Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es, daß wir das Gesetz zur Wiedererrichtung der Anstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung heute endlich verabschieden können. Auch unsere Wünsche
sind nicht alle erfüllt. Aber wir glauben, daß mit der Wiedererrichtung dieser Anstalt und mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze und echter Sicherungen für diejenigen, die den Arbeitsplatz vorübergehend nicht einnehmen können, jene Reform eingeleitet wird, die, so hoffen wir, die große Frage, ob man gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit überhaupt versichern kann, einmal vom Grundsätzlichen her anpacken wird. Wir hoffen auch, daß die Trennung zwischen Fürsorge und Versicherung dann einmal in voller Klarheit erfolgen wird. Das soll aber Aufgabe der Novelle zur Arbeitslosenversicherung sein und kann nicht bei der Beratung dieses Gesetzes miterledigt werden. Darum begrüßen wir es, daß wir nach den so langen und mühevollen Verhandlungen dieser Monate heute in der Lage sind, dem Gesetz in dritter Lesung zuzustimmen.
Wenn es auch seltsam ist, daß unser Antrag auf Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche und ältere Angestellte zugleich mit diesem Punkt der Tagesordnung behandelt wird, so besteht doch immerhin ein ursächlicher Zusammenhang dieses unseres Antrages mit dem Gesamtproblem. Es wird Ihnen noch erinnerlich sein, daß wir angesichts der großen Not der älteren Angestellten schon im Jahre 1949 in diesem Hause von diesem Platze aus ein Kündigungsschutzgesetz für ältere Angestellte gefordert haben. Wir haben das getan, weil wir wissen, daß die Angestellten als Stand der Mitte, der seine Wurzel im Arbeitertum und seine Spitze im selbständigen Unternehmertum hat, durch die soziologischen Erschütterungen des großen Umbruchs nach zwei Kriegen, die Not der Vertriebenen und die Arbeitslosigkeit wie durch Zerstörung von Arbeitsplätzen ganz besonders gelitten haben und ganz besonders gefährdet sind. Wir wissen auch, daß diese Angestellten an der großen Lohnwelle wie den Lohnerhöhungen und dem Anteil, den der große Kreis etwa der Industriearbeiter an dem wirtschaftlichen Aufbau und Aufschwung gehabt hat, nicht oder nur in ganz geringem Umfang teilhatte.
Wir sehen mit großer Sorge die drückende Not der vielen Familienväter unter den älteren Angestellten und die drückende Not auch der vielen einzelnen, insbesondere auch der älteren weiblichen Angestellten, die mit Unterhaltsverpflichtungen belastet sind und die in seelische Bedrängnis geraten, indem sie, noch im Vollbesitz der physischen und psychischen Kräfte, aus eigener Kraft mithelfen möchten, um ihre Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen.
Wir haben deshalb mit großer Anerkennung und Genugtuung die Bemühungen begrüßt, denen auch die Ansprachen des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers in der Neujahrsnacht dienten: die Bemühungen, die Öffentlichkeit immer wieder aufzufordern, daß aus Verantwortung Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich bemühen möchten, Arbeitsplätze für ältere Angestellte, aber auch Arbeitsplätze und Lehrstellen für die Jugend zu schaffen. Leider sind alle diese Bemühungen bisher weitgehend Deklamationen geblieben. Ich möchte nicht unterschätzen, daß ein großer Teil von älteren Bilanzbuchhaltern durch die Finanzämter eingestellt worden ist; ich möchte auch feststellen, daß es Länder in Deutschland gibt — wie es mir aus Württemberg berichtet wurde —, in denen Vorzügliches geleistet worden ist, um die älteren Angestellten unterzubringen. Wir haben aber auch mit Erschütterung beobachtet, daß es noch in diesen
Wochen und Tagen möglich war, daß bei der Durchgabe der freien Arbeitsplätze durch den Nordwestdeutschen Rundfunk gesagt wurde: „Bewerber bis zu 40 Jahren" oder „Bewerber unter 40 Jahren mögen sich melden".
Meine Herren und Damen, die Bewerber über 40 Jahre sind meistens die Menschen mit der größten Berufserfahrung. Sie sind meistens die Menschen, die in einem arbeitsreichen Leben bewiesen haben, daß sie auch in schwerem Einsatz — und ich denke besonders an diejenigen, die in harter Kriegszeit ihre Aufgaben erfüllten -- ihren Beruf — einen gut gekonnten Beruf — so zu leisten in der Lage sind, daß sie ein Anrecht darauf haben, nun nicht etwa schon in einem Augenblick zum alten Eisen geworfen zu werden, wo sie selbst für sich und die Ihren noch im Vollbesitz der geistigen und körperlichen Kräfte wertvolle Arbeit zu leisten imstande sind. Ich glaube, wir können es uns auch volkswirtschaftlich nicht leisten, diese wertvollen Kräfte brachliegen zu lassen.
Noch ein ganz großes Gefahrenmoment ist damit verbunden: nicht nur die Sorge und Not der Jugend, die das Schicksal der älteren kaufmännischen und technischen Angestellten sieht, die auf der Straße sind, sondern auch die grolle Frage, die uns alle bewegt: Ist es unser sozialpolitisches Schicksal, trotz größerer Lebenserwartung in der Not unserer Zeit das Schicksal der Fünfzig- bis
Sechzigjähringen schon darin zu sehen, auf eine
Rente zu drängen, oder ist es nicht unser aller Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Sehnsucht aller Menschen darin gipfelt, so lange als möglich vollwertig arbeiten zu können und Beträge zu leisten, damit diejenigen Renten bekommen, die zu dieser Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage sind? Wir glauben aber auch, daß unseren Gewerkschaften hier eine ganz verantwortliche Aufgabe erwachst; nämlich in ihrer Tarifpolitik mit den Arbeitgebern sich ernsthafte Gedanken über neue Wege zu machen! Über Wege, die nicht aus einem falsch verstandenen Denken dazu führen, daß die Gesetzgebung und die Tarifpolitik sich als Bumerang gegen die älteren Angestellten richten.
Deshalb wollten wir auch damals ein Kündigungsschutzgesetz für ältere Angestellte, nicht ein allgemeines Kündigungsschutzgesetz für alle. Wir haben mit großer Sorge gesehen, wie gerade vor dem Inkrafttreten dieses Kündigungsschutzgesetzes unverantwortlich handelnde Arbeitgeber sich noch von älteren Angestellten befreit haben. Wir möchten, daß Wege gefunden werden — da es leider in der freien Vereinbarung bisher nicht möglich war und da alle guten Ratschläge zu so wenig Erfolg geführt haben —, durch eine gesetzliche Regelung den Arbeitgebern einen echen steuerlichen Anreiz zu geben, wenn sie bereit sind, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wissen um die Bemühungen, die Angestelltenversicherungsrenten etwa bei denjenigen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, nun auch nach einheitlichem Recht wieder denen zu geben, die mit 61 Jahren nicht vermittelt werden konnten; aber wir haben auch festgestellt, daß die Zahl derjenigen, die, wenn das Gesetz auch wieder in der britischen Zone gilt, davon betroffen werden, so geringfügig ist, daß bei den 2674 Männern und 152 Frauen, die im Bundesgebiet davon erfaßt würden. nur ein verschwindend kleiner Teil auf diesem Wege befriedigt werden kann.