Rede von
Friedrich
Rische
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen den Antrag meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 2966 betreffend Vorlage eines Wahlgesetzes für gesamtdeutsche Wahlen zu begründen. Der Antrag der kommunistischen Fraktion kommt meiner Meinung nach zu einem Zeitpunkt, in dem sich jeder angesichts des Ernstes der Lage entscheiden muß: Wollen wir freie Wahlen, wollen wir die friedliche demokratische Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes?!
Wie ist nun die Situation? In der 165. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. September 1951 führte der Herr Bundeskanzler aus:
Um nichts unversucht zu lassen, wird die Bundesregierung eine Wahlordnung für freie gesamtdeutsche Wahlen vorlegen.
Dies entsprach dem Willen der Mehrheit des deutschen Volkes und auch der Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, wie es ja doch eindeutig aus dem Protokoll der 165. Sitzung des Bundestages hervorgeht. Der Herr Bundeskanzler wiederholte dann später sein Versprechen in dem bekannten Schreiben an die Hohen Kommissare vom 4. Oktober 1951. Mittlerweile sind Wochen ins Land gegangen. Dreieinhalb Monate tat der Herr Bundeskanzler nichts, um dem Auftrag der gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes in Westdeutschland Rechnung zu tragen und ein Wahlgesetz vorzulegen. Seine Versprechungen wurden, obwohl das Volk ein Wahlgesetz forderte, nicht eingelöst. Man kann sogar feststellen, daß dieses Parlament durch diese sicherlich beabsichtigten Verzögerungen bewußt an der Nase herumgeführt wurde.
Währenddessen zog es der Herr Bundeskanzler vor, mit den Herren Hohen Kommissaren auf dem Petersberg über so entscheidende Fragen wie den Schumanplan, den Pleven-Plan und den Generalvertrag mit seinen diskriminierenden Zusätzen zu verhandeln. Dem Bundesrat wurde ein auch Ihnen bekannter Entwurf vorgelegt. Aber es erhebt sich die Frage: Was geschah nun mit diesem Entwurf der Bundesregierung? Ich habe vor mir liegen den Bericht des Bundesrats, d. h. die wörtlichen Protokolle der 73. Sitzung vom 23. November 1951. Der Bundesrat hat sich ganze drei Minuten mit diesem Entwurf einer Wahlordnung beschäftigt. Mehr hat der Bundesrat nicht für nötig befunden. Er fand dafür die Begründung, daß die dafür zuständigen Ausschüsse des Bundesrats bisher noch keine Gelegenheit gefunden hätten, sich mit diesem Entwurf der Regierung zu beschäftigen.
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk in allen seinen Schichten denkt über diese Praxis der Bundesregierung völlig anders. Das deutsche Volk
ist von einer tiefen Sehnsucht nach Einheit, Demokratie und Frieden erfüllt und verlangt von der Bundesregierung, daß sie ihr Versprechen einhält. Stattdessen hat der Bundeskanzler es vorgezogen, im Eiltempo den Schumanplan durch dieses Haus zu peitschen. Er hat es vorgezogen, Verhandlungen über den Abschluß des sogenannten Generalvertrages einzuleiten. Er fuhr nach Paris, nach Straßburg und London, um über den sogenannten Pleven-Plan die Grundlage für die Errichtung einer Söldnerarmee zu legen. Das deutsche Volk wünscht von all dem nichts. Es wünscht weder Schumanplan noch Generalvertrag und Zusätze noch den Pleven-Plan. Das deutsche Volk will Einheit und Frieden und will Demokratie. Damit dient es dem Frieden der Welt und auch dem Zusammenleben der Völker Europas. Das deutsche Volk, meine Damen und Herren, wünscht volle Gleichberechtigung und Souveränität. Der Weg dazu geht nun einmal über die Herstellung der Einheit Deutschlands, d. h. über die Durchführung einer freien Wahl für eine deutsche Nationalversammlung.
Wir Kommunisten stellen darum fest, daß diese Verzögerungstaktik Adenauers lind seiner Regierung eine Mißachtung des Willens des deutschen Volkes in Ost und West darstellt. Schließlich ist sie auch eine Mißachtung der von diesem Hause gefaßten Beschlüsse.
Nun lesen wir gestern in der bekannten Zeitung „Die Welt", daß die Bundesregierung ihren Kabinettsentwurf für eine Wahlordnung jetzt einer umfassenden Revision unterzieht oder sogar vollständig zurückzuziehen gedenkt. Welche Gründe kann es für diese — ich möchte sagen — neuen Manöver Adenauers und seiner Regierung geben? Ich denke, die Regierung hat erfahren, daß es beim Volk einen scharfen Widerstand gegen den Entwurf gibt, den das Bundeskabinett ausgearbeitet hat, daß es auch bei den Fraktionen dieses Hauses einen scharfen Widerstand gegen jene Bestimmungen in diesem Entwurf gibt, die überhaupt nicht mit einer Wahlordnung vereinbar waren. Schließlich muß man, glaube ich, auch feststellen, daß der demokratische Wahlvorschlag der Regierung und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik
seine Wirkung auf diese Entscheidung der Bundesregierung tat.
Dann möchte ich noch hinzufügen: Der Bundeskanzler will den Generalvertrag unter Dach und Fach bringen, und er will sich dabei nicht durch eine Debatte unseres Volkes über die Durchführung wirklich freier demokratischer Wahlen zu einer Nationalversammlung stören lassen. Er will überhaupt keine freien Wahlen. Er will keine Nationalversammlung, und er will auch nicht die friedliche demokratische Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlands. Bundesregierung und Bundeskanzler suchen also offensichtlich neue Hintertüren, um eine freie Willensentscheidung des deutschen Volkes über seine friedliche demokratische Wiedervereinigung zu verhindern.
Meine Damen und Herren! Die Gefahren für. unser deutsches Volk sind durch den Schumanplan, den Generalvertrag und den Plevenplan unerhört groß geworden. Die Adenauer-Regierung verhandelt über die Aufstellung einer deutschen Söldnerarmee, über die restlose Freigabe der Produktion für Kanonen, Panzer und Flugzeuge in der westdeutschen Industrie sowie über die Übergabe sämtlicher Souveränitätsrechte unseres Volkes an den anglo-amerikanischen Kriegsblock.
Ich möchte auch von dieser Stelle aus ein Wort zur Haltung der sozialdemokratischen Fraktion sagen. Auch sie hatte sich in der bekannten Sitzung des Bundestags zum Fürsprecher der Ausarbeitung eines Wahlgesetzentwurfs gemacht. Sie war maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung der bekannten vierzehn Punkte. Wo ist die sozialdemokratische Fraktion heute und steht auf und verlangt, daß der Bundeskanzler sein Versprechen einlöst und eine solche demokratische Wahlordnung dem Parlament und damit dem deutschen Volk zur Diskussion vorlegt? Es hat keinen Zweck, große Plakate zu drucken und anzukleben, während man es an entscheidenden Taten fehlen läßt, obwohl die Mitgliedschaft der Sozialdemokratischen Partei und die Millionen Gewerkschaftler eine friedliche Wiedervereinigung unseres deutschen Volkes und freie demokratische Wahlen für eine Nationalversammlung fordern.
Gestern beispielsweise erfuhr die deutsche Öffentlichkeit — man höre — durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR Walter Ulbricht die ersten wirklich authentischen Einzelheiten über den Generalvertrag und seine Zusatzprotokolle. Dr. Adenauer hat dem Hohen Hause in der Schumanplan-Debatte lediglich zwei nichtssagende Sätze aus der Präambel des Vertrags und aus weiteren Paragraphen vorgetragen. Dieser von Adenauer bereits ausgehandelte Generalvertrag beinhaltet in der Hauptsache die militärischen Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber Amerika, England und Frankreich; d. h. er ist die feste Fessel, die unser deutsches Volk an den Kriegspakt bindet, und beinhaltet tatsächlich den Verzicht auf die Souveränität unseres Volkes. Statt Gleichberechtigung mit allen Völkern, was der Wunsch aller anständigen Menschen in Europa und in Deutschland ist, soll nach dem Generalvertrag lediglich eine Gleichberechtigung im Militärblock — wie es im Art. 1 heißt — gesichert werden; d. h. die deutsche Jugend soll auf die Schlachtfelder getrieben werden und dort in den Massengräbern vermodern.
Ich will darauf verzichten, weitere Einzelheiten aus dem Generalvertrag hier bekanntzugeben. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Berichts des stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR Walter Ulbricht.
Meine Damen und Herren! Jede Minute ist jetzt kostbar.
Der Bundestag, der vom Herrn Bundeskanzler an der Nase herumgeführt wurde, muß nun selber handeln. Wir denken, daß die Ausarbeitung eines Wahlgesetzes das Gebot der Stunde ist. Darum hat meine Fraktion zu dem Antrag, der Ihnen vorliegt, folgenden Ergänzungsantrag ausgearbeitet. Meine Fraktion bittet Sie, auch diesem Ergänzungsantrag der Fraktion der KPD zu dem Antrag Drucksache Nr. 2966 betreffend Vorlage eines Wahlgesetzes für gesamtdeutsche Wahlen zuzustimmen. Der Antrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestag bildet einen aus Abgeordneten
aller Fraktionen und Gruppen zusammengesetzten Ausschuß, der die Aufgabe hat, den
Entwurf eines Wahlgesetzes für die deutsche Nationalversammlung auszuarbeiten. Dieser Ausschuß soll zum Gegenstand seiner Beratungen auch das Wahlgesetz der Weimarer Republik machen.
Herr Präsident, hier ist der Antrag.
Wir denken, daß man auf dieser Grundlage jetzt einige entscheidende Schritte auch hier von Westdeutschland aus tun muß. Wir denken, daß die Vorbereitung gesamtdeutscher freier Wahlen eine deutsche Angelegenheit ist, nicht aber eine Angelegenheit irgendeiner UN-Kommission, die sich anmaßt, sich in innere deutsche Verhältnisse einzumischen. Wir haben auch kein Recht und haben auch nicht die Absicht, uns in fremden Ländern — beispielsweise bei Wahlakten in Brasilien oder in Holland — einzumischen. Wir denken, unser deutsches Volk sollte jetzt handeln.
Ministerpräsident Otto Grotewohl machte in seiner bekannten Regierungserklärung vom 9. November 1951 den Vorschlag eines freien Meinungsaustausches über den Wahlvorschlag der DDR und schlug vor:
Erstens: Zur beschleunigten Beratung eines für ganz Deutschland gültigen Wahlgesetzes wird eine Kommission aus je fünf Vertretern der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik gebildet.
Zweitens: Diese Kommission soll alle vorliegenden Vorschläge zur Schaffung eines Wahlgesetzes bearbeiten und einen gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zu einer Nationalversammlung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik und dem Bundestag der Deutschen Bundesrepublik zur Annahme unterbreiten.
Ich denke, es ist an der Zeit, diesen Vorschlag auch hier in diesem Bundestag aufzugreifen, wie dies von der übergroßen Mehrheit unseres deutschen Volkes gewünscht wird und wie es auch in den Äußerungen des bayrischen Ministerpräsidenten Dr. Ehard zum Ausdruck kam. Es ergibt sich für den Bundestag die zwingende Notwendigkeit, entsprechend den vielfältigen feierlichen Erklärungen aller Fraktionen nunmehr auch in Westdeutschland die Initiative zu ergreifen. Der Bundestag muß handeln. Er tut dies am besten, indem er entsprechend dem Antrag, meiner Fraktion die unverzügliche Vorlage eines Wahlgesetzentwurfs durch einen Ausschuß ermöglicht, damit durch die Vorschläge der Volkskammer und des Deutschen Bundestags die Grundlage für die Schaffung eines gesamtdeutschen Wahlgesetzes gelegt wird. Die Verständigung der Deutschen untereinander, die 'Durchführung von Beratungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung durch die Schaffung der vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl angeregten Kommission wird die Türen zu freien Wahlen für eine Nationalversammlung öffnen, während der Schumanplan, der Pleven-Plan und der Generalvertrag die Spaltung vertiefen und unsagbares Elend über unser deutsches Volk heraufbeschwören werden.
Die Wahl einer Nationalversammlung entspricht schließlich der Würde und Größe unseres Volkes. Sie bringt uns die friedliche Wiedervereinigung, sie bringt uns demokratische Freiheiten und Rechte und schließlich den lange ersehnten Friedensvertrag.
Meine Damen und Herren! Dies ist auch der Beitrag unseres deutschen Volkes in Ost und West zur Erhaltung des Friedens, zur Erringung unserer Souveränität; dies ist auch der beste Beitrag dazu, dauerhafte friedliche Beziehungen zu allen Völkern in Europa herzustellen. Dies ist der beste Beitrag des deutschen Volkes für Frieden und Demokratie in Europa.