Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Bundesregierung nimmt gern die Gelegenheit wahr, dem Bundestag über die Verhandlungen der Vereinten Nationen zu berichten, die sich auf die Einsetzung eines internationalen Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen beziehen.
Die Bundesregierung hat am 27. September 1951 vor dem Bundestag eine Erklärung abgegeben, in der sie in 14 Punkten die Grundsätze einer Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen niedergelegt hat. Da jedoch ernsthafte Zweifel bestehen, ob bei den gegenwärtigen Verhältnissen in dem sowjetrussischen Sektor Berlins und in der sowjetischen Zone freie Wahlen überhaupt möglich sind,
hat die Bundesregierung in derselben Erklärung den Wunsch ausgesprochen, daß eine neutrale internationale Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen untersuchen soll, ob in der sowjetischen Zone, in Ost-Berlin, in Berlin und in der Bundesrepublik die Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen gegeben sind. Diese Regierungserklärung hat die so gut wie einmütige Zustimmung des Bundestages gefunden. Die Bundesregierung hat daraufhin am 4. Oktober in einer an die Alliierte Hohe Kommission gerichteten Note die Regierungen der drei Westmächte gebeten, die Bildung einer solchen Untersuchungskommission möglichst bald bei den Vereinten Nationen vorzuschlagen. In der Note ist u. a. erklärt worden, daß die Bundesregierung einer solchen Kommission die Durchführung ihrer Aufgabe in jeder Weise erleichtern wird, ihr insbesondere Zugang zu allen Stellen der Bundes- und Länderverwaltungen gewähren und Einsicht in alle amtlichen Akten und Dokumente geben wird,
deren sie zur Erfüllung ihres Auftrages bedarf. Die Bundesregierung hat ferner beantragt, eine entsprechende internationale Untersuchung für das Bundesgebiet unverzüglich durchzuführen.
Die drei westaliiierten Regierungen haben diesen Vorschlag in dankenswerter Weise aufgegriffen und am 5. November in gleichlautenden Noten den
' Generalsekretär der Vereinten Nationen gebeten, in die Tagesordnung der am nächsten Tage beginnenden 6. ordentlichen Vollversammlung der UNO folgenden Punkt aufzunehmen:
Einrichtung einer internationalen, unparteiischen Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen, die den Auftrag hat, in der Bundesrepublik Deutschland, in Berlin und in der sowjetischen Zone Deutschlands eine gleichzeitige Untersuchung vorzunehmen, um festzustellen, ob in allen diesen Gebieten die obwaltenden Zustände die Abhaltung wahrhaft freier Wahlen zulassen.
Daraufhin hat die Vollversammlung der UNO in ihrer Sitzung vom 13. November mit 47 Stimmen gegen 6 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, dem Antrag der Westmächte zu entsprechen. Die Nein-Stimmen waren von Sowjetrußland, der Ukraine, Weißrußland, der Tschechoslowakei, Polen und Israel abgegeben; enthalten haben sich bei der Abstimmung Guatemala und Burma.
Damit ist zum ersten Male die höchste politische Weltinstanz mit der Frage gesamtdeutscher Wahlen befaßt worden. Das ist um so bedeutsamer, als der Sowjetblock alle Anstrengungen gemacht hat, die Vollversammlung unter Hinweis auf Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen davon abzuhalten, in die Beratung einer Deutschland betreffenden Frage einzutreten. Der Art. 107 dieser Charta bestimmt wörtlich:
Keine Bestimmung dieser Satzung soll Maßnahmen in bezug auf einen Staat, der während des zweiten Weltkrieges Feind irgendeines Unterzeichners dieser Satzung gewesen ist, ungültig machen oder ausschließen, die von den für solche Maßnahmen verantwortlichen Regierungen als Ergebnis jenes Krieges ergriffen oder genehmigt werden.
Durch die Entschließung vom 13. November hat die
Vollversammlung der UNO mit überwältigender
Mehrheit entschieden, daß diese Bestimmung, die
ais Übergangsregelung gedacht war, der Behandlung von Deutschland betreffenden Fragen durch
die UNO auf die Dauer nicht. im Wege stehen dürfe.
Der Politische Sonderausschuß der Vereinten Nationen, an den die Frage gesamtdeutscher Wahlen durch Beschluß der Vollversammlung zur weiteren Beratung überwiesen worden war, hat sich im Laufe von 12 Sitzungen vom 4. bis 19. Dezember mit diesem Thema befaßt. In dem Ausschuß waren alle 60 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen vertreten. Zu Beginn der Ausschußverhandlungen legte der Vertreter Großbritanniens im Namen der drei Westmächte einen Entschließungsentwurf vor, in dem die künftigen Aufgaben der Untersuchungskommission näher umrissen wurden. Hiernach sollte die Kommission insbesondere untersuchen, ob in dem gesamtdeutschen Staatsgebiet der Staatsbürger tatsächlich Redefreiheit, Organisationsfreiheit, Pressefreiheit, Freizügigkeit und Sicherung vor willkürlicher Verhaftung besitzt.
Der Entschließungsentwurf forderte ferner die Bundesreg die sowjetzonalen Behörden und die Behörden Berlins auf, der Kommission freien Zugang zu allen Personen, Plätzen und Dokumenten zu gewähren, die für die Erfüllung ihrer Aufgabe von Bedeutung sind.
Im Sonderausschuß wurde alsbald der Wunsch der großen Mehrzahl der Delegationen deutlich, Vertreter der Bundesrepublik, Berlins und der sowjetzonalen Behörden zu diesem Thema zu hören, damit die Mitglieder des Ausschusses sich ein besseres Bild von der tatsächlichen Lage in Deutschland machen können. Auf Antrag von Pakistan beschloß der Ausschuß gegen den heftigen Widerstand des Sowjetblocks mit 50 gegen 6 Stimmen bei einer Stimmenthaltung die Hinzuziehung deutscher Sprecher.
Die Bundesregierung teilte dem Generalsekretär am 6. Dezember mit, daß sie die Einladung für sich selbst und für Berlin annehme und die Bundestagsabgeordneten von Brentano und Schäfer sowie den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Professor Reuter, als Delegierte entsenden werde.
Die Vertreter der Bundesrepublik gaben am 8. Dezember vor dem Sonderausschuß ihre mit großem Interesse erwarteten Erklärungen ab. Herr von Brentano schilderte ausführlich die in der Sowjetzone herrschenden Zustände,
auf Grund deren die Bundesregierung ernstliche Zweifel hegen müsse, ob freie Wahlen in jenem Teile Deutschlands zur Zeit möglich seien. Herr von Brentano wiederholte gleichzeitig die von der Bundesregierung mehrmals ausgedrückte Bereitwilligkeit, der beantragten Untersuchungskommission im Bundesgebiet jede erdenkliche Unterstützung zuteil werden zu lassen.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Professor Reuter, schilderte die besondere Lage Berlins und bestätigte die von Herrn von Brentano gemachten Aussagen hinsichtlich der Sowjetzone. Er betonte, daß die geplante Untersuchungskommission gerade für die Bevölkerung Berlins und der Sowjetzone von größter Bedeutung sei.
Die von der deutschen Delegation abgegebenen Erklärungen wurden von den Mitgliedern des Ausschusses mit Zustimmung aufgenommen. Der Beschluß des Komitees, deutsche Vertreter einzuladen, hatte offensichtlich den Sowjetblock in große Verlegenheit gebracht; denn erst nachdem die Delegation der Bundesrepublik vor dem Sonderausschuß ihre Erklärung abgegeben hatte, entschlossen sich die sowjetzonalen Behörden, die Einladung des Generalsekretärs ebenfalls anzunehmen.
Die sowjetzonale Delegation, bestehend aus den Herren Bolz, Nuschke, Ebert und Ackermann, sagte am 11. Dezember vor dem Sonderausschuß aus, wobei Herr Bolz für die Sowjetzone und Herr Ebert für Ostberlin sprachen. Die Ausführungen beider Redner waren in dem üblichen Stil kommunistischer Propaganda gehalten
und gingen nur am Rande auf das Thema der Untersuchungskommission ein. Die überwältigende Mehrheit der Ausschußmitglieder durchschaute die mangelnde Aufrichtigkeit der Argumentation,
die durch die glatte Weigerung der sowjetzonalen Vertreter, der vorgeschlagenen Untersuchungskommission irgendwelche Unterstützung angedeihen zu lassen, verdeutlicht wurde.
Im Verlauf der weiteren Ausschußverhandlungen brachte der schwedische Außenminister Unden einen Antrag ein, der darauf abzielte, statt der geplanten Untersuchungskommission Viermächtebesprechungen über gesamtdeutsche Wahlen einzuleiten und die daraus resultierenden Wahlen unter der Kontrolle der Vereinten Nationen durchzuführen. Dieser Vorschlag, der die Unterstützung von nur wenigen Staaten land, wurde kurz vor der Abstimmung wieder zurückgezogen.
Dagegen wurden verschiedene andere Zusatzantrage zu dem ursprünglichen Entschließungsentwurf der Westmächte ganz oder teilweise angenommen. Unter anderem sollte die Kommission ermächtigt werden, nicht nur die in den verschiedenen Teilen Deutschlands herrschenden Zustände zu untersuchen, sondern auch positive Vorschläge für eine Verbesserung dieser Zustände zu machen. Weiterhin sollten die Vereinten Nationen sich bereit erklären, gesamtdeutsche Wahlen, sobald sie sich auf Grund der vorzunehmenden Untersuchungen als möglich erwiesen, durch Organe der Vereinten Nationen zu überwachen, um auf diese Weise die Freiheit des Wahlganges zu gewährleisten. Die Kommission soll zunächst einen Bericht darüber erstatten, ob und in welchem Umfang sie angesichts der Haltung der verschiedenen deutschen Behörden die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen vermag. Spätestens am 1. September soll sie dem Generalsekretär ihren Schlußbericht überreichen.
In dieser veränderten und verbesserten Form wurde der Entschließungsentwurf der drei Westmächte sodann am 19. Dezember im Sonderausschuß zur Abstimmung gebracht, wobei 45 Stimmen dafür und 6 Stimmen dagegen bei 8 Stimmenthaltungen abgegeben wurden. Die sechs gegnerischen Stimmen waren die des Ostblocks und Israels, die acht Stimmenthaltungen betrafen Schweden, Jugoslawien, Argentinien, Indien, Indonesien, Burma, Afghanistan und Yemen.
Zu Mitgliedern der Untersuchungskommission wurden die Niederlande, Brasilien, Island, Pakistan und Polen gewählt. Der Vertreter Polens im Sonderausschuß lehnte die Teilnahme seines Landes sofort in scharfer Form ab.
Bereits am 20. Dezember fand die Abstimmung der Vollversammlung statt, wobei sich wieder dasselbe Stimmenverhältnis ergab. Die Vertreter des Sowjetblocks machten nochmals den Versuch unter Hinweis auf Art. 107 der Charta. die Behandlung deutscher Fragen durch die Vereinten Nationen als unzulässig zu erklären. Dieser Versuch wurde jedoch wiederum abgewiesen.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist nunmehr bemüht, die von der Vollversammlung beschlossene Untersuchungskommission zusammenzustellen. Er hat sich zu diesem Zweck an die in der Kommission vertretenen Staaten gewandt und sie um die Benennung geeigneter Vertreter gebeten.
Es steht zu erwarten, daß sich die Kommission in Kürze konstituieren wird.
Zusammenfassend darf ich die folgenden Ergebnisse der Verhandlung vor der UNO hervorheben:
1. Die von der Bundesregierung beantragte Untersuchungskommission ist mit überwältigender
Mehrheit aller Nationen beschlossen worden und wird binnen kurzem aktionsfähig sein.
Die Bundesregierung und Berlin werden dieser Kommission jede nur erdenkliche Unterstützung zuteil werden lassen.
Es liegt nunmehr an den Behörden der Sowjetzone und Ost-Berlins, das gleiche zu tun.
Ich kann namens der Bundesregierung erklären, daß wir den lebhaften und dringenden Wunsch haben, daß die Behörden der Sowjetzone und OstBerlins unserem Beispiel folgen mögen.
Sollten sie sich aber jetzt weiterhin weigern, die Kommission in den von ihnen verwalteten Gebieten tätig werden zu lassen
— ich kann nur nochmals betonen, ich würde das außerordentlich bedauern —,
so beweisen sie damit, daß sie eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit tatsächlich nicht wollen
und daß ihre Vorschläge auf gesamtdeutsche Wahlen nicht ernstgemeint waren.
2. Auch wenn sich die sowjetzonalen Behörden weiterhin weigern sollten, der Untersuchungskommission eine freie Tätigkeit in der Sowjetzone zu ermöglichen,
so wird die Kommission trotzdem weiterbestehen, um ein wachsames Auge
auf die dortigen Zustände werfen zu können.
Die Frage gesamtdeutscher Wahlen wird infolgedessen mit Wahrscheinlichkeit auch auf der nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen wieder Gegenstand der Beratungen sein.
3. Die überwältigende Mehrheit aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen hat sich in aller Form auf den Standpunkt gestellt, daß die dem Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen durch den Sowjetblock gegebene Interpretation, wonach Deutschland betreffende Fragen nicht zur Zuständigkeit der UNO gehören, falsch ist.
4. Auf Grund der Initiative der Bundesregierung haben sich die Vertreter der sechzig in den Vereinten Nationen vertretenen Staaten zum erstenmal seit Kriegsende eingehend mit dem Problem der deutschen Einheit befaßt. Bei dieser Gelegenheit hat eine große Anzahl von Delegierten — darunter besonders viele Vertreter Lateinamerikas und des nahen, mittleren und fernen Ostens — vor aller Welt ihre Sympathien mit den Einheitsbestrebungen des deutschen Volkes bekundet und dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß ein geeintes
und freies Deutschland alsbald wieder ein vollberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft werden möge.
Ich möchte nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit den Staaten, die sich in dieser freundschaftlichen Weise über Deutschland geäußert haben, den herzlichen Dank der Bundesregierung auszusprechen.