Rede von
Jakob
Kaiser
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat Ihnen den Verlauf und die Bedeutung der Schritte der Bundesregierung für die deutsche Wiedervereinigung bei den Vereinten Nationen dargelegt. Diese Schritte sind Ausdruck der Erkenntnis aller verantwortlichen Parteien dieses Hauses, daß freien gesamtdeutschen Wahlen durch Prüfung der 'Voraussetzungen der Weg geebnet werden muß. Die Tatsache, daß wir die Bildung der Kommission der Vereinten Nationen erreicht haben, stellt bereits den ersten Schritt in dieser Richtung dar, der uns immerhin mit Zuversicht erfüllen darf. Wir haben erreicht, daß sich 60 Nationen eingehend mit der Frage beschäftigten, ob die Wiedervereinigung Deutschlands ein reim innerdeutsches Problem, wie es die sowjetische Seite darstellte, oder ob sie nicht zugleich auch ein internationales Problem ist. Die überwältigende Mehrheit der Vereinten Nationen erkannte die internationale Bedeutung der deutschen Frage an. Wir können deshalb gewiß sein, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit bis zu ihrer Verwirklichung von der Tagesordnung der Vereinten Nationen nicht mehr abgesetzt werden kann. Wir können wohl ebenso davon überzeugt sein, daß das Gewicht der Vereinten Nationen die Wiedervereinigung Deutschlands in wirklicher Freiheit, nicht aber unter kommunistischen Vorzeichen
und mit kommunistischen Methoden zulassen wird.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hofft, daß die Kommission der Vereinten Nationen sehr bald ihre Arbeit aufnehmen wird. Sie würde es lebhaft begrüßen, wenn sie sich in Berlin niederlassen würde. Von Berlin aus gewinnt die Kommission die notwendige Ubersicht über ganz Deutschland, über Berlin, über die Sowjetzone und über die Bundesrepublik.
Wir wissen, noch setzen die sowjetischen Machthaber ihrer Einreise in die Sowjetzone Widerstand
entgegen, aber allein schon die Anwesenheit der Kommission in Berlin würde Beleg dafür sein, daß es der Weltöffentlichkeit ernst ist mit der deutschen Wiedervereinigung.
In Berlin werden der Kommission die lebendigen Eindrücke vermittelt werden, deren sie bedarf, um ihre Aufgabe erfüllen, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Das gilt auch, wenn ihr bedauerlicherweise die Einreise in die Sowjetzone noch weiterhin verwehrt werden sollte. Auf jeden Fall bleibt die Bundesregierung gemäß ihrer Ankündigung vom 27. September 1951 bereit, der Kommission jede Gelegenheit zu geben, im Gebiet der Bundesrepublik ihre Untersuchungen anzustellen. Sie ist davon überzeugt, daß Berlin ein Gleiches zu tun bereit ist. Bundesrepublik und Berlin haben nichts zu verbergen.
Vor allem aber begrüßen wir, daß der Kommission nicht nur Untersuchungsaufgaben übertragen worden sind, sondern daß ihr auch der Auftrag zuteil wurde, Empfehlungen für weitere Maßnahmen abzufassen, um die für die Abhaltung freier Wahlen erforderlichen Verhältnisse zu schaffen. Das bedeutet, daß die Kommission nicht nur berichtende Tätigkeit auszuüben. sondern daß sie auch konkrete Vorschläge über Möglichkeiten und Wege zur Herstellung der deutschen Einheit zu machen hat.
Kommt sofort. — Und deshalb beabsichtigt die Bundesregierung auch, nicht nur den Besatzungsmächten, sondern auch der Kommission der Vereinten Nationen ihren Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze einer freien Wahl zur Verfassung- gebenden Deutschen Nationalversammlung zu übermitteln.
Aber so sehr wir auch hoffen, daß die Vereinten Nationen uns auf dem Wege zur Wiedervereinigung unterstützen werden, sehr t die Bundesregierung gewillt, ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber dem gesamten deutschen Volk zu erfüllen.
Diese schon im Grundgesetz verankerte Verpflichtung ist im Laufe der letzten Jahre nicht geringer, sondern im Gegenteil: sie ist größer geworden.
Unsere Verantwortung für die Wiedervereinigung unseres Landes wird von Tag zu Tag größer. Sie wächst mit der Not der 18 Millionen in der Sowjetzone, sie wächst an der Bedrängtheit der Stadt Berlin, sie wächst an der Not der Heimatvertriebenen, sie wächst an der Sorge um die Existenz Deutschlands.
Lassen Sie mich noch eines in aller Klarheit vor diesem Hohen Hause zum Ausdruck bringen. Alle vertraglichen Bindungen und Vereinbarungen mit der freien Welt können nur so gedacht sein, daß sie ganz Deutschland. d. h. unsere ganze Nation der Einheit, der Freiheit und dem Frieden näher bringen.
Das heißt: die Wiedervereinigung des gesamten deutschen Volkes darf nicht deutschen, sie muß erleichtert werden.
Dabei ist sich die Bundesregierung mit allen verantwortlichen Parteien dieses Hauses darüber
klar, daß es für uns nur einen friedlichen Weg zur Wiedervereinigung unseres Landes gibt. Dazu gehört auch,
daß wir uns zur Einheit in Freiheit durchwählen.
Sie kennen alle den ersten Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze für die freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, den die Bundesregierung Anfang November 1951 vorgelegt hat. Sie wissen um die mannigfachen Argumente, die von dieser und von jener Seite gegen einen bestimmten Teil seines Inhalts vorgebracht wurden. Alle interessierten Kreise hatten ja Gelegenheit, sich zu äußern. Von diesem demokratischen Recht ist in beachtlichem Umfange Gebrauch gemacht worden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles, was im Dienste der Wiedervereinigung unseres Landes geschieht, auf breitester Grundlage erfolgen muß. Der Ihnen heute vorliegende Entwurf eines Wahlgesetzes hat die in der Diskussion vorgebrachten Auffassungen berücksichtigt. Der Entwurf basiert auf den bekannten 14 Punkten der vom Bundestag gebilligten Regierungserklärung vom 27. September 1951. Die Vorlage — das muß beachtet werden — stellt kein Gesetz im formalen Sinne dar, sondern sie ist die Grundlage für einen sozusagen diplomatischen Schritt bei den Besatzungsmächten und bei den Vereinten Nationen.
Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, diesem Vorschlage eines Gesetzentwurfs seine Zustimmung zu erteilen. Die Bundesregierung gibt dazu folgende Erklärung ab:
Die Bundesregierung hat auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 27. September 1951 einen Entwurf eines „Gesetzes über die Grundsätze für die Freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung" ausgearbeitet und der Öffentlichkeit übergeben. Sie legt dem Bundestag nunmehr eine Überarbeitung dieses Gesetzentwurfes vor, bei dem die in der öffentlichen Diskussion hervorgetretenen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind.
Die vornehmste Aufgabe der zukünftigen Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung wird es sein, eine Verfassung zu schaffen. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß diese Verfassung folgende Grundsätze enthalten muß:
das Recht des Volkes, die Volksvertretung auch in den Ländern, Kreisen und Gemeinden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen und die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben,
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsgemäße Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung,
die Unabhängigkeit der Gerichte,
den Schutz der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte,
die Gliederung des Gesamtstaates in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung.
Die vorstehenden Grundsätze sind bereits bei Ausübung der vorläufigen Funktionen der Nationalversammlung bis zum Inkrafttreten der Verfassung anzuwenden.
Die Bundesregierung ruft das gesamte deutsche Volk auf, durch seine zu wählende Vertretung die Neuordnung des in Freiheit wiedervereinigten Deutschlands im Geiste echter demokratischer Staatsauffassung durchzuführen.
So weit die Regierungserklärung. Entscheidende Punkte des Gesetzesvorschlages sind: Das Gebiet der Wahl bildet einen einheitlichen Wahlkreis. Sie wissen ohne weitere Erläuterungen die Gründe zu würdigen, die hierfür bestimmend sind.
Weiter: Jede Partei reicht einen Wahlvorschlag für das gesamte Wahlgebiet ein. Jeder Wahlvorschlag muß von mindestens 10 000 Wahlberechtigten unterzeichnet sein. Wahlvorschläge von Parteien, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits bestehen und in der Wahlordnung aufzuführen sind, bedürfen nur der Unterschrift von 10 Personen. Auf je 75 000 Stimmen entfällt ein Abgeordneter. Ein Rest von mehr als 50 000 Stimmen wird vollen 75 000 gleichgeachtet. Ein Wahlvorschlag, der nicht in mindestens einem deutschen Lande 5 % der dort abgegebenen Stimmen erreicht, bleibt unberücksichtigt.
Die Funktionen der Nationalversammlung sind in Art. 4 wie folgt gekennzeichnet:
1. Die Nationalversammlung beschließt die Verfassung.
2. Sie hat diejenige Gewalt, die erforderlich ist, um bis zum Inkrafttreten der gesamtdeutschen Verfassung die freiheitliche, rechtsstaatliche, demokratische und föderative Ordnung herbeizuführen und zu sichern.
Wie in dem Gesetzentwurf erneut bestätigt wird, erachtet es die Bundesregierung für entscheidend, daß Vorbereitung und Durchführung der Wahl unter internationalem Schutz und internationaler Kontrolle stehen. Auf Grund eines solchen Wahlgesetzes und unter solchen Voraussetzungen kann — das ist unsere Überzeugung — Deutschland zur Wiedervereinigung in Freiheit kommen. Dem deutschen Volk das zu ermöglichen, wäre die Tat, die wir in der Bundesrepublik und in Berlin und mit uns die 18 Millionen in der Sowjetzone von der sowjetischen Besatzungsmacht erwarten. Bisher allerdings hat Pankow nur Instruktionen zur Herbeiführung von sogenannten gesamtdeutschen Beratungen erhalten. Pankow hat sich sogar dagegen geschützt, daß sein von ihm selbst entworfenes Wahlgesetz, das auf unsere heutigen Verhältnisse gar nicht anwendbar ist, zu Wahlen mißbraucht werden könnte. Denn Pankow hat zu strikten Voraussetzungen wiederum gesamtdeutsche Beratungen gemacht; unser Volk aber will keine Ausflüchte mehr, unser Volk will Taten!
Der Weg ist klar.
Die vier Besatzungsmächte, d. h. die Westmächte und die Sowjetunion, haben die Möglichkeit, den Entwurf, zu dem wir heute die Zustimmung des Bundestages erbitten, zum Wahlgesetz für ganz Deutschland zu machen. Am Wahltage selbst wird sich das deutsche Volk dann für Einheit, für Freiheit und für Frieden entscheiden.