Schön, dann stimme ich dem zu, meine Damen und Herren. Ich wäre sehr glücklich und würde es mit großer Genugtuung entgegennehmen, wenn mit dieser Erklärung des Herrn Präsidenten dieser Fall wirklich geklärt wäre. Aber wir haben nun mal merkwürdigerweise die Tatsache zu verzeichnen, daß wir in drei oder vier entscheidenden Gesetzesartikeln immer noch seit langem unveränderte Texte stehen haben, die nicht korrigiert sind.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren — ich will nicht auf viele kleine Dinge eingehen, das würde viel zu weit führen und hat keinen Zweck —, sich Art. 21 anzusehen. Wir haben im Hause sicherlich auch auf Ihrer Seite genügend Herren, die Französisch kennen. Es handelt sich um die Zusammensetzung der Versammlung. In dem Art. 21 ist in dem französischen, allein verbindlichen Text einwandfrei unterschieden zwischen zwei Sorten von Delegierten oder Parlamentariern. Es gibt einmal im Jahr aus den bestehenden Parlamenten zu wählende Delegierte für die Versammlung — oder aber Abgeordnete, die nach einem beliebigen Verfahren der Regierungen gewählt werden können. Und diese können auch auf längere Zeit, auf drei oder vier Jahre, gewählt werden. Nach dem deutschen Text des Art. 21 ist die zweite Möglichkeit nicht vorhanden. Es ist hier so falsch übersetzt, daß nach dem deutschen Text, der ja doch für die meisten von Ihnen wahrscheinlich zur Urteilsbildung beigetragen hat, alle Abgeordneten zu dieser Versammlung einmal im Jahr gewählt werden müssen. Es handelt sich also um einen Übersetzungsfehler von schwerwiegendem gravierendem Inhalt.
Ich bitte Sie sodann, sich den Art. 33 anzusehen; das ist ein Punkt, der noch wichtiger ist. Es handelt sich dabei, wie jetzt gerade von den Juristen mehrfach ausgeführt worden ist, um die Rechte, die die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Gerichtshofes und seiner Anrufung haben. Im deutschen Text wird nach der Übersetzung erklärt, daß der Gerichtshof gegen die Hohe Behörde bereits angerufen werden könne, wenn die Hohe Behörde einen „Ermessensmißbrauch" begangen habe. Nach dem deutschen Text wäre das also eine außerordentlich starke Erleichterung einer Anrufung des Gerichtshofes gegen die Hohe Behörde. Meine Damen und Herren, im französischen Text steht aber einwandfrei, und zwar zweimal, „detournement de pouvoir". Das hat mit „Ermessensmißbrauch" nicht das Geringste zu tun,
sondern hier handelt es sich eindeutig nur um den Fall, daß die Hohe Behörde sich „Amtsbefugnisse anmaßt" oder etwas unternimmt, was ihr nicht zusteht, also einwandfrei ihre Kompetenzen überschreitet. Nur dann haben die Mitgliedstaaten nach Art. 33 das Recht, sich an den Gerichtshof zu wenden. Das scheint mir ein Übersetzungsfehler von außerordentlich schwerwiegender Natur zu shin.
Dieser Art. 33 ist im Ausschuß für Wirtschaftspolitik eingehend diskutiert worden. Damals hat der Sprach- und Kronjurist des Bundesjustizministeriums uns nach Abschluß der Beratung über diesen Artikel eine offizielle berichtigte Übersetzung vom Bundesj ustizministerium geschickt. Sie kam nachträglich und hat die Frage geklärt, wieweit der Gerichtshof über materielle Tatbestände der ökonomischen Situation entscheiden könne. Das war vorher falsch übersetzt worden. In der neuen Übersetzung sind aber wiederum zwei Fehler enthalten. Einmal ist die falsche Übersetzung von „détournement de potivoir" mit Ermessensmißbrauch" dringeblieben, und zweitens steht im deutschen Text, daß es sich bei der Beurteilung der Dinge um die „Gesamtlage" handeln müsse. Und dieser wiederum recht schwerwiegende Übersetzungsfehler ist gemacht worden, obwohl uns die Vertreter im Ausschuß gesagt haben, daß die Franzosen gern dieses „ensemble de la situation" gewünscht, die Deutschen sich aber dagegen gewandt hätten. Sie haben es also aus dem französischen Text herausgebracht und im deutschen Übersetzungstext dann falsch übersetzt.
Hier handelt es sich abermals nicht um ein kleines Versehen, was man als flüchtiges Übersetzen bezeichnen könnte, sondern hier wird der, deutschen Öffentlichkeit seit fast einem Jahr ein materiell falscher Inhalt einer Bestimmung des Schuman-plans vorgelegt.
Auf viele andere Punkte will ich nicht eingehen. Auf eines muß ich allerdings noch hinweisen nämlich, daß auch das französische Wort „saisir" eine vollkommen eindeutige Bedeutung hat. Sie wissen j a alle, daß die französische Sprache den Vorteil hat, die klarste der Welt zu sein, und daß man deshalb j ahrhundertelang internationale Verträge in französischer Sprache abgefaßt hat. Sie können sich also darauf verlassen, daß der französische Text, auch wenn er deutsch falsch übersetzt worden ist und aus der falschen Übersetzung sich im einen oder andern Fall vielleicht falsche Überlegungen und Schlußfolgerungen ergeben, bei jeder Anwendung der Bestimmung unter allen Umständen allein verbindlich sein wird. Das Wort „saisir" bedeutet, daß man ein Verfahren anhängig machen kann bei irgendeiner Instanz oder einer Behörde. Dieser Begriff „saisir" wird in Art. 37 gegenüber der Hohen Behörde gebraucht und findet im Deutschen die Übersetzung, die Hohe Behörde könne „damit befaßt" werden. In, Art. 61 wird „saisir" benutzt gegenüber dem Rat. Im deutschen Übersetzungstext heißt es merkwürdigerweise, daß der Betreffende, der irgend _etwas vorzubringen hat, sich „an den Rat wenden" könne. Beides ist falsch übersetzt, und beides entspricht nicht dem, was die Franzosen unter „saisir" verstehen, nämlich, daß man eine Institution anrufen kann, natürlich unter bestimmten juristischen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen.
Schließlich noch ein letzter Punkt, um Sie nicht länger zu behelligen. Es handelt sich um den Art. 83, eben jenen Artikel, von dem ich eigentlich erwartet hatte, daß der — wie er so schön von sich gesagt hat — „gewissenhafte Jurist", der alle diese merkwürdigen Dinge rechtlicher und völkerrechtlicher Natur nicht gewissenhaft beachtet hat, daß Herr von Merkatz sich dazu äußern würde. Er ist es ja gewesen, der im Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu diesem Art. 83, der die Sozialisierungsfrage beinhaltet, seinen Protest zu Protokoll gegeben hat, und zwar einen Protest gegen die Rechtsinterpretation, die der Regierungsvertreter im Ausschuß für Wirtschaftspolitik diesem Artikel gegeben hat.
Nun, Art. 83 sagt im französischen Text, daß die Schaffung der Eisen- und Stahlgemeinschaft in keiner Weise — es heißt: „ne préjuge en rien le régime de propriété" —, also daß sie in keiner Weise die Eigentumsverhältnisse beeinflusse. Der deutsche Text ist an zwei Stellen falsch übersetzt. Die deutsche Übersetzung heißt: „Die Einrichtung der Gemeinschaft berührt in keiner Weise die Ordnung des Eigentums". Nun, die Schaffung dieser Gemeinschaft berührt die Ordnung des Eigentums, z. B. in Belgien, wenn Gruben geschlossen werden, und auch an vielen anderen Stellen außerordentlich nachhaltig. Der französische Text sagt dem gegenüber, daß die Schaffung der Gemeinschaft nichts präjudiziere. Es handelt sich auch nicht um die „Ordnung des Eigentums" — das hat sich offenbar in die Übersetzung eingeschlichen, weil wir das von den Amerikanern in der Übersetzung immer gehört haben —, sondern es handelt sich um die „Eigentumsverhältnisse". Das Französische ist klar: Änderungen im Regime der Eigentumsverhältnisse werden nicht präjudiziert; mit anderen -Worten: der Schumanplan greift dem nicht vor. Der gewissenhafte Jurist Herr Dr. von Merkatz hat sehr genau gewußt, warum er im Ausschuß für Wirtschaftspolitik gegen die Interpretation, die wir vom Regierungsvertreter zu diesem Artikel uns erbeten haben, seinen verhaltenen, aber energischen Protest zu Protokoll gegeben hat.
Schauen Sie, meine Damen und Herren, das ist eine Situation, die ich grotesk und phantastisch finde.
Und nun meine ich, daß ich noch eines hinzufügen darf. Der Herr Staatssekretär des Äußeren ist ja schon damals im Ausschuß für Wirtschaftspolitik auf diese Dinge aufmerksam gemacht worden und dann auch noch einmal im Ausschuß für Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten. Was war die Entgegnung? Was hat der Professor Hallstein geantwortet? — Er hat gesagt: Wir haben
nicht Zeit gehabt, einen authentischen deutschen Text
in Paris herzustellen, weil wir sonst nicht den Ter-
min der Unterzeichnung hätten einhalten können.
Man hat — und das ist ja auch nicht ganz ohne Interesse — aus romantischem Europäertum heraus unbedingt ein Jahr nach der Verkündung die Unterzeichnung haben wollen.
Aber, Herr Staatssekretär des Äußeren — und dies gilt auch als ein sehr ernsthaftes Wort an den Herrn Außenminister Dr. Adenauer —: Wenn man damals nicht die Möglichkeit hatte und sich darüber im klaren gewesen wäre, daß man wirklich genau das unterschreiben wollte, was im französischen Text in der klarsten Sprache der Welt niedergelegt ist, dann kann ich dafür noch Verständnis haben. Aber daß man seit dem 18. April 1951 sich nicht die Mühe genommen hat — und man wird doch hoffentlich nicht etwa sagen, man hätte nicht die Zeit gefunden —, die Nachholung dieses authentischen Textes vorzunehmen und ihn mit dem französischen Text abzupassen und dann das zu machen, was in allen internationalen Verträgen üblich ist, daß es nämlich, wenn man einen Vertragstext in deutscher und französischer Sprache aufschlägt, in der Schlußformel heißt: „Diese beiden Texte sind identisch und in jeder Sprache verbindlich", — daß das nicht nachgeholt worden ist, ist vollkommen unverständlich und unfaßbar. Wenn das in einem kleinen Abkommen über sozialpolitische Dinge oder anderes passiert wäre, hätte man sich gewundert. Dort passiert es nicht. Daß es hier bei dem Vertrage geschehen ist, zu dessen Ratifizierung der Bundestag aufgefordert wird und der Deutschland auf fünfzig Jahre bindet, daß hier also von den deutschen Abgeordneten über einen französischen Text abgestimmt wird, das ist glaube ich, einmalig in der Geschichte.
Schauen Sie, ich habe das auch deshalb vorgebracht — und ich bitte Sie, das nicht etwa als eine kleine Nebenangelegenheit zu betrachten —: Der französische Berichterstatter — ich muß noch einmal auf ihn zurückkommen, obwohl man ihn heute abend schon öfters genannt hat — hat in der französischen Kammerdebatte dem Sinne nach gesagt:
Denken Sie auch noch an eines: Es gibt nur einen verbindlichen Text, und der ist in französischer Sprache.
Und damit haben wir den großen Vorteil, daß dieser französische Text, daß französisches .Rechtsdenken und französische Rechtsinterpretation auch für den Gerichtshof maßgeblich sein werden.
Das mußte ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.