Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat unter dem 9. Juli 1951 eine Klage eingereicht, erstens gegen den Bundestag
und zweitens, drittens und viertens gegen die Koalitionsfraktionen, mit dem Antrag, festzustellen,
1. daß der vom Bundestag in seiner 35. Sitzung beschlossene § 48 a der Vorläufigen Ge-Geschäftsordnung des Bundestages dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 widerspricht,
2. daß das Recht, aus der Mitte des Bundestages Gesetzesvorlagen einzubringen, ohne Änderung des Grundgesetzes sachlich nicht beschränkbar ist und
3. daß der § 48 a der Vorläufigen Geschäftsordnung des Bundestags das Bundeshaushaltsrecht verletzt.
In der kurzen vorläufigen Begründung wird folgendes ausgeführt. Ich bemerke dazu, daß inzwischen eine eingehendere Begründung eingetroffen ist, daß sie aber dem Rechtsausschuß noch nicht vorgelegen hat und ich deswegen auch noch nicht darüber berichten kann.
Ich darf den § 48 a als bekannt voraussetzen, will ihn nur kurz für diejenigen ins Gedächtnis rufen, denen er gerade nicht gegenwärtig ist.
Abs. 1 des § 48 a der nunmehr ablaufenden Geschäftsordnung sieht vor, daß Finanzvorlagen in der Regel vom Präsidenten nach Anhörung des Ältestenrats unmittelbar dem zuständigen Ausschuß und dem Haushaltsausschuß oder nur dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Der Abs. 2 des § 48 a definiert den Begriff Finanzvorlagen. Der Abs. 3 bestimmt, daß ein Antrag von Mitgliedern des Bundestages, der eine Finanzvorlage darstellt und eine Ausgabenerhöhung oder Einnahmensenkung zur Folge hat, nur dann beraten werden soll, wenn er mit einem Ausgleichsantrag zu ihrer Deckung verbunden ist. Dieser Ausgleichsantrag bildet mit dem Antrag selbst für die Beratung und Abstimmung einen einheitlichen, nicht teilbaren Antrag.
Zur Begründung wird folgendes ausgeführt. Nach Art. 40 des Grundgesetzes gibt sich der Bundestag eine Geschäftsordnung; aber diese Geschäftsordnung kann nach allgemeinen Grundsätzen über die Delegation einer Befugnis nicht die im Art. 40 des Grundgesetzes begründete Befugnis zum Erlaß der Geschäftsordnung überschreiten. Demgemäß müssen Gesetzesvorlagen beim Bundestag eingebracht werden. Das kann durch die Delegation nicht abgeändert werden.
Nach Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes müssen alle Gesetzesvorlagen beim Bundestag eingebracht werden; dagegen verstößt es also erstens nach Ansicht der Kläger, daß ein solcher Antrag lediglich nach Anhörung des Ältestenrates unmittelbar einem Ausschuß zugewiesen werden kann. Zweitens wird darauf hingewiesen, daß nach Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes das Recht begründet ist, aus der Mitte des Bundestages Gesetzesvorlagen einzubringen. Das Recht auf die Initiative umfaßt auch das Recht auf die Ausgabeninitiative, so führt die Klage aus. Dieses Recht sachlich einzuschränken und vop Voraussetzungen abhängig zu machen, ist mit den! Grundgesetz nach Ansicht der Kläger nicht vereinbar. Nach deutschem Staatsrecht könne, so wird ausgeführt, das Initiativrecht nur verfassungsrechtlich eingeschränkt werden. Das Grundgesetz habe eine solche Einschränkung nicht vorgesehen. Statt dessen habe es aber im Art. 113 vorgesehen, daß Beschlüsse des Bundestages, die die von der Regierung nach dem Haushaltsplan vorgeschlagenen Ausgaben erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen.
Durch den § 48 a werde nun, so heißt es in der Klage, die Verantwortung, die der Bundesregierung hier für die Zustimmung oder Ablehnung zugewiesen werde, von der Bundesregierung genommen.
Und endlich, so wird ausgeführt, verstoße der § 48 a gegen den Grundsatz des deutschen Haushaltsrechts der universalen Deckung, weil für bestimmte zu beschließende Ausgaben hier eine spezielle Deckung verlangt werde.
Dieser Antrag ist im Rechtsausschuß beraten worden. Der Rechtsausschuß macht dem Hause keinen bestimmten Vorschlag. Der Rechtsausschuß war der Ansicht, daß wegen der Bedeutung, aber auch wegen der Eigenart dieser Sache die Debatte darüber hier stattfinden und daß es den Fraktionen überlassen werden solle, in der Plenarbesprechung Anregungen nach der Richtung zu geben, ob sich der Bundestag in dieser Klagesache vertreten lassen solle oder nicht. Die Frage, die uns hier vorliegt, ist nämlich nicht die Sachfrage: Wer hat in diesem Streit recht? Die Frage ist: Soll sich der Bundestag in diesem Prozeß vertreten lassen?
Außer dem Bundestag sind auch die Regierungskoalitionsfraktionen verklagt worden. Die FDP hat mitgeteilt, daß sie ihre Fraktion nicht für passiv legitimiert ansehe. Diese Stellungnahme wird, wie ich soeben hörte, von der FDP-Fraktion gleich noch näher vertreten werden.
Nun ist die Frage der Passivlegitimation der Fraktionen für dieses Haus jedoch uninteressant. Von Interesse ist dagegen die Frage: Soll sich der Bundestag selbst vertreten lassen? Es wurde im Bundestag die Ansicht geäußert, daß es, da es sich um einen Streit der Opposition mit den Regierungsparteien oder umgekehrt handele, deswegen an sich Sache der streitenden Parteien sei, den Verfassungsgerichtshof anzurufen und ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten.
Dagegen wurde dann geltend gemacht, daß passiv legitimiert lediglich der Bund sein könne, wobei dann die Schwierigkeit entsteht, daß der Bundestag zwar eine einheitliche Meinungsäußerung nach außen von sich geben kann, daß aber die Frage ist, ob der Sprecher des Bundestages, falls einer bestimmt wird, in der Lage ist, diese Erklärung auch für die Opposition abzugeben. Es müßten dann vielleicht zwei Sprecher, einer der Opposition und einer der Regierungsparteien, das Wort vor dem Verfassungsgerichtshof haben, wobei übrigens allen Fraktionen, auch den Nicht-Koalitionsparteien, die Möglichkeit gegeben ist, sich vor dem Bundesverfassungsgerichtshof vertreten zu lassen und ihre Stellung dort selber zu beziehen.
Ich habe Ihnen diese Standpunkte, die im Rechtsausschuß zur Erörterung gekommen sind, als die Sache dort besprochen wurde, darzulegen und Ihnen den Sachverhalt zu unterbreiten. Dagegen hat der Rechtsausschuß beschlossen, Ihnen keinen Vorschlag zur Sache zu machen.