Rede von
Paul
Stech
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellanten haben die Bundesregierung gefragt, welche Maßnahmen sie getroffen habe und welche Maßnahmen in Aussicht genommen seien, den einstimmigen Beschluß des Bundestags vom 8. März dieses Jahres durchzuführen. Es ist nach unserer Ansicht bezeichnend, daß diese Interpellation von der größten Partei der Regierungskoalition kommt. Nach unserer Ansicht steht es ihr nicht sehr gut an, diesen heiklen Fragenkomplex anzurühren. Oder soll man etwa glauben, daß es auch ihr allmählich zuviel wird und daß es auch nach ihrer Ansicht mit der eigens für diese so schwerwiegenden Umsiedlungsfragen geschaffenen Einrichtung, nämlich dem Ministerium für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen, und mit dem Herrn Bundesminister Dr. Lukaschek einfach so nicht mehr weitergeht? Wenn man dieser Meinung sein müßte, — —
— Wir werden uns bemühen, Besseres an die Stelle zu setzen, verlassen sie sich darauf, Herr Kollege!
Wenn es so sein sollte, dann sind wir allerdings
auch der Meinung, daß jetzt und in naher Zukunft
Maßnahmen ergriffen werden müssen, die völlig
verfahrene Situation einer Lösung näherzubringen.
— Um Ihren Zwischenruf zu beantworten, erlaube ich mir zu sagen, daß der. Herr Bundesminister in seiner Erklärung selber gesagt hat, daß die Umsiedlungsaktion 1951 an sich zusammengebrochen ist.
— Wir arbeiten ja im Heimatvertriebenen-Ausschuß dieses Hauses seit Jahr und Tag zusammen und brauchen uns solche Zurufe nicht zu machen. Verlassen Sie sich darauf, Herr Kollege!
Es ist ein Jammer sondergleichen, daß man die Umsiedlungswilligen in den drei Flüchtlingsländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern immer noch in ihren Lagern hausen läßt. In dem Zusammenhang kann hier gesagt werden, daß sich in meinem Lande Schleswig-Holstein mehr als 250 000 Personen freiwillig für die Umsiedlung gemeldet haben, weil sie gern und freudig in wirtschaftlich stärkere und mit Heimatvertriebenen unterbelegte Länder möchten. Oder sollen wir diese Menschen, die nun schon seit sechs bis sieben Jahren in Lagern und sonstigen Behausungen leben müssen, ihrem elenden Schicksal überlassen? Wenn man bedenkt, daß heute noch rund 340 000 Heimatvertriebene in den drei Flüchtlingsländern in Lagern hausen müssen, dann braucht man sich über die Haltung dieser hieran unschuldigen Menschen in politischer und sonstiger Hinsicht wahrhaftig nicht mehr zu wundern. Hier wirkt sich nicht nur die bekannte Lagerpsychose nachteilig aus, sondern insbesondere die Tatsache, daß wir in diesen drei überbevölkerten Ländern männliche und weibliche arbeitsfähige Menschen zu verzeichnen haben, die seit all den Jahren der Flucht oder der Vertreibung bis heute entweder nur Gelegenheitsarbeit geleistet haben oder berufsfremd tätig gewesen sind oder gar überhaupt noch nicht wieder ein einziges Mal Arbeit finden und leisten konnten. Gerade diese letztere Tatsache ist die schlimmste, die nach bestorganisierter Umsiedlung förmlich schreit.
Was ist nun seit Beendigung der seinerzeitigen Flüchtlings- bzw. Vertriebenen-Bewegung geschehen? Bekanntlich nannte man die damalige Aktion Flüchtlings-Bewegung. Zu Ehren der Gemeinden, Kreise und Länder kann und muß gesagt werden, daß sie nach dem fürchterlichen Zusammenbruch der nazistischen Gewaltherrschaft das irgendwie Menschenmögliche für Unterkommen, Kleidung und Nahrung getan haben. Aber so konnte und durfte es j a nicht bleiben. Aus diesem Grunde mußte nach Lage der Verhältnisse an die Betreuung und vor allen Dingen an die Eingliederung der 8 Millionen Vertriebenen herangegangen werden. Auf der einen Seite waren Ländergesetze zur Behebung der Vertriebenen-und Flüchtlingsnot erforderlich, die zum größten Teil auch für die Hunderttausende Evakuierter im Sinne der Gleichstellung in Frage kamen. Aus den damaligen interzonalen Verhandlungen wurde zwingend deutlich, daß man an einen Bevölkekerungsausgleich herangehen müsse.
Aus diesem Grunde wurde im Juni 1947 die Lösung des Flüchtlingsproblems zum ersten Mal auf der ersten deutschen Ministerpräsidentenkon-
ferenz in München auf die Tagesordnung gesetzt, und zwar auf Veranlassung des Ministerpräsidenten Lüdemann, des Regierungschefs des Flüchtlingslandes Nr. 1. Dort wurde eine grundsätzliche Übereinstimmung über einen großen und gerechten Bevölkerungsausgleich erzielt.
Noch im gleichen Jahre 1947 wurde in Sachen der Flüchtlinge anläßlich der Ministerkonferenz in Segeberg in Holstein ein gerechter Spitzenausgleich vereinbart, nach welchem alsdann die Umsiedlung beginnen sollte. Die dort ebenfalls ins Leben gerufene Arbeitsgemeinschaft der Länderflüchtlingsverwaltungen hat dann nach langwierigen Erhebungen über die Bevölkerungs- bzw. Wohnraumzahl usw. mit dem im Zuge der Bildung des Wirtschaftsrats in Frankfurt am Main errichteten Zentralamt für Angelegenheiten der Vertriebenen einen Umsiedlungsplan erarbeitet, der auch in den Jahren 1948 und 1949 zum Tragen kam. Die so erarbeiteten Ergebnisse in Vereinbarungen mit den Aufnahmeländern Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Württemberg-Baden und insbesondere mit den Ländern in der französischen Zone, Rheinland-Pfalz, Südbaden und Württemberg-Hohenzollern, ließen den berechtigten Schluß zu, daß die Umsiedlung planvoll ablaufen würde. Seit Bildung der Bundesrepublik jedoch und seit der Berufung des Herrn Bundesvertriebenenministers haben wir leider eine angesichts der damals berechtigten Hoffnungen rückläufige Bewegung festzustellen. Heute nun stehen wir vor einem fast völligen Zusammenbruch der Umsiedlungsaktion.
Bei solcher Sachlage muß man sich allerdings fragen, wer hierfür verantwortlich zu machen ist. Die Schuld an diesem Sachverhalt trifft nach unserer Auffassung einzig und allein
die Bundesregierung.
— Wenn Sie mir „Heil Hitler" zurufen, ist das unglaublich; und das sagen Sie einem Menschen, der — —
- Ach, dann habe ich es natürlich mißverstanden. Aber wehe, wenn einer von uns einen solchen Zwischenruf gemacht hätte!
Wenn die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers im Herbst 1949 ausdrücklich darauf Bezug nimmt, daß die Bundesregierung für einen gerechten Bevölkerungs-, Finanz- und Lastenausgleich durch bundesgesetzliche Regelung sorgen werde, dann muß man sagen: das Ergebnis bis zum November 1951 ist geradezu als jämmerlich zu bezeichnen. In derselben Regierungserklärung wird festgestellt, daß man durch großzügige Wohnungsbauprogramme auf Grund von Bundesgesetzen genügend neuen Wohnraum für die wohnungsuchenden Vertriebenen, Ausgebombten und Evakuierten erstellen lassen werde, dann vergißt man die Tatsache, daß die Überhänge in den einzelnen Wohnungsbaujahren durch monatelanges nutzloses Verhandeln zwischen den einzelnen Ressorts verschuldet worden sind. Das in diesem Zusammenhang festzustellen, hielt ich insbesondere für meine Pflicht. Wie oft mußte die Bundesregierung interpelliert werden, warum die Arbeitsbeschaffungsprogramme nur stückweise durchgeführt
wurden! Dies alles sind tief einschneidende Wirtschaftsfragen, die mit der Umsiedlung und der Eingliederung der Vertriebenen in den Wirtschaftsprozeß sowie mit dem Wohnbedürfnis dieser breiten Massen in ursächlichem Zusammenhang stehen. Aber bei solcher Planlosigkeit braucht man sich dann über die Finanz- und Steuerpolitik bzw. die Wirtschafts- und Kreditpolitik der Bundesregierung wahrhaftig nicht zu wundern.
Wie soll denn auch der fähigste Fachminister für Vertriebenenfragen in einem solchen Kabinett mit seinen Belangen zum Zuge kommen?
In solchem Falle nützt die beste Rechtsverordnung beispielsweise nach Art. 119 des Grundgesetzes und nützt auch das vom Bundestag einstimmig beschlossene Bundesumsiedlungsgesetz gar nichts. Die Interpellanten sollten sich mit uns sagen, daß die Dinge so nicht gelöst werden können.
Wenn man uns heute erneut auf die Zukunft, und zwar zunächst auf das Jahr 1952 vertröstet und darauf, daß es dann in diesem Jahre in Sachen der Umsiedlung wahrscheinlich etwas besser klappen werde, und wenn man heute noch neue Erheb ungen, Berechnungen, Statistiken, Gutachten und dergleichen mehr empfiehlt., dann ist dies nach Lage der Sache, da es jahrelang immer wieder geschehen ist, sinnlos. Man braucht nur einen Blick in das Sonneplan-Gutachten zu werfen; dann erkennt man sofort, wo die Fehlerquellen bei der Lösung der deutschen Vertriebenenfrage und ganz besonders bei der Umsiedlung gelegen haben und liegen. Wer nach derart schwerer Kritik, insbesondere auch vom Ausland her, nicht die Konsequenzen zieht, der ist wohl a auch nicht willens, das einstimmig angenommene Umsiedlungsgesetz vom 8. März dieses Jahres — ich sage das mit besonderem Hinweis auf § 17 dieses Gesetzes — durchzuführen. Wenn sich schon die Bundesregierung und ihr Vertriebenenminister nicht an ein solches Bundesgesetz halten, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn sich Treckvereinigungen als eingetragene Vereine beispielsweise in Schleswig-Holstein gebildet haben, die sich ihr Recht auf ein menschenwürdiges Dasein durch Selbsthilfe erzwingen wollen.
Herr Bundesminister, anläßlich der Tagung des Bundes vertriebener Deutscher haben Ihnen mehr als 700 Kreisvorsitzende und Geschäftsführer Ihrer eigenen Organisation, der Sie seit Jahren angehören, am Sonntag, dem 18. November dieses Jahres, zur Umsiedlungsfrage ein glattes Mißtrauenvotum vor Ihrer Rede, während Ihrer Rede und nach Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht.
Eine andere Antwort, als sie Ihnen am letzten Sonntag dort vor aller Öffentlichkeit, ich möchte fast sagen: Weltöffentlichkeit erteilt worden ist, vermögen auch wir Ihnen nicht mehr zu geben. Man kann schon sagen: Die Umsiedlung ist tot, aber die Bundesregierung lebt.