Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich antworte lediglich auf das, was Herr Abgeordneter Bazille hier vorgetragen hat.
Ich habe aus Anlaß einer Wahlversammlung bei Nachwahlen zum Bundestag in Nürnberg/Fürth die Tatsache festgestellt, daß die wirklichen Invaliden, die wirklich Arbeitsunfähigen ungenügend versorgt sind,
daß die Rente, die wir ihnen gewähren, nicht ausreicht, ein auch nur einigermaßen anständiges Leben zu führen, und ich habe die Frage aufgeworfen, wie das angesichts der doch enormen Leistungen der Sozialversicherungen sowie des Bundes, der Länder und der Gemeinden möglich ist. Das habe ich getan. Ich habe erklärt, daß einer
der Gründe offensichtlich der Mißbrauch der Renten ist, und habe dabei nicht ein eigenes Urteil abgegeben — ich habe mich gehütet! —, sondern habe gesagt: ein Arzt, der in der Rentenversicherung hervorragend — —
— „Oh feig"? Wenn Sie nur ein Quentchen des Mutes hätten, dann hätten Sie diesen Antrag nicht eingebracht, der doch ein herrlich bequemes Mittel ist, — —
Einer der führenden Ärzte in der Rentenversicherung hat mir erklärt, daß nach seiner Überzeugung
ein Drittel der Renten zu Unrecht bezogen werden.
Ich habe keinen Grund, an dieser Tatsache, die belegt ist, irgendwie zu zweifeln.
Nun werden Sie nicht erwarten, daß wir diesen Antrag zum Anlaß nehmen, das ganze Problem der Renten aufzuwerfen. Ich halte es für ein wesentliches Problem, meine Damen und Herren. Ich habe mich gegenüber den Unterstellungen der Verbände, die sich an mich gewandt haben, sehr ablehnend geäußert. Das ist mein gutes Recht. Ich lasse mich von niemandem schulmeistern.
Ich lasse mich auch nicht vom VdK schulmeistern; alles, was recht ist!
Glauben Sie denn, ich hinge an meinem Amt?
Glauben Sie, deswegen, weil ich ein Amt habe,
hätte ich nicht das Recht, meine Meinung zu sagen?
— Alles, was recht und billig ist!
Nun, ich bin ja auch kein heuriger Base, meine Damen und Herren.
Ich habe in meinem Antwortbrief an die Leitung des VdK erklärt, daß ich mich mit diesem Problem schon seit Jahrzehnten befasse, und ich könnte wirklich vieles darüber sagen. Aber, Herr Abgeordneter Bazille, wie können Sie aus meinen Ausführungen heraushören wollen, ich wollte einem Invaliden die ihm zustehende Rente nicht gönnen oder wollte sie ihm vorenthalten! Wie können Sie behaupten — ich halte das für ungeheuerlich —, ich wollte den Opfern des Krieges die ihnen zukommende Versorgung nicht zugestehen!
Das Gegenteil ist richtig! Ich will jedem echten Opfer der Arbeit und jedem echten Opfer des Krieges eine höhere Versorgung gewähren, als sie sie bis jetzt bekommen.
Meine Damen und Herren, ich habe ja nicht allzuviel Tugenden,
aber vielleicht die eine, daß ich manchmal wunde Punkte anrühre.
— Das beweist Ihr Aufheulen.
Das beweist aber auch ein anderer Umstand: Ich bekomme, seitdem Ihre Aktion gegen mich eingesetzt hat, jeden Tag Briefe, in denen mir gesagt wird: Endlich hat einmal einer, der doch auch mit Verantwortung trägt,
auf einen Mißstand sondergleichen hingewiesen! Die Menschen wissen, welcher Mißbrauch mit den Renten getrieben worden ist. Dahinter, meine Damen und Herren, steckt doch ein ganz echtes soziales, nach meiner Meinung auch wirtschaftspolitisches Problem: das ist das Problem der Verrentung unseres Volkes.
Wir wissen doch, daß Renten bezogen werden, für die kein echter Bedarf vorliegt, daß Fehler in unseren Gesetzen liegen, daß Renten zu Unrecht bezogen werden, ich will einmal sagen, neben dem Gesetz, und daß Renten zu Unrecht bezogen werden gegen das Gesetz.
— Soll ich Ihnen wirklich Material vortragen?
— Dann leben Sie auf dem Mond, meine Damen und Herren! Dann haben Sie keine Ahnung, was hier spielt!
Ich wiederhole, was ich in meinem Brief an die Leitung des VdK gesagt habe: Das ist doch ein echtes Problem, meine Damen und Herren,
daß die Sucht nach Rente am Ende den Willen zum echten Arbeitseinsatz lähmt.
Das ist das Urteil aller verantwortungsbewußten Ärzte, daß die Rentenpsychose, die nach 1945 eingesetzt hat, viel gefährlicher ist als jene nach dem ersten Weltkrieg, die wir erst sehr spät überwunden haben.
Soll ich Ihnen Ziffern sagen?
Ich sage sie Ihnen gern. Lassen Sie sich einmal von der Fürsorgestelle in Wetzlar für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene sagen, die eine Statistik über rund 2600 Kriegsbeschädigte aufgestellt hat. Ich sage ausdrücklich: das ist nicht die Feststellung einer Schuld, sondern das ist eine Tatsache. Von diesen rund 2600 Kriegsbeschädigten sind rund 2300 voll erwerbsfähig und voll im Leben tätig, — Gott sei Dank! Sie sind es aber. Das heißt: in unseren Gesetzen bestehen doch Fehler und Mängel.
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Bundespostminister eine Rente bezieht, — ist das in Ordnung? Wenn man ihn beinahe zwingt, eine Rente zu beziehen,
liegen da nicht Fehler in unserer Gesetzgebung vor mit der Folge, daß die wahrhaft Bedürftigen nicht das bekommen, worauf sie nach meiner Überzeugung Anspruch haben?
Haben Sie nie etwas von einer Rentenneurose gehört? Haben Sie das nicht erlebt? Ich bin ein Anwalt, der immerhin 25 Jahre im Beruf war; und niemand kennt, glaube ich, das Leben in seinen Hintergründen und in seinen Abgründen besser als der Anwalt. Ich habe Hunderte von Unfallprozessen geführt, meine Damen und Herren, und weiß: Wenn der Prozeß zu Ende war, dann war es auch zu Ende mit dem Zittern und mit dem Schwindel und mit dem Kopfweh.
— Meine Damen und Herren, Sie wollen mich ja nicht verstehen, wenn Sie sich erregen. Sie wollen — —
Aber es ist ja sinnlos, wenn Sie nicht aufhören, sich über diese Dinge zu erregen.
Ich kann nicht mehr sagen als: ich empfinde es als ein ganz entscheidendes und wesentliches Problem. Wenn ich in meinem Brief angedeutet habe, welche Schwierigkeiten, will ich einmal sagen, in dem Verhalten der Ärzte liegen, so kann ich Ihnen nur sagen: fragen Sie die Ärzte hier in diesem Hause, welchem Druck sie ausgesetzt sind und welcher Zwang — —
- Nicht zuletzt von den Rentensüchtigen, die die Ärzte unter einen gewaltigen Druck setzen!
Und, meine Damen und Herren, welche Grenzen der Medizin gesetzt sind, das weiß ja auch derjenige, der den Dingen nahesteht.
Bitte, was wollen Sie mit Ihren Anträgen? Sie wollen mich mißbilligen. Meine Herren von der KPD und von der SPD, ich möchte fast sagen:
Welche Verwirrung der Gefühle, welche Verkennung der Sachlage!
Der Grad Ihrer Mißbilligung kann den Grad meiner Mißbilligung nicht erreichen.