Rede von
Ernst
Kuntscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich muß mich sehr kurz fassen, aber ein Kapitel kann ich nicht unbesprochen lassen. Das ist jenes Kapitel, das heute die Menschen in Schleswig-Holstein und im nördlichen Niedersachsen auf den Verzweiflungsgedanken gebracht hat, im Frühjahr Trecks zu starten, um auf diese Art und Weise eine Umsiedlung zu erzwingen. Es sind an und für sich Menschen, die seit fünf Jahren geduldig das ihnen vom Schicksal auferlegte Leid getragen haben.
Aber sie wollen endlich aus dieser Verzweiflung,
aus dieser hoffnungslosen Lage heraus, sie wollen
aus ihren ganz elenden Wohnungsverhältnissen
heraus. Wir haben in Schleswig-Holstein noch
110 000 und in Niedersachsen noch 111 000 Menschen in Baracken wohnen. Eine Untersuchung
dieser Baracken auf ihren Bauzustand ergab,
daß ein Drittel als sehr schlecht, ein Drittel
als schlecht und ein Drittel als noch halbwegs bewohnbar bezeichnet werden kann. Die Mittel, die
zur Erhaltung der aus dem Kriege stammenden
Baracken verwendet werden und die vom Bunde
als Kriegsfolgelasten bereitzustellen sind, gehen
jährlich in die Millionen. Alle Fachleute behaupten, daß die Aufwendung dieser Mittel nicht nur unwirtschaftlich ist, sondern daß diese Mittel rationeller verwendet werden müßten, um richtigen Wohnraum zu erstellen. Dazu kommt in diesen Gebieten die Hoffnungslosigkeit, bei de Lage auf dem Arbeitsmarkt jemals eine ständige Beschäftigung zu finden.
Was Kollege Tichi ausgeführt hat, kann nicht unbeantwortet bleiben. Er hat den Vorwurf erhoben, daß auf Bischofskonferenzen und Kirchentagen sehr viel über das Vertriebenenproblem gesprochen worden, daß es aber bei den Worten geblieben sei. Hinter dieser Feststellung, lieber Landsmann und Kollege Tichi, sehe ich einen versteckten Vorwurf. Darauf muß ich die Antwort geben, daß die Kirchen es gewesen sind, die bereits im Jahre 1945, als es noch keine Behörden gab, sich um das Flüchtlingsproblem gekümmert haben und in die Schanze gesprungen sind, und daß sie bis heute Übermenschliches und Undenkliches geleistet haben, um dem Flüchtlingselend zu steuern.
Sie haben auch das Vertriebenenproblem als erste zur internationalen Behandlung gebracht.
Ich möchte auch den Vorschlag des Kollegen von der Bayernpartei betreffend Erhebung eines Ausgleichsbetrages, um die Umsiedlung als solche zu erleichtern, nicht unbeantwortet lassen.
Herr Kollege Besold, ich verstehe Ihren Standpunkt nicht. Gestern ging es auch um einen ähnlichen Beitrag, und sie waren leidenschaftlich dagegen. Mir kommt es so vor: gestern rin in die Kartoffeln und heute wieder raus aus den Kartoffeln! Wie man es eben gerade braucht! Man muß auch in diesen Fragen ein wenig konsequent sein.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen! Zusammenfassend
möchte ich sagen, daß uns die vorgelegte Bilanz über die Umsiedlung im Jahre 1951 nicht befriedigt, daß wir aber in sachlicher Aussprache und sachlicher Kritik, auch wenn es gegen unsere eigenen CDU-Minister geht, alles tun wollen, damit in Zukunft dieses unbedingt zu lösende Problem eine Behandlung erfährt, mit der wir einigermaßen zufrieden sein können.