Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr von Thadden, der Vorwurf „notorische Landesverräter", den Sie uns während Ihrer Rede — ohne einen Einspruch des Herrn Präsidenten — gemacht haben, ist vor vielen Jahren schon von anderen Politikern in Deutschland gemacht worden. Diese anderen Politiker haben mit diesem Vorwurf das deutsche Volk in die größte Katastrophe seiner Geschichte geführt. Wer die notorischen Landesverräter sind, Herr von Thadden, das wird sich, denke ich, in kurzer Zeit herausstellen.
Ich bedauere außerordentlich, daß zu dem Problem des Schumanplans keine Frau in diesem Hause Stellung genommen hat.
Ich bin der Meinung, daß es dazu auch von unserem Gesichtspunkt aus einiges zu sagen gibt, wenn es auch nicht gerade eine Stunde in Anspruch nehmen wird.
Es ist zu Beginn der Debatte von einem der Redner gesagt worden, man müsse den Schuman-plan in seinen Auswirkungen untersuchen. Bisher ist er von fast allen Rednern allerdings nur in seinen Auswirkungen für die Rüstungsindustriellen untersucht worden. Ich bin aber der Meinung, daß wir als Vertretung der westdeutschen Bevölkerung in erster Linie zu fragen haben: Welche Auswirkungen hat dieser Schumanplan auf unser Volk?
Sie haben um das entscheidende Problem des Schumanplans in Ihrer Mehrheit so vollständig herumgeredet, als ob es überhaupt nicht da wäre. Einzig der Herr Bundeskanzler hat dieses Problem angedeutet, indem er festgestellt hat, daß Kohle und Stahl für die Aufrüstung entscheidend sind. Und Präsident Truman hat die Freundlichkeit besessen, in seinem Neujahrsaufruf ebenfalls den Zusammenhang klarzulegen, in dem der Schumanplan insgesamt gesehen werden muß, indem er feststellte, daß die Vereinigten Staaten von Amerika die Rüstung verdreifachen werden und daß sie dabei auf die Unterstützung durch den Schumanplan und den Plevenplan rechnen.
Es ist ein sehr schlechtes Zeichen, wenn Sie so tun, als ob Ihnen nicht bekannt wäre, daß dieser Schumanplan in erster Linie und einzig und allein auf Geheiß der Vereinigten Staaten von Amerika zum Zwecke der beschleunigten und verstärkten Kriegsvorbereitungen in Europa geschaffen wurde.
Unsere Bevölkerung jedenfalls ist sich darüber durchaus im klaren. Das beweisen uns die vielen, vielen Zuschriften aus den Betrieben und von den Gewerkschaftsorganisationen. Das beweisen uns die vielen, vielen Zuschriften, vor allem auch von den Jugendverbänden und Vereinigungen.
— Ich kann sie Ihnen gerne bringen, wenn Sie sie nicht selbst bekommen haben sollten.
Die Arbeiterschaft will all die Pläne, die hier aufgestellt worden sind, den Schumanplan usw. nicht, weil sie in Frieden leben will. Denn was soll nach den Artikeln des Plans mit dieser Arbeiterschaft geschehen? In Art. 69 des Schumanplans heißt es — vorausgesetzt, daß die Übersetzung stimmt —:
Soweit es sich um Gruppen von Arbeitnehmern handelt, die in den vorstehenden Ab- \\sätzen nicht genannt sind, und falls die Entwicklung der Erzeugung in der Kohle- und Stahlindustrie durch Mangel an geeigneten Arbeitskräften gehemmt wird, haben sie außerdem ihre Einwanderungsbestimmungen in dem zur Beseitigung dieses Zustandes erforderlichen Umfange
— und nur in diesem Umfange —
zu ändern.
Was heißt das? Das heißt, daß genau dasselbe Fremdarbeitersystem eingeführt werden soll, wie es auch im zweiten Weltkrieg unter Hitler bestanden hat.
Nach den Europareisen der amerikanischen Generale im vergangenen Sommer hat die Stuttgarter „Deutsche Zeitung" eine zusammenfassende Äußerung dieser Kriegsherren veröffentlicht, in der es u. a. heißt:
Die amerikanischen Generale haben sich dahin ausgedrückt, daß wir keine Zeit mehr haben für nationale und soziale Sentimentalitäten.
Darauf hat man offenbar im Schumanplan bereits Rücksicht genommen. Es gibt keine Sentimentalitäten in bezug auf die Zerreißung der Arbeiterfamilien! Die Arbeiter sollen dorthin geschickt werden, wo die Kriegsinteressen es erfordern, ohne Rücksicht auf soziale Sentimentalitäten. Heute in
der Debatte ist das schamhaft mit Freizügigkeit bezeichnet worden.
Was wird denn den Arbeitern anderes übrig bleiben, wenn sie mit ihren Familien nicht hungern wollen, als dorthin zu gehen, wo man ihnen die Arbeit anbieten wird! Sie nennen das Freizügigkeit! Wir nennen das ein System, wie wir es im zweiten Weltkrieg erlebt haben, ein System der Zwangsverschickung.
Und das vertritt eine Partei, die sich christlich und sozial nennt und die bei der Durchführung der Wahlen vor allem den Frauen versprochen hatte, für die Erhaltung der Familie einzutreten.
Ähnliches hat vor kurzem der sozialdemokratische Gewerkschaftsführer Freytag während des hessischen Metallarbeiterkampfes vorgeschlagen.
Die Frauen in Westdeutschland denken darüber anders. Sie haben nach der totalen Katastrophe 1945 voller Vertrauen mit eingegriffen, haben sich voller Vertrauen ins politische Leben mit eingeschaltet. Sie waren bereit, mitzuarbeiten. Sie waren auch bereit. Opfer 'zu 'bringen, von denen auch heute schon mehrfach gesprochen worden ist. Aber sie waren dazu bereit unter der einzigen Bedingung, daß diese Opfer dem Wiederaufbau eines normalen Lebens und der Sicherung des Friedens dienen. Der Schumanplan und das, was er uns bringen soll, ist aber das genaue Gegenteil davon. Er bringt mit Sicherheit Tausenden Arbeiterfamilien das Schicksal der Erwerbslosigkeit. Er reißt die Familien auseinander. Er bringt der deutschen Bevölkerung kein Gramm der so dringend benötigten Kohle für die Wirtschaft, für die Haushaltungen, für die Schulen, für die Krankenhäuser. Er führt geradeswegs in einen neuen Krieg, in dem unsere Jugend, unsere Söhne für die Interessen der Kanonenkönige in Westdeutschland und in den anderen Ländern dès Westens verbluten sollen.
— Das haben wir von Ihnen gelernt, meine Herren, da haben Sie allerdings recht! — Anstatt solche Kriegspläne auszuarbeiten, wie sie uns heute vorliegen, müßte die Bundesregierung alles tun, um dafür zu sorgen, daß unsere deutsche Kohle in Deutschland bleibt, daß unsere deutsche Jugend, von der 'heute schon gesagt worden ist, daß sie mißtrauisch beiseite steht, Lehrstellen bekommt, eine ordentliche Berufsausbildung erhält. Denn daran krankt es; darum ist die deutsche Jugend mißmutig und steht sie passiv beiseite, weil sie keine Zukunft sieht in dieser Konzeption, weil sie gezwungen wird, passiv beiseite zu stehen, weil sie nicht einmal in die Lage versetzt wird, eine ordentliche Berufsausbildung durchzumachen. Das Bayerische Staatsministerium hat für das laufende Jahr 1952 errechnet, daß von den 155 000 Schulentlassenen nur etwa 90 000 Berufsanwärter sind und daß zusammen mit den bereits im Vorjahr ohne Lehrstellen verbliebenen Jugendlichen 75 000 Jugendliche bleiben, die nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen, für die es keine Berufsausbildung geben wird. Schon lange Jahre ist diese Not der deutschen Jugend bekannt, und man hat versucht, mit ganz billigen Pflästerchen dieser Not der Jugend zu begegnen, und hat keine grundlegende Hilfe geleistet.
Sie haben heute schon verschiedentlich sehr heftige Angriffe gegen die Deutsche Demokratische Republik geführt. Ich kann Ihnen sagen: dort hat die Jugend Lehrstellen,
dort hat die Jugend Arbeit, dort hat die Jugend eine Zukunft, und deswegen auch steht sie dort nicht passiv beiseite, sondern arbeitet tätig mit
am Aufbau eines neuen Lebens.
— Weil ich mir das angesehen habe; und ich möchte Ihnen sehr empfehlen, sich selbst einmal davon zu überzeugen,
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anstatt hier immer nur Behauptungen aufzustellen, für die Sie keinen Beweis erbringen können.
Alles, was in der Jugend Westdeutschlands gut und lebensbejahend ist, wehrt sich dagegen, als Fremdenlegionäre im eigenen Lande eingespannt zu werden.
Sie werden erleben, daß die Jugend bei Ihrer Remilitarisierung und Rekrutierung nicht mitmachen wird. Deswegen auch haben Sie ja die Freie Deutsche Jugend verboten, weil Sie wissen, daß sie der Organisator dieses Widerstands der Jugend gegen die Remilitarisierung und gegen die Rekrutierung ist. Aber Sie werden sich täuschen. Dieses Verbot wird nicht dazu führen können, daß die Jugend in Westdeutschland ihren Kampf einstellt. Es führt im Gegenteil dazu, daß die Jugend in Westdeutschland immer deutlicher merkt, daß sie sich stärker wehren muß, daß sie wirklich etwas tun und sich zusammenfinden muß im Kampf gegen Remilitarisierung, gegen Schumanplan, gegen die Rekrutierungsabsichten.
In diesem Kampf der Jugend werden wir Mütter an ihrer Seite stehen und werden ihr dabei helfen. Denn wir haben nicht die Absicht, unsere Söhne noch einmal zu opfern. Wir haben nicht die Absicht, unsere Heimat zu opfern. Wir haben nicht die Absicht, unsere Familien dem Untergang preiszugeben. Deshalb fordern wir Mütter mit der Jugend, mit denen, die jetzt von der Rekrutierung bedroht sind: Gehen Sie, Herr Bundeskanzler! Machen Sie einer Regierung Platz, die durch gesamtdeutsche Beratungen
zur Einheit Deutschlands gelangt und so die Voraussetzungen dafür schafft, daß die Jugend leben kann und daß wir alle leben können. Nicht der Schumanplan ist das, was wir brauchen, sondern die Einheit Deutschlands als erste Voraussetzung dafür, daß unser Volk leben kann.