Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Interpellation, weil durch sie das Interesse des gesamten deutschen Volkes auf dieses außerordentlich wichtige Problem hingelenkt wird, und ich empfinde die Interpellation nur als eine Unterstützung für das Anliegen, das mich besonders angeht. Ich möchte vorausschicken, daß die Frage der Umsiedlung nicht nur eine Frage der überbelegten Länder, der Flüchtlingsländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, ist. Es ist selbstverständ-
lich, daß diese Länder entlastet werden müssen, nachdem durch das Hereindrücken von mindestens sechs Millionen im Jahre 1945/46 dort eine Lage entstanden ist, die diese Länder auf die Dauer nicht ertragen können. Darüber herrscht gar kein Streit; das wird von niemandem bestritten.
Die Umsiedlung hat noch zwei andere Gesichtspunkte, einmal den Gesichtspunkt, daß den Heimatvertriebenen, die in den Flüchtlingsländern, besonders in Schleswig-Holstein, in fürchterlicher Not sitzen, auch rein persönlich geholfen werden muß, daß sie also dorthin umgesiedelt werden müssen, wo sie Wohnung und Arbeitsplatz bekommen. So wie die Dinge liegen, kann der Arbeitsplatz nur gegeben werden und sich praktisch finden, wenn die Wohnung an dem Platz liegt, wo es Arbeit gibt. Das ist das schwierigste Problem. Denn Arbeit gibt es grundsätzlich nur an den Orten, wo ein großes Industriepotential vorhanden ist. Dieses Industriepotential ist deshalb so geschmälert, weil gerade an diesen Orten auch die größte Zerstörung durch die Bombenangriffe angerichtet ist. Mit anderen Worten, der Arbeitsplatz ist nur vorhanden, wenn eine Wohnung gebaut wird. Altwohnraum ist in den Aufnahmeländern natürlich reichlicher vorhanden als in den anderen Ländern. Herr Edert hat gesagt, daß Nordrhein-Westfalen eine Belegung von 3,7 Personen je Wohnung habe. Das ist nicht richtig; Nordrhein-Westfalen ist stärker belegt. Es handelt sich bei der Zahl von 3,7 um die Aufnahmeländer in der französischen Zone. Aber diese Wohnungen sind leider auch nur da. wo keine Arbeit zu finden ist, also z. B. im Hochschwarzwald und auf dem Hunsrück.
In Nordrhein-Westfalen sind die Dinge schlimm. Dort haben wir wohl die Möglichkeit, sofort 120 000 bis 140 000 Arbeitsplätze zu besetzen; die Voraussetzung für die Besetzung der Arbeitsplätze ist aber immer das Vorhandensein einer Wohnung, mit anderen Worten der Wohnungsbau. So muß man die Dinge sehen.
Ich möchte auch auf das zweite Moment hinweisen: die Umsiedlung ist nicht nur eine Angelegenheit der Heimatvertriebenen als solcher, sondern sie ist auch eine Angelegenheit von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Es geht darum, die Leute, die fern von jedem Arbeitsplatz sitzen, in eine volkswirtschaftlich befriedigende Tätigkeit für das Gesamte zu bringen. Es geht nicht an, daß heute noch, nach unserer Schätzung, 12 000 bis 15 000 Bergleute aus den Ostgebieten fern von den Gruben arbeitslos dasitzen. Aber das ist, wie gesagt, von der Unterbringung abhängig. Nur eine erschreckende Zahl möchte ich Ihnen da nennen: aus Nordrhein-Westfalen sind innerhalb des letzten Jahres, und zwar deshalb, weil sie auf die Dauer nicht in Baracken, fern von ihrer Familie, leben wollten. ungefähr 52 000 bis 53 000 Bergarbeiter fortgelaufen. Das ist eine wirtschaftlich höchst betrübliche Zahl.
Nun steht außer jedem Zweifel, daß, wenn ein Gesetz erlassen ist, jeder verpflichtet ist, dieses Gesetz durchzuführen. Das gilt für die Abgabeländer genau so wie für die Aufnahmeländer. Theoretisch ist richtig, daß die Länder, auch wenn man ihnen nicht einen Pfennig für den Wohnungsbau gegeben hätte, trotzdem nach dem Gesetz verpflichtet gewesen wären, für die Unterbringung 7U sorgen. Darüber braucht man nicht zu streiten. Nur steht die Praxis der Durchführung eines Gesetzes diesem theoretisch richtigen Satz immer etwas im Wege. Ich habe bei den Verhandlungen über das Gesetz im März dieses Jahres darauf hingewiesen — und auch das Hohe Haus, insbesondere der Herr Abgeordnete Pfender, haben, wie Sie beim Nachlesen des Protokolls über die 124. Sitzung feststellen können, mit aller Entschiedenheit darauf hingewiesen —, daß die Aufnahmeländer in die Lage versetzt werden müssen, durch Bereitstellung von Mitteln auch die nötigen Wohnungen zu bauen.
Ich selbst habe es ebenfalls für meine wichtigste Aufgabe gehalten, diese Mittel zu besorgen, und ich bin — das kann ich wohl sagen — Tag für Tag gelaufen, um diese Mittel zusammenzubekommen. Die Notwendigkeit der Mittelbeschaffung ist auch bei den Verhandlungen über das Gesetz im Wohnungsbauausschuß, insbesondere durch den Abgeordneten Lücke, betont worden. Ich selber habe dringend gebeten, für die Finanzierung bzw. für die Deckung zu sorgen. Es fehlten nämlich — wenn ich Ihnen die Rechnung aufmachen darf — etwa 400 Millionen DM, die aufzubringen sind. Wenn Sie 300 000 Leute umsiedeln, so brauchen Sie für diese — 300 000 geteilt durch 4 gleich — 75 000 Wohnungen. Zur Finanzierung von 75 000 Wohnungen gehören 750 Millionen DM. Wir haben aus allen Ecken 255 Millionen DM zusammengekratzt. Damit wäre es, wenn man den sogenannten Förderungsbetrag von 5500 DM pro Wohnung zugrunde legt, möglich gewesen, für 200 000 Umsiedler zu sorgen. Dann mußten aber auch — und das ist die Aufgabe der Länder — die ersten Hypotheken und die letzte Stelle besorgt werden. Für die ersten Hypotheken wären 400 Millionen DM notwendig gewesen. Diese Summe bringt, wie die Dinge heute liegen, der Kapitalmarkt nicht in voller Höhe auf. Ich habe daraufhin den Finanzminister gebeten, für die Deckung Sorge zu tragen. Der Finanzminister hat zunächst gesagt, er könne es nicht, und war gewillt. Art. 113 des Grundgesetzes diesem Gesetz gegenüber zur Anwendung zu bringen. Schließlich hat er aber, weil damals die Hoffnung bestand, eine Anleihe zu bekommen, einen Betrag in Höhe von 260 Millionen DM in den außerordentlichen Etat eingesetzt. Der außerordentliche Etat kam jedoch leider nicht zum Zuge, weil keine Anleihemöglichkeit bestand. Wir haben also 255 Millionen DM verteilt, und zwar von Januar/März bis in den Juni hinein, soweit wir das Geld bekommen konnten.
Nun war es meiner Meinung nach ein Fehler, daß die Länder die Mittel erst vergeben haben, nachdem sie die erste und die letzte Stelle finanziert hatten. So kommt es, daß manche Länder im Rückstand sind. Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen. Es wäre richtiger gewesen, diese 255 Millionen DM sofort auch zur Vorfinanzierung zu verteilen und hernach durch die Kraft des privaten Kapitalmarktes oder durch sonstwie zu beschaffende Mittel. z. B. durch die Soforthilfe, die erste Hypothek abzulösen. Die 255 Millionen DM hätten, geteilt durch 10 000, 25 000 Wohnungen ergeben; wir hätten also 100 000 Menschen umsiedeln können.
Zusammengefaßt können Sie sagen, die Umsiedlung dieses Jahres sei gescheitert, wenn Sie nämlich die Zahl 300 000 der Zahl von 25 000 de facto Umgesiedelten gegenüberstellen. Aber es ist falsch, die Dinge so zu sehen. De facto sind in diesem Jahre 81 000 umgesiedelt worden, und zwar etwa 50 000 aus dem Überhang des vorigen Jahres und 25 000 aus dem Soll des Jahres 1951. Dazu kom-
men noch einige Tausend, die heute noch nicht verrechnet sind. Wir müssen uns darüber im klaren sein, wenn Mittel im Februar vergeben werden, dann gehört zur Planung ein Zeitraum von zwei Monaten, zur Vergebung der Mittel ein weiterer Zeitraum von zwei Monaten und schließlich zur Ausführung des Baues noch ein Zeitraum von sechs Monaten. Die ersten Wohnungen, die aus dieser Mittelvergabe erstellt werden können, werden also im Dezember dieses Jahres fertig. Die weiteren werden im Laufe des nächsten Jahres bis zum Juli/August erstellt werden. Man darf unter diesen Gesichtspunkten nicht sagen: Die Umsiedlung ist gescheitert! Sie ist nur durch die Not der Verhältnisse verzögert. Alle Länder sind heute bereit, sie durchzuführen, wenn sie Wohnungen erstellt haben.
Wir haben nun geprüft, ob wir nicht den Mißstand beseitigen können, der durch die Methode der Vergabe der Mittel notwendigerweise eintritt. Wenn wir nämlich die Umsiedlung an die Tatsache der Beschaffung einer speziellen Wohnung binden, kommen wir in das bürokratische Verzögern hinein. Wir haben für das nächste Jahr in Übereinstimmung mit den Landesflüchtlingsverwaltungen und auch mit dem Herrn Wohnungsbauminister ein System ausgedacht, wonach dieses „Kästchenwesen", wie wir es nennen, aufhört und die Bundesmittel den Ländern insgesamt überwiesen werden, die Überweisung aber an die Verpflichtung gebunden wird, eine ganz bestimmte Rate von Umsiedlern unterzubringen, so daß man freier ist.
Auf die Frage — ich will sie einmal zuspitzen —: Hat die Bundesregierung ihre Pflicht getan?, würde ich sagen: sie hat getan, was in ihren Kräften stand. Welche Mittel hat die Bundesregierung, wenn sie nach dem Grundgesetz handeln will? Maßgeblich ist Art. 84 des Grundgesetzes. In Art. 83 steht, daß die Länder verpflichtet sind, die Bundesgesetze in eigener Verantwortung durchzuführen. In Art. 84 gibt es zwei Mittel. Nach Art. 84 Abs. 3 kann die Bundesregierung Bevollmächtigte in die Länder entsenden zur Nachprüfung, ob dem Gesetz Genüge getan ist. Meine Herren, ich habe mir diese Ermächtigung für mich und den Herrn Wohnungsbauminister vom Bundeskabinett geben lassen. Ich hatte gebeten, die Beantwortung der Interpellation auf Anfang Dezember zu verschieben, und zwar nicht aus politischen, sondern aus sachlichen Gründen. Uns fehlen nämlich noch die Antworten der Länder auf die Fragen: „Was habt ihr mit den 255 Millionen DM getan? Wann habt ihr verplant? Wann habt ihr vergeben? Wann habt ihr angefangen zu bauen? Wann habt ihr fertiggestellt? Wann ist es soweit, daß die Umsiedler hereinkommen?" Diese Angaben fehlen noch. Sie werden besorgt; ich glaube, in den nächsten Tagen werden sie eingehen. Dann erst kann man einen wirklichen Schluß ziehen, ob eines der Länder seine gesetzliche Verpflichtung verletzt hat. Ich mache darauf aufmerksam, daß der Bund ja nur die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung, nicht die verwaltungsmäßige Richtigkeit nachzuprüfen und Mängel nur bezüglich der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung zu rügen hat.
Es bleibt dann der Art. 84 Abs. 4, nach dem eine Verletzung des Gesetzes festgestellt werden kann. Diese Feststellung kann aber nur im Einvernehmen mit dem Bundesrat geschehen. Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Länder des Bundes können einen solchen Antrag stellen. Ich habe lange darauf gewartet, daß bei den heftigen Beschwerden der Länder eines der Länder den Mut haben würde, im Bundesrat den Antrag zu stellen, daß dieses oder jenes Land das Recht verletzt hat. Es ist nicht geschehen, aus einem sehr naheliegenden Grunde. Ich glaube nämlich, daß sich im Bundesrat eine Geschlossenheit der Länder finden würde, dieses Ansinnen heftig zurückzuweisen. Es wäre jedenfalls ein Schritt von höchster politischer Bedeutung.
Es bleibt noch eins. In § 17 Abs. 1 des Umsiedlungsgesetzes steht, daß die Bundesregierung das Recht hat, Einzelweisungen zu geben. Diese Einzelweisungen liegen mir schwer auf dem Herzen, ich darf wohl sagen, seit Jahr und Tag. Denn ich werde ja immer auf die Möglichkeit von Einzelweisungen hingewiesen und gefragt: „Warum erläßt du keine Einzelweisung, um diese Dinge durchzuführen?" Ich bitte doch einmal nachzudenken, welchen Inhalt eine solche Einzelweisung haben könnte. Die Einzelweisung ist ja auch streng an das Gesetz gebunden und muß ganz spezialisiert sein. Eine Weisung: „Du, Land Baden, hast 9000 Umsiedler aufzunehmen!" steht schon im Gesetz; eine solche Einzelweisung brauchen wir nicht. Wenn die Einzelweisung Zweck haben soll, dann muß sie dahin gehen, die wirkliche Aufnahme zu erzwingen. Die große Frage ist, ob ich eine Einzelweisung an das Land Baden oder Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen des Inhalts erlassen kann: Du hast deinen dir zur Verfügung stehenden Wohnraum so einzuschränken, daß du eine gleiche Belegung wie Schleswig-Holstein hast. Einmal ist das, wie ich Ihnen schon gesagt habe, nicht so einfach; denn der Wohnraum, den die Länder zur Verfügung haben, befindet sich an den Orten, wo es keine Arbeit gibt. Die Verhältnisse sind ja auch bei den Heimatvertriebenen unterdessen etwas anders geworden, und zwar mit Recht. Die Heimatvertriebenen lehnen es ab, irgendwohin umgesiedelt zu werden, wo sie nicht Arbeit und Wohnung in erreichbarer Nähe haben. Ich muß allerdings sagen: ich persönlich würde es für richtiger halten, Leute aus Schleswig-Holstein nach den südlichen Ländern zu bringen, weil dort die Lebensverhältnisse, auch wenn die Umgesiedelten keine Wohnung und Arbeit haben, doch erträglicher und besser sind. Aber nun sind fünf Jahre vergangen, und ich halte es für berechtigt, wenn die Heimatvertriebenen diese Forderung stellen. Hier möchte ich anknüpfen und auch einmal etwas loben — mich oder die Bundesregierung loben.
Mindestens 80 % der Umgesiedelten haben Arbeit und Wohnung gefunden. Wenn seit Bestehen der Bundesregierung rund 300 000 Heimatvertriebene umgesiedelt und davon 80 % in Arbeit und Wohnung gebracht worden sind, so ist das, objektiv gesehen, eine Riesenleistung.
Subjektiv, für die Betroffenen, ist es natürlich, wie auf allen Gebieten des Vertriebenenwesens, erheblich zu wenig, und es muß alles eingesetzt werden, um mehr zu erreichen.
Nun fragen wir, wohin die Weisung gehen kann. Die Weisung kann dahin gehen, daß der Wohnraum eingeschränkt werden muß. Als ich das dem Herrn Wohnungsbauminister sagte, hat er gesagt: Um Gottes willen, du überlegst dir die praktischen
Konsequenzen nicht, das ist nicht so einfach; dann mußt du das Wohnungsbaugesetz de facto ändern. Es wäre über Art. 119 gegangen. Dann hätte ich aber in alle die Vorzugsrechte eingreifen müssen, in die Vorzugsrechte der Spätheimkehrer, der Kriegsverletzten, der Kinderreichen usw. Alle diese Dinge hätten Verwirrung in die gesamte Wohnungswirtschaft gebracht. Das kann man nicht tun, wenn man vor der Verantwortung steht.
Der Weg wäre also nicht möglich gewesen. Es bleibt nur übrig, die Einzelweisung dahin zu fassen, daß, wie es ein Regierungspräsident gegenüber einem Kommunalverband tun kann, die Länder angewiesen werden, zwangszuetatisieren, d. h. die Mittel in dem Augenblick zur Verfügung zu stellen, in dem die Auflage der Umsiedlung kommt.
Ich glaube, es ist grobe Theorie, wenn wir bei der grundgesetzlichen Gestaltung, die wir nun einmal haben, solche Wege beschreiten wollten. Deshalb fällt auch das leider weg. Es bleibt nichts anderes übrig, als mit allem Nachdruck — und das habe ich getan — immer darauf hinzuweisen. Ich bin von Platz zu Platz, von Ministerpräsident zu Ministerpräsident gefahren und habe Vorstellungen erhoben und Verständnis gefunden. Wenn hier das Wort „Bitte" ausgesprochen worden ist, so kann ich darauf nur sagen: es ist völlig gleichgültig, ob ich sage: Ich bitte, oder: Ich fordere. Mir kommt das Wort „fordern" schon etwas abgegriffen vor, so wie das Wort „verankern" und ähnliche Worte, die heute so Mode sind. Ich bitte lieber, und zwar mit Nachdruck. Eins wollen Sie sich klarmachen: wenn wir diese Dinge mit Gewalt durchsetzen, werden die Verhältnisse letzten Endes auf dem Buckel meiner Heimatvertriebenen gelöst. Wenn ich einen Heimatvertriebenen mit Polizei, um den extremsten Fall zu nehmen, in eine Wohnung setze, gibt es einen Unfrieden und eine Nichtbereitschaft zu helfen. Die Konsequenzen haben letzten Endes die Heimatvertriebenen zu tragen. Das ist die schwierige Situation des Vertriebenenministers, der letzten Endes auf das gesamtdeutsche Pflichtbewußtsein, auf die christliche Liebe angewiesen ist. Mit Gewalt sind die Dinge nicht zu lösen.