Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Darlegungen unter einen Gesichtspunkt stellen, der mir bisher recht kurz gekommen zu sein scheint. Den Ausgangspunkt bildete ein Erlebnis, das in diesen Tagen sehr viele von Ihnen wohl genau so empfunden haben wie ich. Einer der negativsten und störendsten Eindrücke der letzten drei Tage in diesem Hause war das überaus anmaßende Verhalten der kommunistischen Abgeordneten.
Sie, die nur aus der Angst vor demselben Bannstrahl, der Kurt Müller traf,
den traurigen Mut finden können, für eine Macht einzutreten, die seit ihrem Erscheinen auf deutschem Boden eine lange Kette schwerer Verbrechen gegen das deutsche Volk und gegen die Menschlichkeit begangen hat, sie sollten uns allein durch ihr Verhalten herausfordernder Frechheit aus Angst lebhaft die Existenzbedrohung des deutschen Volkes vor Augen gerückt haben. Es ist ein Zustand geistiger Zernichtetheit, wenn Menschen, die durchaus beanspruchen, als Deutsche bezeichnet zu werden, für ein Machtsystem eintreten, dem Millionen deutscher Kriegsgefangener und Zivilisten zum Opfer fielen, das unsere Brüder und Schwestern in Mitteldeutschland mit einer Elendsexistenz in stummem Schrecken belegt, das Mitteldeutschland in eine sowjetische Wirtschaftsprovinz und in einen sowjetischen Terrorbereich verwandelt und zu alledem zwischendurch die Aushungerungsblockade über zweieinhalb Millionen Berliner verhängt hat. Es ist sehr nötig, Bestand und Verhalten dieser satanischen Macht auf deutschem Boden, die Trägerin der Bedrohung ist, als die alles überschattende Gefahr in Erinnerung zu bringen, die uns das Gesetz eines sehr bestimmten Handelns vorschreibt. Dies erscheint mir um so notwendiger, als ich mich nicht des Eindrucks erwehren kann, daß bei der Sozialdemokratie in letzter Zeit eingebildete Zwangsläufigkeiten mit angeblich drohenden Gefahren aus dem Westen eine außerordentliche Rolle spielen, wie sich aus den gestrigen Darlegungen insbesondere des Abgeordneten Wehner ergab, während die sehr handgreiflichen Zwangsläufigkeiten mit den ihnen eigenen Gefahren aus dem Osten demgegenüber ungebührlich zurücktreten.
Demgegenüber betrachten wir es als die entscheidende Aufgabe der deutschen Regierung, die deutsche Freiheitsbastion, die die Bundesrepublik darstellt, von der sowjetischen Bedrohung freizuhalten und den mitteldeutschen Bereich mit seinen 18 Millionen Deutschen auf friedliche Weise von der sowjetischen Sklaverei frei zu machen.
Diese Aufgabe hat nicht nur europäischen, sondern weltpolitischen Rang, und sie kann nur im weltpolitischen Rahmen auf der Basis echter bundesgenossenschaftlicher Zusammenarbeit mit allen Völkern gelöst werden, die Recht und Freiheit zu den allein gestaltenden Mächten des Gemeinschaftslebens in und zwischen den Völkern machen wollen.
Lassen Sie mich deutlich sagen: Der Heroismus der Berliner Bevölkerung im Blockadewinter hätte nicht zur siegreichen Verteidigung der Stadt gereicht, wenn nicht Schutz und Hilfe der westlichen Demokratien gewährt worden wären. Die Bundesrepublik hätte ohne den Schutz der westlichen Demokratien nicht entstehen können. Die Sowjets würden nicht geduldet haben, daß diese ihre weiteren europäischen Expansionsabsichten zunichte machende Freiheitsbastion auf deutschem Boden entstand. Die Bundesrepublik hätte ohne diese seit drei Jahren fortschreitende politische und wirtschaftliche Wiedereingliederung in die Welt der freien Völker nicht eine prosperierende Entwicklung nehmen können, und ihre zukünftige Ent-
wicklung hängt davon ab, daß die nationalstaatliche Anarchie, die balkanische Zerrissenheit Europas zunächst in dessen sowjetfreiem Teil überwunden wird, daß Europa sich aus der selbstverschuldeten Enge zur Weite ohne trennende Grenzen entwickelt,
damit die europäischen Völker eine Wohlstand schaffende Kraft entfalten können, die ihnen in der wechselseitigen Absperrung versagt bleiben müßte, damit sie ferner auch aus sich die erforderliche Verteidigungskraft entfalten können, ohne die ihre Existenz um so gefährdeter würde, je mehr ihr Wohlstand hervorträte.
Die mögliche Wendung der sowjetischen Politik zum Verzicht auf Angriffe und zur Herbeiführung eines langdauernden Friedens auch um den Preis der Freigabe deutscher und anderer europäischer Gebiete wird um so eher kommen, je früher die europäischen Völker einer sowjetischen Expansionspolitik keine Chancen und keine Hoffnungen mehr lassen. Sollten die europäischen Völker außerhalb des sowjetischen Bereichs im Zustand nationalstaatlicher Anarchie weiterleben, dann könnten die Sowjets allerdings in einigen Jahren für sie verheißungsvolle Konfliktlagen erhoffen, die bei etwaiger Abschwächung der amerikanischen Schutzbereitschaft Eingriffe mannigfacher Art aussichtsreich erscheinen ließen. Solange die Sowjets Perspektiven dieser Art nicht aufzugeben brauchen, haben sie keinen Anlaß, ihr Verhalten auf die Befreiung der Ostzone einzurichten. Ihr Verhalten in Paris, wo sie Farbe bekannt haben, indem sie die UNO-Kommission ablehnten, ist hierfür ein nachhaltiger Beweis. Dieses Verhalten müßte letzt eigentlich auch dem Letzten zeigen, daß das Einheitsgeschwätz von drüben nichts anderes als ein Bestandteil offensiven, expansiven Verhaltens ist, darauf angelegt, den mangelnden Willen zu freien Wahlen unter hinreichenden Garantien zu verschleien. und die tiefe Sehnsucht unseres Volkes
zur Wiedervereinigung, aber einer Wiedervereinigung auf dem Boden der Freiheit, nur zu mißbrauchen. Hier im Westen versündigt sich jeder an unserem Volke, der, obwohl er dies erkennt und weiß, den Anschein erweckt, als ob es nicht so wäre. Aus dem Einheitsgeschwätz kann allerdings eines Tages die Bereitschaft zur Einräumung der Freiheit auf der sowjetischen Seite werden; aber nicht dadurch, daß wir gerade das unterlassen, was wir tun müssen, um die Freiheit zu sichern, sondern indem wir das tun, was die Sowjets gern unterlassen sehen möchten.
Die Sowjets möchten den Schumanplan gern verhindern, weil sie wissen, daß er ein Tatbestand ist, der nicht zurückgenommen werden kann, der nur in der Richtung einer umfassenden europäischen Föderation überholt werden kann, überholt werden soll und überholt werden wird, nicht in 50 Jahren, sondern in wenigen Jahren. Sie möchten den Schumanplan verhindern, weil sie wissen, daß er den Ausbruch tragischer Entzweiungen mit tödlichen Folgen für die beteiligten Völker in Westeuropa beseitigt. Sie möchten ihn verhindern, weil sie wissen, daß nach vielen geschichtlichen Beispielen die Bildung eines großen Marktes wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten gibt, die nach wenigen Jahren den Streit über den Vorteil des einen und den Nachteil des anderen als gegenstandslos erscheinen lassen, weil allesamt Vorteile in einem Ausmaß erringen — nicht nur einer auf Kosten des anderen —, die vorher für ganz unwahrscheinlich gehalten wer- den. Und die anhebende Entwicklung ist um so hoffnungsvoller, als ihr Ausgangspunkt in einer Mangellage liegt, die um so kräftiger zur Ausweitung des Produktionsapparates und zur beschleunigten Nachholung überfälliger Investitionen mit dem billigsten Aufwand anreizt.
Alle diese Gründe, die den Sowjets der Schumanplan verhaßt machen, heißen uns, ihn unter Dach und Fach zu bringen. Was uns in unserem Verhältnis zu den Vertragspartnern zuversichtlich über die anhebende Entwicklung stimmt, ist die Aufhebung aller siegerstaatlichen Beschränkungen und Kontrollen der Vergangenheit, soweit sie Kohle, Eisen und Stahl betreffen.
Ich glaube, niemand hätte sich träumen lassen, daß der Herr Kollege Ollenhauer sich gerade in diesem Augenblick zu der Behauptung versteigen würde, der Schumanplan sei vom deutschen Standpunkt aus nicht mit Locarno, sondern mit der Besetzung der Ruhr von 1923 zu vergleichen und zu erklären, der Vertrag könne denselben Effekt hervorrufen wie ein kalter Eingriff. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden uns gerade dieses Beispiel verstiegener Urteilskraft sehr gut merken,
und wir werden sicherlich bald Gelegenheit haben, Sie an diese Prognose zu erinnern, wie an manche andere, die Sie in den vergangenen Jahren über die Entwicklung abgegeben haben.
Über die beschleunigte Durchführung des Gesetzes Nr. 27 wird verhandelt, und wir bitten die Regierung, die Verhandlungen in jeder Weise zu intensivieren, damit ehestmöglich der Zustand erreicht wird, von dem ab dann die Zusicherung gilt, daß für uns auch auf diesem Gebiet keine anderen Bestimmungen gelten als die des Schumanplans. Es handelt sich um die Beendigung der Entflechtung, und wir sind des Auffassung, daß gerade die vollzogene Ratifikation von deutscher Seite auf der anderen Seite den Anstoß dazu geben sollte, sich zu überwinden, und technische Formalitäten und Schwierigkeiten fallen zu lassen. Der Verhandlungsstand dürfte durch die deutsche Ratifikation eher verbessert als verschlechtert werden. In manchen Situationen ist der beste Trumpf, der ausgespielt werden kann, ein Verhalten, das das Vertrauen mehrt.
Völlig unerfindlich sind die gegen die Ratifikation geltend gemachten Gründe, die Berlin und die Ostzone betreffen. Was Berlin betrifft, so wissen wir, daß es hinsichtlich der Belieferung mit den Vertragsprodukten bereits in den deutschen Verbrauch mit einbezogen wird. Was die Gleichstellung Berlins anlangt, so schweben auch darüber Verhandlungen. Bezüglich der sowjetischen Zone ist darauf hinzuweisen, daß sie gemäß Art. 79 Abs. 1 in das Vertragsgebiet eintritt, sobald die deutsche Einheit wiederhergestellt wird. Denn Art. 79, der die Anwendbarkeit des Vertrages auf die europäischen Gebiete der vertragschließenden Teile erklärt, ergibt im Zusammenhang mit dem
22 der Übergangsbestimmungen, daß die deutsche Gesamtheit schon jetzt respektiert wird. Es ist schlechthin rätselhaft, wie die Opposition dazu kommt, Zweifel aufzublähen, da die Westmächte gerade durch die Note vom 15. Oktober 1951 der Bundesrepublik zugesagt haben, in jeder Weise gemeinsam mit der Bundesregierung eine Politik zu führen, die der Wiederherstellung der deut-
sehen Einheit in Freiheit auf friedlichem Wege dient, nachdem in Ausführung dieser Zusage die westlichen Demokratien dem Antrag des Deutschen Bundestages, die Ostzonenfrage vor die Uno-Vollversammlung zu bringen, entsprochen haben und feststeht, daß der Generalvertrag eine entsprechende Verpflichtung zur Wiederherstellung der deutschen Einheit enthalten wird.
Bleibt als ernstes Bedenken die Saar. Es wiegt für uns nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge schwer. Aber vor die Frage gestellt, ob deshalb der Schumanplan abzulehnen oder anzunehmen ist, lassen wir uns von der Erwägung leiten, daß in Europa ein durch Machtverhältnisse bestimmter Zustand durch den Rechtszustand abgelöst wird. Die anhebende europäische Rechtsordnung muß naturgemäß die Erwägungen des Rechts immer nachhaltiger und bestimmender gegenüber machtpolitischen Gesichtspunkten hervortreten lassen. Der moralische Anspruch auf Respektierung des Selbstbestimmungsrechts unserer deutschen Bevölkerung an der Saar wird um so unabweisbarer, je mehr die Zugehörigkeit des Saargebiets zu einem der beiden Staaten machtpolitische Bedeutung verliert, je mehr zugleich die Gefühle des französischen Volkes durch den Zeitablauf und die neuen Gemeinschaftsbemühungen von feindseligen Affekten frei werden. Zur Zeit sind diese Affekte noch nicht so weit abgeklungen, daß in Frankreich eine Lösung vertragen würde, die der entscheidenden Tatsache entspricht, daß die 900 000 Menschen an der Saar Deutsche und nicht Franzosen sind. Eine Art der Vertretung unseres Rechtes, die in der Ablehnung des Montanpaktes kulminieren würde, könnte nur eine erneute Verhärtung der alten Gefühle bewirken. Deshalb machen wir unter erneuter Bekräftigung unseres Rechtes den Montanpakt nicht von der Erfüllung unseres Rechtsanspruchs abhängig, geben indessen der Hoffnung Ausdruck, daß die französische Regierung sich entschließen möge, dem Zustand staatsbürgerlicher Unfreiheit im Saargebiet ein Ende zu setzen und weitere Eingriffe in das Eigentum an Kohle und Hütten einzustellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir an diesem Tage den Blick in die deutsche Vergangenheit nach dem ersten Weltkrieg zurückwenden, dann sollten wir dem Geist eines Mannes begegnen, der in schwerem Ringen um die deutsche Gleichberechtigung im Rahmen einer europäischen Ordnung trotz schwerster Krankheit seine Kraft rücksichtslos verbrauchte, bis ihn ein allzu früher Tod ereilte, ein Tod, der für das deutsche Volk verhängnisvoll wurde. Wem der Name Gustav Stresemann gegenwärtig ist, der weiß, was in dieser Stunde seine nationale und europäische Pflicht ist.