Rede von
Herbert
Kriedemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen in Umdruck Nr. 382 unter den Ziffern 18 und 19 vorgeschlagen, die §§ 21 und 22 zu streichen. Herr Präsident, ich
glaube, daß ich die Begründung auch gleich für § 22 geben kann.
Die Eingeweihten wissen, daß gerade über die Heimatauskunftstellen sehr viel geredet worden ist. Der Eindruck ist wohl nicht ganz unbegründet, daß sehr viele Leute an diesem Gesetz insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der Heimatauskunftstellen interessiert sind. Mindestens für diejenigen, die darin beschäftigt werden, wird der Lastenausgleich sehr schnell praktisch werden.
Man hat sich die Fragevorgelegt, wie man denn nun einen Ersatz für die fehlenden Dokumente schaffen soll. Der Herr Berichterstatter hat vorhin mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß in den meisten Fällen — mindestens bei den Vertriebenen — die Dokumente nicht vorhanden sind. Es ist natürlich recht schwer, einen Schaden festzustellen, der nicht belegt werden kann, der aus den bekannten Gründen nicht besichtigt oder an Ort und Stelle abgeschätzt werden kann. Man ist also darauf angewiesen, auf irgendeine Weise Ersatz zu schaffen. Man hat sich das dann so vorgestellt, daß man an Material, an Ortskunde, an Wissen über die lokalen Verhältnisse ersatzweise alles zusammentragen sollte, was man erreichen kann. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, daß das nicht die Angelegenheit solcher Einrichtungen sein kann, wie sie uns hier unter „Heimatauskunftstellen" vorgeschlagen werden.
Meine Damen und Herren, wenn ein Ersatz für Dokumente beschafft werden soll und wenn das dann beweiskräftige Unterlagen sein sollen, dann müssen diese, glaube ich, auf eine ganz besonders sorgfältige Weise zustande gebracht werden. Wir glauben, daß die Heimatauskunftstellen dazu ganz einfach nicht in der Lage sind.
Wir schlagen Ihnen also vor, die beiden Paragraphen zu streichen. Ich will gar nicht im einzelnen auf die gefährlichen Auswirkungen eingehen, die sich hier ergeben, wenn man das Schicksal eines Antrags auf Schadensfeststellung in soundsovielen Fällen von der Stellungnahme mehr oder weniger privater Leute abhängig macht. Jeder mit einigermaßen Lebenserfahrung und einiger Phantasie begabte Staatsbürger kann sich vorstellen, in welch fürchterliche Lage die Menschen kommen, die zu solchen Behauptungen auf den Formularen etwas aussagen sollen, die also sagen sollen: Jawohl, ich kenne den Mann zwar nicht, ich bin niemals auf seinem Hof gewesen, aber aus meiner Kenntnis der Gegend, aus meiner Kenntnis der Umgebung, in der sich das Leben dieses Mannes früher einmal abgespielt hat, kann ich bescheinigen, daß er 33 Morgen hatte, daß er soundsoviel Viehbesatz darauf hatte, daß der Einheitswert so und so war, ich kann auch bescheinigen, daß seine Schulden so und so gewesen sind. So etwas sollte man anständigerweise niemandem zumuten. Bedenken Sie, in welche Fülle von Konflikten Sie die Menschen stürzen, die sich nun bei der Beschaffung der „Dokumente" sozusagen gegenseitig mit ihren Kenntnissen aushelfen müssen. Die Dokumente sind ihnen ohne ihre Schuld verlorengegangen. Überlegen Sie, auf welche gefährliche Weise unser Volk hier immer aufs neue durcheinandergebracht wird. Es hat ja eine erhebliche Mühe gekostet, im Ausschuß die Formulierung wegzubringen, die diese unglücklichen Menschen sogar unter den psychologischen Zwang des Parteieides stellen wollte, und es war nicht sehr einfach, den begeisterten Anhängern einer solchen Feststellungsmethode die Verwen-
dung von eidesstattlichen Versicherungen auszureden.
—Na also, gucken Sie mal in die Unterausschußfassung hinein! Hat es da. nicht dringestanden? Erst im Ausschuß haben wir es herausgebracht. Das kann doch nicht bestritten werden. Sie sind doch selbst immer dabei gewesen.
Meine Damen und Herren, wir sehen eine gewisse Einsicht darin, daß man nun versucht, die Angelegenheit hier etwas harmloser darzustellen, indem man von dem ursprünglichen Plan, für jeden Heimatkreis eine solche Auskunftstelle einzurichten, abgeht und diese Heimatauskunftstellen nur noch auf Regierungsbezirksebene einrichten möchte. Man sagt zwar vorsichtigerweise: „in der Regel". Man hofft offenbar, damit viele Einwände, und zwar sehr begreifliche Einwände, gegen dieses unserer Meinung nach völlig unmögliche und nicht zu verantwortende System der Schadensfeststellung auszuräumen, vielleicht nicht zuletzt die Einwände wegen der außerordentlich hohen Kosten eines solchen Apparates, einer solchen neuen Bürokratie. Wir wissen ja, wie leicht sie sich bei uns in Deutschland a) festsetzt und b) nachher auch munter sprießt. Vielleicht will man auf diese Weise von den hohen Kosten ein bißchen herunterkommen. Aber, meine Damen und Herren, das kann doch gar nicht ernst gemeint sein. Es ist doch klar, wenn es überhaupt eine Chance gibt, mit einem solchen Verfahren einigermaßen vertretbare Resultate zu erzielen, dann doch nur, wenn man ein sehr enges Netz schafft, und doch bestimmt nicht mehr, wenn man es so weitmaschig macht, wie es jetzt hier auf Regierungsbezirksebene gedacht ist.
Wir möchten Ihnen also vorschlagen, nun gleich noch einen Schritt weiterzugehen, diese ganze Geschichte aufzugeben, die beiden Paragraphen zu streichen und für diese Angelegenheiten der Schadensfeststellung diejenigen Stellen zuständig zu machen, die nun einmal in einem geordneten Staatswesen dafür zuständig sind, nämlich die entsprechenden Behörden. Leider haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt, die Behörden, die das Soforthilfegesetz durchführen und denen Sie jetzt hier eine neue und sehr umfangreiche Arbeit aufknacken, nun auch so zu verstärken, daß sie arbeitsfähig sind, daß sie eine Chance haben, mit diesen neuen Aufgaben wenigstens einen Anfang zu machen. Vielleicht besinnen Sie sich noch und machen das in der dritten Lesung. Wir möchten jedenfalls die Behörden, die unter der parlamentarischen Kontrolle stehen und die ja gerade im Rahmen des Soforthilfegesetzes auch weitgehend unter der unmittelbaren Kontrolle und unter der Mitwirkung der Geschädigten selbst arbeiten, mit dieser Aufgabe, Ersatz für Dokumente zu beschaffen, belasten. Wir möchten das deshalb tun, weil wir hier zu ernsthaften und brauchbaren und vertretbaren Unterlagen kommen wollen und weil wir diese Geschichte nicht von persönlichen Freundschaften und Feindschaften abhängig machen wollen. Wir wollen niemanden in die Verlegenheit bringen, sich etwa die Ablehnung seines Antrages damit zu erklären, daß er als einer der wenigen Katholiken in seinem Heimatkreis von den Protestanten in dieser Heimatauskunftstelle natürlich abgewiesen wurde. In soundso viel Fällen wird es auch mal andersrum sein. Es werden da parteipolitische Dinge hineinspielen, und es werden ganz besonders die organisatorischen Fragen dort hineinspielen. Da es auch unter den Vertriebenen solche gibt, die die zuständigen Organisationen nun nicht unter allen Umständen anerkennen, müssen wir uns auch gegen jeden Versuch wehren, den Organisationen, die, wie gesagt, ja keinen Rechtscharakter haben, sondern freiwillige Vereinigungen sind, hier irgendeine Stellung einzuräumen, mit der s é dann u. a. nicht nur über ihre Mitglieder, sondern auch über diejenigen, die bewußt nicht ihre Mitglieder sind, eine Entscheidungsgewalt haben, und zwar eine Entscheidungsgewalt über Fragen, die sozusagen über Tod oder Leben entscheiden.