Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich im Namen meiner Fraktion sagen, daß wir in keiner Weise von der Antwort befriedigt sind, die der Herr Staatssekretär auf die Erklärungen meines Freundes Dr. Kreyssig eben gegeben hat. Wir halten seine Ausführungen zu diesem Punkt für völlig unzulänglich; wir wollen aber diese Debatte zur Übersetzung des französischen Textes an dieser Stelle nicht fortführen.
Ich möchte einiges über ein Problem sagen, das, wenn man von Europa und von deutschfranzösischen Beziehungen spricht, von kapitaler Bedeutung ist, nämlich zum Problem „Saar im Schumanplan". Ein kleines Zitat:
Voraussetzung für den Zusammenschluß der europäischen Nationen ist aber die Beseitigung des jahrhundertealten Gegensatzes zwischen Frankreich und Deutschland.
Dieser schöne Satz steht in der Geburtsurkunde des Schumanplans, in der Erklärung der französischen Regierung vom 9.. Mai 1950. Nun, wer wird leugnen, daß der Streit um die Saar die letzte Inkarnation des deutsch-französischen Gegensatzes ist und daß die Saarfrage als Haupthindernis für eine wirkliche und echte Aussöhnung mit dem
französischen Volke zwischen Frankreich und Deutschland steht? Durch jenen Satz, den ich zitiert habe, wurde das Saarproblem als ein solches kapitales Hindernis sozusagen auf die Tagesordnung der Verhandlungen über den Schumanplan gesetzt. Durch diesen Satz wurde auch herausgestellt, daß das Saarproblem nicht nur ein deutschfranzösisches, sondern auch ein europäisches Problem ist. Die Bundesregierung hat früher oft zu erkennen gegeben, daß sie dem Saarproblem diese Bedeutung beimesse. In der Saardenkschrift vom 9. März 1950, die die Unterschrift Dr. Adenauers trägt, lesen wir folgenden Satz:
Eine Einigung im Geiste gegenseitiger Kompromißbereitschaft müßte auch heute noch ein erster und unentbehrlicher Schritt zu einer weitergehenden deutsch-französischen und darüber hinaus europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit sein.
Oder über das Verhältnis der Saar zwischen Deutschland und Frankreich in diesem ganzen Europa-Komplex lesen wir im Protokoll der Bundestagssitzung vom 30. Mai des vorigen Jahres:
Die Saar ist deutsch, und ganz Deutschland
einschließlich der Saar wird sich mit Frankreich in Europa zusammenfinden.
Das hat der Herr Bundeskanzler gesagt, und das Protokoll vermerkt lebhaften Beifall bei den Regierungsparteien.
Als der Herr Bundeskanzler das im Mai des vorigen Jahres sagte, da war der erste Knopf der Saarpolitik der Bundesregierung schon ordentlich falsch geknöpft. Die Bundesregierung hat es akzeptiert, in den Europarat gleichzeitig mit der Saar einzutreten. Sie hat es dadurch ermöglicht, daß dieses Stück Siegerpolitik in diese europäische Institution eingeschleppt wurde.
— Das hätte man verhindern können, Herr Kollege, indem man ein wenig mehr Geduld und ein wenig mehr Zähigkeit in der deutschen Politik entwickelt hätte.
— Warten Sie; ich bin da einig mit dem Herrn Bundeskanzler, ich werde ihn gleich zitieren.
Das gleiche Hindernis mußte die Bundesregierung natürlich beim Montanvertrag auf ihrem Wege vorfinden, und sie wird es übrigens bei allen Verhandlungen über weitere europäische Institutionen immer wieder vorfinden. Immer wieder wird das Saarproblem, das erkennen ja nicht nur die Deutschen — sie erkennen es manchmal gar nicht; die Amerikaner z. B. erkennen es sehr viel besser als manche von ihnen —, die europäischen Verhältnisse und insbesondere die deutschfranzösischen Beziehungen vergiften. Bei den Verhandlungen über den Schumanplan wäre es doch die Aufgabe gewesen, zumindest den Versuch zu machen, dieses Hindernis aus dem Wege zu räumen. Aber wie hat sich die Bundesregierung die Frage gestellt? Sie hat sich die Frage gestellt: Wie können wir um dieses Hindernis schön herumgehen?
Nun, wenn man schon einen Montanvertrag machen wollte, dann war es klar, daß man die Saar in der einen oder anderen Form mit hineinbringen mußte. Dort ist nun einmal viel von der Montanindustrie. Im Saargebiet wird ein Drittel der Kohle gefördert, die Frankreich fördert. Dort wird ein Fünftel der französischen Stahlmenge produziert. Man hat die Saar in den Montanvertrag hereingebracht. Aber nicht Deutschland, zu dem es nach unser aller. These staatsrechtlich gehört, hat es hereingebracht, sondern Frankreich, das dieses deutsche Gebiet mit Besatzungsgewalt von Deutschland losgerissen hat, das die Losreißung weiterhin aufrechterhält und die Isolierung der Saar und die Umbildung zu einem Protektorat weiterbetreibt, unbekümmert um die Existenz des Europarats und unbekümmert um die Unterschrift unter dem famosen europäischen Plan vom 18. April 1951.
In Art. 79 des Vertrages heißt es, daß auch die Gebiete zum Unionsgebiet gehören, deren auswärtige Beziehungen von einem der Vertragsstaaten wahrgenommen werden. Bezüglich der Saar, heißt es dann, ist der Briefwechsel vom 18. April dem Vertrag beigefügt und ein Teil des Vertrags geworden. Der Art. 21 nimmt auch Bezug auf die Saar und sagt, daß die Vertreter der Saarbevölkerung in die Zahl der französischen Abgeordneten eingerechnet seien. Kraft welcher Titel tut Frankreich das? Nun, meine Damen und Herren, da gibt es zwei Titel. Da gibt es die Präambel der Saarverfassung vom 15. Dezember 1947, durch die die Saar von Deutschland getrennt und währungsmäßig und wirtschaftlich Frankreich einverleibt wurde. Da sind die Konventionen vom 3. März 1950, die diese Abtrennung und Eingliederung perfekt machen. Gegen diese Konventionen hat dieses Haus einstimmig Verwahrung eingelegt, und auch die Bundesregierung hat diesen deutschen Protest offiziell zum Ausdruck gebracht. Der Vertrag bringt die faktische Anerkennung dieses Verhältnisses und dieses Zustandes.
Diesen Fakten setzt nun ,die Bundesregierung den Briefwechsel entgegen; jenen Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem französischen Außenminister vom 18. April 1951. Was steht in diesem Briefwechsel? Nun, Herr Adenauer schreibt, daß die endgültige Regelung im Friedensvertrag , oder einem analogen Vertrag erfolgen müsse und daß seine Unterschrift unter den Vertrag in keiner Weise die Anerkennung des jetzigen Status des Saargebiets bedeute. Herr Schuman antwortet, Frankreich handle auf Grund des gegenwärtigen Status des Saargebiets im Namen der Saar. Im übrigen bestätigt er Herrn Adenauer, daß er in der Unterschrift nicht die juristische Anerkennung des gegenwärtigen Status durch die Bundesregierung erblickt.
Damals ist der Herr Bundeskanzler von Paris nach Hause gekommen und hat diesen Briefwechsel als einen Erfolg der deutschen Politik gefeiert. Was kann denn hier der Maßstab des Erfolges sein? Der kann doch wohl nur darin gefunden werden, wieweit es der deutschen Politik gelingt, zwei miteinander zusammenhängende wesentliche Ziele in der Saarpolitik zu erreichen. Da ist erstens das Ziel der Wiederherstellung dessen, was in Europa selbstverständlich sein wird: die Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Freiheit an der Saar. Das zweite Ziel sollte doch wohl sein, daß zwischen den beiden Staaten, die j a etwas Neues beginnen wollen, sofort Verhandlungen über die Rückkehr der Saar zu Deutschland stattfinden sollen. Das scheint auch das Ziel der Bundesregierung gewesen zu sein. Herr Dr. Adenauer hat es eine Zeitlang so hingestellt, als ob der Briefwechsel die Rechtsgrundlage für die Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Freiheiten an der Saar sein könnte. In der Bundestagssitzung vom 30. Mai 1951 hat der Herr Kanzler hier ausgeführt:
Ich möchte mit diesem Hinweis nicht den Gedanken aufkommen lassen, daß die französische Regierung in der Saarfrage die Politik — mit anderen Worten die Macht — vor das Recht stellen will, im Gegenteil. Ich bin der Auffassung, daß durch den Briefwechsel vom 18. April der Rechtsboden von beiden Regierungen eindeutig und endgültig bezogen wurde.
Hier verzeichnet das Protokoll den Zuruf: Sehr gut! des Abgeordneten Dr. 'von Brentano.
Weiter hat der Herr Bundeskanzler in einer noch offizielleren Verlautbarung, und zwar in der Note vom 29. Mai 1951 an die drei -demokratischen Westmächte folgendes geschrieben:
In diesem Briefwechsel, der einen integrierenden Bestandteil des Vertragswerkes bildet, sind die beiden Regierungen übereingekommen, daß die endgültige Regelung des Status der Saar nur durch einen Friedensvertrag oder einen gleichartigen Vertrag erfolgen kann. Diese Vereinbarung schließt weiter in sich, daß an der Saar nichts geschehen darf, was der Regelung im Friedensvertrag vorgreift, und diese so zu einer inhaltlosen Geste macht.
Ich wiederhole das letzte: „.... was der Regelung
im Friedensvertrag vorgreift und diese so zu einer
inhaltlosen Geste macht." Darin wird bewertet, was
von der französischen Formel, daß die endgültige
Regelung im Friedensvertrag gefunden werden
müsse, wirklich zu halten ist. Die Note besagt
weiter:
Die Regierung der französischen Republik, die sich in dem Briefwechsel vom 18. April ihren eigenen Standpunkt bewahrt hat, würde nicht nach den Grundsätzen des Briefwechsels vom 18. April handeln, wenn sie die Bestrebungen der Saarregierung unterstützen würde, die darauf hinauslaufen, jede Erörterung über die endgültige Lösung der Saarfrage im Friedensvertrag durch die Bevölkerung des Saargebiets V 9r dem Zustandekommen des Friedensvertrags zu unterbinden.
Und dann hat der Herr Kanzler in jener Sitzung noch mit Nachdruck erklärt:
Hier möchte ich noch einen grundsätzlichen Punkt herausstellen. Wenn die Saarfrage im Friedensvertrag gelöst werden soll, so darf die Bundesregierung ' hinsichtlich der Geltendmachung ihrer Auffassung im Saargebiet nicht schlechter gestellt sein als die französische Regierung.
Ich kann mich hier den Regierungsparteien nur anschließen.
Dieses letztere und jene Bemerkung von der inhaltlosen Geste ist doch die Erkenntnis, daß die deutsche 'Bundesregierung die geprellte ist, wenn nichts an Aktuellem geändert und die inhaltlose Formel gebraucht wird, daß die endgültige Regelung der Saarfrage im Friedensvertrag oder einem analogen Vertrag erfolgen soll.
— Ich habe den Herrn Bundeskanzler zitiert, und ich hoffe, daß Sie auch heute noch mit ihm einer Meinung sind.
In jener Sitzung ,hat der Herr Bundeskanzler, der damals einen sehr lichten Tag hatte, noch eine weitere Erkenntnis gehabt. Ja, ich kann verstehen, daß Sie das heute nicht mehr gern hören. Ich komme nämlich gleich auch noch darauf zu sprechen, was der Herr Bundeskanzler gestern gesagt hat; das hört sich allerdings ganz anders an. Nun, noch eine Erkenntnis hat er gehabt, nämlich die, wie schwach Interpretationen und Rechtsverwahrungen gegen alte, verhärtete französische Machtpolitik sind, und er hat das auch zum Ausdruck gebracht, indem er sehr zart, sehr vorsichtig andeutete, daß die Ratifikation des vorliegenden Vertrags ein Mittel sein könnte, um jenes europäische Minimum staatsbürgerlicher Freiheiten an der Saar zu erzwingen. Der Herr Bundeskanzler hat da gesagt — lassen Sie mich vorlesen —:
Bis dahin
— er meinte die 'Ratifikation hier im Bundestag — wird es sich zeigen müssen, ob der durch das Verbot der Demokratischen Partei des Saargebietes
— das war damals der Gegenstand unserer Debatte —
ohne unsere Schuld durch die Saarregierung aufgeworfene Konflikt bereinigt werden kann. Wir werden uns auch auf allen uns zur Verfügung stehenden anständigen Wegen darum bemühen. Es wird uns auch eine Gewähr dafür gegeben werden müssen, daß das Recht der freien Meinungsäußerung über alle im Friedensvertrag zu lösenden Fragen für die Saarbevölkerung uneingeschränkt gewährleistet wird und daß damit unsere Auffassung von der Bedeutung des Briefwechsels vom 18. April Anerkennung findet.
Der Herr Bundeskanzler sprach davon, es werde uns vor der Ratifikation des Vertrags eine Gewähr dafür gegeben werden müssen. Vergleichen Sie damit, was Sie uns heute als 'Antrag zur Saarfrage vorgelegt haben!
Ich komme auf Ihren Antrag auch gleich noch zu sprechen. Ich frage: Wo ist heute die Gewähr? Ich werde gleich noch manches dazu zu sagen haben, vor allem von den Fakten aus, die inzwischen geschaffen worden sind.
Gestern hat der Herr Bundeskanzler natürlich ganz anders gesprochen. Da sagte er, es war nicht die Aufgabe des Schumanplans, die Saarfrage zu lösen. Nun, es war gewiß nicht die Aufgabe des Schumanplans, sie zu lösen, und ich glaube auch nicht, daß man sie in einem Tage lösen kann. Aber das, was der Herr Bundeskanzler am 30. Mai 1951 hier gesagt hat, das war ja im Grunde eine sehr bescheidene Forderung, nämlich nur die Forderung, daß im Saargebiet die anständige deutsche Meinung für deutsche Menschen an der Saar ebenso frei und nicht unter Strafe gestellt sein soll, wie die französische Meinung an der Saar frei ist. Dieses bescheidene Ziel, das er sich damals gesteckt hatte und das er in den Briefwechsel, ich glaube, hineininterpretierte, hat er inzwischen gänzlich aufgegeben. Er sagte gestern: „Die übrigen Probleme um die Saar sind offengeblieben und erfahren durch den Schumanplanvertrag keinerlei Änderungen". Ich werde darauf zu sprechen kommen, ob sie keinerlei Änderungen erfahren. Sie erfahren nämlich sehr wesentliche Änderungen, und zwar in einer Verschlechterung der deutschen Situation in bezug auf die Saar,
Die französische Regierung hat
— sagte er gestern
— und das möchte ich hier ausdrücklich betonen — zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen über den Schumanplan irgendeine Forderung hinsichtlich der Anerkennung des gegenwärtigen Status an der Saar an die Bundesregierung gestellt.
Sie hat vielmehr ausdrücklich anerkannt, daß in unserer Unterschrift keine Anerkennung des Status enthalten ist. Wie bescheiden der Herr Bundeskanzler geworden ist! Er rechnet es als Erfolg, daß man ihn nicht aufgefordert habe, den gegenwärtigen Status an der Saar anzuerkennen. Von der staatsbürgerlichen Freiheit an der Saar oder gar von Verhandlungen über die Rückkehr der Saar zu Deutschland ist überhaupt keine Rede mehr.
Nun, die blitzartige Erkenntnis, die der Herr Bundeskanzler am 30. Mai von dem politischen Wert der Ratifikation dieses Vertrags in bezug auf die Saar hatte, — diese Erkenntnis war eben in bezug auf die Dauer nur blitzartig. Er hat den Standpunkt des europäischen Minimums für die Saar nicht aufrechterhalten und nach unserer Kenntnis keinen ernsthaften Versuch gemacht, dieses Minimum bei den Verhandlungen durchzudrücken.
Unser Antrag auf der Drucksache Nr. 2971 zu diesem Punkt tut nichts anderes, als den Gedanken des Herrn Bundeskanzlers aus jener Sitzung zu konkretisieren. Er sagt im Gegensatz zu dem Antrag, den Sie, meine Damen und Herren von der CDU, uns hier unterbreiten, daß man zwischen der Ratifikation und jener Forderung in bezug auf die Saar ein Junktim schaffen muß. Nur dann besteht für ein derartiges Bemühen einige Aussicht auf Erfolg! Der Antrag, den Sie uns vorlegen, — nun, ich kann mir vorstellen, welches Gelächter er bei den Machtpolitikern in Paris und bei ihren Agenten in Saarbrücken auslösen wird. Der Bundestag muß für die Deutschen an der Saar mehr tun; als papierne Proteste vom Stapel lassen. Wir müssen, wenn wir einmal einen Trumpf in der Hand haben, mit diesem Trumpf arbeiten, um unseren Brüdern und Schwestern an der Saar die Freiheit zurückzugewinnen und damit die Voraussetzung für die endgültige Lösung der Saarfrage in unserem Sinne zu schaffen.
— Redensart? Ich glaube, ich habe sehr konkret gesprochen, Herr Kollege.
— Ich komme gleich wieder mit konkreten Geschichten; warten Sie! Der Herr Bundeskanzler hat damals eine sehr optimistische Periode gehabt. Ich weiß nicht, ob das auf Grund jener, wie soll ich sagen, glaubenserfüllten Interpretation des Briefwechsels der Fall war. Am 6. Juli 1951 hat er uns von dieser Stelle aus gesagt:
Ich bin der Auffassung, daß wir die ganze
Saarfrage in gar nicht so langer Zeit so gelöst sehen werden, wie wir es wünschen.
Also sprach der Herr Bundeskanzler Anfang Juli.
Sie sehen, welche Wandlung der Herr Bundeskanzler von da an durchgemacht hat bis zu dem, was er uns gestern gesagt hat. Gestern sagte er, daß hier in Verbindung mit dem Schumanplan nur eines für die Saar herausschaue, nämlich eine
Entschärfung des Problems der 'Saar. Ich komme darauf zu sprechen, was es mit dieser sogenannten Entschärfung auf sich hat.
Nun die Fakten, die im „neuen Geiste" seit der Unterschrift unter den Schumanplan am 18. April in Frankreich und an der Saar entstanden sind. Sie sprechen eine sehr beredte Sprache darüber, was es mit dem „neuen europäischen Geist" auf sich hat, der von diesem Vertrag ausgehen soll. Darf ich Ihnen einige Fakten ins Gedächtnis rufen. Am Tage nach der Paraphierung wurde angekündigt, daß Paris mit Saarbrücken Gesandte austauschen werde und daß damit das französische Bestreben, der Saar eine größere Autonomie zu geben und aus ihr so etwas wie ein zweites Luxemburg zu machen, noch , mehr unterstrichen werden sollte. Inzwischen sind auch schon die Botschaftsgebäude in Saarbrücken gekauft bzw. im Entstehen — sehr großartig —, und Herr Grandval, dieser kleine französische Macchiavelli in Saarbrücken; ist als Botschafter vorgesehen; ganz außergewöhnlicher Botschafter, mit Verordnungsgewalt und mit Vetorecht gegen saarländische Gesetze und alles mögliche. Herr Strauß von der Saar ist als Botschafter für Paris vorgesehen. Ich beneide unsere Diplomaten nicht, wenn sie demnächst bei Neujahrsempfängen oder anderen Gelegenheiten mit dem Herrn Strauß zusammentreffen; — Sie sind nicht gemeint, Herr Strauß; es ist ein anderer. Die Bestallung der Botschafter ist bisher noch nicht erfolgt. Man hat da in sehr zarter .Weise auf den Deutschen Bundestag Rücksicht genommen. Wenn der Deutsche Bundestag den Montan-Vertrag jetzt ratifiziert, dann werden Sie es erleben, daß nächste Woche die Bestallung der beiden Botschafter endgültig erfolgen wird. So wie man damals mit der Ankündigung wartete, bis der Vertrag paraphiert war, so wartet man jetzt mit der endgültigen Erledigung, bis der Vertrag ratifiziert ist.
Dann kam das Faktum vom 9. Mai 1951, der Brief des französischen Außenministers, der seinen Namen für diesen Plan hergegeben hat, an den Herrn Hoffmann in Saarbrücken. Dieser Brief sagt von der Demokratischen Partei dès Saarlandes, daß sie die deutsch-französischen Beziehungen störe, daß sie die Autonomie des Saargebiets leugne und dadurch der Regelung der Saarfrage im Friedensvertrag vorgreifen, und 'ermuntert den Herrn Hoffmann, eine so nichtsnutzige Partei zu verbieten. Herr Hoffmann hat sich das nicht zweimal sagen lassen und hat die Demokratische-Partei prompt verboten. Das war die Partei, die es gewagt hatte, die französische Stellung in der Saarpolitik nicht einfach zu akzeptieren und als die endgültige Lösung der Saarfrage anzusehen.
Dann kam ein noch schwererer Schlag für den Herrn Bundeskanzler. Es war die Antwort der drei Regierungen auf seine Note vom 29. Mai 1951, die den Herrn Bundeskanzler am 3. August 1951 erreichte. Darin ging man nun sogar so weit, daß man der Bundesregierung die Kompetenz absprach, sich überhaupt mit Saarproblemen zu befassen. Man sagte ihr, das gehe sie nichts an,
die Saar liege außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes. Nach Informationen, die man sich so hat beschaffen können, wäre das noch viel drastischer ausgefallen, wenn nur die französische Regierung, die hier so europa-begeistert auftritt, die Note verfaßt hätte. Die beiden anderen haben noch ein wenig mäßigend auf diese traurige Note
eingewirkt, traurig, weil damit ja auch etwas gesagt wird über die Kompetenzen der Bundesregierung in bezug auf die anderen Gebiete Deutschlands, die nicht zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehören.
Ich darf vielleicht auch ein kleines Kuriosum von der Saar erwähnen, das immerhin bezeichnend ist. Die Saarregierung brachte es im vorigen oder vorvorigen Monat fertig, eine Zeitung zu verbieten, die noch gar nicht bestand.
— Das hat sehr viel damit zu tun, Herr Kollege.
Der Herr Bundeskanzler behauptet, daß durch den Schumanplan die Saarfrage entschärft werde. Er behauptet, der Briefwechsel enthalte dafür die Garantie, daß jetzt an der Saar Recht vor Macht gehe, und ähnliche Dinge mehr. Deswegen hat das etwas mit dem Schumanplan zu tun. Sie beschwören doch immer den europäischen Geist des Schumanplans und sagen, das ist gerade das Wichtigste daran. Nun, was es mit diesem Geist auf sich hat, das wird Ihnen an der Saar vor exerziert.
Wenn Sie wollen, auch noch konkreter: So schlimm wie die Fakten sind, so schlimm sind die Erklärungen, die offiziellen französischen Erklärungen zur Saarpolitik seit der Unterzeichnung des Vertrags. Am 24. April, also wenige Tage nach der Unterzeichnung, hat Herr Außenminister Schuman im Rat der Republik folgendes gesagt:
Wenn die französische Regierung erklärt, daß sie ihrer bisherigen Saarpolitik im ganzen Umfange treu bleibt, so ist damit auch gesagt, daß die französische Regierung das Ziel weiter verfolgt, das sie in der Sitzung vom 20. Februar umrissen hat, nämlich die Entwicklung des Status der Saar im Sinne der Erweiterung der äußeren Souveränität der Saar.
Sie sehen: Herr Adenauer sagt: Der Vertrag entschärft die Saarfrage und es wird besser gehen; Herr Schuman sagt: Es wird alles weitergehen, und die französische Politik wird bis zum Ende durchgeführt. Auch im Friedensvertrag wird sich nach französischer Meinung nichts an der Saarfrage ändern.
Zum vierten Jahrestag der sogenannten Saarverfassung am 15. Dezember 1951 sprach als Vertreter der französischen Regierung in Saarbrücken Herr Pierre Schneiter. Er. sagte folgendes:
Ich weiß, daß der legitime Charakter des Statuts von gewissen Leuten bestritten wird. Ich will Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich erklären, daß es sich dabei für Frankreich um eine grundlegende Frage seiner Politik handelt und daß es bei allen Friedensverträgen, die wir aufstellen werden, seine bisher eingenommene Stellung behaupten wird.
Behaupten wird. Herr Finanzminister René Mayer war ebenso zuversichtlich bei der Debatte in der Nationalversammlung über die Ratifizierung des Vertrags. Er antwortete auf die Ausführungen des Herrn Palewski, der sagte, daß, wenn das Saargebiet zu Deutschland zurückkehre, die deutsche Produktion auf 42 % steigen und die französische auf 27 % sinken werde: „Wir verwalten für 50 Jahre die Bodenschätze der Saar".
Ich weiß dabei nicht, worauf Herr René Mayer mehr vertraut, ob auf den Zeitpunkt des Friedensvertrags, den Sankt-Nimmerleins-Tag, oder auf die Lösung, die in diesem Vertrag gefunden werden soll.
Herr Adenauer sagt, die Saarfrage sei ein wenig uninteressant geworden, weil jetzt Frankreich über den Montanvertrag zu der Kohle komme, die das Hauptinteresse Frankreichs in seiner Saarpolitik gewesen sei. Nun hören Sie einmal zu, was dazu Herr Gilbert Grandval, der französische Hochkommissar und Botschafter der nächsten Wochen 'gesagt hat. Er hat in einer Sondernummer des „Daily Mail" vom November, eine übrigens ziemlich üble Propagandaschrift, die sinnigerweise auch im Europarat verteilt wurde, gesagt: „Die Anwendung des Schumanplans, weit entfernt davon, irgendwelche Elemente des Programms zu ändern, stellt noch deutlicher die logische Notwendigkeit für diese Wirtschaftsunion heraus". Er führt dann aus, daß jetzt Frankreich mit der Saar zusammen 34 % der Produktion in die Union mitbringe, Deutschland 35 %. Komme die Saar zu Deutschland zurück, so sei das Verhältnis 27 zu 42 %.
Auch in der französischen Nationalversammlung ist dieser Gedanke angeklungen. Auch dort ist man der Meinung gewesen, daß wegen des Gleichgewichts zwischen Frankreich und Deutschland in der Montan-Union die Saar bei Frankreich bleiben müsse.
Aus diesen Tatsachen, die ich angeführt habe, und aus den Erklärungen offizieller französischer Stellen geht hervor, daß sich die Saarfrage seit der Unterzeichnung des Vertrags nicht entschärft, sondern verschärft hat,
daß die französischen Schrauben noch enger angezogen worden sind. Es ist doch auch nicht wahr, daß Frankreich nur wirtschaftliche Interessen und innerhalb der wirtschaftlichen Interessen nur Kohleinteressen an der Saar habe. Es geht doch da auch um eine alte territoriale Expansionspolitik, es geht auch um die Expansion der politischen Macht, es geht auch um kulturelle Expansion. An dieser Stelle haben auch Redner Ihrer Fraktionen schon oft von der Saar-Universität gesprochen, die im wesentlichen französisch ist, vom FranzösischUnterricht in der zweiten Volksschulklasse und ähnlichen Dingen mehr. Auch in der Wirtschaft geht es keineswegs nur um die Kohle, sondern es geht auch um Eigentümerinteressen. Man wird praktisch Eigentümer der Gruben, man versucht, Eigentümer der Hüttenwerke zu werden. Das ist schon weitgehend gelungen, und man ist dabei, diesen Prozeß zu Ende zu führen. Sie haben jetzt dieser Tage in den Zeitungen lesen können, wie man versucht, die letzten Hüttenwerke in französischen Mehrheitsbesitz zu bekommen, und wie man diese Aktion noch beschleunigt, schnell, ehe die Hohe Behörde vielleicht in Funktion tritt.
Es geht auch um finanzielle Interessen. Frankreich bekommt die Marshallplan-Kredite für die Saar zugeteilt, aber das Verhältnis der Beträge für die Saar und für Frankreich ist ebenso schlecht wie das Verhältnis zwischen dem, was Deutschland bekommt, und dem, was Frankreich im Vergleich dazu erhält, wie das schon der Herr Berichterstatter gestern anführte. Die Saar sieht sehr wenig von den Marshallplangeldern.
Das Statut erlaubt es auch, die Kohlenfelder im Warndt von Frankreich aus abzubauen. Die ge-
fügige Saarregierung hat vor, diese Felder für dauernd zu verpachten und damit der Saarbevölkerung diese wesentliche Lebensgrundlage zu entziehen. Eine Reihe von Saargruben kommt in 10 bis 20 Jahren zum Erliegen. Einige zehntausend Bergarbeiter werden erwerbslos, wenn keine neuen Schächte abgeteuft werden. Wenn aber die Kohlen an der Warndt von Frankreich aus abgebaut werden, dann gibt es an der Saar keine Kohlenreserven mehr, die nicht abgebaut werden, und dann ist die Lebensdauer der Saargruben von 150 auf 100 Jahre reduziert.
Frankreich hat Interesse an der Saarwirtschaft auch wegen seiner Devisenbilanz. Der Exportüberschuß der Saar verbessert die französische Devisenbilanz.
Und dann, meine Damen und Herren, haben Sie hier auch schon selbst diese typisch koloniale Seite des Problems dargestellt. Wenn Sie mal untersuchen, wo an der Saar die Franzosen zu finden sind und was die Deutschen tun, dann werden Sie feststellen, was Sie immer im Gefolge von Eroberungen sehen können: für das Herrenvolk sind die guten Posten und Pfründen, und für die Eingeborenen ist die einfache Arbeit. Das wissen Sie und das haben Sie selbst gesagt. Die Montan-Union ändert an all diesem gar nichts. Sie läßt es bestehen. Für einige Punkte wird nur ein erhöhtes Interesse Frankreichs an der Saar begründet.
Lassen Sie mich jetzt auch einiges von der Stellung der Saar im Text des Vertrages sagen. Auch da finden Sie keineswegs eine Schwächung der französischen Position; diese wird im Gegenteil dadurch gestärkt, daß man die faktische Position Frankreichs anerkennt. Die französische Delegation umfaßt die saarländischen Vertreter. Da ist die Frage erlaubt: Warum sind sie eigentlich nicht in der deutschen Delegation? Ich glaube, für die Saarbevölkerung sind sehr wesentliche und wichtige Interessen zu vertreten. Diese wären von Deutschen zumindest ebenso gut wahrgenommen worden, wie es durch die Vertreter geschehen kann, die Herr Hoffmann bezeichnen wird. Ich möchte auch die Forderung aufstellen, daß wir, wenn die Montan-Union zustande kommen sollte und wir in die Organe der Union Vertreter entsenden, dann daran denken, daß die Interessen der Saarbevölkerung auch von uns mit vertreten werden müssen; sonst sind sie nämlich nicht gut vertreten, sonst werden sie nur von den Vertrauensleuten Frankreichs vertreten, und Frankreich beutet die Saar nach Strich und Faden aus.
Ich habe Ihnen einige Fragen angedeutet, die dort gerade bestehen: die Unterversorgung der Saarindustrie mit Investitionsmitteln und die Warndt-Frage. Das alles, meine Damen und Herren, muß an dieser Stelle einmal eingehend besprochen werden. Ich kann das jetzt nicht tun. Meine Fraktion behält sich vor, sehr bald darauf zurückzukommen.
In den Ausschußberatungen hat ein Regierungsvertreter gesagt, die Union bestehe aus sechs Staaten und unter den sechs Staaten gebe es auch keinen, der seinerseits wieder aus einem Staat und einem anderen staatsähnlichen Gebilde zusammengesetzt sei. Außenminister Schuman war da anderer Meinung. Er hat dazu in der französischen Nationalversammlung gesagt, die Politik der französischen Regierung habe sich an der Saar seit dreieinhalb Jahren nicht verändert — das ist heute hier schon zitiert worden —, die französische Politik basiere auf zwei Dingen: auf der Vertretung der außenpolitischen Interessen der Saar durch Frankreich und auf der Wirtschaftsunion zwischen der Saar und Frankreich. Und dann sagt er: „Diese zwei Tatsachen beherrschen den Vertrag" — diese zwei Tatsachen, die Tatsachen, die wir nicht anerkennen und gegen die wir Protest erhoben haben —, beherrschen den Vertrag, der Ihnen heute zur Ratifikation vorgelegt wird. Wenn er auch nur die Unterschrift Frankreichs trägt, so hat diese Unterschrift gleichwohl einen doppelten Charakter, und die deutsche Regierung weiß das. Sie sehen, wie der stille Teilhaber — der, Saarstaat, dieses komische Gebilde, das fast die Rolle eines assoziierten Mitgliedes spielt — nicht außerhalb des Vertrags ist, sondern wie dieses Gebilde durch die Ratifikation, die auch im Saarparlament vorgenommen wird, und durch die Beschickung der Organe der Union wieder hineinkommt. Herr Schuman sagte dazu vor der Nationalversammlung:
Ein Übereinkommen zwischen der französischen und der saarländischen Regierung, über das wir zur Zeit verhandeln, wird die Bedingungen festlegen, unter denen das Saargebiet in den verschiedenen Organisationen vertreten sein soll. Es wird nicht nur in der Versammlung, sondern auch in anderen Organen, zumindest in dem Beratenden Ausschuß, vertreten sein.
Sie sehen, die Saarregierung mit ihrem Landtag ratifiziert, sie entsendet Vertreter. Auf Grund welcher Titel tut sie das? Auf Grund jener Präambel und auf Grund jener Konventionen, gegen die wir hier ausdrücklich Verwahrung eingelegt haben. Wir erheben Protest gegen die Konventionen; aber wir anerkennen ihre Wirkungen und arbeiten mit ihren Wirkungen.
In Art. 79 ist nur die Rede von auswärtigen Beziehungen, die zu der Vertretung der Saar durch Frankreich führen. Die Durchführung des Montanvertrags setzt aber selbstverständlich auch die Wirtschaftsunion voraus. Die Wirtschaftsunion und auch die außenpolitische Wahrnehmung der saarländischen Interessen setzen jene Konventionen vom 3. März 1950 voraus, gegen die hier Verwahrung eingelegt worden ist. Man protestiert; aber man hilft Fakten schaffen und hilft Fakten im Gebrauch und mit der Zeit erhärten.
Ich darf auf eine weitere Gefahr hinweisen, die durch den Montanvertrag entsteht: Die Hohe Behörde — in ihr sind auch Deutsche — wird, wenn sie an der Saar irgend etwas, was durch die Montan-Union notwendig wird, durchführen muß, natürlich über Paris und wieder auf Grund jener Konventionen und der Präambel mit Saarbrücken verkehren müssen. Dieses Faktum, daß man praktisch mit diesem Zustand arbeitet, und das Faktum, daß wir Deutschen in den Organen der Union neben den Vertretern, die der Herr Hoffmann entsandt hat, sitzen werden, wird uns erneut als praktische Anerkennung des gegenwärtigen Zustandes ausgelegt werden.
Die Bundesregierung kommt dagegen mit Rechts-verwahrungen. Was haben die Rechtsverwahrungen da für einen Wert? Ich erinnere an das, was wieder Herr Außenminister Schuman am 20. Februar 1951 vor dem Rat der Republik gesagt hat. Er hat gesagt, die Bundesregierung anerkenne zwar nicht das Statut der Saar, aber das Bestehen des De facto-Zustandes habe sie schon deshalb anerkannt, weil ihre Vertreter auf den Bänken des
Europarats neben den Vertretern der Saarregierung Platz genommen hätten.
Meine Damen und Herren, wie erheben Rechtsverwahrungen, und auf der anderen Seite macht man nach wie vor Machtpolitik. Die Bundesregierung hätte eine ausgezeichnete Ausgangsposition für gute Verhandlungen gehabt. Man spricht in diesem Vertrag von Europa, und in jener Geburtsurkunde, von der ich gesprochen habe, sagt man, daß die Streitigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich ausgeräumt werden müssen als Voraussetzung für einen europäischen Zusammenschluß.
Die Saar ist in den letzten Jahren nach dem Kriege doch nicht entstanden aus europäischer Politik, sondern aus alter expansionistischer Machtpolitik.
Die Aufgabe war, dieses Problem nicht auszuklammern, nicht zu übertünchen, wie die Bundesregierung es in diesem Montanvertrag getan hat, sondern es zu lösen oder wenigstens einen Anfang mit seiner Lösung zu machen.
Wenn Sie schon von europäischen Zuständen sprechen — am Anfang stand die ureuropäische Annexion des Saargebiets, die faktische Annexion; das können Sie auch in Ihrer eigenen Denkschrift nachlesen, daß es sich um nichts weniger als das handelt. Und aus der Annexion folgt die uneuropäische Polizeistaatlichkeit dieses Gebiets zwischen Deutschland und Frankreich.
Gegenüber dieser Machtpolitik sucht die Bundesregierung sich in Rechtsverwahrungen, in Interpretationen zu flüchten und immer wieder in den Glauben an Europa, in den Glauben, daß nun alles anders werde und daß man einen Anfang machen müsse, und wie die Redensarten alle sind, die Sie hier vorgetragen haben.
— Wie ich es machen will, Frau Weber? Nun, ich würde, wenn ich die Trümpfe in der Hand hätte, diese nicht erst ausspielen und dann mit Ihrem Antrag kommen, sondern ich würde die Trümpfe in der Hand behalten, den Antrag stellen und dann abwarten, was geschieht. Sie machen es umgekehrt. Sie ratifizieren hier, bringen diesen Ihren Antrag auf Umdruck Nr. 412 und stellen ihn in keine Verbindung mit der Ratifikation. Der Herr Bundeskanzler hat Ihnen am 30. Juni eine Handhabe geboten, etwas mehr zu tun. Er hat darauf hingewiesen, daß der Briefwechsel eine Rechtsgrundlage sein könnte; und auf Grund von Rechtsgrundlagen kann man ja Forderungen stellen.
Ich darf noch etwas zu Ihrem Antrag sagen, der diesen kapitalen Fehler hat, daß er nicht mit der Ratifikation verbunden ist. Er hat auch große andere Fehler. Sie sind so bescheiden geworden in Ihrer Saarpolitik. In diesem Antrag ist nur von der Freiheit an der Saar die Rede. Das ist gewiß ein sehr wichtiger Punkt, aber es ist doch bei Gott nicht der einzige Punkt. Wenn an der Saar die Deutschen deutsch reden und auch politisch deutsch handeln dürfen, dann ist damit eigentlich erst das Selbstverständliche erreicht.
Und dann kommt doch erst das Saarproblem, nämlich die Frage der staatsrechtlichen Zugehörigkeit des Gebiets.
Davon, daß die Saar, die wir ja staatsrechtlich als zu uns gehörig betrachten, auch zu uns zurückkommen muß, ist in Ihrem Antrag überhaupt nicht mehr die Rede.
Der Herr Bundeskanzler hat kürzlich in London in einer Pressekonferenz von Geduld gesprochen. Man müsse Geduld haben, man müsse die Dinge. reifen lassen. Nun, Herr Bundeskanzler, spätestens im Dezember dieses Jahres wird es an der Saar Wahlen geben, es wird ein neuer Landtag gewählt. Wenn dieser unter den gegenwärtigen Bedingungen gewählt wird — und es sieht ganz so aus, und wenn Sie die Trümpfe nicht ausnutzen, die Sie haben, dann wird es so sein —, dann wird mit diesem neuen Landtag wieder ein neues, sehr hartes separatistisches Faktum geschaffen. Sie werden wieder eine Gelegenheit versäumt haben, etwas Effektives zur Lösung der Saarfrage in unserem Sinne zu tun.
Es gibt auch noch andere gute Gründe, nicht zu sehr reifen zu lassen. Herr Bundeskanzler, lassen Sie sich unterrichten über die Stimmung der Saarbevölkerung und insbesondere der Arbeiterschaft an der Saar! Diese Dinge des Ausverkaufs der Saarwirtschaft an Frankreich, das Warndt-Problem, die Inflation, die die Löhne der Arbeiter entwertet, das alles hat eine Stimmung an der Saar geschaffen, die zunächst einmal zu Protesten und Generalstreikandrohungen geführt hat, die aber auch zu Schlimmerem und wirklichen Explosionen führen kann. Da könnte es passieren, daß Ereignisse eintreten, die eine sehr ernste Trübung des deutschfranzösischen Verhältnisses herbeiführen könnten, eine Trübung, die gewiß niemand von ums wünschen kann.
Der Herr Bundeskanzler hat hier in einer Sitzung im Juli gesagt, er habe die Absicht, die Saarfrage im Ministerrat des Europarats zur Sprache zu bringen. Wir wissen, daß er diese Absicht auch jetzt noch hat. Der Ministerrat soll, wie ich. höre, Ende dieses Monats oder im nächsten Monat zusammentreten. Was der Herr Bundeskanzler da für eine Lösung der Saarprobleme in unserem Sinne erreichen kann, wird von großer Bedeutung für die zukünftige Stellung der Saar im Montanvertrag sein.
Der Herr Bundeskanzler hat gesagt — ich habe ihn zitiert —, daß, wenn bis zum Friedensvertrag nicht Gleichheit der Chancen an der Saar garantiert werde, auch der Friedensvertrag nur eine leere Geste im Sinne der deutschen Saarpolitik werde, und das sei für uns unakzeptabel. Wenn man das nicht erreicht, wird damit präjudiziert, daß im Friedensvertrag die Saar endgültig im französischen Wirtschaftsbereich erscheint und politisch von uns abgetrennt bleibt.
Es ist deshalb von kapitaler ' Bedeutung für unsere Beurteilung des Montanvertrags, wie die Sache in Straßburg ausgehen wird. Deshalb schlägt Ihnen unser Antrag vor, dieses Ergebnis abzuwarten und erst dann die dritte Lesung des Vertrags vorzunehmen. Wir sollten nicht schon den Trumpf aus der Hand geben, sondern uns vorher dieses europäische Minimum an der Saar garan-
tieren lassen und erst dann den Vertrag vielleicht ratifizieren. Der Bundestag kann dadurch, daß er die dritte Lesung aussetzt, etwas mehr für unsere deutschen Brüder an der Saar tun, als leere Proteste von sich zu geben. Er hat in dieser Frage das Glück, daß er nicht nur deutsche Interessen vertritt, sondern daß er etwas tun kann für die Stärkung der Pfeiler, auf denen Europa allein errichtet werden kann. Diese Pfeiler müssen doch heißen: Freiheit, Selbstbestimmung, Fairneß und Gleichheit für alle Europäer!