Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind nicht in der Lage, uns mit diesem Vorschlag einverstanden oder zufrieden zu erklären.
— Ja, sicher ist das nicht erforderlich für Sie; aber ich bin der bescheidenen Auffassung, daß die Betroffenen draußen ebensowenig zufrieden sein werden mit dem, was Sie ihnen an Hungerpfennigen geben, wie wir Kommunisten das sind.
Der Vorschlag des Ausschusses bezieht sich ausschließlich auf die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung. In unserem Antrag hatten wir — ganz abgesehen von der Differenz in der Zahl — verlangt, daß diese Winterbeihilfe dem gesamten Personenkreis der Sozialberechtigten einschließlich der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung zugute kommen sollte. Wir hatten darüber hinaus den Antrag gestellt, die Bezieher von Renten, soweit sie Ausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten, einzubeziehen, also die Schwerbeschädigten, die Witwen und die Kriegereltern.
— Sie rufen mir zu: Dieser Personenkreis der Sozialberechtigten soll ja auch einbezogen werden!
— Das ist doch nicht wahr! Er soll ja nur insofern einbezogen werden, als sein Einkommen aus Rente nicht höher ist als der örtliche Wohlfahrtsunterstützungsrichtsatz. Sie schränken also Ihre Zulage auf einen Personenkreis ein, der, was Renteneinkommen angeht, in seiner Gesamtheit nicht besser gestellt ist als der Personenkreis, der von der öffentlichen Wohlfahrtspflege betreut wird. Wie man da noch sagen kann, die Sozialberechtigten in der Gesamtheit seien einbezogen, ist unerfindlich.
Aber ich darf Sie auf einige Tatsachen hinweisen, die die Stimmung unter den Empfängern von Rente erklären. Ich habe vor einigen Wochen in diesem Hause von dieser Stelle aus gesagt, daß bei dem sogenannten Rentenanpassungsgesetz der Erfolg der war, daß Städte in der Größenordnung etwa Essens für den Rest des Etatsjahrs eine halbe Million DM einsparen auf Grund der Tatsache, daß sie die Beträge, die hier an Rentenzulage gewährt worden sind, ihrerseits als Einkommen betrachten
und auf die Wohlfahrtsunterstützung anrechnen. Das Ergebnis davon ist, daß eine große Anzahl von Personen entweder ganz aus der Wohlfahrtspflege ausscheiden muß oder nur einen Teil der bisherigen Zulagen erhält.
Die Wirkung dieses Gesetzes, über das Sie draußen so große lobende Worte der Anerkennung gemacht haben, war also die, daß das reale Einkommen der Sozialberechtigten sich in den allermeisten Fällen überhaupt nicht verbessert hat.
Was Sie gaben, haben die Gemeinden wieder in Abzug gebracht; und was Sie heute gewähren, bezieht sich auch nur auf den engen Personenkreis, den ich hier wahrheitsgemäß umrissen habe.
Die Organisationen der Sozialberechtigten, die Organisationen der Kriegsopfer haben Ihnen sowohl wie uns in zahllosen Resolutionen und Entschließungen bekanntgegeben, daß die Sozialberechtigten einschließlich der Kriegsopfer mit den derzeitigen elenden Sozial- und Kriegsopferrenten sowieso nicht auskommen, daß sie aber ganz und gar außerstande sind, die Sonderbedürfnisse, die der Winter mit seinen Begleiterscheinungen auslöst, zu decken. Sie wissen genau so wie ich es weiß, daß die Organisationen der Kriegsopfer z. B. eine Winterbeihilfe vom Bundestag erwarten. Das ist gefordert. Man kann also unseren Antrag nicht so behandeln, daß man sagt, es sei ein Agitationsantrag. Unser Antrag enthält das, was die Organisationen der Kriegsopfer, der Sozialberechtigten, der Erwerbslosen draußen fordern.
Aus den Kreisen der Sozialberechtigten ist uns aber auch ihre Auffassung mitgeteilt worden, daß
o ihre Forderungen vordringlicher sind als etwa die Finanzierung der Wiederaufrüstung oder etwa die Abdeckung der Besatzungskosten.
Folgerichtig haben wir in unserem Antrag den Vorschlag gemacht, daß die Mittel, die die Durchführung unseres Antrages erfordert, in der Form gewonnen werden sollen, daß die Besatzungsleistungen und die Leistungen für die Grenzschutzpolizei, dieses kaschierte Militär, eingestellt werden sollen. — Wenn Ihr Vorschlag angenommen wird, werden Sie erleben, daß Ihnen die Empörung der Sozialberechtigten draußen recht deutlich entgegentritt.
Wir sind deshalb nicht in der Lage, uns mit der geringfügigen Zuwendung, die der Ausschuß vorschlägt, zufriedenzugeben; wir halten unseren Antrag aufrecht und erwarten von dem Herrn Vorsitzenden, daß er über unseren Antrag noch einmal abstimmen läßt.
Ich fühle keine Verpflichtung, mich mit der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion auseinanderzusetzen.
Aber, Herr Kollege Mellies, die Erklärung, die Sie in Ihrer Zusage gegeben haben, hinkt ja doch bedenklich. Zeitmangel? Unser Antrag ist auf den Tag genau am 3. September gestellt worden, Ihr Antrag am 24. Oktober. Heute haben wir Mitte November. An der Zeit, diese Anträge zu realisieren, hat es also bestimmt nicht gefehlt.
— Na ja, entschuldigen Sie, wenn die Empörung etwas mit mir durchgeht!
Mit solchen fadenscheinigen Erklärungen werden Sie Ihre eigenen Leute nicht beruhigen. Ich darf Ihnen zum Schluß vielleicht noch eines offenbaren: daß in den Leitungen der Organisationen, von denen ich gesprochen habe, überwiegend sozialdemokratische Spitzenfunktionäre stehen. Sie entscheiden also hier nicht nur gegen die Notleidenden selber, sondern auch gegen die Auffassung Ihrer eigenen Genossen in den Leitungen dieser Organisationen. Daß der Bundestag, daß die Koalitionsparteien nicht mehr gewährt haben als das, was sie an Hungerpfennigen in diesem Vorschlage gewähren, ist sehr verständlich angesichts der Tatsache, daß ihnen j a der Herr Bundesfinanzminister den Befehl gegeben hat, eine Stillhalteaktion auf dem Gebiete der Sozialpolitik zu betreiben,
stillzuhalten gegenüber dem Hunger der Sozialberechtigten, aber fröhlich jede Ausgabe für die Besatzungstruppen zu schlucken und freudig die Milliardenbeträge zu schlucken, die die Remilitarisierung kosten wird. Das ist der Inhalt Ihrer Politik: Hunger für das Volk, aber Geld in Hülle und Fülle für die Sicherung der Belange
der wirklichen Machthaber in diesem Lande, der
westdeutschen Großkapitalisten, der Pferdmengesse, der Kriegstreiber und Aufrüstungshyänen.