Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller von der KPD hat einleitend gesagt, daß die Interpellation insofern bezeichnend sei, als sie die Namen Schütz und Kuntscher als Interpellanten trage. Herr Kollege Müller, ich kann verstehen, daß Sie sich darüber wundern. Sie müssen sich darüber wundem, wenn Sie sich überlegen, daß zwei Mitglieder der CDU-Fraktion und sogar die ganze Fraktion eine Interpellation einbringen, die eine sehr kritische Aussprache über eigene Minister heraufbeschwören muß.
— Sie wundern sich, meine Herren da drüben von der KPD, über dieses Ereignis! Nehmen Sie mal ein bißchen Phantasie zu Hilfe. Stellen Sie sich vor, Sie wären in der ostzonalen Volkskammer und einer Ihrer Abgeordneten hätte den Mut, in solch einer Form gegen einen SED-Minister zu sprechen.
Dann, Herr Kollege Müller, gebe ich Ihnen Brief und Siegel, Sie hätten das Rednerpult noch nicht verlassen und Sie wären schon umgesiedelt!
Für Sie wäre das Problem. Umsiedlungsgesetz, Wohnraumfrage ganz bestimmt hundertprozentig gelöst.
Nach dieser Einleitung —, die bestimmt notwendig ist; denn es muß auch in dieser Beziehung einmal die Wahrheit ganz offen gesagt werden — zu dem Problem, das uns beschäftigt.
Das Umsiedlungsgesetz vom Mai dieses Jahres sieht vor, daß im Jahre 1951 300 000 Personen umgesiedelt werden sollen. Bis Ende September sollten es 200 000 sein. Tatsächlich sind bis zum 30. September nur 20 689 umgesiedelt worden, also ein ganz klein wenig mehr als 10%. Selbst wenn man in Betracht zieht, daß aus dem vorjährigen Umsiedlungsprogramm ein Überhang von 50 000 Personen bestand, die in diesem Jahre umgesiedelt wurden, so muß man, wenn man ganz objektiv urteilt, sagen, daß die Durchführung des Umsiedlungsgesetzes im Jahre 1951 gescheitert ist.
Ziel der Umsiedlung soll nach den allgemein anerkannten Grundsätzen dieses Hauses nicht lediglich eine Umsetzung von Menschen sein. Die Umsiedlung soll die stark belegten Abgabeländer nicht nur entlasten, sondern die Menschen, die zur Umsiedlung kommen, sollen auch dorthin gebracht werden, wo sie Arbeitsplätze finden. Trotz dieses Grundsatzes können aber die Verantwortlichen in den Abgabeländern es nicht verstehen, wenn sich die Aufnahmeländer geradezu auf den Standpunkt stellen, daß jeder Umsiedler die eigene Wohnung mitzubringen hat. Darauf läuft es doch hinaus. Der Bund hat finanziell wahrhaftig sehr viel getan, um die Umsiedlung in der gesetzlichen Form zu ermöglichen, wie wir sie gesehen haben. Wie schon der Flüchtlingsminister vorhin angeführt hat, wurden 255 Millionen DM und vor wenigen Wochen aus Sofortmitteln weitere 50 Millionen DM, also insgesamt über 300 Millionen DM, für den sozialen Wohnungsbau an die Aufnahmeländer zur Verfügung gestellt. Wären die Beträge in den Aufnahmeländern in der gleichen Form, quotal aufgeteilt für die Erstellung von Umsiedlerwohnungen benützt worden, wie es in den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern seit Jahren praktiziert wird, wo nahezu drei Viertel der öffentlichen Mittel für die Erstellung von Flüchtlingswohnungen verwendet werden, dann wäre die Zahl der Umsiedler viel höher als die Zahl, die wir mit dem Endresultat vom 30. September zur Kenntnis nehmen müssen. Dann wäre die Abrechnung, über die wir heute hier zu sprechen haben, viel günstiger, und so manches harte Wort wäre in den heutigen Auseinandersetzungen nicht gefallen.
Wenn man eine Bilanz zieht, muß man feststellen, daß der gute . Wille, den Normen des Gesetzes zu entsprechen, nicht in allen Ländern gleichmäßig vorhanden ist. Rheinland-Pfalz hat in anzuerkennender Weise sein möglichstes getan, um an das vorgeschriebene Soll heranzukommen.
Nordrhein-Westfalen hat kaum 1% des vorgeschriebenen Solls erreicht; darauf komme ich noch zu sprechen. Diese wenigen Zahlen beweisen den fehlenden guten Willen bei einigen Aufnahmeländern, aber auch Mängel maßgebender Behördenstellen in der Durchführung und als wichtigstes die Tatsache, daß ein echtes Weisungsrecht des verantwortlichen Ministers fehlt. Ich bin der Überzeugung, daß mit bloßem Verhandeln, mit Bitten und Betteln, Herr Minister Lukaschek, dieses Problem nicht zu lösen ist. Der Vertriebenenminister kann — nach dem heutigen Status dauernd zwischen unseren berechtigten Forderungen auf eine gerechte Verteilung der Vertriebenen und dem Widerstand oder der hinziehenden Haltung gewisser Stellen pendelnd — die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllen. Auch scheint mir, daß eine Koordination und eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Bundesministerien, die bei der Umsiedlung maßgebend mitzureden haben, nicht besteht.
Ich will aber auch die Schwierigkeiten anerkennen, die einen glatten Ablauf verhindern. Sie bestehen einmal in der nicht gelenkten Binnenunterwanderung und in dem nie versiegenden Zustrom aus der Ostzone.
200 000 bis 300 000 sind es jährlich, die aus der Ostzone im Westen Zuflucht suchen. Daß auch für diese Menschen Unterkunft und Arbeitsplätze beschafft werden müssen, braucht nur am Rande vermerkt zu werden. Es ist sehr interessant, eine Statistik dies niedersächsischen Vertriebenenministeriums über die Bewegung an der Ostzonengrenze im Jahre 1950 zu analysieren. Diese Aufstellung gibt uns bekannt, daß im Jahre 1950 1 003 000 Personen vom Osten nach dem Westen die Zonengrenze überschritten haben. Vom Westen nach dem Osten haben im gleichen Jahr 828 000 Personen die Grenze überschritten. Das heißt, daß 175 000 Personen im Westen geblieben sind. Von diesen 175 000 Personen sind nur 78 000 durch das Aufnahmelager Uelzen gegangen. Von diesen 78 000 wurden 15 000 ordnungsmäßig aufgenommen und 62 000 abgelehnt, die aber selbstverständlich ebenfalls hier im Westen irgendwie illegal versickert sind. Die gleiche Bewegung vollzieht sich an dem hessischen und bayerischen Teil der Zonengrenze. In diesem Jahre sind die gleichen Beobachtungen zu machen. Wenn ich hier noch hinzufüge, daß jetzt monatlich aus Berlin 1500 Personen nach dem Westen geflogen werden, so gibt uns die Zusammenziehung dieser Zahlen ein Bild davon, wieviele Kanäle für die echte Umsiedlung geöffnet waren und durch den Zustrom dieser Ost-West-Bewegung verstopft werden.