Herr Abgeordneter Henßler hat an der Bundesregierung kritisiert, daß sie die Ziele des Schumanplans idealisiere. Nun gut, die Bundesregierung hat es nötig, die Ziele des Schumanplans zu idealisieren. Ich glaube, genau so nötig hatte es die französische Regierung, die Ziele des Schuman-plans zu idealisieren. Beide, die westdeutsche und die französische Regierung, malen der Bevölkerung ihrer Länder ein Trugbild vor. Beide, die westdeutsche wie die französische Regierung, haben es nötig, unter Verleugnung der Interessen ihrer Völker zu verbergen, was sie in Wirklichkeit vorhaben zu verbergen, daß sie in die Firma fremder Usurpatoren einzutreten gewillt sind, zu verbergen, daß sie sich anschicken, sich den Direktiven der amerikanischen Imperialisten zu unterwerfen und die Rechte und Freiheiten ihrer Völker preiszugeben. Sie haben es nötig, mit einer billigen Agitation herumzuprotzen und Vorteile für ihre Völker vorzutäuschen da, wo Vorteile nicht für die Völker, sondern nur für die kleine Schicht parasitärer Konzernherren der Eisen-, Stahl- und Kohlenindustrie existieren.
Dritte Feststellung: Im Grundsatz sind sich die beiden Vertreter der Regierungskoalition und der „konstruktiven Opposition" j a doch einig. Herr Kollege Imig erklärte, er und seine Fraktion sagten zur Europäischen Gemeinschaft j a; nur dann müsse er nein sagen, wenn auf Kosten Deutschlands aus ihr ein Geschäft gemacht werden solle. Ich glaube, die Herren von der rechten Seite dieses Hauses können diesen Satz unterschreiben, weil sie schon etwas mehr darüber wissen, daß sie in dieser gemeinsamen Firma das Geschäft machen nicht nur auf Kosten des deutschen Volkes, sondern auf Kosten aller europäischen Völker.
Meine Damen und Herren, ist die Feststellung, daß sich die beiden Gruppen dieses Hauses, die heute These und Antithese vorspielen, im Grunde genommen einig sind, etwas Neues? Ich glaube nicht. Gestatten Sie mir, daß ich etwas in die Vergangenheit zurückgreife und aus der Stellungnahme der „Sozialistischen Bewegung für die Vereinigten Staaten Europas" zitiere, abgegeben auf ihrem Kongreß, den sie im November 1949 in Paris abgehalten hat. Damals wurde von diesem Gremium der sozialdemokratischen Parteien in Europa erklärt:
Das Ruhrstatut muß als erster Schritt zur Europäisierung der Schlüsselindustrien unter Kontrolle der Arbeiterschaft betrachtet werden.
Oder: Im Jahre 1950, am 18. Juni, tagte die Sozialistenkonferenz in London und beschloß eine Stellungnahme zur Montanunion. In dieser Resolution wurde in 7 Punkten die grundsätzliche Meinung der sozialdemokratischen Parteien zum Schumanplan niedergelegt. Diese grundsätzliche Stellungnahme bezeichnete den Schumanplan als ein „kühnes Beispiel europäischer Initiative" und begrüßt ihn als solches. Im Punkt 5 erklärte die „Sozialistenkonferenz":
Die einzelnen Regierungen müssen die Verpflichtung übernehmen, in ihren eigenen Ländern die unter der neuen internationalen Organisation gefaßten Beschlüsse in die Tat umzusetzen.
Diese Entschließung wurde einstimmig angenommen.
Die Abordnung der deutschen Sozialdemokratie unter Führung des Abgeordneten Ollenhauer hat dieses Kommuniqué angenommen. Man machte le- I diglich einen Vorbehalt, nämlich daß vor der Annahme des Schumanplans das Ruhrstatut geändert — nicht aufgehoben! — werde.
Das war eine Woche vor Beginn der Vorgänge' in Korea. Ich möchte gern, daß Herr Ollenhauer zu dieser seiner damaligen grundsätzlichen Stellungnahme etwas sagt und uns erklärt, wie sie zu vereinbaren ist mit der Spiegelfechterei einer Scheinopposition, die dem deutschen Volk jetzt vorgeführt
wird.
Mit dieser Haltung kann man nicht den Widerstand der Bevölkerung, den Widerstand insbesondere der Arbeiterschaft organisieren. Mit dieser Argumentation geht man am Kern der Sache vorbei. Die Frage ist "schließlich, ob Sie den Kern der Sache mit Ihrer Kritik überhaupt treffen wollen: mir scheint, wenn Sie das wollten, dann sähe es gegenwärtig etwas anders aus. Ich aber glaube, Sie rollen den Kern der Sache nicht treffen, Sie wollen ihn verschweigen, weil Sie wissen, dieser Kern der Sache ist, daß der Schumanplan ein Kernstück der amerikanischen Politik auf europäischem Boden ist. Und weil Sie zu dieser amerikanischen Politik in Europa ja sagen, darum Ihre grundsätzliche Stellungnahme für den Schumanplan, die nur getarnt ist durch solche billigen Scheinoppositionsgeschichten, wie wir sie jetzt erleben.
Was ist das Entscheidende, was sprechen Sie nicht aus? Daß der amerikanische Imperialismus diesen Plan entworfen hat, ein gewaltiges Superkartell zu schaffen mit unbeschränkten Vollmachten und zu dem einzigen Zweck, das Rüstungspotential Europas zu vervielfältigen. Daraus erwachsen alle die Folgen der verschärften Kriegsgefahr, der ungeheuerlichen Verarmung unseres Volkes und der anderen Völker Westeuropas, die Preisgabe der Souveränitätsrechte und vieler demokratischer Rechte der Völker und schließlich die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands auf die Dauer von 50 Jahren.
Die Rolle, die die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu spielen berufen ist, kommt mit krasser Deutlichkeit in dem Aufbau und der Kornpetenz ihrer Organe zum Ausdruck. Selbst die bürgerliche Presse, die dem Schumanplan wohlgesonnen ist, mußte zugeben, daß die Hohe Behörde so gut wie alles darf, daß sie ein riesiges, mit allen Machtvollkommenheiten ausgestattetes überstaatliches Zwangskartell ist in denkbar monopolistischer Art. Jawohl, sie ist mit autoritären Befugnissen ausgestattet, ein Machtorgan der internationalen Rüstungs- und Finanzkönige, in dem jene Gruppe das entscheidende Wort führt, die mit den stärksten wirtschaftlichen und finanziellen Mitteln ausgestattet ist, nämlich das amerikanische Monopolkapital.
In dem entscheidenden Art. 9 des Schumanplanvertrags heißt es:
Die Mitglieder der Hohen Behörde üben ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit ... aus. Sie dürfen bei der Erfüllung ihrer Pflichten weder Anweisungen von einer Regierung oder von einer anderen Stelle einholen, noch solche Anweisungen entgegennehmen.
Mit dieser entscheidenden Feststellung werden die Regierungen der beteiligten Länder und die Parlamente ausgeschaltet, werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Anweisungen der Hohen Behörde auszuführen, so wie es der Art. 86 vorschreibt. Die
Beamten der Hohen Behörde haben das Recht, auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten unbeschränkte Befugnisse auszuüben. Sie sind z. B. den Angehörigen der jeweiligen Finanzverwaltungen der Länder gleichgestellt.
Nicht zuletzt muß man auf den Art. 95 hinweisen, der der Hohen Behörde das Recht zugesteht, ihre eigenen Kompetenzen jederzeit über den Text und die offiziellen Ziele des Statuts hinaus zu erweitern.
Was ist das für eine Phrase von einem Haushaltsrecht? Der Haushaltsvoranschlag, der nicht mehr als ein Teil des Gesamtberichts ist, den die Hohe Behörde jährlich einmal der Versammlung vorzulegen hat, der aber nicht der Bewilligung und Zustimmung der Versammlung bedarf, ist dem alleinigen Ermessen der Hohen Behörde anheimgestellt. Diese darf über die einzelnen Titel nicht nur verfügen, sondern auch die Positionen, die für die einzelnen Titel aufgeführt werden, nach Belieben verschieben. Der Haushaltsvoranschlag wird faktisch von dem Ausschuß der Präsidenten der vier Organe, der Hohen Behörde, der Versammlung, des Rats und des Gerichtshofs, festgesetzt und verabschiedet.
Es paßt haargenau zu den autoritären Funktionen der Hohen Behörde, daß ihre Mitglieder und ihre Beamten die Rechte der Immunität genießen, so wie sie einst die. Organe der Kolonialmächte in den kolonial unterdrückten Ländern genossen haben. Ja, die Herrlichkeit in Schanghai ist zu Ende. Weil ein 450-Millionen-Volk das imperialistische Joch abgeschüttelt hat, weil andere Völker diesem Beispiel folgen, weil die Hälfte dieser Erde dem Zugriff der Imperialisten verschlossen ist, darum sollen andere Orte, nunmehr der sogenannten westlichen zivilisierten Welt, in den Status versetzt werden, den einstmals Schanghai und Nanking genossen haben.
Die Hohe Behörde erläßt Entscheidungen, sie gibt Empfehlungen. Diese Entscheidungen sind in allen ihren Teilen verbindlich. So besagt es der Art. 14. Nicht demokratisch beschlossene Gesetze der Volksvertretungen der Länder, sondern Sondererlasse und Empfehlungen der Hohen Behörde sollen künftighin über die Lebensfragen der Völker bestimmen.
Das also ist der Zauber der westlichen Demokratie, mit dem wir beglückt werden sollen und der eine solche Anziehungskraft auf andere Völker ausüben soll, daß das Beispiel des Superkonzerns der Montanmächte in den nächsten 50 Jahren auch noch auf andere Länder erweitert werden kann. Die politischen und wirtschaftlichen Machtbefugnisse der Hohen Behörde gehen weit über die jeder einzelnen staatlichen Regierung hinaus. Sie machen die Hohe Behörde zu einer Überregierung und ihre Mitglieder, bzw. ihre Dirigenten und Hintermänner zu den wahren Herren Westeuropas. Herr von Merkatz bezeichnete 'diesen seltsamen neuen Typus eines „demokratischen" Herrschaftsorgans als eine „übernationale Administration". Fehlt nur noch, daß er sagt, das ist die Spitzenentwicklung der Demokratie, wir sind begeisterte Schüler dieser neuen demokratischen Ordnung! Fehlt nur noch, daß er uns sagt, diese übernationale Administration macht künftighin auch die formale Anwesenheit von Länderparlamenten hinfällig!
Es kommt hinzu, daß die Regierungen der beteiligten Länder ihre Vertreter auf die Dauer von sechs Jahren zu ernennen haben. Die Regierung
Adenauer hat sich dabei Chancen ausgerechnet. Sie glaubt, sie habe damit die Möglichkeit, selbst angesichts ihres bevorstehenden Sturzes
noch einige Leute in die Hohe Behörde zu schicken, die mit dem Recht ausgestattet werden, auf die Dauer von sechs Jahren im Sinne der AdenauerPolitik zu amtieren, selbst dann, wenn das Volk dieser Adenauer-Regierung und der Sorte ihrer Beauftragten längst das Vertrauen entzogen hat.
Was ist das für ein blutiger Hohn auf die Demokratie. was man mit der Institution des sogenannten Beratenden Ausschusses geschaffen hat! Die Mitglieder des Beratenden Ausschusses sind nicht etwa gewählt, sie sind durch den Rat, also indirekt durch die Regierungen- der beteiligten Länder e r -nann t. Eine feine Demokratie, in der man die Arbeitnehmerschaft zu einem Drittel an einem Verein „beteiligt", der nichts anderes zu tun hat, als zuzuhören und gelegentlich, alle Jahre einmal, das Gehalt einzustreichen.
In Art. 18 heißt es, daß die Mitglieder des Beratenden Ausschusses nicht an Aufträge oder Weisungen
der Organisationen gebunden sind, die sie benannt
haben. Die Mitglieder, die die Regierungen benannt
haben, sind lediglich befugt, anzuhören und eine
unverbindliche Meinung zu äußern. Das ist auch
die ganze Mitwirkung beispielsweise der Gewerkschaften. Ich bin einmal gespannt, weche
schaftsberichte die Herren „Gewerkschaftsvertreter" ihren Mitgliedern abgeben werden, wenn sie,
ausgestattet mit einem jährlichen Spesensatz von
250 000 Mark, zurückkehren und berichten, was sie
als Mitglieder des Beratenden Ausschusses getan
haben. Die Hohe Behörde kann den Beratenden
Ausschuß in allen Fällen anhören, in denen s i e es
für angebracht hält. Das heißt, daß nicht einmal
die Auswahl der Themen, in denen er angehört
werden möchte, dem Beratenden Ausschuß zusteht.
Die „Versammlung" ist ein pseudoparlamentarisches Dekorationsstück. Sie tritt jährlich einmal zusammen. Sie hat nur zu behandeln, was ihr vorgelegt wird und kann sonst nur Fragen stellen. Sie hat schließlich den Gesamtbericht zu „erörtern", den ihr die Hohe Behörde einmal jährlich vorlegt. Einen Mißtrauensantrag kann sie nicht stellen, es sei denn mit einer Zweidrittelmehrheit. Sie kann ebensowenig wie der Beratende Ausschuß die Hohe Behörde um Auskunft ersuchen oder sie gar zu irgendeiner Auskunft zwingen oder sie auch nur zum Erscheinen veranlassen.
Schließlich habe ich den „Rat" zu erwähnen, der aus Vertretern der Staaten, aus Regierungsmitgliedern besteht und dessen Funktionen so lächerlich geringfügig sind, daß es sich nicht lohnt, sie hier auch nur aufzuführen. Man „unterrichtet und berät" einander, wie es der Art. 26 vorschreibt. Der Rat kann die Hohe Behörde auffordern, Vorschläge zu prüfen. Was die Hohe Behörde damit anfängt, ob sie sie in den Papierkorb wirft oder einer lächerlichen jahrelangen Prozedur aussetzt, bleibt jedoch allein ihrer Entscheidung vorbehalten.
Und als Letztes schließlich der Gerichtshof. Ausgerechnet Herr Euler hat es für angebracht gehalten, uns hier eine Vorlesung über die demokratische Wirksamkeit des Gerichtshofs zu halten.
Er meinte, individuelle Verwaltungsakte unterliegen der richterlichen Nachprüfung.
Was soll denn das heißen? Was soll es denn heißen, Formsachen dem Gerichtshof als Gegenstände der 'Behandlung zu unterbreiten! Es sind doch nur Formsachen, wie wir jetzt aus der Diskussion noch einmal bestätigt erhielten, mit denen sich der Hohe Gerichtshof zu befassen hat. In Art. 33 wird ausdrücklich festgestellt: „Die Nachprüfung durch den Gerichtshof darf sich jedoch nicht auf die Würdigung der auf wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen beruhenden Gesamtlage erstrecken".
Was heißt das? Das heißt, das Gericht hat nicht die Möglichkeit, die Tatbestände zu prüfen, die durch die willkürlichen Entscheidungsakte der Hohen Behörde entstanden sind, die Tatbestände auf wirtschaftlichem oder politischem und — wir werden es bald erleben — auch auf militärischem Gebiet. Es ist ein Gericht, das sich mit toten Buchstaben zu befassen hat, dem es verboten ist, die Not der Völker zum Gegenstand seiner Verhandlungen zu machen, die Not der Völker, die das Statut und die Praxis der Hohen Behörde der Montan-Union heraufbeschwören.
Im übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich sagen, es ist doch eine Zumutung für dieses Haus, sich ausgerechnet von einem Mann wie Herrn Euler hier Vorträge über europäische Rechtsgrundsätze, über Grundsätze der Verständigung und der Zusammenarbeit der europäischen Völker halten zu lassen. Herr Euler, es wird einmal der Tag kommen, wo Sie über Ihre Sorte „europäischer Zusammenarbeit" Rechenschaft ablegen müssen,
die Sie in den Jahren der Hitler-Diktatur als Assessor, als Bevollmächtigter eines großen Chemiekonzerns geleistet haben.
— Sie werden es nicht aus der Welt schaffen können,
daß Sie als Bevollmächtigter — —