Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat seine Ausführungen, die er weit über die Interpellation ausgedehnt hat, damit begründet, daß ich die Antwort auf die Fragen, die seinerzeit bei Beratung des Haushaltsplans des Auswärtigen Amtes gestellt worden seien, verweigert hätte oder jedenfalls diese Fragen nicht beantwortet hätte. Ich darf Sie daran erinnern, meine Damen und Herren, daß diese Fragen in jener Sitzung vom Herrn Abgeordneten Luetkens gestellt worden sind, in jener Sitzung, die infolge der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Luet-
kens einen völlig anderen Lauf genommen hat, als ursprünglich beabsichtigt war,
und daß in jener Sitzung wirklich kein Platz dafür gewesen ist, auf diese Fragen einzugehen.
Wenn mir unterstellt wird, daß ich absichtlich nicht auf diese Fragen eingegangen sei, so ist das" ein Irrtum; ich bin gern bereit, auf die Fragen einzugehen.
Herr Abgeordneter Ollenhauer hat zuerst gefragt, was hinsichtlich der Vorstellungen geschehen sei, die ich im Ministerrat des Europarates erheben will. Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, habe ich am 29. Mai eine Note an die Alliierte Hohe Kommission gerichtet, in der ich die drei Regierungen, die in der Hohen Kommission vertreten sind, gebeten habe, die geeigneten Schritte zu unternehmen, damit im Saargebiet die Grundrechte geachtet würden. Die Antwort auf diese Note habe ich am 3. August erhalten, als ich an einer Sitzung des Ministerrats des Europarates teilnahm. Seit der Zeit hat keine Sitzung des Ministerrats des Europarats stattgefunden. Voraussichtlich wird die nächste Sitzung stattfinden, sobald die Tagung der Atlantikpaktstaaten in Lissabon stattgefunden hat, d. h. wie man heute annehmen kann, in der zweiten Hälfte oder Ende Februar.
Herr Abgeordneter Ollenhauer hat dann die Frage gestellt, in welcher Richtung ich dort vorstellig werden wolle. Nun, die Richtung ist ganz klar: Im Ministerrat des Europarats dürfen nach dem Statut des Europarats politische Fragen nicht erörtert werden. Dagegen hat auch die Saarregierung die Konvention über die Grundrechte unterschrieben, und auf Grund dieser Konvention werde ich die Angelegenheit im Ministerrat zur Sprache bringen.
Zu der zweiten Frage darf ich folgendes sagen: In der Interpellation geht man davon aus, daß ein Widerspruch zwischen der Note der westalliierten Regierungen vom 3. August 1951, der Antwort auf unsere Saarnote und der Stellungnahme der Alliierten in ihrer Note vom 23. Oktober 1950 bestünde. Ich bin der Auffassung, daß kein Widerspruch besteht. Die Annahme, daß ein solcher Widerspruch bestehe, geht von einer nicht zutreffenden Übersetzung der Saarnote aus.
— Ja, die haben Sie nicht richtig übersetzt, meine Damen und Herren, nicht wir.
Wir haben der Presse den französischen Text gegeben, und in der französischen Note
heißt es, daß die „juridiction", die Jurisdiktion der Bundesrepublik an ihren Grenzen haltmache. Jurisdiktion ist aber nicht identisch mit Zuständigkeit, sondern Jurisdiktion heißt „Regierungsgewalt". Daß die Regierungsgewalt der Bundesrepublik tatsächlich an ihren heutigen Grenzen haltmacht, das ist doch eine Feststellung, die nicht bestritten werden kann.
In der Note vom — — entschuldigen Sie einen Augenblick! Haben Sie die Note da? — Ich werde Ihnen, meine Damen und Herren, den Passus — ich habe ihn jetzt, danke sehr — der Note vom 23. Oktober 1950 vorlesen. Darin heißt es:
Die drei Regierungen sehen in der Bundesrepublik die einzige deutsche Regierung, die für Deutschland sprechen und das deutsche Volk bis zur. Wiedervereinigung Deutschlands in internationalen Angelegenheiten vertreten kann.
Ich bin der Auffassung, daß es sich in der Saarfrage nicht um eine internationale Angelegenheit handelt, in der wir die Saar international zu vertreten haben." Denn Sie wissen, daß nach unserer Auffassung die Saar zu dem Gebiet des früheren Deutschen Reiches gehört, dessen Grenzen auch von den Westalliierten als zur Zeit bestehend anerkannt sind, und daß die endgültige Regelung dieser ganzen Fragen erst im Friedensvertrag erfolgen soll. Ich bin also zu Ziffer 2 der Interpellation der Auffassung, daß ein Widerspruch zwischen diesen beiden Noten der Westalliierten nicht besteht und ich daher auch keine Veranlassung hatte, in einer Note auf einen unseres Erachtens nicht vorhandenen Widerspruch aufmerksam zu machen.
Zu Nr. 3, meine Damen und Herren. Da darf ich zunächst eins vorausschicken: In der Interpellation ist darauf Bezug genommen, daß ich in der Sitzung des Bundestages vom 16. Oktober erklärt habe, man solle bei schwebenden internationalen Verhandlungen darüber nicht in der Öffentlichkeit sprechen. Ich habe aber noch etwas Weiteres gesagt. Ich habe gesagt, daß man über Verhandlungen nicht in einem Stadium sprechen solle, in dem das Sprechen darüber schädlich sei.
Meine Damen und Herren, nun ein Wort zu den allgemeinen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ollenhauer über die Stellung der Staatssekretäre. Ich bin der Auffassung — und ich glaube, ich gebe Ihnen damit auch die Auffassung aller meiner Ministerkollegen wieder —, daß für den Staatssekretär und für die Äußerungen, die er als solcher macht, der zuständige Minister die Verantwortung hat.
Sie haben also, wenn Sie der Auffassung sind, daß ein Staatssekretär in dieser seiner Funktion politische Äußerungen gemacht habe, in dem zuständigen Minister die Persönlichkeit, die verantwortlich ist und an die Sie sich halten können.
Daß ein beamteter Staatssekretär — dieser Ausdruck ist in der Interpellation wiederholt gebraucht worden, und er ist ja auch richtig; nur lassen Sie mich hier doch einfügen, daß der Staatssekretär ein politischer Beamter ist und als solcher auch ausdrücklich gekennzeichnet ist —, also, meine Damen und Herren, daß ein Staatssekretär befugt sein muß, mit Zustimmung seines Ministers innerhalb seines Ressorts Ausführungen zu machen über die Stellungnahme seines Ministers, über die Stellungnahme der Bundesregierung, ist nach meiner Meinung absolut selbstverständlich.
Es wird immer davon gesprochen, in einer parlamentarisch regierten Demokratie dürfe so etwas nicht der Fall sein. Es ist in allen parlamentarisch regierten Demokratien der Fall! Daher kann ich nicht anerkennen, daß Herr Staatssekretär Hallstein bei diesen seinen Äußerungen, die nichts anderes beinhalteten als eine Wiedergabe der Absichten
der Bundesregierung, über den Umfang der Tätigkeit eines Staatssekretärs hinausgegangen ist,
wobei, wie ich nochmals betone, in allen solchen Fällen der zuständige Ressortminister die politische Verantwortung gegenüber dem Parlament zu übernehmen hat.
In der Interpellation ist dann tadelnd erwähnt worden, der Staatssekretär habe hierbei Beschlüsse des Bundesrates außer acht gelassen. Meine Damen und Herren, hier scheint mir die Interpellation doch einen gewissen Widerspruch zu enthalten. Wenn man dem Staatssekretär vorwirft, er habe .bei seinen Ausführungen Beschlüsse des Bundesrates außer acht gelassen, dann konzediert man ihm doch, daß er das Recht habe, diese Ausführungen zu machen;
und dann wirft man ihm doch vor, daß er diese Ausführungen unvollständig gemacht habe.
Aber ich kann auch nicht anerkennen, daß es bei den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Hallstein in den beiden Fällen — ich kenne diese Ausführungen — nötig gewesen wäre, von diesen Beschlüssen des Bundesrates zu sprechen, um ein wirklich zutreffendes Bild der ganzen Sachlage zu geben.
Ich komme nun zu Ziffer 4 der Interpellation. Auch hier wird der Vorwurf erhoben, die Bundesregierung habe nicht den Auftrag des Parlaments erfüllt. Mir scheint, meine Damen und Herren, daß der Herr Abgeordnete Ollenhauer das Urteil über die Bundesregierung etwas vorschnell gefaßt' hat. Ich meine, man sollte auch über einen politischen Gegner erst dann urteilen, wenn der Tatbestand vorliegt.
— Das ist doch wohl ein anerkannter Grundsatz, gegen den Sie nichts einwenden können!
In Ausführung dieses Bundestagsbeschlusses vom 21. Februar, eines Beschlusses, meine Damen und Herren, dem schon umfangreiche Arbeiten der Bundesregierung auf demselben Gebiet vorangegangen waren, sind diese Arbeiten intensiv fortgeführt worden, um eine Gesamtdokumentation aller kriegsgefangenen und verschleppten Personen fertigzustellen. An der Durchführung dieser ungeheuer schwierigen und umfangreichen Aufgabe hat sich, soweit es sich um die Kriegsgefangenen und Wehrmachtvermißten handelt, das. Deutsche Rote Kreuz in München beteiligt. Das Deutsche Rote Kreuz in Hamburg erstellt die Gesamtdokumentation der verschleppten und festgehaltenen Zivilpersonen. Teilgebiete werden vom Evangelischen Hilfswerk in München und vom Kirchlichen Suchdienst bearbeitet. Die Ermittlungen über die Kriegsgefangenen und Wehrmachtvermißten sind im großen und ganzen abgeschlossen. Wenn ich sage „im großen und ganzen" — und das gilt auch für die Ziffern, die ich Ihnen weiter noch geben werde —, müssen Sie sich immer vor Augen halten, daß alle diese Ziffern nur annähernde Ziffern sind; im einen Falle werden sie der Wahrheit näherkommen, im anderen Falle werden sie voraussichtlich hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Das liegt eben in der Schwierigkeit des ganzen Gebietes. Hinsichtlich der verschleppten Zivilpersonen ist j a die Arbeit besonders schwierig, und hier kann ich Ihnen erst vorläufige Ergebnisse mitteilen.
Die Wehrmachtvermißten-Kartei weist zur Zeit noch 1,3 Millionen vermißte Wehrmachtangehörige aus. Wieviel davon tot sind, wieviel davon — ich spreche jetzt zunächst von Sowjetrußland — noch von Sowjetrußland entgegen den von Sowjetrußland abgegebenen offiziellen Erklärungen dort zurückgehalten werden, können wir nicht irgendwie genau sagen. Aber, meine Damen und Herren, entgegen den offiziellen Erklärungen Sowjetrußlands besitzen wir die Namen von 106 000 noch lebenden, in Sowjetrußland zurückgehaltenen Kriegsgefangenen.
Wir haben allen Anlaß zu der Annahme, daß diese Zahl von 106 000 — ich wiederhole: das sind Namen von noch lebenden Kriegsgefangenen in Sowjetrußland, in deren Besitz wir sind —
noch übertroffen wird. Wir haben allen Anlaß zu der Annahme, daß eine weit größere Zahl von deutschen Kriegsgefangenen in Sowjetrußland zwangsweise zurückgehalten wird.
Verschleppt wurden nach Sowjetrußland 700 000 deutsche und volksdeutsche Zivilpersonen,
eine erschreckend hohe Ziffer, hinter der ein furchtbares Elend steckt.
Davon leben zur Zeit nach unseren Feststellungen mindestens noch 170 000 und werden in Sowjetrußland zurückgehalten.
Wir haben weiter ermitteln können, daß in der Tschechoslowakei noch mehr als 12 000 Zivilpersonen in Haftanstalten festgehalten werden. Wir besitzen die Namen von 5679 in der Tschechoslowakei in Haft gehaltenen Zivilpersonen.
In Polen werden rund 20 000 Zivilpersonen zurückgehalten; wir besitzen die Namen von 7265 in Polen zurückgehaltenen Deutschen.
Die Bundesregierung wird dieses gesamte Material bei den bevorstehenden Besprechungen mit dem Kriegsgefangenenunterausschuß der Vereinigten Nationen vorlegen und dem Bundestag dann so schnell wie möglich das endgültige Ergebnis ihrer Ermittlungen mitteilen.