Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich habe das hier schon einmal sagen müssen: mir ist es unverständlich, wie eine menschlich so sympathische Frau sich hier zur Verfechterin so unsympathischer Gedankengänge machen kann.
Ich möchte nur einiges Ihrer Ausführungen richtigstellen, Frau Kollegin. Glauben Sie, daß es geschmackvoll ist, den Freitod der Münchener Abiturientin hier zu einem Stück Ihrer Propagandamaschinerie zu degradieren?
— Ich glaube, lieber Herr Kollege Renner, wenn Sie es darauf ankommen lassen, kann ich noch lauter schreien als Sie!
Ich glaube, auch ein anderes Beispiel zieht nicht, Frau Kollegin Thiele. Sie sagten, daß der Herr Bundesinnenminister den Bundesgrenzschutz als Reservoir für junge Menschen ansehen wolle. Ich möchte Ihnen mal die Rechenaufgabe aufgeben, wo wohl mehr junge Menschen sind, bei den 10 000 Mann Grenzschutz oder den 60 000 Mann der Volkspolizei unter den Generalen von Lenzky, Lattmann und Vincenz Müller, in den sogenannten Volkspolizeidienststellen, die in Wirklichkeit motorisierte, mechanisierte Schützenregimenter sind.
Es ließe sich auch zu der Frage der Studenten manches sagen. Sie haben die Not der Studenten beklagt. Mich wundert es dann, daß soviel junge Menschen aus der Sowjetzone hierher kommen und bei uns unter diesen Entbehrungen studieren. Anscheinend sind bei Ihnen Zustände, die noch viel schlimmer sind als die Entbehrungen, die sie hier auf sich nehmen müssen.
— Ja nun, Herr Kollege Renner, ich möchte Ihnen auch noch ein drittes Rechenexempel geben. Vielleicht lösen Sie einmal die Frage: Wie kommt es, daß über 1 1/2 Millionen Menschen aus der Sowjetzone hierher unter das angeblich so ungerechte System des Westens kommen? Warum haben wir keine Gegenbewegung jener Idealisten, die nach der Sowjetzone zu Ihren Idealen gehen?
Vielleicht sollten wir mal darüber sprechen — aber das gehört nicht zu diesem Thema —, ob nicht ein Ausweisungsgesetz für alle diejenigen beschlossen werden müßte, die die Freiheit des Westens zum Kampf gegen die Demokratie mißbrauchen.
Nun zu dem Jugendplan. Es ist sehr erfreulich, daß wir heute Gelegenheit hatten, neben einigen demagogischen Formulierungen auch sehr ernsthafte Argumente zu dem Bundesjugendplan zu hören. Der Herr Bundesinnenminister selber hat davon gesprochen, daß vieles nicht ganz in Ordnung war und daß der erste Bundesjugendplan manche Kinderkrankheit hatte. Aber man kann nicht von einer Pleite sprechen. Wenn Sie von einer Pleite sprechen, haben Sie vielleicht an die Kasse Ihrer kommunistischen Partei und Fraktion gedacht.
Der Jugendplan hat wahrlich manche Hilfe gebracht, und wir hoffen, daß er noch größere Hilfe bringen wird.
Frau Keilhack hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß es entscheidend darauf ankommt, der berufslosen, der arbeitslosen und der heimatlosen Jugend zu helfen. Wie wir aus dem Bericht ersehen,
soll der Schwerpunkt des kommenden Bundesjugendplans gerade in der sozialpolitischen Betreuung der Jugend liegen. Wir haben hier folgende Zahlen: Aus den Schulen werden bis zum Jahre 1956 je 800 000 bis 900 000 14jährige Jungen und Mädel entlassen. Dann sinkt die Zahl rapide ab, und im Jahre 1962 sind es dann nur noch 200 000 bis 300 000 Jungen und Mädel. Wir bekommen jetzt einen unerhörten Ansturm auf Lehrstellen und können diese Lehrstellen nicht schaffen. Hier müssen Mittel und Wege gefunden werden, um jetzt die erforderliche Zahl an Lehrlingen auszubilden und einem späteren Facharbeitermangel vorzubeugen. Weil wir sehen, daß die meisten Industriezweige und die Handwerksmeister bisher nicht in der Lage waren, alle Schulentlassenen aufzunehmen, obgleich sie heute viel mehr Lehrlinge beschäftigen als zu normalen Zeiten, haben wir schon vor eineinhalb Jahren hier den Gedanken in die Debatte geworfen: Sollten wir nicht zu besonderen Maßnahmen greifen, zu Jugendaufbauwerken, zu freiwilligen Jugendhilfsdiensten? Sie haben in der üblichen Gleichmacherei in der Zeit der Begriffsverwirrung wieder einmal Arbeitsdienst und Jugendhilfsdienst gleichgesetzt. Wir sehen, daß bei dem Wort „Arbeitsdienst" immer gleich der Eindruck entsteht, daß es sich hier um mitternächtliche Sonnenkulthandlungen mit Spatengriffen marschierender Bataillone handelt. Das war doch eine Entartung des Arbeitsdienstes. Der Arbeitsdienst in den 30er Jahren hatte doch auch ethische Grundlagen.
Er wurde von sehr vielen politischen Richtungen
praktiziert. Er wurde aber mißbraucht. Meine
Damen und Herren, was wir wollen, hat nichts mit
einem Arbeitsdienst zu tun. Wir denken uns einen freiwilligen Jugendhilfsdienst in der Art, wie die Jugendaufbauwerke ihn bereits durchführen. Der Herr Minister hat doch sehr deutlich gesagt, was in dieser Selbsthilfe bereits geschaffen worden ist. Wir denken uns, daß in Heimen auf der Basis der Gemeinden, des Landes und des Bundes unter Selbtsverwaltung der Jugendlichen je 100 oder 200 Menschen zusammengebracht werden können, um nach einer Gemeinschaftsarbeit von mehreren Stunden am Vormittag dann am Nachmittag in einem qualifizierten Berufsausbildungsgang durch Meister ausgebildet zu werden, vielleicht sogar mit der Möglichkeit, die Gesellenprüfung in diesen Heimen abzulegen. Wir haben uns jene Umschulungsanstalten zum Vorbild genommen, die z. B. in Pyrmont und anderswo mit sehr gutem Erfolg ins Leben gerufen worden sind.
— Das kostet natürlich sehr viel Geld, Kollege Renner; aber ich weiß nicht, ob es sonst nicht noch teurer wäre. Wenn wir den Entwurf der FDJ annähmen, dann würde uns das allerdings sehr teuer zu stehen kommen. Ich mag die drei Hohen Kommissare auf dem Petersberg nicht; aber mir sind drei Hohe Kommissare immer noch viel sympathischer als Zehntausende von Kommissaren der Roten Armee und der „Volkspolizei", die Sie uns dann bringen.
Das ist der Grund, weshalb wir damals zur Tagesordnung übergegangen sind, als Sie uns die Schablone des FDJ-Gesetzentwurfs mit der Mitbestimmung der Jugend hier vorlegen wollten.
Ich muß noch auf ein zweites Problem hinweisen. Nach der Statistik sind etwa 80 000 junge Menschen auf den Straßen. Sie kommen meistens aus Ihrer glückseligen Zone hierher, um vor dem Uranbergbau zu flüchten. Ich glaube, hierin liegt eine erhebliche Bedrohung unserer Volksmoral, wenn wir nicht den Menschen ein Heim, eine Erziehung, eine Ausbildung verschaffen. Ich wage die Frage aufzuwerfen, wodurch wohl die Volksmoral mehr bedroht ist, ob durch einen Film von der „ewig unsterblich geliebten Sünderin", deretwegen man demonstriert, oder durch das Problem der 80 000 herumstreunenden Halbwüchsigen. Hier sollte man demonstrieren; hier sollte man den Ruf hören und in allen möglichen Institutionen versuchen, dieses Problem zu lösen, nicht im Arbeitsdienst, aber in den Jugendaufbauwerken, wie man es zum Teil praktisch schon getan hat. Frau Kollegin Keilhack, Ihr Minister Albertz hat in Niedersachsen den FDP-Gesetzentwurf mit ganz geringfügigen Änderungen zu dem seinen gemacht.
Sie sehen, in Niedersachsen, an der Front, wo man 23 % Heimatvertriebene hat, und in Schleswig-Holstein sieht man das Problem realistischer und nicht so ideologisch wie hier auf der Parlamentstribüne.
Nun zu dem Problem der vermehrten Lehrlingsausbildung. Wir haben vorgeschlagen, dem Handwerksmeister, der durch die Ausbildung von Lehrlingen in vermehrtem Umfange belastet wird, durch gewisse Sondervergünstigungen einen Anreiz zu geben. Es sind auch andere Gedanken aufgetaucht, z. B. der Gedanke, Abschlagszahlungen zu bestimmen, wenn die Handwerksmeister ein gewisses Soll nicht aufnehmen. Ich glaube, zu diesen Zwangsmaßnahmen sollte man nicht schreiten oder erst dann, wenn alle freiwilligen Maßnahmen keinen oder nicht einen durchschlagenden Erfolg haben.
Zu dem Problem der Jugendverbände! Man spricht so oft vom Bundesjugendring, und ich bin der letzte, der den Bundesjugendring in seiner Wirksamkeit unterschätzte. Aber, Herr Bundesinnenminister, im Bundesjugendring sind nach optimistischen Schätzungen höchstens 40 %, nach weniger optimistischen höchstens 20 % der deutschen Jugend organisiert. Es gibt auch außerhalb der Verbände sehr viele junge Menschen, die man in den „Heimen der offenen Tür" ebenfalls heranziehen sollte. Es wird oft übersehen, was die politischen Jugendverbände, die Ringe politischer Jugend, in denen sich Jungsozialisten, Jungdemokraten und Junge Union zusammengeschlossen haben, für das staatspolitische Gefüge der Bundesrepublik tun.
Es ist sehr einfach, heute in dem gigantischen
Kampf zwischen Ost und West sich in die Neutralität zu flüchten und sich in akademischen Erörterungen zu ergehen; es gehört aber Mut dazu,
sich zu den staatspolitischen Prinzipien rechtsstaatlicher demokratischer Ordnung zu bekennen,
und das tun diese Jugendverbände. Ich glaube, der Zusammenschluß von Sozialisten, von Unionsangehörigen und Jungdemokraten beweist, daß in der staatspolitischen Gesinnung vielleicht die Jungen
den Älteren, die Jugend den Vätern etwas voraus ist.
Denn hier zeigt sich eine Zusammenarbeit. Jene Ringe politischer Jugend sind in großen Foren in Heidelberg, Stuttgart, Köln, Wuppertal und Hamburg an die Öffentlichkeit getreten. Herr Bundesminister, es muß eine wesentlich stärkere Unterstützung des Ringes politischer Jugend erfolgen, weil wir in diesen jungen demokratischen Aktivisten das Beste sehen, was sich heute im politischen Nachwuchs Deutschlands zeigt.
Auch das Jugendherbergswesen ist schlecht weggekommen. Wir wünschten sehr, daß mehr Mittel zur Unterstützung des Jugendherbergswesens zur Verfügung stünden.
Schließlich noch eine Anregung. Man sollte im Rahmen des Bundesjugendplanes in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium auch die Reform des Jugendstrafrechts vorantreiben. Man sollte versuchen, die Einrichtung der Jugendbewährung, die an manchen Gerichten schon eingeführt ist, allgemein auszudehnen. Es ist besser, einem jungen Menschen, der gestrauchelt ist, Bewährung zu geben, als ihn sofort für sein ganzes Leben mit dem Makel einer Gefängnisstrafe zu belasten.
Schließlich noch etwas zur Verteilung der Mittel! Es herrscht heute draußen im Lande eine Manie, nur nach Bonn zu schauen, als wenn von Bonn alles kommen könnte; es wird zu wenig darauf geachtet, daß auch die Länder Verpflichtungen haben. Der Bundesjugendplan kann nicht funktionieren, wenn nicht parallel dazu Landesjugendpläne laufen. Ich möchte manche Kollegin und manchen Kollegen aus diesem Hause doch bitten, mit der gleichen Intensität, mit der sie hier mit uns zusammenarbeiten, auch in ihren Ländern dafür zu sorgen, daß dort in den Landesjugendplänen auch etwas geschieht; denn da sind noch nicht alle Mittel ausgeschöpft.
Ein letztes Wort! Wir haben, Herr Bundesinnenminister, im vergangenen Jahr einige Erfahrungen mit den sogenannten Funktionären der Jugend gemacht. Wir haben festgestellt, daß mancher, nachdem er vom Bundesjugendplan gelesen hatte, gleich hierherkam, wie seinerzeit die Filmleute, als sie von der Filmbürgschaft gelesen hatten, die glaubten, sie könnten sich hier die Subventionen gleich abholen. So einfach ist das nicht! Man muß sehr darauf achten, daß jetzt nicht plötzlich Konjunkturisten in die Jugendarbeit treten. Wir sollten unterscheiden zwischen denen, die von der Jugend leben wollen, und denen, die für die Júgend leben wollen.
An weiteren Anregungen ist hier genügend gebracht worden. Ich möchte nicht noch Dinge wiederholen. Ich möchte auch nicht auf Ihre Zwischenrufe weiter eingehen. Sie haben ja sogar die „Würde des Hauses" streichen wollen, als wir die Geschäftsordnung berieten, Herr Renner. Mich wundert es nicht, daß Sie auch mit dem Bundesjugendplan nicht einverstanden sind. Sie waren noch niemals mit etwas einverstanden, was hier im Hause geschehen ist.
Bei der Einbringung unseres Antrages Drucksache Nr. 1030 vor eineinhalb Jahren gab es ein großes Gelächter, als wir die Berufswettkämpfe zur Ausbildung eines qualifizierten Nachwuchses für alle Berufe wieder forderten. Vor wenigen Tagen haben wir die ausgezeichnete Veranstaltung erlebt, in deren Rahmen der Herr Bundespräsident die Sieger des Berufswettkampfes in der Handwerkerschaft geehrt hat. Ich glaube, wir sollten uns ein Beispiel daran nehmen dafür, daß das, was vielleicht noch 1950 belächelt werden konnte, im Jahre 1951 für uns alle durchaus wünschenswert sein kann, auch der Segelflug, meine Herren Kollegen, dessen Freigabe wir betrieben haben. Sie haben uns das damals auch sehr übelgenommen und erklärt, daß das schon nach Jagdfliegern rieche. Heute ist mancher Ihrer Kollegen froh, wenn er einer Hanna Reitsch bei der Einweihung eines Segelflugzeuges in Hannover die Hand reichen kann.
Man sollte also die Dinge realistisch sehen. In diesen Fragen erwarten wir, Herr Bundesinnenminister, in Zukunft vor allem eine noch stärkere Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Herrn Bundesfinanzminister. Denn entscheidend ist ja beim Bundesjugendplan leider auch der Herr Bundesfinanzminister. Ich glaube, daß man ihm noch manches sagen muß, damit er dieses Problem jugendnäher sieht, als er das im Augenblick tut.