüber hinaus aber hat die polnische Regierung bei ihrer Absage auf die Aufforderung der Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärt, die Bildung dieser Kommission und ihr Auftrag laufe auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes hinaus und beeinträchtige die Würde des deutschen Volkes. Diese Worte nehmen sich eigentümlich aus, wenn sie von jener Seite gebraucht werden. Unserer Auffassung nach wäre es keine Einmischung, wenn die Vereinten Nationen dazu beitragen sollten und dazu beitragen könnten, daß das deutsche Volk durch freie Wahlen unter internationaler Kontrolle endlich selbst seine gesetzgebende Versammlung wählen und eine Regierung bilden kann. Dieser Schritt wäre das Gegenteil einer Einmischung; das wäre nämlich ein Schritt zur Beendigung von Einmischungen, die infolge der ungeregelten Verhältnisse fortgesetzt über uns ergehen. Wir wünschen ja die internationale Kontrolle für die Vorbereitung und für die Durchführung freier Wahlen in allen Teilen unseres Landes, damit eben überall in Deutschland die Menschen wirklich ohne Furcht wählen können. Das wäre, so finden wir, keine „Beeinträchtigung der Würde des deutschen Volkes", wie es in der ablehn enden Stellungnahme der polnischen Regierung heißt, sondern würde helfen, einen Zustand zu beenden, der mit der Würde der Menschen unseres Volkes unvereinbar ist. Mit der Würde unvereinbar sind z. B. gewisse Anstalten, die man kennzeichnet, wenn man die Namen Bautzen, Waldheim, Torgau usw. ausspricht.
Die polnische Regierung hat in ihrer Ablehnung behauptet, daß die sogenannte Regierung der sowjetischen Besatzungszone — so heißt es nun wörtlich in dem Schreiben der polnischen Regierung — „die Unterstützung aller demokratischen Kräfte in ganz Deutschland genieße". Bei diesem Satz müssen wir notgedrungen heute ein wenig verweilen. Für uns in Deutschland ist es grotesk, wenn die Regierung von Pankow so charakterisert wird als der Ausdruck aller demokratischen Kräfte in ganz Deutschland. Aber wir hätten auch noch etwas anderes dazu zu sagen.
Es bleibt nämlich die Frage, ob mit diesem Satz der polnischen Verlautbarung zum Ausdruck gebracht werden soll, daß sowjetischerseits immer noch versucht wird, die Elemente und die Instrumente der Unterdrückung in einem Teile Deutschlands als demokratisch zu firmieren. Offenbar soll diesen Elementen und Instrumenten gerade durch das Firmieren als „demokratisch" zur Macht im gesamten übrigen Deutschland verholfen werden.
Unserer Auffassung nach gibt es nur eine demokratische Legitimation, und die besteht darin, sich ohne Vorrechte und ohne Kniffe zur Wahl zu stellen. Und damit weder Vorteile noch Nachteile für die eine oder andere Partei, für die eine oder andere Gruppe auftreten können, wollen wir eben die internationale Kontrolle in der Periode vor und während der Wahlen. Das war und das bleibt der Sinn der Auseinandersetzungen und der Beschlüsse dieses Hauses vom 9. März, vom 27. September vergangenen Jahres und bei anderen Gelegenheiten. Der Sinn war: freie Wahlen unter internationaler Kontrolle, damit gleiche Bedingungen überall und für alle gewährleistet werden.
Bei der Ablehnung einer Hilfe durch die Vereinten Nationen seitens der Volkskammer der sowjetischen Besatzungszone hat offenbar — das muß man aus den Darlegungen der sowjetzonalen Volkskammer schlußfolgern — vor allem der Gedanke eine Rolle gespielt, daß das Kernstück aller bisherigen Angebote der sowjetzonalen Volkskammer die „gesamtdeutsche Beratung" ist. Nun, wir haben schon einmal die Frage gestellt, ob diese „gesamtdeutsche Beratung" lediglich eine Ersatzeinrichtung für die von uns aus guten Gründen schon einmal abgelehnte Err chtung eines sogenannten „gesamtdeutschen Konstituierenden Rates" sein soll.
Es stellt sich immer wieder die Frage, warum denn Körperschaften gebldet werden sollen, die, ohne daß sie aus freien Wahlen selbst hervorgegangen sind und ihr Mandat bekommen haben, faktisch Regierungsgewalt haben und ausüben sollen. Wir, d. h. die Abgeordneten des ganzen Hauses, waren seinerzeit ausdrücklich gegen den sogenannten Konstituierenden Rat, weil er eine provisorische Regierung mit großer Machtbefugnis ohne Wahl, ohne Mandat des freien Volkes geworden wäre. Wir sind auch gegen alle Ersatzeinrichtungen, die Regierungsgewalt ausüben sollen, ohne daß sie gewählt worden sind.
Ebenso sind wir — und müssen es konsequenterweise sein — gegen Beratungen, die nur geführt werden sollen, um die sowjetische Verhandlungstaktik zu unterstützen.
Wir wüßten gern, was die Sowjetregierung offiziell will und meint; aber es kann uns nicht genügen — es muß immer wieder gesagt werden —, daß uns das durch den Mund der Leute von Pankow versichert wird, die keine bindenden Verpflichtungen einzugehen imstande sind.
Wir können über Beratungen in diesem Stadium nicht reden. Beratungen können sein über Einzelheiten der Technik, nachdem Voraussetzungen, politische Voraussetzungen gewährleistet sind. Was sollten denn z. B. solche Beratungen, von denen uns gesagt wird, sie sollten sich insbesondere mit der Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages befassen? Man hatte ja schon im vorigen
Jahre einen Termin innerhalb des Jahres 1951 gestellt. Jetzt stellt man neue Termine. Wieso können denn Deutsche, wenn sie zu solcher Beratung zusammenkommen, irgend etwas Nutzbringendes für das Herbeiführen eines Friedensvertrages tun? Wenn die Regierung der Sowjetunion einen Friedensvertrag für Deutschland mit Deutschland usw. schließen will, dann muß sie doch wohl zu allererst mit ihren Verbündeten aus dem letzten Krieg, mit den übrigen Besatzungsmächten, zu einem Konsens in d' eser Frage kommen. Welchen Sinn hätten gesamtdeutsche Beratungen zur Förderung irgendeines Friedensvertrags? Man wird uns doch wohl nicht zumuten, daß wir Vorschläge darüber zu machen hätten, was andere uns als einen Friedensvertrag präsentieren sollten. In eine solche unmögliche Lage kommt man, wenn man derartige Losungen, derartige Forderungen stellt. Es erhebt sich die Frage: was will denn Pankow mit all diesen fortgesetzten Forderungen, die es in der Form abwandelt, die auch in dem Wortlaut ab und zu unseren Meinungen sich anzunähern scheinen, die aber, wenn man zugreift, sich immer wieder als Verkleidungen schon einmal erörterter und als unmöglich und als unannehmbar herausgestellter Pläne erweisen?
Wir haben nun vor einiger Zeit einen sogenannten Wahlgesetzentwurf der sowjetzonalen Volkskammer zu Gesicht bekommen. Es ist eine umfangreiche Arbeit, ein umfangreiches Schriftstück. Wenn man es sich genau durchseht und sich bei seiner Bewertung von den Schlagworten freihält, mit denen es in die Welt gesetzt worden ist, dann kommt man zu einem Ergebnis, über das ernsthafte Menschen sich Gedanken machen und das sie ernsthaft erörtern müssen. Das Kernstück dieses Wahlgesetzentwurfs der sowjetzonalen Volkskammer ist ein zentraler Wahlausschuß mit für die einzelnen Länder abgezweigten Wahlausschüssen, die weder zeitlich noch hinsichtlich ihrer Machtbefugnisse in dieser Wahlordnung irgendwie konkret umgrenzt sind. Selbst wenn man in das, was dort steht, nicht mehr hineinlegen will als
das, was mit dem Wortlaut vereinbar ist, so wird man zu dem Resultat kommen, daß diese Art Wahlausschuß entsprechend den Kompetenzen nichts anderes als eine Form von Nebenregierung ist, auch von der Seite aus gesehen, daß sie imstande sein soll, sich „Organe" — wie es in dieser Wahlordnung heißt — zu schaffen, über die es ebenfalls keine konkreten Begriffe gibt. Die Konstruktion dieses zentralen Wahlausschusses wäre nach der dort angewandten Begriffsbestimmung so, daß es nicht nur möglich, sondern wahrschenlich sogar gar nicht anders möglich wäre, als daß die sogenannten Massenorganisationen durch ihre Vertreter in einen solchen Wahlausschuß nach dem Muster der sowjetzonalen Volkskammer die Vertreter der Parteien majorisieren würden.
Das sind nur einige der Fragen, die sich bei der Durchleuchtung dieses Vorschlags einstellen. Es ist viel davon geredet worden, wir könnten ja darüber Klarheit bekommen, wenn wir in die gesamtdeutsche Beratung kämen und wenn wir uns dort an den berühmten „runden Tisch" setzten. Es ist auch schon damit gelockt worden, daß ja dann dieser oder jener diesseits und jenseits der Zonengrenzen werde frei sprechen und Versammlungen abhalten können. Aber welchen Sinn hat es, über solche Dinge zu sprechen, bevor man sich nicht über die Grundvoraussetzungen klargeworden ist. So können alle diese Dinge, die doch nur Folgen von Grundvereinbarungen sein können, bei der gegenwärtigen Diskussion lediglich verwirrend wirken.
Es ist gesagt worden, man wolle von der Sowjetzone Parteivertreter in das Ruhrgebiet oder nach Oldenburg oder woandershin schicken. Nun, selbstverständlich, wir wollen mit unserem Wahlvorschlag ja gerade diese eiserne Trennung, dieses eiserne Zuhalten der Zonengrenze überwinden; es wird ja jetzt nur bei Leuten gelockert, mit denen man eben bestimmte Absichten hat. Wenn nun schon angekündigt wird, man werde in Oldenburg das und das sagen, man werde im Ruhrgebiet den Kumpels Aufklärung über dieses und jenes geben, so ist das nicht erschütternd. Wir brauchen hier nicht darüber zu reden, welche Fragen sich z. B. von selbst ergeben würden, wenn, sagen wir, Herr Ulbricht nach dem Ruhrgebiet käme. Es wäre ganz selbstverständlich, daß solchen Leuten,. ohne daß man vorher dazu „schulen" müßte, die Frage Bestell t würde,
was denn der betreffende Redner z. B. dafür getan hat und noch zu tun gedenkt, daß die Kriegsgefangenen endlich heimkehren.
— Das ist Ihre Sache, wenn Sie darüber schreien können. Wir können darüber nicht schreien; für uns ist das eine Herzensangelegenheit. Man würde diesen Leuten — darauf brauchten wir auch nicht vorher zu präparieren — sicher auch die Frage stellen, warum denn die Gefangenen von Bautzen, von Waldheim, von Torgau nicht freigelassen werden, ungeachtet dieser marktschreierisch angekündigten und dann so kläglich praktizierten Amnestie, von der man am 6. und 7. November vergangenen Jahres so viel Wesens gemacht hat.
Es ist doch kein einziger politischer Gefangener unter dieser Amnestie herausgekommen.
Was sollen denn dann diese Wortgefechte, was soll diese Wortakrobatik?
Ich glaube auch, daß gerade die Arbeiter und Angestellten recht begierig sein würden, solche Menschen, die ihnen erzählen würden, welche Fortschritte auf der andern Seite der Zonengrenze gemacht worden seien, danach zu fragen, warum die Arbeiter und Angestellten in der sowjetischen Zone ihrer in jahrzehntelangen Mühen, gewerkschaftlichen Kämpfen und Kämpfen der Arbeiterbewegung überhaupt erworbenen Rechte jetzt verlustig gegangen sind. Ich meine die Rechte, die tarifvertragliche Regelung ihrer Arbeitsverhältnisse, ihrer Lohn- und Gehaltsverhältnisse durchsetzen zu können, und zwar auf dem Wege von Vereinbarungen, von bindenden Abmachungen. die jedem für eine bestimmte Zeit seinen Grundlohn und die Arbeitsbedingungen sichern. Die Leute würden wissen wollen, wieso es denn kommt, daß man diese in Jahrzehnten bewährten und von Generationen in der Arbeiterbewegung mühsam errungenen, erhungerten und erstreikten Rechte ietzt plötzlich mit Gewalt abbaut und an ihre Stelle sogenannte Betriebsverträge setzt, die man den Leuten aufzwingen will und auch aufzwingt. Es sind Betriebsverträgc" durch die die arbeiten-
den Menschen in die Klammer genommen werden, die aus zwei Zahlen gebildet wird, die der im November Gesetz gewordene Fünfjahresplan enthält, nämlich mindestens 60 % Leistungssteigerung,
also Steigerung der Arbeitsproduktivität des arbeitenden Menschen, bei höchstens 20 % Lohnerhöhung für die Arbeiter in der Industrie.
Diese Klammer — 60 % und 20 % — wollen die arbeitenden Menschen selbstverständlich aufgeklärt wissen. Das sind einige der Fragen, die interessieren.
Ich meine, Auseinandersetzungen darüber, was sein würde, wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen geschaffen wären, sind heute wirklich zwecklos, sind so lange zwecklos, als die Besatzungsmächte der deutschen Forderung nicht Rechnung tragen, sich für die Gewährleistung der Voraussetzungen freier Wahlen zu entscheiden. Wir Deutschen können über die von den Besatzungsmächten geschaffene Tatsache der Spaltung Deutschlands nicht einfach hinwegspringen; aber wir sollten gerade deshalb keine Gelegenheit versäumen, über die vordringlichste politische Forderung aller Deutschen Klarheit zu schaffen. Ich bediene mich hier des Begriffs, den wir in unserem Beschluß vom 27. September gebraucht haben, als wir sagten, die vordringlichste politische Forderung aller Deutschen und des frei gewählten Bundestages sei eben diese Wiederherstellung der Einheit in Freiheit und Frieden. Es kommt dabei darauf an, so zu verfahren, daß die großen Mächte diese Forderung in ihrer Politik — ich möchte noch einmal betonen: in ihrer Politik — selbst zur Geltung bringen, daß es sich also in keinem Fall lediglich um Erklärungen handeln darf, sondern schließlich um politische Konsequenzen handeln muß.
Die sozialdemokratische Fraktion, für die ich spreche, hat bedauert, daß in der Durchführung der Beschlüsse vom 27. September so mannigfache Verzögerungen eingetreten sind. Wir hatten uns damals einen ziemlich konkreten Fahrplan zurechtgelegt. Es kam darauf an, daß dabei Zug um Zug gemacht wird. Meine Fraktion hat durch einen Briefwechsel ihres Vorsitzenden mit dem Herrn Bundeskanzler schon im November den Versuch gemacht, diese Verzögerungen wettzumachen. Der Vorsitzende meiner Fraktion, Dr. Schumacher, hat in einer speziellen Ansprache an die Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone am Tage vor Weihnachten betont, daß die Sozialdemokratische Partei in dieser Sache jetzt keine Polemik gegen gewollte oder ungewollte Erschwerungen im Kampf um die Einheit wünsche; was sie wünsche — und ich möchte hinzufügen: das \\vilm cht sie nach wie vor —, das sei, alle demokratischen Kräfte zusammenzuführen auf die allein stabile und Aussicht bietende Plattform der Bundestagsbeschlüsse vom 27. September 1951.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch betonen, daß die sezialdemokratischen Vorschle vom 9. März und 27. September bezüglich der Korn petenzen der Nationalversammlung aus dem Bedürfnis entstanden sind, die Nationalversammlung von Anfang an in den Stand zu setzen, die Demokratie in ganz Deutschland durchzusetzen. Ich gebe zu — und wir haben es immer gesagt —, es mag Meinungsverschiedenheiten, ernste Meinungsverschiedenheiten über das Wie geben. Wir sollten bei diesen Meinungsverschiedenheiten den Versuch machen--und ich appelliere auch jetzt noch einmal an alle, die dazu beitragen können. den Versuch zu machen —, auf der Grundlage der Sachlichkeit zu bleiben und es zu akzeptieren, daß es wirklich bestimmte, sehr komplizierte Probleme und besonders in der Übergangszeit eine ganze Problematik gibt.
Es geht um wirtschaftliche Fragen, es geht um das Finanzgefälle, es geht um die Frage der Vorräte, und es geht urn so viele andere politische und humanitäre Angelegenheiten.
Würde man die Beschlüsse des Bundestages vorn 27. September auf den Vorschlag reduzieren, die Vereinten Nationen möchten eine Kommission zur Prüfung der Voraussetzungen der Wahlen bilden, dann würde man Pankow die Möglichkeit in die Hand geben, diesen Weg zu blockieren.
ich will damit sagen: wir sollten uns nicht auf diesen einen, gewiß sehr wichtigen Vorschlag, der im Gebäude der Maßnahmen, über die wir uns klargeworden waren, seinen Platz hat, beschränken. Man sollte ihn und auch die anderen Maßnahmen Zug um Zug zu ihrer Zeit durchführen. Das sollte nur noch einmal gesagt werden.
Durch die Wahlordnung, die uns hier heute vorgelegt worden ist, wird möglicherweise die Klärung, die notwendig ist, gefördert. Vielleicht kann diese Wahlordnung auch ein I-Iilfsmittel für eine fruchtbare Unterstützung seitens der Vereinten Nationen sein. Das Ergebnis der Verständigung ist -- das soll natürlich nicht verhehlt werden —nicht der Weisheit letzter Schluß. Diejenigen, die daran mitzuarbeiten hatten, hatten dabei immer und immer wieder ihre eigenen Sorgen und haben diese zum Ausdruck gebracht. Es ist aber — das muß man so oder so jedenfalls sagen — das zur Zeit gemeinsam Erreichbare, und das ist natürlich auch schon etwas. Bei sorgfältiger Prüfung wird man feststellen, daß die 14 Punkte, die der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vorn 27. September als Grundzüge einer solchen damals angekündigten Wahlordnung vorgetragen hat, in dieser jetzigen Fassung enthalten sind.
Zu den Auseinandersetzungen über die Rechte und Kompetenzen der Nationalversammlung möchte ich nur noch nachtragen — nicht nur, um es hier noch einmal aufzufrischen —, daß die Sozialdemokratische Partei in der Zeit, in der diese Auseinandersetzungen — leider nur zu einem geringen Teil hier in diesem Hause — geführt worden sind, Wert darauf gelegt hat, unzweideutig zu sagen, daß sie keineswegs eine zentralistisch-unitarische Lösung, sondern eine bundesstaatliche Regelung anstrebe. Zu diesem Wort steht die Fraktion, für die ich hier zu sprechen habe. Es bleibt aber auch dabei: diese Nationalversammlung braucht die Kraft, urn das in der Übergangszeit Notwendige zu regeln.
Nun noch einige Worte zu der Frage, die manche besonders interessiert hat, warum das ganze Gebiet ein Wahlkreis sein soll. Wir wollen durch eine seiche Regelung auf keinen Fall dem kommenden Wahlrecht in einem vereinigten Deutschland in gendeiner Weise vorgreifen oder es in irgendeiner Weise festlegen. Hier handelt es sich — lasSie mich das offen aussprechen — einfach um etwas. was wir für notwendig gehalten haben, um den Wählen bei dieser ersten Wahl das notwendige Maß an Sicherheit zu geben und die Furcht vor Repressalien zu vermindern. Nichts anderes bezweckt diese Regelung. die für uns nach dieser ersten Wahl nicht mehr vorhanden und notwendig sein wird, ebenso wie es durch diese Regelung
keine Bindung an das Verhältniswahlrecht geben wird und geben soll.
Es liegt nicht in unserer Macht — das möchte ich noch einmal betonen —, die Besatzungsmächte zu einer Übereinkunft zu zwingen, die uns unverzüglich die Voraussetzungen für freie, allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlen unter internationaler Kontrolle gewährleistet. Die Dinge wären gewiß wesentlich einfacher, wenn die Sowjetregierung verbindlich erklären würde, daß sie zu solcher Übereinkunft bereit ist. Bisher läßt sie jedoch immer nur Pankow sprechen. Was wir angesichts dieser Lage tun können, aber auch tun müssen, das ist — so möchte ich sagen —, jederzeit unseren Willen und praktisch auch unsere Bçreitschaft zu freien Wahlen unter Beweis zu stellen und keine Gelegenheit an irgendeiner Steile verstreichen zu lassen, um diese Bereitschaft nachzuweisen. Für die Bundesrepublik sollte es, so meinen wir, klar sein — und ihre Vertreter sollten es überall allen klarmachen —, daß für uns ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit und dessen, was damit zusammenhängt, die deutsche Einheit kein auswechselbares Propagandainstrument ist und daß sie nicht gegen irgend etwas anderes austauschbar ist. Sie ist sozusagen ein Postulat der deutschen Politik, an das niemand rühren kann, es sei denn, er wolle es in Kauf nehmen, in dieser deutschen Politik eben unmöglich zu sein.
Die legitimen Grenzen für alle Engagements, die wir eingehen sollen oder mit denen wir uns zu befassen haben, sind durch unsere Pflicht gezogen, die deutsche Einheit zu fördern. Ich meine, es gehört sich, an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich auszusprechen, daß wir, d. h. die Bundesrepublik, diese Aufgabe auch für die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone erfüllen, nicht weil sie eines Vormundes bedürften, sondern weil sie das von uns, die wir zum Unterschied von ihnen reden können, erwarten und mit Recht erwarten.