Rede von
Fürst zu
Eugen
Oettingen-Wallerstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir den Schumanplan mit allem Ernst und in vollem Bewußtsein dessen, was dieser Vertrag für die Zukunft Europas bedeuten kann, prüfen, dann müssen wir uns doch unter Würdigung aller Für und Wider-nicht nur die wirtschaftspolitische Seite dieses Vertrages genauansehen — über die bereits sehr eingehende, sehr maßgebende, aber auch sehr ernste Ausführungen gemacht wurden —, sondern wir müssen auch mit aller Genauigkeit überlegen, wie sich dieser Vertrag mit seinen ganzen Aufgaben und mit seiner ganzen Gestaltung in rechtlicher und in politischer Hinsicht auswirken kann. Daß die wirtschaftlichen Auswirkungen von den politischen Auswirkungen nicht wegzudenken sind, liegt auf der Hand. Infolgedessen muß man sich doch dann mit der Frage befassen, welche Möglichkeiten in der organisatorischen Gestaltung des Vertragswerkes liegen.
Da sind zunächst 'die Organe der Union: die Hohe Behörde mit dem Beratenden Ausschuß, der Ministerrat und die Versammlung. Nach dem Wortlaut des Vertrages sind in erster Linie der Hohen Behörde sehr weitgehende Befugnisse eingeräumt, Befugnisse, die in der Möglichkeit, Rechtsverordnungen zu erlassen, ihren Niederschlag finden. Der Ausschuß, der 'der Hohen Behörde zur Seite steht, hat nur eine beratende Funktion, und die Versammlung kann, wenn sie sich damit begnügt, unter Umständen nur 'einmal im Jahr zusammentreten,
es sei denn, daß sie auf Antrag des Rates oder auf Antrag der Mehrheit ihrer Mitglieder oder der Hohen Behörde eine außerordentliche Sitzungsperiode abhält. Der Rat, das Vertretungsorgan der Mitgliedstaaten, hat weitgehende Aufgaben in Ansehung
der Abstimmung der Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder untereinander im Rahmen dieser Union.
Dieser Behördenaufbau kann schon, das darf man wohl ohne Übertreibung sagen, in ein recht starkes autokratisches Fahrwasser hineingeraten, und es ist auch nicht ganz zu übersehen, daß in diesem Organisationsaufbau, in dem dem Prinzip der parlamentarischen Kontrolle nur sehr schwach und sehr modifiziert Rechnung getragen ist, auch gewisse nationalwirtschaftliche Strömungen zum Durchbruch kommen können. Denn schließlich und endlich werden die Vertreter und die Angehörigen dieser Organisationen auch nur Menschen sein, und es wird wenigstens eine gewisse Zeit brauchen, bis sie sich in das europäische Denken, in den europäischen Gedanken — denn ohne europäischen Gedanken wird es keinen Schumanplan geben! — hineingelebt haben. Auf die Angehörigen des Ausschusses und der Versammlung wird es ankommen, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollen, die sich aus der Verfahrensregelung ergeben.
Wenn wir somit gegenüber diesem Behördenaufbau gewisse nicht unerhebliche Bedenken haben, so werden sie bis zu einem gewissen Grade durch die Bestimmungen über den Gerichtshof ausgeglichen. Denn dieser Gerichtshof — —
— Nein, das ist nicht vollkommen falsch. — Denn dieser Gerichtshof ist kein Gerichtshof im eigentlichen Sinne, sondern eine Instanz, die eine Art Schiedsgericht ist und deren Aufgabe nach dem deutlichen Wortlaut des Vertrages doch so weit geht, daß alle Mitgliedstaaten alle Entscheidungen, durch die sie sich beschwert fühlen, vor den Gerichtshof bringen können. Es mag dies ein Novum sein, aber es ist so, und das ist immerhin wert, genauestens festgestellt zu werden. Es wird ein hohes Maß von Verantwortungsbewußtsein — darüber müssen wir uns klar sein — und ein objektives europäisches Denken von den Mitgliedern dieser Organe einschließlich der Hohen Gerichte verlangt werden.
Es wäre nun sehr interessant und dankenswert, wenn wir von der Bundesregierung hören dürften, auf Grund welches Verfahrens die Mitglieder der Hohen Behörde und des Ausschusses im Sinne der Art. 15 und 18 ausgewählt werden sollen. Die Angehörigen der Versammlung werden ja aus den Parlamenten entnommen, und da nehme ich an, daß der Bundesrat darüber besonders-zu befinden haben wird. Es wäre auch interessant, noch einmal genau festzustellen, wann mit praktischen Ergebnissen, d. h. mit einem praktischen Funktionieren des Schumanplans gerechnet werden kann und ob die Ansicht richtig ist, daß das praktische Funktionieren in etwa mit Inkrafttreten des gemeinsamen Marktes zusammenfällt. Drittens würde auch interessant sein zu hören, wann etwa damit zu rechnen ist, daß die übrigen Mitgliedsstaaten, die noch nicht ratifiziert haben — die drei Länder Italien, Belgien und Luxemburg haben noch nicht ratifiziert — voraussichtlich ratifizieren werden.
Wenn in Art. 83 ausdrücklich gesagt ist, die Einrichtung der Gemeinschaft berühre in keiner Weise die Ordnung des Eigentums an den Unternehmungen, für die die Bestimmungen des Vertrages gelten, so muß gleichzeitig erwartet werden, daß die Hohe Behörde keine Maßnahmen trifft, die mehr oder weniger einen starken Zwang im Sinne der Veränderung der Eigentumsverhältnisse darstellen. Daß von französischer Seite Bestrebungen im Gange sind, im Saargebiet die Eigentumsverhältnisse im Montanbesitz zu verändern, d. h. da französisches Eigentum in erhöhtem Maße zu schaffen, haben wir heute wieder aus den Zeitungen entnommen. Es wird dies ein Punkt sein, dem wir nicht genug Aufmerksamkeit werden schenken können.
— Das hat in der Zeitung gestanden, in der Frankfluter Zeitung.
Auch was die Frage der Revision betrifft, so hätten wir erwartet, daß die diesbezüglichen Bestimmungen noch klarer und schärfer zum Ausdruck gekommen wären. Es wurde früher von verschiedenen Vorrednern erwähnt — und der Herr Staatssekretär hat ja dazu Stellung genommen —, daß der Vertrag nicht in allen Punkten außerordentlich klar und deutlich gefaßt ist, und es wurde Kritik an der Übersetzung geübt. Ich möchte den Übersetzer in Schutz nehmen; er hat sein Möglichstes getan. Man soll nicht mit Pistolen auf ihn schießen. Aber der französische Partner des Vertrages hat nicht sein Möglichstes getan. Denn die französische Fassung ist zum mindesten an verschiedenen Stellen noch viel schlechter als die deutsche.
Um auf die Revision zurückzukommen, so ist es richtig, daß im Art. 2 die Grundlage für gewisse Revisionsmöglichkeiten gegeben ist, sofern es im Art. 2 heißt, daß die Hohe Behörde dafür zu sorgen hat, daß keine Unterbrechung in der Beschäftigung eintritt, um zu vermeiden, daß im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten tiefgreifende und anhaltende Störungen hervorgerufen werden. Daraus läßt sich eine gewisse Revisionsmöglichkeit ableiten, weal eben, wenn dieser Fall eintritt, eine Stockung der Apparatur des Ablaufs des Schumanplans eintreten muß. Die eigentlichen Revisionsmöglichkeiten der beiden Art. 95 und 96 — der erste für die Übergangszeit, der letzte für die Zeit nach der Übergangszeit — sind außerordentlich beengt, indem im ersten Falle eine Nachprüfung durch den Gerichtshof, im letzten Falle die Abhaltung einer Konferenz vorgesehen ist. Das ist natürlich für eine Revision, falls ein solcher Anlaß vorliegen sollte, keine sehr weitgehende Möglichkeit. Es muß daher zu hoffen sein, daß im Schoße der Hohen Behörde der wartschaftlichen und der politischen Fortentwicklung stets Rechnung getragen wird. Nur dann wird es möglich sein, einen Erstarrungszustand zu vermeiden und den Schumanplan so in Fluß zu halten, wie es sich aus der Entwicklung ergibt, während die Revisionsbestimmungen diese Möglichkeit nicht ausreichend bieten.
Was mich aber noch stärker beschäftigt als die Betrachtung der einzelnen Artikel, ist die konkrete Frage, wie sich in Ansehung der Durchführung des Schumanplans die Versorgung Berlins und der Sowjetzone mit den der Europäischen Gemeinschaft unterliegenden Produkten gestalten soll. In Übereinstimmung mit den gestrigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers stehen wir selbstverständlich auf dem Standpunkt, daß der Bedarf Berlins mit dem Bedarf der Bundesrepublik gleichzustellen ist, wie wir überhaupt nur auf dem Standpunkt stehen können, daß Berlin zur Bundesrepublik gehört.
Es fällt schwer — auch davon war gestern die Rede —, sich in den Gedanken hineinzuleben, daß etwa der Art. 79 auf das Verhältnis zu Berlin Anwendung finden soll. Denn dieser Artikel besagt ja, daß der Vertrag nur auf die europäischen Gebiete der Mitgliedstaaten und auf die sonstigen europäischen Gebiete Anwendung findet, deren auswärtige Angelegenheiten ein Unterzeichnerstaat übernimmt,
sowie daß jeder vertragschließende Teil sich verpflichtet, den anderen Mitgliedstaaten die Vergünstigungen einzuräumen, die er in den seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden außereuropäischen Gebieten für Kohle und Stahl genießt. Berlin in die Klammer dieses Artikels einzuzwängen, ist schon etwas schwer verdaulich, und es entbehrt auch einer gewissen Überzeugungskraft. Um so mehr müssen wir annehmen, daß eben der Grundsatz, daß Berlin zur Bundesrepublik gehört, aufrechterhalten bleibt.
Die Versorgung der Sowjetzone ist durch § 22 der Übergangsbestimmungen einigermaßen geregelt. Wir sehen zunächst keinen Anlaß und keine Handhabe für die Hohe Behörde, das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetzone zu beeinflussen. Wir erwarten aber auf das bestimmteste, daß im Rahmen des Schumanplans keinerlei Maßnahmen getroffen werden, die die Vereinigung der Sowjetzone mit der Bundesrepublik irgendwie auch nur erschweren könnten.
Die in den Übergangsbestimmungen für Belgien, Italien und Frankreich vorgesehene Sonderregelung betrifft in erster Linie Fragen wirtschaftspolitischer Natur, auf die ich, nachdem mein Thema abgesteckt ist, hier nicht weiter eingehen will. Trotzdem dürfen wir aber auch in diesem Zusammenhang der Erwartung Ausdruck geben, daß diese Sonderregelung nicht im Sinne einer Diskriminierung Deutschlands, sondern im Geiste europäischer Gerechtigkeit getroffen wird.
Was nun das Saargebiet anlangt, so ist die Bestimmung des Art. 21 für uns schon recht bitter, denn in diesem Art. 21 heißt es, daß die Vertreter der Saarbevölkerung in die Zahl der Frankreich zugewiesenen Abgeordneten eingerechnet sind. Im übrigen sind wir, was das Saargebiet betrifft, auf den Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler Adenauer und dem französischen Außenminister Schuman, ich möchte sagen, angewiesen. Wir können nur erwarten, daß auch die französische Seife auf dem in diesem Briefwechsel eingenommenen Standpunkt beharrt, denn ein Abweichen von diesem Standpunkt müßte für den Ablauf des Schumanplans von geradezu tödlicher Wirkung sein.
Wir hatten nun gehofft, um nicht zu sagen: erwartet, daß der schwere Entschluß, dem Schuman-plan zuzustimmen, dem Deutschen Bundestag doch etwas erleichtert wird durch die Mitteilung, daß nicht nur alle Beschränkungen in Ansehung von Kohle, Stahl und Eisen, sondern auch alle sonstigen Beschränkungen in Wegfall kommen, Beschränkungen, von denen der Herr Bundeskanzler gestern in Aussicht gestellt hat, daß der bevorstehende Generalvertrag sie voraussichtlich korrigieren wird. Wir müssen mit allem Nachdruck verlangen und erwarten, daß das Gesetz Nr. 27, wenn schon sein Abstoppen nicht möglich ist, von den Besatzungsmächten nunmehr mit größter Beschleunigung durchgeführt wird, damit die Bestimmungen des Schumanplans, insbesondere des Art. 66 Abs. 2, der ja eigentlich das Gegenteil von dem bezweckt, was das Gesetz Nr. 27 verlangt, voll und ganz zur Auswirkung kommen können. Die Behandlung dieser Frage bestätigt nur zu deutlich, wie wünschenswert es gewesen wäre, wenn die Verabschiedung des Schumanplans unmittelbar der Verabschiedung des Generalvertrages hätte folgen können.
Und nun die Hauptfrage: Ist der Schumanplan ein Mittel, um eine friedliche Politik zu gewährleisten bzw. in die Wege zu leiten, oder ist er ein Mittel, um einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Osten die Wege zu ebnen? Wenn nach
Jahrhunderten sich immer wiederholender Auseinandersetzungen Deutschland und Frankreich einmal den Versuch machen, ihre Wirtschaft zusammenzubringen, aufeinander abzustimmen und nicht, wie bisher, nach nationalwirtschaftlichen Gesichtspunkten aufeinander loszulassen, so ist das meiner Überzeugung nach eine Friedensaktion, deren Bedeutung unterkeinen Umständen verkannt werden sollte.
Wenn man schon immer von Europa spricht, sich aber vor lauter Gesprächen über Europa von Europa wieder allzusehr wegredet, dann kann man doch nicht an der Tatsache vorübergehen, daß hier ein praktischer Versuch zu einer europäischen Gemeinschaft gemacht werden soll, der selbstverständlich nicht eine in sich abgeschlossene Tat bleiben darf, sondern der Ausgangspunkt zu einer weiteren europäischen Entwicklung sein muß und somit auch zur weiteren Rückgewinnung unserer Gleichberechtigung im Rahmen der europäischen Mächte. Diese europäische Entwicklung, für die vielleicht der Schumanplan ein Anfang ist, so Gott will, wird seine Verwirklichung finden, wenn er getragen ist von der Arbeit von Menschen, die in ihm nicht nur eine leere, eine reine Formel, sondern die Möglicnkeit sehen, dieses Europa wieder im Sinne des christlichen Abendlandes zu gestalten und aus dieser Einstellung heraus alle aggressiven Gedankengänge abzulehnen.
Was würde denn aber sein, wenn der Schuman-plan hier von dem Hohen Hause abgelehnt würde? Unser Stand in den zukünftigen Verhandlungen mit den Okkupationsmächten würde bestimmt nicht besser, sondern ganz erheblich schlechter sein, wobei es noch sehr fraglich wäre, wann, wie und wo es dann überhaupt wieder zu Verhandlungen käzne. Wir hätten die Fortdauer eines Okkupationszustandes, den zu beseitigen nicht nur ein Wunsch ist, sondern an dessen Beseitigung wir alle nach besten Kräften mitarbeiten müssen.