Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, daß ich unmittelbar nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers einiges zu seinen Bemerkungen hier sagen kann. Der Herr Bundeskanzler hat sich mit einem Teil der Argumente auseinandergesetzt, die die sozialdemokratischen Sprecher im Laufe dieser Debatte gegen den Schumanplan vorgebracht haben, aber leider nur mit einem Teil und zum Teil in einer Form, wie er die Argumente sieht. Und er hat an uns einen Appell gerichtet; er hat an uns den Appell gerichtet, wir sollten uns doch darüber klar sein, wie schwer die Situation des deutschen Volkes in der Welt ist, wie schwer die Aufgabe ist, das Mißtrauen gegenüber dem deutschen Volke in der Welt abzubauen. Schließlich hat er uns aufgefordert, wir sollten doch nicht die Schuld immer zuerst bei den anderen suchen.
Herr Bundeskanzler, ich möchte hier in aller Freiheit und in aller Offenheit sagen: Sie dürfen davon überzeugt sein, daß die Sozialdemokratische Partei sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Volk und Europa bei jedem Wort, das hier gesprochen worden ist, absolut und voll bewußt ist.
Wir haben ein sehr klares Bild über das, was im Ausland an Vorstellungen über Deutschland lebt, und das Bild hat viele Seiten. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie werden mir doch nach Ihren ausreichenden Informationen im Ausland an Ort und Stelle zugeben, daß die Zweifel an der demokratischen und friedlichen Gesinnung des deutschen
Volkes und an den demokratischen und friedlichen Zielen seiner Regierung nicht zuletzt auch durch gewisse Äußerungen maßgebender Mitglieder Ihres Kabinetts
viel mehr bestärkt worden sind als durch irgendwelche anderen Umstände.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz offen sagen: Wir haben nicht die Absicht gehabt, in diesem Zusammenhang dieses Thema zu behandeln. Aber wenn der Herr Bundeskanzler es für richtig hält, die sozialdemokratische Stellung zu dem Schumanplan im Jahre 1952 mit der nationalistischen Politik eines Herrn Hugenberg in Vergleich zu bringen, dann möchte ich den Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam machen, daß wir durchaus bereit sind, auch auf dieser Ebene einmal den Kampf ganz offen auszutragen.
Dann können wir j a einmal untersuchen, wieviel Anhänger und wieviel Träger Hugenbergscher Ideen in den Reihen der Parteien Ihrer Regierungskoalition heute noch sitzen!
Wir können auch noch weitergehen. Vielleicht können wir auch untersuchen, wie denn die Vertretung der Gedankengänge des „Dritten Reiches" in den Reihen der Abgeordneten in den Regierungsparteien ist.
Bitte, meine Herren, täuschen Sie sich nicht, den Kampf können Sie haben! Aber ich will Ihnen hinzufügen: ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat der Autorität seines Amtes, die zu respektieren wir immer bereit sind, einen denkbar schlechten Dienst erwiesen, als er in dieser Weise zwischen der sozialdemokratischen Argumentation und Hugenbergschem Nationalismus Vergleiche zu ziegen wagte.
Und nun einige weitere sachliche Bemerkungen. Herr Bundeskanzler, Sie haben an uns, an das Haus, aber insbesondere an die sozialdemokratische Opposition appelliert: Denken Sie daran, in welcher schwierigen Position wir internationale Verhandlungen zu führen haben, wie groß die Widerstände sind! Meine Damen und Herren, das ist überhaupt nicht das Problem. Jeder ernsthaft denkende Mensch in Deutschland weiß, was wir seit 1945 an Mauern von Mißtrauen, Zweifel und wirklichem Haß gegen Deutschland abtragen mußten, Mauern, die das Regime des Dritten Reiches aufgerichtet hat, gegen das wir vom ersten Tage an mit Leidenschaft gekämpft haben.
Bitte, wir Sozialdemokraten sind — das müssen
Sie uns zugeben, und das bestätigt die Geschichte —
im Jahre 1945 auf die Trümmer der nationalsozialistischen Diktatur und des Wahnwitzes ihres
zweiten Weltkrieges hingetreten. Aus welch
anderen Motiven, als diesem Volke wieder eine
menschliche und freiheitliche Ordnung zu geben?
Und wo wäre denn in Deutschland der Gedanke
der Demokratie, der Gedanke der Freiheit ohne
die Loyalität der Millionen von sozialdemokratischen Wählern gegenüber dem demokratischen und freiheitlichen Staat?
Meine Damen und Herren, so kann man uns nicht behandeln!
— Entschuldigen Sie! Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir sollen an diese Dinge denken. Bitte, das haben wir in der Praxis durch unser Verhalten bewiesen. Nur, diese Unterhaltung gehört nicht in die Debatte über diesen Vertrag, und zwar aus folgendem Grund:
Ich habe mit Verständnis gehört, wie der Herr Bundeskanzler stolz berichtet hat über die Zusammenkunft der vier Außenminister in Paris im November 1951. Ich habe seine Empfindung verstanden, als er sagte: Sehen Sie, da war der deutsche Bundeskanzler und der Außenminister wieder ein Partner unter Gleichen! Bitte, Herr Bundeskanzler, das ist doch die Position. Ihre These ist: Der Schumanplan-Vertrag ist das erste Stück Gestaltung einer echten Partnerschaft. Wenn das richtig ist — und diese These ist die Basis Ihrer ganzen Außenpolitik —, dann können Sie in der Diskussion gegenüber der sozialdemokratischen Kritik nicht die Ressentiments aus der Kriegszeit gegen die Sozialdemokratie verwenden.
Das wirkliche Verhängnis unserer Situation ist
— und das ist der Vorwurf, den ich heute der Bundesregierung machen muß, genau wie mein Freund Carlo Schmid es gestern getan hat —, daß wir die Beziehungen besatzungsrechtlicher Art und die Beziehungen auf der Basis der Partnerschaft am Anfang der Diskussion über den Schumanplan nicht klar und deutlich auseinandergehalten und geklärt haben.
Darin liegt die Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und uns. Sie werden in dieser ausführlichen Debatte nicht eine einzige sozialdemokratische Bemerkung finden, in der von Schuld bei den anderen die Rede ist.
— Wir haben nur die Motive und Interessen der anderen Parteien untersucht, und wir haben gefragt: wie kommen w i r mit unser en Motiven und Interessen dann zum Zuge? Im Verhältnis der Partnerschaft ist das eine berechtigte und notwendige Auseinandersetzung, und da fängt die Diskussion erst an.
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, abgesehen davon, daß wir als Opposition bei Auseinandersetzungen über ganz andere Probleme immer wieder Gefahr laufen, von Ihnen mit gewissen parteitaktischen und ähnlichen unsachlichen Bemerkungen hier überfahren zu werden, stehen wir doch immer wieder vor dem Problem, daß wir in der Sache mit dieser Regierung und mit dem Herrn Bundeskanzler in allen entscheidenden Situationen nicht in ein echtes Gespräch gekommen sind.
— Entschuldigen Sie, d e n Fall müssen Sie uns noch nennen, in dem sozialdemokratische Repräsentanten eine Aufforderung des höchsten Beamten
deutscher Bundestag — 184. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Januar 1952 7821
der Bundesrepublik zu einer Unterhaltung abgelehnt haben! Einen solchen Fall gibt es nicht, weil wir es als eine selbstverständliche Anstandspflicht gegenüber dem Bundeskanzler ansehen, einer Einladung zu folgen. Was uns aber die sachliche Zusammenarbeit unmöglich macht, dafür ein Beispiel. Wir sind jetzt drei Tage in dieser Plenardiskussion zusammen, wir haben Wochen der Diskussion im Wirtschaftspolitischen und im Außenpolitischen Ausschuß gehabt. Wir haben im Laufe dieser Tage immer wieder erst durch äußerstes Pressen und Drücken wichtige Fakten von der Regierung erfahren. Heute erleben wir gewissermaßen als Krönung der Argumentation der Regierungskoalition die Vorlesung von zwei Artikeln des Entwurfs eines Generalvertrages. Ja, meine Damen und Herren, wie stellen Sie sich denn eine gemeinsame Außenpolitik vor, wenn Sie den verantwortlichen Repräsentanten der größten Partei im letzten Augenblick diese beiden Sätze ins Gesicht schleudern und sagen: Seht ihr, was sind wir für tüchtige Leute!
Das ist eine unmögliche Basis für eine gemeinsame Politik.
Meine Damen und Herren! Wir wollen hier nicht über den Vergleich mit England im einzelnen sprechen. Derartige einseitige, unvollständige Informationen hat es in keinem Augenblick internationaler Verhandlungen der britischen Regierung gegenüber dem Parlament gegeben, ganz gleich, ob Labour oder die Konservativen an der Regierung waren.
Wenn hier zu lernen ist, bitte, Herr Bundeskanzler, beweisen Sie durch Ihr Verhalten gegenüber der Opposition in der Sache, daß wir auf einen anderen Gesprächsfuß kommen können.
Aber ich will in aller Klarheit und Offenheit hinzufügen, Herr Bundeskanzler, die Voraussetzung für eine solche Gemeinsamkeit ist eine gründliche, vorbehaltlose Untersuchung darüber, ob es zwischen Ihnen und uns in den Grundfragen der Außenpolitik, ihrer Methode und ihrer Zielsetzung tatsächlich eine so weitgehende Übereinstimmung gibt. Wir haben uns bisher vergeblich bemüht, in dieser außenpolitischen Debatte in diesem Punkte voranzukommen. Das Resultat ist nicht befriedigend.
Wenn Sie schon der Meinung sind, Herr Bundeskanzler — und ich teile Ihre Auffassung —, daß dieser Schumanplanvertrag etwas ist, das sich lohnt, ernsthaft zu diskutieren, dann müssen wir Sie aber doch — auch wenn es kurz vor der Abstimmung ist, in der Sie Ihre Siegesgewißheit haben — fragen: Warum kommen Sie denn jetzt hier vor der Öffentlichkeit mit dem Argument, es gebe kein Junktim zwischen der Ratifizierung des Schumanplans und der des Generalvertrages und des sogenannten Verteidigungsbeitrages? Herr Bundeskanzler, niemand von uns hat jemals die Behauptung aufgestellt, daß unter den sechs Partnern des Schumanplans über ein solches Junktim gesprochen worden sei; aber es gibt j a doch noch einen sehr kräftigen Paten des Schumanplans, der auf die deutsche Politik nicht immer in sehr liebenswürdiger und fairer Weise Einfluß nimmt. Die amerikanische Politik vor und seit der Washingtoner Konferenz war in ihrer praktischen Konsequenz die Forderung an die Deutschen: Ratifiziert den Schumanplan, sonst können wir den
Generalvertrag mit der erweiterten Souveränität oder Selbständigkeit der Bundesrepublik nicht durchsetzen!
Ich behaupte nicht, daß es darüber auch nur ein Stück Papier, d. h. eine Note an die Bundesregierung gibt; aber wenn die Spatzen bestimmte Dinge von den Dächern pfeifen, dann soll man sie in einer solchen Diskussion nicht abstreiten wollen.
Nun ein letztes Wort. Der Herr Bundeskanzler hat an unsere Partei appelliert und hat geglaubt hier sagen zu müssen, daß auch nach seiner Auffassung in der Sozialdemokratischen Partei wertvolle Kräfte für den Aufbau unseres Volkes sind. Herr Bundeskanzler, lassen wir die Pathetik! Wenn Sie mit der Sozialdemokratie in ein Verhältnis kommen wollen, in dem wir sachlich miteinander reden und Meinungsverschiedenheiten klären, dann müssen Sie von der Grundtatsache ausgehen, daß es Ihnen gegenüber nur eine einzige, geschlossene, einheitliche Sozialdemokratie gibt.