Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Verhandlungen Dr. Adenauers mit den drei westlichen Hohen Kommissaren hinter verschlossenen Türen bewirken eine weitere Vertiefung der Spaltung Deutschlands und zerren Deutschland in einen dritten Weltkrieg hinein, der den sicheren Untergang des deutschen Volkes bedeutet."
So beurteilt Ministerpräsident Grotewohl
am 10. Oktober 1951 die Folgen der von Dr. Adenauer seit Jahren betriebenen Geheimpolitik der Wiederaufrüstung, dieser Aggressionspolitik des westdeutschen Militarismus und Imperialismus.
Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick auf den Verlauf dieses Prozesses der geheimen Rüstungspolitik Adenauers, dieser Dunkelkammerpolitik, die er ohne Berücksichtigung des Volkswillens, gegen den klaren Willen der überwältigenden Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung, ohne Auftrag des Bundestags, also hinter dem Rucken dos deutschen Volkes und des Bundestags, j a selbst ohne Verständigung mit den Ministern seines eigenen Kabinetts seit Jahren betreibt. Um in die Kriegspolitik der amerikanischen Imperialisten auch das westdeutsche Potential an Soldatenreserven und an Rüstungsindustrie einzubeziehen und auf deutschem Boden die Ausgangsbasis für den geplanten deutschen Krieg gegen die Völker der Sowjetunion, die Länder der Volksdemokratien und gegen unsere deutschen Brüder im Osten Deutschlands vorbereiten zu können, hat der USA-Imperialismus den Bonner Weststaat von Gesamtdeutschland abgespalten. Durch das Besatzungsstatut hat er sich die absolute Verfügungsgewalt über Westdeutschland gesichert, durch das Besatzungsstatut, das von dem Herrn Adenauer und den hinter ihm stehenden Koalitionsparteien bekanntlich vorbehaltlos anerkannt worden ist. Zwecks Tarnung seines Inhalts und zur Irreführung der deutschen Öffentlichkeit hat die Adenauer-Regierung in Zusammenhang mit dem Geheimprotokoll vom 22. November 1949 der Herren Hohen Kommissare ein Kommuniqué herausgegeben, in dem es heißt, daß sie sich verpflichtet habe, die Entmilitarisierung aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern. In krassem Gegensatz zu dieser Erklärung stand das Interview, das Adenauer am 4. Dezember 1949 einem Korrespondenten der amerikanischen Zeitung „The Plain Dealer" gegeben hat. Darin hat er, völlig im Sinne der amerikanischen Kriegstreiber, erklärt, daß er eine autorisierte deutsche Streitmacht unter einem europäischen Oberkommando für wichtig und für notwendig erachte. Diese Erklärung ist keine 10 Tage nach dem angeblich strikten Verbot jeglicher Remilitarisierung erfolgt. Damals, also vor fast zwei Jahren, hatte die deutsche Öffentlichkeit noch nicht die entscheidende Rolle erkannt, die dem deutschen Imperialismus in den amerikanischen Kriegsvorbereitungen zugedacht ist. Demzufolge gab es auch in einem Teil der bürgerlichen Presse Westdeutschlands einen Proteststurm gegen diese Äußerung Adenauers. In der breitesten deutschen Öffentlichkeit hat sie geradezu einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
Wir Kommunisten haben den vollen Inhalt dieser Erklärung begriffen und den Versuch gemacht, Adenauer zur Rechenschaft zu ziehen. Am 16. Dezember 1949 antwortete Dr. Adenauer auf unsere genau formulierten Fragen vor dem Parlament mit eiserner Stirn sechsmal mit einem Nein. Nein sagte er u. a. zu unserer Frage: Beabsichtigt der Bundeskanzler, den westlichen Alliierten die Bereitschaft der Bundesregierung zur Aufstellung einer westdeutschen Streitmacht in irgendeiner Form zum Ausdruck zu bringen? Ich machte damals zu diesem glatten Nein einen Zwischenruf, auf welchen hin Adenauer wörtlich zugab, daß „im äußersten Falle die Frage eines deutschen Kontingents im Rahmen der Armee einer europäischen Föderation zu überlegen sei". Der Abgeordnete und Vorsitzende unserer Partei, Herr Reimann, wandte sich damals scharf und klar gegen die Kriegspolitik Adenauers im Rahmen des Atlantikpaktes. Das Hohe Haus hat ihn mit wütenden Zwischenrufen und Lärmszenen zum Schweigen bringen wollen. Zum Schluß seiner Ausführungen wurde ihm das Wort entzogen. Unser damaliger Antrag wurde von allen übrigen Mitgliedern des Bundestags abgelehnt.
Kurz darauf wurde bekannt, daß sich deutsche Militärs in der illegalen Offiziersorganisation „Bruderschaft" mit Remilitarisierungsplänen beschäftigen und ganz offen mit dem Bonner Kabinettschef konspirieren. Ich denke u. a. an die Vorschläge des Herrn Generals von Manteuffel, des ehemaligen Kommandeurs der Hitlerschen „Großdeutschland"-Formation, die er in einer Denkschrift an Adenauer gemacht hat. Damals wurde auch der ehemalige Panzergeneral von Schwerin als militärischer Experte in die Bonner Regierungskanzlei berufen.
Im Herbst 1950 trat die bisher geheim betriebene Remilitarisierung Westdeutschlands in das Stadium einer offen geforderten legalen Wiederaufrüstung. Dr. Adenauer legte am 17. August 1950 den drei Hohen Kommissaren konkrete Pläne zur Remilitarisierung vor. Mit der lächerlichen, oft genug widerlegten Begründung, daß die Volkspolizei der DDR die Grundlage einer echten Angriffsmacht darstelle, forderte er die beschleunigte Schaffung einer starken westdeutschen Streitmacht. Auch über die deutsche Beteiligung an westeuropäischen Armeen sollte schnell entschieden werden. Außerdem sei die sofortige Verstärkung der Besatzungstruppen und sämtlicher Luftstreitkräfte notwendig, „um einen Schutzvorhang für die Aufrüstung Westdeutschlands, Westberlins und anderer westlicher Nationen zu bilden". So wörtlich Herr Adenauer! Dieses neuerliche Angebot Adenauers hinter dem Rücken des Volkes entfachte einen Proteststurm. Wir haben verlangt, die verhängnisvollen Remilitarisierungspläne einer Selbstentscheidung des deutschen Volkes zu unterstellen.
Kurze Zeit später, unmittelbar vor der Abreise des amerikanischen Hohen Kommissars McCloy zu den Konferenzen nach Washington, übergab Dr. Adenauer ihm ein geheimes Memorandum, in dem er sein Angebot zur Remilitarisierung Westdeutschlands genau fixiert hatte. Dieses Memorandum war ohne Kenntnis und ohne Zustimmung seiner eigenen Regierung verfaßt worden. Es wurde
erst zwei Tage später, am 31. August, im Bonner Kabinett behandelt und führte zu dem bekannten Austritt des damaligen Innenministers Dr. Heinemann aus der Regierung. Aus diesem Geheimmemorandum ist erst drei Monate später ein Teilauszug veröffentlicht worden. Diese Veröffentlichung hat zwei Tatsachen, die bis dahin hartnäckig von Adenauer abgestritten worden waren, enthüllt. Der Bundeskanzler hat wiederholt um die Verstärkung der Besatzungstruppen gebeten und erneuert in diesem Memorandum diese Bitte in dringender Form. Der Bundeskanzler hat ferner wiederholt seine Bereitschaft erklärt, im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten, also dieselben Probleme, die heute klar und eindeutig als Auffassung Adenauers der ganzen Öffentlichkeit bekannt sind.
Gegen den klaren Willen des Volkes, ohne Parlamentsbeschluß, ja ohne Zustimmung und ohne Unterrichtung selbst seines eigenen Kabinetts also hat Dr. Adenauer mit der ihm eigenen Selbstherrlichkeit dieses folgenschwere Angebot gemacht und den Inhalt später glatt abgestritten. Am 25. November 1950 schrieb darüber „Die Welt":
Der Kanzler hat nunmehr eingestanden, daß er die Unwahrheit gesagt und das deutsche Volk wochenlang irregeführt hat.
Das Memorandum aber tat seine Wirkung. Sowohl die Außenministerkonferenz als auch der Nordatlantikpakt-Ausschuß im September 1950 haben den Beschluß gefaßt, daß
die Verwendung des deutschen Menschenpotentials und deutscher Hilfsquellen im Sinne des Memorandums geregelt werden sollte und daß nunmehr die Methode, nach der Deutschland seinen Beitrag am wirkungsvollsten leisten kann, untersucht wird.
Auch über die Verstärkung der Besatzungstruppen wurden die entsprechenden Beschlüsse gefaßt.
Die Adenauer-Regierung führte anschließend auch praktische Maßnahmen zur Vorbereitung der Remilitarisierung Zug um Zug durch. Theodor Blank wurde zum Regierungsbeauftragten für die militärischen Maßnahmen ernannt. Aus der Dienststelle Schwerin wurden die Nazimilitärs Ostermann, von Busche und Kielmansegg übernommen. Andere Generale wurden mit der Vorbereitung eines Kommandostabes beauftragt. Ein Wehrpflichtgesetz und ein Gesetz zur Beseitigung des im Grundgesetz verankerten Rechtes der Kriegsdienstverweigerung wurden vorbereitet. Im Dezember faßten die Kriegs- und Außenminister der Nordatlantikpaktstaaten in Paris bereits konkrete Beschlüsse über die Rolle Deutschlands in einer Europa-Armee. Die Hohen Kommissare wurden beauftragt, mit der Adenauer-Regierung einen deutschen Militärplan auszuarbeiten.
Diese deutschen und alliierten Militärbesprechungen begannen auf dem Petersberg am 9. Januar 1951. Vertreten durch die bekannten Herren Generale, wurde „geredet", wie man uns gesagt hat, über technische Einzelheiten der Aufrüstung, nur verhandelt. Am 21. April 1951 wurde durch eine Veröffentlichung der Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg das bisher erreichte Resultat bekannt. Danach haben die deutschen Generale die Aufstellung einer deutschen Armee von 12 Divisionen in einer Stärke von 250 000 Mann mit einem selbständigen deutschen Kommando einschließlich Panzerwagen und Flugzeugen gefordert.
Das Bekanntwerden dieser Tatsachen führte zur Massenbewegung für eine Volksbefragung gegen. die Remilitarisierung. Im Bundestag sind die Koalitionsparteien und die sozialdemokratischen Führer der Remilitarisierungspolitik Hitlers — —, nein, Adenauers
— Verzeihung, dieser falsche Zungenschlag liegt sehr, sehr nahe — dieser Remilitarisierungsaktion zu Hilfe gekommen, indem sie verlangt haben, daß die Volksbefragungsaktion für verfassungswidrig erklärt wird. Dieses gegen Recht und Verfassung bestehende Zweckverbot brachte dann die Regierung auch prompt heraus. Der Widerstand des Volkes gegen diese Aufrüstung war allerdings damit nicht aufzuhalten.
Neue Tatsachen wurden bekannt. In dem Adenauer-Exposé an die Oberkommissare wurden eine deutsche Armee von sechs Armeekorps, eine zweijährige Militärdienstpflicht, die Wiedererrichtung des deutschen Generalstabs sowie eines Kriegsministeriums gefordert.
Mitte September 1951 kam dann die entscheidende Konferenz der westlichen Außenminister in Washington; sie brachte die Vorbereitung des Krieges in ein akutes Stadium. Es wurde beschlossen, westdeutsche Truppenkontingente in die Europa-Armee Eisenhowers aufzunehmen und Westdeutschland in schnellstem Tempo zum strategischen Aufmarschgebiet zu machen.
Dann begannen die Geheimverhandlungen Adenauers, über die wir bisher in diesem Hohen Hause noch nichts Konkretes gehört haben. Wir wissen von einem Rahmenvertrag; wir wissen von Nebenverträgen, die abgeschlossen worden sind. Wir wissen, daß diese Verträge ein Abkommen zur Regelung des Status der Besatzungsmächte und der Privilegien der alliierten Streitkräfte beinhalten. Wir wissen, daß in diesem Abkommen der Anteil an deutschen militärischen Kräften, die wir hier aufstellen sollen, genau festgelegt ist. Wir wissen, welche Abmachungen über die Zurverfügungsstellung des Potentials unserer Rüstungsindustrie getroffen worden sind. All diese Dinge wissen wir, aber, wie gesagt, nur durch Meldungen aus der Zeitung. Herr Adenauer hat bisher weder das deutsche Volk noch den Bundestag auch nur entfernt über den Inhalt dieser Verhandlungen informiert. Er hat nur einmal hier an dieser Stelle gesagt, daß die Dinge ja nicht allzu bös und übel seien, da der Herr Schumacher, der Herr Ollenhauer und der Herr — wer war der Dritte aus Ihrem Kreise? —
ja von Herrn McCloy genauestens über die Sache orientiert worden seien.
Nun tagen die Außenminister in Paris. Herr Adenauer hat als Vertreter seinen Staatssekretär dahin geschickt. Es geht in Paris im Augenblick darum, den Schlußstrich unter diese Abmachungen zu setzen, die Adenauer gegen das Interesse unseres Volkes abgeschlossen hat. Es gilt also, konkret festzulegen, in welcher Form, in welchem Umfang deutsche junge Menschen zur Verfügung gestellt werden sollen für den verbrecherisch geplanten Krieg der amerikanischen Imperialisten gegen die Sowjetunion, gegen die Volksdemokratien, gegen unsere eigenen deutschen Brüder im Osten.
Nach dem „Weser-Kurier" vom 12. November 1951 hat das in Paris abzuschließende Vertragswerk der Regierung auch die Funktion übertragen, die Wahrerin der gesamten deutschen Interessen zu sein. Die Regelung aller Grenzfragen allerdings müsse dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben, der durch den Generalvertrag nicht präjudiziert werden könne. Worum geht es also in Paris? Um die Anerkennung der von Adenauer allein übernommenen Verpflichtung zur Remilitarisierung Westdeutschlands, zur Eingliederung Westdeutschlands in die Atlantik-Kriegsfront gegen die Kräfte der Demokratie und des Friedens.
Daß der Bundestag zu diesen Dingen bisher geschwiegen hat,
daß diese Verhandlungen Adenauers bestenfalls
auf der Basis geführt worden sind, daß die Koalitionsparteien insgeheim in Parteikonventikeln
über die Einzelheiten orientiert worden sind, daß
ferner Adenauer diese Verhandlungen führen
konnte bei Tolerierung aller seiner Schritte durch
die sozialdemokratische Fraktionsführung, ist ein
Tatbestand, den die genannten Parteien einmal vor
ihren Wählern und vor dem deutschen Volk werden
verantworten müssen. Wir sind der Meinung, daß
Schluß gemacht werden muß mit der Geheimpolitik
Adenauers, daß Schluß gemacht werden muß mit
der Aufrüstung, Schluß gemacht werden muß mit
dieser Regierung der Aufrüstung, einer Aufrüstung,
die zwangsläufig zu einem neuen Krieg führen muß.
Wir sind aber auch der Meinung, daß Schluß gemacht werden muß mit der bisherigen Politik dieses Bundestages,
der vom Volke eingesetzt worden ist.