Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion wird mit zwei Rednern zu diesem Gegenstand sprechen. Ich bin deshalb genötigt, mich nicht so streng an die Gliederung, wie sie vereinbart worden ist, zu halten, sondern auch einige allgemeine Bemerkungen zum Schumanplan zu machen.
Der Schumanplan ist der Anfang einer Verfassung für Europa. An ihn müssen wir deshalb auch ähnliche Anforderungen stellen, wie wir sie an eine Verfassung zu stellen haben. Entspricht er diesen Notwendigkeiten? Wir leben in einem Zeitalter der Krise des organisch gewachsenen und echten Menschentums. Der Apparat und die Organisation treten an dessen Stelle. Organisch gewachsene Einheiten werden in ihrer Bedeutung schwaçh. Das gilt für die Familie, für die Nachbarschaft und auch für die Gemeinden. Dabei haben die Funktionen des Gemeinschaftslebens in erheblichem Maße zugenommen. Diese Aufgabengebiete werden jetzt aber nicht mehr durch die natürlich gewachsenen Gebilde erledigt, sondern zweckhaft und rational organisiert. Krankheits- und Altersfürsorge, Hygiene, Normung, Standardisierung, öffentlicher Wohnungsbau, Lenkung von Wirtschaft und Produktion, Verteilung nach innen und außen, sind Kennzeichen der neuen. Organisationsgebiete.
Diese Entwicklung ist weltweit. Ihre formalen, rationalen Prinzipien sind sogar auswechselbar. Als Beispiel nenne ich das formale Prinzip des Marshallplans, das aufgegriffen und beantwortet wurde im Molotowplan. Der Mensch gelangt immer mehr unter den Einfluß der Organisation und damit des formalen Prinzips der Macht, geboren aus Rationalismus von Wissenschaft und Technik.
In diesem Geiste des Rationalismus und des Funktionalismus ist auch der Schumanplan erdacht und ausgearbeitet worden. Er schafft neue supranationale Macht, ohne Angst zu haben, daß hiermit ein Machtmißbrauch verbunden sein könnte, und ohne diesen Machtmißbrauch durch ethische Normen oder entsprechende Kontrollorgane zu begrenzen. Wenn man von diesem Plan spricht, so spricht man von Macht, von vorteilhaftem Geschäft, von Nachteil, von rationellen Organisationsprinzipien. Sichern uns aber nicht eventuell andere Unwägbarkeiten vor etwaigem Machtmißbrauch einer solchen neuen supranationalen Machtkonzentration, z. B. die vielberufene europäische Tradition? Ich fürchte, nein! Der religiöse und ethische Gehalt unserer europäischen christlichen Tradition ist nicht mehr so dicht und allgemein verbindlich, daß er Sicherheit bieten könnte.
Wer will beispielsweise die Gewähr dafür übernehmen, daß nicht in einzelnen Mitgliedstaaten des Schumanplans kommunistische Experimente gemacht werden? Oder wer will die Gewähr dafür bieten, ,daß ein echtes Verantwortungsbewußtsein bei allen Mitgliedern der Hohen Behörde nicht zurückgedrängt wird zugunsten eines nationalen Egoismus bei allen diesen Persönlichkeiten.
Es ist eine Tatsache, daß die Zunahme der technischen Mittel der Machtausübung im umgekehrten Verhältnis zur Abnahme des Verantwortungsbewußtseins steht. Die NS-Diktatur hat bewiesen, daß die Macht des Geistes gering ist und daß sie sich gegen den brutalen Gewaltwillen unserer Zeit nicht durchsetzen kann. Ob deshalb der Schuman-plan als Erzeugnis bloß rationalen Machtdenkens das hält, was man sich von ihm verspricht, hängt davon ab, ob die verantwortlichen Leiter ein neuer
Geist erfüllen wird, und ob die formalen Bremsen des Machtmißbrauchs, die er enthält, auch ausreichend sind. Je besser diese Bremsen, umso besser ist auch die Wirkung auf das Gewissen der Verantwortlichen. Denn nichts korrumpiert auch die Seele so leicht wie der Besitz und der Gebrauch der Macht an sich. Je größer die Macht, desto leichter die Versuchung, sich ihrer zu bedienen, es sich leicht zu machen und Zwang auszuüben, statt zu überzeugen. Jeder nicht sachgerechte Zwang muß aber eine unheilvolle Kettenreaktion des Widerstandes, des verstärkten Zwanges usw. auslösen.
Die Anwendung der Machtmittel de Hohen Behörde muß nicht zwangsläufig zu diesem befürchteten Machtmißbrauch führen und braucht nicht in einen monströsen Überstaat zu enden. Wir Menschen sind es, die aus menschlicher Freiheit die Richtung des Machtgebrauchs bestimmen. Wir selbst sind für Gut und Böse verantwortlich und damit verantwortlich dafür, was aus diesem Werke wird.
Die Richtung des Machtgebrauchs des Schuman-plans ist in den ersten Artikeln festgelegt. Reicht aber diese Festlegüng aus? Werden die Wünsche und die Sehnsucht des kleinen Mannes nach Frieden und Freiheit damit eher erfüllt werden können? In dem Art. 2 heißt es, daß der Plan zur Ausweitung der Wirtschaft, zur Steigerung der Beschäftigung und zur Hebung der Lebenshaftung beitragen soll. Schon die Tatsache, daß diese Ziele — Ausweitung der Wirtschaft, Steigerung der Beschäftigung, Hebung der Lebenshaltung — rein rationale Ziele sind, die sich auch eine kommunistische oder auch eine sonstige Diktatur stellen könnte, zeigt, daß diese Zielsetzung allein unser Ideal nicht befriedigen kann. Wo finden wir in den grundlegenden Artikeln des Plans den Willen zum Maßhalten, die Pflicht zur Verantwortung und zur Unterordnung der Macht unter das Menschentum? Wo sind Menschenwürde und Werkgerechtigkeit erwähnt? Wo finden Sie die Forderung der Sicherstellung von Familien, von sozialer Gerechtigkeit, von Privateigentum, die Bindung des Plans an die Bewahrung von Frieden und Freiheit?
Wo finden Sie alle diese Dinge, die in den Grundrechten einer Verfassung aufgeführt sein sollten und insbesondere auch in den ersten Artikeln des Schumanpians aufgeführt sein müßten, wenn nicht der Plan als bloß rationale und formale Organisation in die Gefahr kommen soll, einmal zu unmenschlichen Zielen ausgenutzt werden zu können? Ist nun auch organisatorisch das Mögliche und Notwendige getan, um Machtübermaß und Machtmißbrauch zu verhindern? Der Hohe Gerichtshof kann bei einzelnen Mitgliedstaaten, jedoch nicht bei Verletzungen der Rechte einzelner 'Menschen, einzelner Einwohner der Mitgliedstaaten angerufen werden. Er scheidet hier aus. Wie nun, wenn in allen Mitgliedstaaten die Hohe Behörde sich als eine. Union der starken Hand auswirken sollte und die vorerwähnten Prinzipien nicht beachten sollte, wenn z. B. ein übergroßer Teil des Sozialprodukts — in sämtlichen Mitgliedstaaten wohlgemerkt — den Wirtschaftszweigen Kohle und Stahl zugeführt wird und andere Wirtschaftszweige darunter zu leiden haben? Oder wenn Quotenregelungen zugunsten bestimmter öffentlicher Verwendungszwecke — ich will hier gar nicht deutlicher werden — festgelegt werden und der Endverbraucher darüber zu kurz kommt? Wer kann hier regulierend und kontrollierend eingreifen? Soweit ich sehe, niemand.
Ohne eine echte Volksvertretung europäischen Ausmaßes, von der die Hohe Behörde wie von einem Parlament abhängig ist, handelt es sich bei ihr um eine autoritäre Einrichtung, eine Union aus starken Männern. Sie ist eine Art Regierung, die umfassende Vollmachten hat und die Machtfülle, wie sie der technische Apparat den Regierungen und der Exekutive in unserem Jahrhundert ganz allgemein zuweist. Die Hohe Behörde kann vollendete Tatsachen schaffen, und an diesen vollendeten Tatsachen kann im Wirtschaftsleben dann kaum noch etwas geändert werden.
Wie soli beispielsweise ein Mißtrauensvotum zu-. Stande gebracht werden können, wenn ein Teil der Mitglieder der Versammlung aus regierungstreuen Abgeordneten eines jeden Landes und dazu vielleicht auch noch aus Interessenten ausgesucht wird? Die Funktion der Opposition in der Versammlung ist nicht gesehen oder lahmgelegt, weil sie keine echten Rechte hat.
Es gibt keine laufende Unterrichtung, keine regelmäßige Ausschußtätigkeit, keine Initiative und keine Legislative. Wenn absolute oder Zweidrittelmehrheit verlangt wird wie im Schumanplan, ist an ein Mißtrauensvotum praktisch kaum jemals zu denken.
Auch der Rat kann die Funktionen der Vertretung der Bevölkerung nicht wahrnehmen, da er selbst nur einen Ausschuß der Exekutive der Mitgliedsländer darstellt. Das ist der zweite wesentliche Fehler des Vertragswerks, die fehlende Kontrolle der Verantwortlichkeit gegenüber der Bevölkerung der Mitgliedsländer. Es ist bekannt, daß eine bessere Konstruktion von der Bundesregierung angestrebt worden ist; sie konnte nicht erreicht werden. Auch die Abänderungsbestimmungen des Vertragswerks sind so erschwerend gefaßt, daß ohne Einstimmigkeit praktisch eine Abänderung niemals möglich sein wird.
Es ist nun aber zu hoffen, daß mit Rücksicht auf die Tatsache, daß der Schumanplan nur ein wirtschaftliches Teilgebiet aus dem Gesamtwirtschaftsleben eines jeden Staates regelt,
die Hinzunahme weiterer Teilgebiete des Wirtschaftslebens der Mitgliedsländer in eine entsprechende supranationale Hohe Behörde Formulierungen ermöglichen wird, die den Notwendigkeiten, die ich eben umrissen habe, gerecht werden und die Lücken, die der Schumanplan jetzt enthält, demnächst auszufüllen gestatten.
Unter diesem Aspekt müssen auch zahlreiche wirtschaftliche Bestimmungen des Schumanplans gesehen werden. Ohne Vertrauen in die dynamische Entwicklung müßte es z. B. ganz unerträglich sein, einen Vertrag auf 50 Jahre ohne Korrekturmöglichkeit abzuschließen. Die Interessengegensätze würden sonst zu unerträglichen Kämpfen führen müssen. Wer kann heute wagen, auf so lange Vertragsdauer Verträge zu machen? Der Blick in die Zukunft ist sicher jedem Sterblichen verwehrt. Aber gerade unsere heutige Zeit ist so verworren, daß es uns schon schwierig wird, auch nur kurzfristige Planungen durchzuführen. Andererseits ist ohne die Zusage, sich jahrzehntelang an ein solches Vertragswerk gebunden zu halten, der Abschluß unmöglich. Man wird also zwischen zwei Unbekann-
ten zu wählen haben, einem Europa ohne Schumanplan und einem solchen mit Schumanplan. Die erste Alternative eröffnet so düstere Aspekte, daß die Option für den Schumanplan weniger schwierig ist, als sie es sonst wäre,
Die Höhe der Stahlproduktion im Plangebiet wird von der Verfügbarkeit an Kohle bestimmt. Heute werden amerikanische und polnische Kohlenlieferungen getätigt, die die Stahlerzeugung maßgeblich beeinflussen. Es fragt sich nun, welches Land zuerst auf die teure Importkohle verzichten soli und ob die Devisen zur Zahlung dieser Importkohle demnächst noch vorhanden sein werden. Es wird eines außerordentlichen Maßes von Verantwortungsbewußtsein bei der Hohen Behörde bedürfen, und ihre Mitglieder werden sich ganz von nationalen Sonderwünschen freimachen müssen, wenn eine Lösung, die allen Beteiligten gerecht werden soll, gefunden werden soll. Das Gesetz der Beharrung gilt j a nicht nur in der Mechanik, sondern auch weitgehend im politischen und wirtschaftlichen Leben. Da es bisher so schön mit den Zwangsexporten für die Benelux- und die französischen Interessen geklappt hat, besteht die Gefahr einer Fortsetzung dieser Exporte in. gleicher oder annähernd gleicher Höhe zunächst durchaus.
Der Fortfall der Kapazitätsbegrenzung bedeutet noch nicht,. daß die Hohe Behörde Kapitalzuleitungen nach Deutschland befürworten wird. Sie wird vielleicht nicht hindern wollen, daß wir selbst durch eigenes Kapital Kapazitäten ausweiten; zunächst ist es aber sicher im Sinne des Planes wirtschaftlicher, vorhandene Kapazitäten in einem der Teilnehmerländer — beispielsweise in Frankreich — voll auszunutzen, ehe neue Kapazitäten in Deutschland geschaffen werden. Dies selbst dann, wenn die Selbstkostenrechnung der deutschen Werke günstiger sein sollte als die der französischen. Wenn wir also auch durch den Schumanplan etwa einen gleichen Start in formaler Hinsicht erlangen, so ist doch die durch die Demontagen einerseits und den Kapazitätsausbau andererseits gegebene Kapazitätsverschiebung nicht rückgängig gemacht, sondern muß in der Konstruktion des Schumanplans einen langdauernden Einfluß ausüben. Man sollte allerdings nicht verkennen — das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger Gesichtspunkt —, daß das französische Arbeitskraftpotential sehr beschränkt ist und daß aus diesem Grunde die Bäume dort nicht in den Himmel wachsen werden.
Die Frage der Entflechtung der deutschen eisenschaffenden Industrie wird insofern von großer Bedeutung sein, als durch die Zusammensetzung der deutschen schwerindustriellen Betriebseinheiten deren Selbstkostenrechnung und damit deren Wirtschaftlichkeit entscheidend beeinflußt werden kann. Wenn daher die deutsche Montanindustrie in die Montan-Union mit Unternehmungen eintreten muß, deren Wettbewerbskraft durch ihre innere Gliederung geschwächt worden ist, dann könnte dies eine Diskriminierung bedeuten. Ob dies aber der Fall ist, muß sich erst zeigen.
Die Frage der Absatzorganisation für den Ruhrbergbau ist auch durch die jüngsten alliierten Vorschläge und Erklärungen der Bundesregierung noch nicht gelöst. Diese Frage kann aber vielleicht zunächst auf sich beruhen bleiben, wenn die herrschende Mangellage noch längere Zeit andauern sollte. Da niemand die künftige Absatzentwicklung voraussehen kann, die Mangellage aber in der nächsten Zukunft die größere Wahrscheinlichkeit hat, kann man diese Frage vielleicht zurückstellen und erwarten, daß durch Verhandlungen eine günstige Lösung gefunden werden kann.
Die Belastung der deutschen Volkswirtschaft mit Ausgleichszahlungen stellt ein erhebliches Opfer der Gesamtwirtschaft dar, der Gesamtwirtschaft, die nicht nur durch Kokslieferungen trotz vorhandenen Eigenbedarfs bereits erhebliche Opfer bringt, die nicht nur durch Hinnahme der vorhandenen Startungleichheit eine nur langfristig zu behebende ökonomische Benachteiligung erwarten läßt, sondern die auch noch bares Geld dazu tut, nämlich durch den Verkauf der Kohle unter Weltmarktpreis, um diesen Vertrag überhaupt zu ermöglichen.
Alle diese Opfer sind nur dann gerechtfertigt, wenn der volkswirtschaftliche Ertrag über die Opfer hinaus nachhaltig und langfristig gesteigert werden kann, die menschliche Freiheit gefördert und der Friede durch den Vertrag gesichert werden kann.
Die im Plan selbst vorgesehenen Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität sind dazu nicht die wichtigsten, Die wichtigste Maßnahme überhaupt dürfte die durch den Plan ermöglichte Heranziehung von Auslandskapital in einem Maße sein, wie es bisher einfach unmöglich war. Wenn allein die deutsche Kohleindustrie einen Investitionsbedarf von rund 5 Milliarden, die Stahlindustrie einen solchen von 21/2 Milliarden hat, so zeigen diese Zahlen, daß derartige Kapitalbeträge im Inland überhaupt nicht, sondern nur durch Auslandshilfe aufgebracht werden können. Hier wird der eigentliche Schlüssel zum Gelingen des Schumanplans zu suchen sein. Hier werden auch die anderen Schwierigkeiten, die sich durch den Schumanplan noch ergeben werden, gelöst werden können, die sonst scheinbar ganz unlösbar sind.
Die Regelung eines Teilmarktes, wie es der Kohle- und Eisenmarkt ist, muß Rückwirkungen auf alle übrigen Produktionszweige und Verteilungswege der Volkswirtschaft in einem bisher noch gar nicht absehbarem Ausmaß zur Folge haben. Es ist undenkbar, daß in einem Teilnehmerland eine konservative Geld- und Preispolitik geführt wird, während in einem anderen Land die Theorie des billigen Geldes die praktische Wirtschaftspolitik bestimmt. In diesem Fall müßte notwendigerweise die Bezahlung der Lieferungen an Kohle und Stahl innerhalb der Mitgliedsländer auf große Schwierigkeiten stoßen und früher oder später ganz unmöglich werden, weil ein Austausch der gegenseitigen Lieferungen nicht mehr möglich sein wird. Das Beispiel der Pariser OEEC hat dies zur Genüge bewiesen. Nicht nur eine einheitliche Preisbildungspolitik innerhalb der Mitgliedsländer ist erforderlich, sondern ebenso ein entsprechender Zahlungsapparat mit den notwendigen Barreserven, um etwa auftretende Spitzenbeanspruchungen ausgleichen zu können. Nach den Bestimmungen des Abkommens sind die Mitgliedsstaaten in dieser Beziehung jedoch völlig selbständig, so daß der Schumanplan schon nach ganz kurzer Zeit funktionsunfähig werden und von der Bezahlungs-
und Devisenseite einfach zum Stillstand gebracht werden kann, wenn hier nicht alsbald zusätzliche Abmachungen getroffen werden.
Die Auswirkungen der Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedsländer beeinflussen in entscheidender Weise den Ausgleich der Handelsbilanz
unter ihnen überhaupt und auf allen Warensektoren. Bei verschiedener Politik auf diesem Gebiet dürften die Schwierigkeiten, die notwendigen Zahlungsmittel für den Ausgleich auf dem allgemeinen Handelssektor zu beschaffen, sehr bald auch den Ausgleich auf dem Kohle- und Stahlsektor in Frage stellen. Entsprechendes gilt für die allgemeine Außenhandelspolitik dritten Ländern gegenüber. Es genügt keineswegs, etwa nur die Zölle für Vertragsgegenstände innerhalb der Vertragsländer zum Fortfall zu bringen, da sonst Umgehungshandlungen für Waren, in denen Eisen und Stahl verarbeitet ist, leicht möglich wären. Ohne einheitliche Außenhandelspolitik gegenüber Nicht-Mitgliedsländern könnten Export- und Importkontingente innerhalb der einzelnen Länder relativ leicht übertragen und umgangen werden, wenn Kohle und Stahl einen einheitlichen Markt bilden. Gerade der Gesichtspunkt, daß die Mitgliedsländer der Montan-Union weltwirtschaftlich nicht autark sind und sein wollen, zwingt dazu, auf die Handelsbeziehungen mit dritten Staaten entscheidendes Gewicht zu legen. Hierbei möchte ich vor allem auf die Handelsbeziehungen mit Schweden, aber auch mit den Mitgliedstaaten des Ostblocks hinweisen. Zahlreiche Waren, die jetzt einem Embargo unterliegen, wenn sie aus Deutschland in die Ostblockstaaten geliefert werden sollen, könnten im Verhandlungswege aus diesem Embargo herausgenommen werden, wenn als Vertragspartner die Hohe Behörde die Verhandlungen führt. Dann würde das Mißtrauen, daß dieses Embargo weitgehend bestimmt, wahrscheinlich zu einem erheblichen Teil zerstreut werden können. Wenn wir grundsätzlich davon überzeugt sind, daß unsere Wirtschaftsverfassung besser und damit ertragreicher ist als die kommunistische, so muß der Austausch von Rohstoffen zwischen beiden Wirtschaftssystemen grundsätzlich zum Vorteil des ertragreicheren Wirtschaftssystems ausschlagen. Dieses kann aus den im Tausch gewonnenen Rohstoffen einen höheren Ertrag herauswirtschaften als jenes. Wir sollten uns deshalb nicht von einer dumpfen Angst beherrschen lassen, sondern gerade hier nüchtern und kühl die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen.
Der Schumanplan muß die Gesamtverfassung der Weltwirtschaft verbessern, wenn er sein Ziel erreichen soll. In den Schumanplan-Bestimmungen erinnert manches an die Kartellabmachungen früherer Jahre. Der Geist, der damals dahintersteckte, war die Angst, von einer Absatzkrise heimgesucht zu werden, und das Bestreben, die Not der Absatzkrise dann gleichmäßig auf alle zu verteilen. Diese Absatzkrisen müssen aber nicht sein. Wir haben seit Jahrzehnten in vielen Ländern der Welt die andauernde Vollbeschäftigung. Auch die Absatzkrisen sind nur Menschenwerk
und kein Naturschicksal. Der Ausweg, auf den manche Produzenten verfallen sind, dem Absatz etwas nachzuhelfen, indem man Kriegsmaterial herstellte, ist der schlechteste und volkswirtschaftlich nutzloseste, den es überhaupt geben könnte.
Wenn der Schumanplan die Gesamtwirtschaftsverfassung der Welt verbessert, die nachhaltige Vermehrung der einsatzbereiten Produktionsmittel und ihre bestmögliche Koordinierung auf Grund der Regeln der Marktpreisbildung für den europäischen Bereich und für die Weltwirtschaft erstrebt, insbesondere die Handelsbeziehungen verstärkt und sich nicht als Instrument überholter
Machtpolitik mißbrauchen läßt, dann wird er dem Frieden und der Freiheit der Welt dienen.
Der Schumanplan in seiner gegenwärtigen Gestalt ist unserer Überzeugung nach ein Torso. Er kann reibungslos nicht funktionieren ohne unverzügliche Ergänzungsverträge auf anderen Gebieten. Er übt aber selbst einen starken Zwang zur Ergänzung aus.
Jetzt wird sich zeigen, wer die europäische Staatengemeinschaft ernsthaft will. Entweder kommen
wir jetzt bald diesem Ziele näher, oder aber der
Schumanplan selbst wird nur eine Episode sein.