Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch wir freuen uns, daß durch die Initiative des Bundestages ein Anfang gemacht worden ist, ein Anfang mit dem Bundesjugendplan als — ich möchte einmal sagen — ein Dokument des guten Willens, unserer jungen Generation die Not unserer Zeit zu erleichtern und ihr zu helfen, den Weg zu finden, der ihr innerhalb eines demokratischen Staates die Mitarbeit am staatspolitischen Geschehen ermöglicht und die geistigen und seelischen Voraussetzungen dafür schafft.
Der Anlaß für eine solche Aktion des Bundes sind die akuten Nachkriegsnotstände, die besonders hart die Jugend in unserem Lande getroffen haben. Es ist zuerst — ich betone ausdrücklich: zuerst — die Berufs-, Arbeits- und Heimatlosigkeit unserer Jugendlichen, die heute wie vor einem Jahr, als der Bundesjugendplan hier erörtert wurde, gleich schwerwiegend ist. Insbesondere die Berufsnot wird, bis 1954 ansteigend, immer drückender werden. Man rechnet, wenn nicht einschneidende wirtschaftliche Sondermaßnahmen ergriffen werden, 1954/55 mit einer Zahl von etwa 500 000 jugendlichen Berufs- und Arbeitsanwärtern. Dabei lasse ich die Sonderproblematik der Unterbringung der weiblichen Jugendlichen völlig unerwähnt, über die man sich ganz entschieden mehr den Kopf zerbrechen muß, als man es bisher getan hat.
Neben diesem Kardinalproblem unserer jugendpolitischen Arbeit hier im Parlament steht das .zweite, nämlich die Notwendigkeit einer umfassenden Jugendförderung, die unseren Jungen und Mädchen im Bund ein jugendgemäßes Leben in einer Gemeinschaft sichert, vor allen Dingen ihre Berufsfortbildung fördert und in ihnen den Sinn und die Verantwortung weckt, die sie als Staatsbürger in einem Staat tragen müssen, in dem später ihr Leben und ihre Freiheit gesichert werden sollen.
Unter diesem Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, ist der Bundesjugendplan, wie er eben von Herrn Minister Lehr hier erklärt worden ist, wahr-
haftig nur ein Anfang, und zwar ein ganz kleiner Anfang,
und hier setzt auch unsere Kritik an, die Kritik der sozialdemokratischen Fraktion. Denn wir haben zu diesem Plan und zu dieser Auffassung eine völlig andere Grundhaltung, als sie bisher eingenommen worden ist. Unsere Auffassung weicht wesentlich von der Auffassung ab, die bisher in diesem Bundesjugendplan praktiziert wurde.
Der Mittelpunkt alter Überlegungen des Bundesparlaments und der Bundesregierung muß unserer Meinung nach sein, daß man als Kern alter Arbeit, die wir jetzt zu leisten haben, betrachtet — und wir befinden uns da in voller Übereinstimmung mit allen Persönlichkeiten aus der Jugendarbeit, mit allen Länderministern, die in dieser Sache tätig sind, mit allen Wohlfahrts- und Jugendorganisationen und allen Fachleuten dieses Gebiets — die Behebung der Berufsnot und die Behebung der Arbeitslosigkeit, und zwar so weit, wie es überhaupt nur in den Kräften des Bundes steht.
Meine Herren und Damen, Herr Minister Lehr hat eben verkündet, daß drei Millionen DM im letzten Bundesjugendplan, der bis zum Ablauf dieses Haushaltsjahres Gültigkeit hat, für Grundausbildung und Jugendgemeinschaftswerke zur Verfügung gestellt worden sind. Es ist sehr schön, daß wir dafür drei Millionen DM bekommen, und es ist auch eine notwendige sozialpädagogische Maßnahme, die zweifellos getroffen werden muß. Aber sie betrifft nur 20 000 Jugendliche, was bei dem Umfang der Berufsnot heute schon nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Jedoch ist es, was ich betonen möchte, nur eine sozialpädagogische Maßnahme, d. h. eine Überbrückungsmaßnahme, keine echte Berufsarbeit und keine echte Arbeitsbeschaffung.
Es ist ein Hinausschieben eines Zustandes, der in ein, zwei Jahren in voller Schärfe wieder auf uns loskommt. Es ist also völlig falsch, wenn man glaubt, mit diesen drei Millionen DM, die lediglich Grundausbildung und Jugendgemeinschaftswerk umfassen, das Kardinalproblem, die Lösung der Arbeits- und Berufsnot, auch nur annähernd ausreichend angepackt zu haben.
Im letzten Plan, meine Damen und Herren, haben wir, wenn auch unter heftigstem Drängen der Mitglieder des Jugendfürsorgeausschusses und anderer Parlamentsmitglieder, wenigstens noch 20 Millionen Kredit aus Steg-Mitteln zu vergeben gehabt, die das Wirtschaftsministerium leider erst vor einem Vierteljahr und nicht bereits vor einem Jahr freimachen konnte, die aber doch zur Folge gehabt haben, daß zirka 9000 echte zusätzliche Lehrstellen in der Wirtschaft beschafft werden konnten.
Dieses Mal haben wir im Ausschuß nur sehr vage Wünsche der Vertreter des Wirtschaftsministeriums gehört, die auch wahrscheinlich, wie jede Nachtragsforderung, nicht zu realisieren sind, weil offenbar kein zweiter Nachtragshaushalt kommen wird. Der Bundestag hat im April letzten Jahres auf Grund eines Antrags unserer Fraktion unter intensiver Mitarbeit aller Mitglieder des Jugendfürsorgeausschusses sehr brauchbare und sehr durchgreifende Vorschläge für die Behebung der Jugendarbeits- und -berufsnot, d. h. also für die Lösung dieses Kardinalproblems, gemacht. In diesem Jahr hat das Bundesarbeitsministerium sehr gute und sehr eingehende Vorschläge gemacht, die durchaus realisierbar sind. Auch die Arbeitsgemeinschaft Jugendpflege und Jugendfürsorge hat ein Memorandum verfaßt, eine sehr gute Arbeit, die sich auch mit der Behebung der Berufsnot vor allem der 18- bis 25jährigen befaßt. Meine Herren und Damen, hierbei handelt es sich um eine Sonderfrage, an der wir auch nicht ohne weiteres vorübergehen können, die aber in diesem Bundesjugendplan überhaupt keine Berücksichtigung gefunden hat. Wenn die Bundesregierung vor der deutschen Jugend bestehen und dokumentieren will, daß sie es mit der Behebung dieses schwierigen und sehr wichtigen Problems der deutschen Jugend ernst meint, muß sie versuchen, die vorliegenden Vorschläge schnellstens und möglichst völlig zu realisieren. Ich betone noch einmal: es muß zuerst die echte Arbeitsbeschaffung kommen; erst dann können sozialpädagogische Maßnahmen einsetzen, die als Überbrückungsmaßnahmen zweifellos bis zum Jahre 1954, wenn die Zahl der Schulabgänger den Höchststand erreicht haben wird, noch zusätzlich erforderlich sind.
Hinzukommen muß, was ich vorhin schon erwähnte, eine Ausweitung der Hilfsstellung für die Berufsförderung und die Berufsausbildung durch Übernahme der Kosten sowohl für die Unterbringung in einem Jugendwohnheim als auch für die Berufshilfe über den Kreis der bisherigen Empfänger hinaus, über den Kreis der Kriegsfolgenhilfeempfänger, für die zur Zeit nur der Bund zuständig ist. Die Berufsnot geht weit über den Kreis dieser Jugend hinaus. Die- Grundlage für jeden jungen Menschen, gleichgültig, ob er zu dem Kreis der Kriegsfolgenhilfeempfänger gehört oder nicht, ist immer noch die gute Berufsausbildung, die ihn für sein späteres Alter krisenfest macht und die ihm vor allen Dingen auch eine Familienbildung ermöglichen soll.
Es ist sehr bequem, zu sagen: das ist nicht unsere Sache, das ist nicht Sache des Bundes, das ist Sache der Länder! Man kann schließlich von den Ländern nicht verlangen, daß sie angesichts des Ausmaßes der Berufsnot, die eine echte Kriegsfolgenerscheinung ist und die durch die Wirtschaftspolitik des Bundes in keiner Weise gemildert wird,
in dieser Beziehung leistungsfähig sind, und man darf ihnen nicht aus formalen Gründen noch Lasten aufbürden, die zweifellos echte Lasten des Bundes sind und durch den Bund getragen werden müßten. Auch die Mittel der Arbeitsverwaltung, die man für den Zweck einsetzen will, für den ich eben zusätzliche Mittel forderte, reichen bei weitem nicht aus. Unsere Forderung muß also dahin gehen, die Beihilfen des Bundes auch auf Ländermaßnahmen auszudehnen, was eventuell auf dem Wege einer anderen Gestaltung des Finanzausgleiches ermöglicht werden muß; darüber läßt sich durchaus reden. Wird das nicht gemacht, meine Herren und Damen, bleibt der Bundesjugendplan, wenigstens in diesem Punkte, den wir alle als den Kern unserer Aufgabe ansehen müssen, nichts weiter als eine Proklamation.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eine andere Sache in den Blickpunkt der Diskussion rücken. Es ist hoffentlich nicht ein zweckbedingtes Vortasten der Regierung über ein Mitglied der Koalitionsparteien, den Kollegen Mende, gewesen, wenn dieser — wie ich im „Heute" gelesen habe —
so ein kleines Interview gegeben hat, worin er wiederum versucht, dem Jugendhilfsdienst ein bißchen auf die Beine zu helfen.
— Ja, Sie müssen uns schon gestatten, ein wenig mißtrauisch zu sein! Wir haben immer noch einen schlechten Geschmack auf der Zunge von dem FDP-Antrag im Lande Niedersachsen, der dem sogenannten „freiwilligen Arbeitsdienst", der aber in Wirklichkeit doch den Stempel des Zwanges trägt, wieder zum Leben verhelfen wollte.
Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, daß für uns ein Arbeitsdienst in jeder Form völlig undiskutabel ist,
und zwar nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen — die kennen Sie —, sondern weil der Arbeitsdienst für den Jugendlichen nicht die Möglichkeit schafft, sich später eine Existenz zu gründen, und weil praktisch ein Arbeitsdienstmann kostenmäßig viel teurer ist als einer, für den eine echte Arbeitsstelle geschaffen wird.
Wir haben auch die Befürchtung, meine Herren und Damen, daß die Bundesregierung mit Bezug auf die Lösung dieser Berufsnot ein bißchen auf der Stelle tritt, weil sie glaubt, einen Teil der Jugendlichen in den Grenzschutz und alle diese Dinge, die da vor uns liegen, hineinlancieren zu können, ohne daß sie sich dann großes Kopfzerbrechen zu machen braucht.
Ich fasse also noch einmal zusammen, um unseren Standpunkt ganz klar zu präzisieren: die Voraussetzung aller Maßnahmen für die Jugendarbeit in Deutschland muß die Behebung der Arbeits- und Berufsnot der Jugend sein. Sonst sind alle anderen Dinge, die wir hier machen, kleine Trostpillen, aber keine Heilmethoden.
Nun möchte ich zum anderen Teil des Jugendplans kommen, der zweifellos auch sehr wichtig ist. Das Bundesinnenministerium geht bei der Publizierung des Bundesjugendplans immer davon aus, daß alle Mittel jugendpflegerischer und jugendfördernder Art, die Bundesaufgabe sind, es sind im Sinne des positiven Verfassungsschutzes der Bundesrepublik. Ich denke, im Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes gibt es noch eine weitere Grundlage für diese Bundesaufgabe der Förderung der Jugend auf jugendpflegerischem und jugendpolitischem Gebiet. Wenn also die Leistungen für die deutsche Jugend auch auf diesem Gebiet absolut notwendig sind — und wir halten sie für notwendig, wir halten sie für lebensnotwendig für das Wachsen und für den Bestand dieser Jugend, für den Bestand des künftigen Staates und der Demokratie —, wenn es also von der Bundesregierung so empfunden wird, wie es von uns empfunden wird, so müßte ein Weg gefunden werden, die Leistungen des Bundes über die jetzige Beschränkung hinaus, wie sie uns von Herrn Minister Lehr hier präsentiert worden ist, auf weitere Aufgaben auszudehnen und sie nicht nur mit der Beschränkung auf die „zentralen Aufgaben" anzuerkennen. Die Ausdehnung dieser Bundesaufgabe auf die Länder und auf die Gemeinden ist außerordentlich notwendig, und die Anerkennung dieser Tatsache,
die sich aus dem Problem selbst ergibt, könnte sich, wie ich bereits vorher beim Arbeitsproblem sagte, durchaus schon im Finanzausgleich auswirken, der so gestaltet werden kann, daß die Länder und Gemeinden zusätzliche Aufgaben für die Jugend übernehmen können.
Meine Herren und Damen, Sie wissen alle genau so gut wie wir, daß in der gemeindlichen Selbstverwaltung die demokratische Lebensform wirklich verwurzelt werden kann, daß in den Leistungen des engsten Lebensbezirks des Staatsbürgers sich die Art des freiheitlichen, des sozialen und des demokratischen Staates am sichtbarsten offenbaren kann. Sie alle kennen aber viel zu gut und viel zu genau die Finanzlage unten in den Gemeinden, aber auch in den Ländern, um von der Erklärung des Herrn Ministers Lehr bezüglich der mangelnden Zuständigkeit des Bundes befriedigt zu sein. Von dieser Erklärung hat die Jugend gar nichts. Wenn wir also die Aufgabe der Behebung der Jugendnot auf beiden Gebieten für so ernst halten, wie sie es wirklich ist, dann muß der Bund hier mindestens auch in der Gemeindearbeit unterstützend und helfend eingreifen.
Ich glaube, wenn der Wille da ist, wird sich eine gesetzliche Möglichkeit ganz zweifelsohne finden lassen. Schließlich liegt ja das Gesetzgebungsrecht beim Parlament, und es wird sich solchen Vorschlägen der Bundesregierung auf keinen Fall verschließen.
Einen kleinen Hinweis auf die Jugendämter. Sie wissen, daß diese in der Nazidiktatur zu einem Torso gemacht worden sind und daß sie nach 1945 alle Mühe hatten, die ungeheure materielle Not recht und schlecht abzufangen. Sie standen außerdem — und stehen auch heute noch — nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses der Finanzminister. Wenn wir heute verlangen — und das verlangt eigentlich jeder; der Städtetag hat im vorigen Jahr eine Sonderkonferenz mit diesem Thema abgehalten —, daß die Jugendämter lebendige Jugendämter werden, daß sie also weitestgehend erzieherische und staatsbürgerliche Arbeit an der Jugend zu leisten haben, daß sie mit ihren knapp besetzten Dienststellen neue Bundesaufgaben übernehmen, wie z. B. die Ausführung des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und die kommende Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, dann müssen wir ihnen auch helfen, diese Dinge wirklich tun zu können; sonst bleibt alles leeres Gerede. Es ist ein Kopf-in-den-Sand-Stecken, wenn die Bundesregierung sich, wie die Schnecke in ihr Schneckenhaus, auf die Begründung „zentraler Aufgaben" zurückzieht.