Rede von
Dr.
Walther
Hasemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die mitternächtliche Stunde ist längst vorüber, und es hat schon eine sehr stattliche Zahl von Rednern gesprochen. Ich werde mich deshalb bemühen, sehr kurz zu sprechen,
kürzer als Sie, meine Herren von der Kommunistischen Partei.
Wenn ich sage, daß eine stattliche Zahl von Rednern aufgetreten ist, dann muß ich hinzufügen: es waren hauptsächlich Redner der Opposition, die sich sehr viel Mühe gegeben haben und ich glaube, daß wohl wie in einem großen Purgatorium alle Redner der KPD ihr Sprüchlein haben aufsagen müssen.
Aber auch die SPD hat ein übriges getan. Sie hat gewissermaßen aus allen Rohren gegen den Schumanplan geschossen. Aber nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren von der SPD, ich glaube, daß Sie ihre Munition — —
— Ja, ich will mal bei diesem militanten Vergleich bleiben. Ich glaube, Sie haben für diese Kanonade nicht die richtige Munition verwandt, denn sie war nicht brisant und wirksam genug;
es war nämlich nicht eine Kanonade, vielmehr nur ein Brillantfeuerwerk von Knallfröschen und Platzpatronen. Einige Platzpatronen waren sogar lediglich mit Papierkügelchen gefüllt, mit Papierkügelchen aus einem Schatzkästlein, in dem Sie sehr sorgfältig Zitate aus den Verhandlungen der französischen Kammer gesammelt hatten. Und, meine Herren von der SPD,
ich glaube, Ihre Position war nicht sehr stark, wenn Sie Ihre Argumente von einem fremden Parlament entlehnen mußten.
Ich möchte noch ein paar Schlaglichter setzen auf die politischen Aspekte und speziell auf den europäischen politischen Aspekt dieses Vertragswerkes. Dieser Vertrag ist ja nicht nur eine Sammlung von Paragraphen, Artikeln und Bestimmungen; das ist nur die äußere Form. Ein wesentliches Element dieses Vertrages ist aber der Geist, 'der in diesem Vertrag steckt. Ich weiß, daß Sie von diesem Geist nicht gern etwas wissen wollen. Herr Kalbitzer hat es ganz klar zum Ausdruck gebracht. Er hat vorhin gesagt, wir sollten in den Vertrag nicht einen Geist hineininterpretieren, denn dieser Vertrag wäre nichts weiter als ein Geschäft, als ein eiskaltes, sachliches Geschäft. Nun, meine Herren, Sie mögen dieser Auffassung sein; aber ich glaube, daß die überwiegende Mehrheit dieses Hauses weiß, daß das Bestimmende in diesem Vertrag der Geist ist, eben der neue europäische Geist.
Und nun Europa! Meine Herren, Sie nehmen es mir als einem alten Europäer, der sich seit vielen Jahren bemüht hat, etwas für die europäische Integration zu tun, nicht übel, wenn ich bei diesem Gerede über Europa, das mir auch von der linken Seite des Hauses entgegenklang, einen bitteren Geschmack auf der Zunge habe. Es wird soviel von Europa geredet in Ihren Reihen: Worte, Worte, Worte, aber nicht mehr.
Wenn man diese Reden hört, dann hat man das Gefühl, daß sie mit ein paar europäischen Phrasen gewürzt werden, wie etwa eine Hausfrau ihre Suppe mit Salz würzt. So war das heute auch bei Ihnen, und ich habe sogar das Gefühl, daß Sie die freundlichen Worte für ein geeinigtes Europa, das Sie angeblich ja auch wollen, vorsorglich als eine Art Entschuldigung angeführt haben, als Entschuldigung dafür, daß Sie nämlich fortgesetzt gegen Europa handeln, so wie Sie sonntags als Redner draußen im Lande fleißig für Europa reden und dann die ganze Woche gegen Europa handeln.
Aber, meine Damen und Herren, auf das Handeln kommt es an, nicht auf das Reden. Heute und hier haben Sie. den Beweis zu erbringen, ob Sie wirkliche und echte Europäer sind. Hic rhodus, hic salta, oder, wenn ich ein Wort unseres verehrten amtierenden Herrn Präsidenten benutzen darf: Heute dürfen Sie nicht nur den Mund spitzen, heute müssen Sie pfeifen, heute und hier, bei dieser Vorlage, über die wir zu entscheiden haben.
Ein ernstes Wort, meine Damen und Herren! Sie alle wissen, daß draußen im deutschen Volk eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit und eine tiefe Sehnsucht nach einer europäischen Verständigung und europäischen Zusammenarbeit vorhanden ist.
Die Realisierung dieses Wunsches des Volkes ist in den politischen Auftrag eingeschlossen, den wir alle als Abgeordnete dieses Hohen Hauses von unseren Wählern mitbekommen haben. Wer will das verantworten, wenn er nicht dem Auftrag seiner Wähler gemäß immer und zu jeder Stunde in erster Linie europäisch handelt?
— Lieber Herr Renner, Sie kennen j a nichts von den Wählern. Ihr Häuflein der Unentwegten können Sie doch nicht als die Allgemeinheit der deutschen Wähler bezeichnen.
Das zieht j a nicht mehr. Sie werden in Kürze einen qualvollen Tod sterben, bildlich gesprochen natürlich.
Wie tief die Sehnsucht im deutschen Volk nach europäischer Zusammenheit ist — das ist keine leere Phrase —, das sehen Sie mit der notwendigen Eindringlichkeit, wenn Sie sich ,einmal die Ergebnisse der Abstimmungen vor Augen halten, die die Europa-Union und die europäische Bewegung durchgeführt haben, ob das nun in einer Industriestadt wie Castrop-Rauxel war, Herr Renner, oder ob es die grenznahe Universitätsstadt Freiburg oder die Großstadt München waren. Überall hat sich die Bevölkerung in einer geradezu überwältigenden Mehrheit durch alle Parteien hindurch in völliger Einmütigkeit für Europa bekannt.
Das sind Stimmen des Volkes, die wir nicht überhören dürfen.
Meine Damen -und Herren! Wir wissen natürlich, daß Europa nicht an einem Tag gebaut wird, wie Rom auch nicht an einem Tage gebaut wurde. Wir wissen, daß sich eine Fülle von Schwierigkeiten auftürmt. Wir wissen auch, daß der Schumanplan nicht unsere letzten Wünsche erfüllt. Aber wer europäisch denkt und fühlt und gewillt ist, für Europa etwas zu tun, der muß auch bereit sein, für dieses Europa, wenn es sein muß, sogar Opfer zu bringen.
Wie könnte man je eine Reihe von Völkern zusammenführen, wenn jedes dieser Völker zu einer Integration nur bereit wäre, wenn es ein Geschäft dabei machen kann? Dann würden wir wieder zurücksinken, und Europa würde wieder eine Utopie werden!
Wir wollen aber auf dem Wege zu Europa keinen Schritt mehr zurück. Wir haben schon viel an Plänen und an — —
— Herr Richter, singen Sie doch, dann kann man besser verstehen, was Sie sagen.
Wir haben auf dem Weg zu Europa schon viel an Plänen und Idealen aufgeben müssen. Ich möchte einmal zurückerinnern an jenes Jahr, das ich als einen entscheidenden Meilenstein auf dem Wege zu Europa bezeichnen möchte, das Jahr 1948, als im Mai der Haager Kongreß stattfand, auf dem zum ersten Male das Gespräch um Europa aus der Sphäre der bloßen theoretischen Erörterung auf die Ebene der politischen Realität heraufgehoben wurde. Wer wie ich das Glück hatte, an diesem Kongreß teilzunehmen, der konnte damals sehr deutlich, j a beinahe körperlich die europäische Atmosphäre spüren.
Und diese Haager Avantgardisten haben das
Wunder — es ist ein Wunder — fertiggebracht, daß
schon ein Jahr später der Europapakt beschlossen wurde.
Wir wissen sehr wohl — und wenn Sie noch so
brüllen, die Tatsachen können Sie nicht totbrüllen —, daß dieses Kind Europa, der Straßburger Europarat, schon bei seiner Geburt stranguliert wurde. Wir wissen, daß, wenn der ursprüngliche Plan einer europäischen Konstituante
nicht verwirklicht werden konnte, wenn lediglich
eine Beratende Versammlung entstand, dies daran
lag, daß dort Kräfte am Werke waren, die wohl
von Europa sprachen, aber nicht bereit waren, für
Europa etwas Entscheidendes, etwas Reales zu tun.
Diese gleichen Kräfte sind auch hier wieder am Werke.
Ich will nicht sagen, daß weiteste Kreise der Sozialdemokratie antieuropäisch wären. Das wäre falsch. Das kann ich nicht sagen, weil ich aus hundert Gesprächen mit Sozialdemokraten weiß, daß weite Kreise der Sozialdemokratie durchaus europäisch gesinnt sind und auch durchaus bereit sind, entscheidende Schritte in Richtung auf Europa zu tun. Deshalb stelle ich fest, daß die Bonner Opposition gegen den Schumanplan nicht etwa eine Opposition der Sozialdemokratischen Partei schlechthin gegen den Schumanplan ist.
Sie, meine Herren, wollen angeblich Europa. Auch Sie, Herr Henßler, haben es gesagt. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Ich könnte Ihnen ein langes Schuldregister von dem aufmachen, was Sie unterlassen haben, bei der Aufgabe, Europa zu ermöglichen. Sie haben nicht mitgeholfen, daß aus der konsultativen Versammlung eine Konstituante wurde, Sie haben nicht geholfen, daß ein europäischer Bundespakt oder auch nur Verhandlungen darüber zustande kamen. Sie haben sich nicht an einem Gespräch über ein Kerneuropa beteiligt, weil dieser Torso, wie Sie es nannten, dieses Rumpfeuropa ohne England geschaffen werden müßte. Sie wissen genau wie wir, daß Sie England nicht für Europa gewinnen können. Wer nicht bereit ist, wenigstens den ersten Schritt ohne England zu tun, wird auf Europa ganz verzichten müssen. Haben Sie doch den Mut, entweder zu sagen, wir wollen Europa gar nicht oder wir wollen Europa nicht, weil Bundeskanzler Adenauer dieses Europa mitbaut, oder sagen Sie, wir wollen dieses Europa nicht, solange es nicht sozialistisch ist; aber decken Sie Ihre Konzeption auf. Die platonischen und papiernen Bekenntnisse zu Europa, hinter denen keine Realität steht, nützen uns und dem deutschen Volk nichts.
— Ach, was verstehen Sie davon! Sie verstehen etwas von Rußland, aber nicht von Europa.
Meine Damen und Herren, in diesem Hause ist so oft die deutsche Jugend angesprochen worden. Wenn Sie mit der deutschen Jugend einmal über den Schumanplan und Europa gesprochen haben, werden Sie wissen, daß die Jugend Europa will und den Schumanplan als einen ersten Schritt auf dem Wege zu Europa begrüßt.
Sie wissen auch, daß die Jugend politisch noch sehr stark abseits steht.
Und weshalb? Weil die Enge und Plattheit insbesondere Ihrer politischen Doktrinen
und Ihr politisches Taktieren nicht vermocht haben, die Jugend für die Politik zu erwärmen. Die Jugend will und kann aber nicht ohne einen großen Gedanken und ohne Ideal leben, an das sie Hirn und Herz hängen kann. Da meine ich, daß Europa durchaus ein erstrebenswertes Ideal für die Jugend sein kann. Diese Liebe zu Europa verträgt sich sehr wohl mit der Liebe zum angestammten Mutterland. Ein deutscher Patriot kann durchaus ein guter europäischer Patriot sein. Wenn ich das Wort vom europäischen Patriotismus in diesem Hause ruhig einmal gebrauche, weiß ich mich von dem Verdacht frei, daß ich es etwa im Sinne eines europäischen Imperialismus meine, wie Sie es uns unterschieben wollen; ich meine dabei die Herren von ganz links. Von solchen imperialistischen Gedanken sind wir völlig frei, aber Sie selbst leben so tief in diesen Gedanken, daß Sie auch uns das einfach unterstellen. Wir wollen Europa nicht mit imperialistischen Hintergedanken, sondern erfüllt von einem neuen Ethos, von einem Gefühl einer neuen europäischen Gemeinschaft, für die zu leben es sich lohnt.
Wir wissen genau, daß uns das deutsche Volk auf diesem Weg folgt.
Haben Sie nicht den Mut, diesen Weg mitzugehen, dann werden Sie vor dem deutschen Volk vielleicht einmal Rechenschaft darüber ablegen müssen.