Rede von
Dr.
Herwart
Miessner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um die Änderung eines Steuerparagraphen der Reichsabgabenordnung. Die Sache hat eine nicht geringe materielle Bedeutung auf dem Gebiet des Steuerrechts und damit des Wirtschaftslebens.
Im Steuerstrafrecht haben wir die eigenartige Bestimmung der sogenannten „tätigen Reue". Durch § 410 der Reichsabgabenordnung ist die Möglichkeit gegeben, auch nach Vollendung eines Steuerdelikts durch Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen.
Um die Bedeutung der jetzt vorgebrachten Gesetzesvorlage darzulegen, ist es notwendig, eine kurze vergleichende Betrachtung der bisherigen Fassungen des § 410 der Reichsabgabenordnung voranzustellen.
Bis zu der bizonalen Regelung vom 20. April 1949 hatten wir eine Fassung des § 410 mit folgendem Inhalt: Um Straffreiheit zu erlangen, also um die Möglichkeit zu haben, ein begangenes Steuerdelikt doch noch straffrei sein zu lassen, war in objektiver Hinsicht Voraussetzung, daß noch „keine Anzeige erstattet" oder noch „keine Untersuchung eingeleitet" war. Die „Einleitung der Untersuchung" hatte nun für den Steuerpflichtigen ihren Haken. Sie konnte nämlich darin bestehen, daß von der zuständigen Stelle des Finanzamts durch einen Aktenvermerk das Verfahren eingeleitet war, ohne daß der Steuerpflichtige davon Kenntnis erhielt. Das war recht unbefriedigend; denn es konnte vorkommen, daß der Steuerpflichtige guten Willens „tätige Reue" üben wollte, nun aber wegen dieses Aktenvermerks, von dem er gar nichts wußte, doch keine Straffreiheit erhielt. Die Regelung bis 1949 hatte ferner in subjektiver Hinsicht zur Voraussetzung, daß die Selbstanzeige nicht durch die unmittelbare Gefahr der Entdeckung veranlaßt sein durfte.
In der Absicht, die während der RM-Zeit besonders abgesunkene Steuermoral zu heben, glaubte man nach der Währungsreform, die Möglichkeit der Straffreiheit bei Steuerdelikten etwas erleichtern zu müssen. So stand die Neufassung durch das zweite Steuerneuordnungsgesetz der Bizone im April 1949 unter dem Motto, die Voraussetzungen für die „tätige Reue" zu mildern. Das geschah dadurch, daß man die Möglichkeit der Straffreiheit nur dann ausschloß, wenn ein steuerliches Strafverfahren dem Steuerpflichtigen gegenüber bereits eröffnet war. Es genügte also nicht mehr der einfache Aktenvermerk im internen Betrieb des Finanzamtes, sondern dem Steuerpflichtigen mußte amtlich davon Kenntnis gegeben werden, daß gegen ihn bereits ein Steuerstrafverfahren in Gang gesetzt worden ist. Das fand in den Worten „Strafverfahren eröffnet" seinen Niederschlag. Dies war eine wirkliche Verbesserung der Bestimmung in jeder Hinsicht.
Allerdings war man nun auch der Meinung, daß auf die subjektive Seite ganz verzichtet werden könnte. So war also von 1949 bis heute nur diese eine objektive Voraussetzung: Eröffnung des Strafverfahrens, für die Ausübung der „tätigen Reue" hinderlich. Dies hat in der Praxis zu ganz merkwürdigen Situationen geführt. Es konnte
vorkommen, daß der Prüfer bei der steuerlichen Betriebsprüfung Steuervergehen feststellte und der Steuerpflichtige sich das in aller Ruhe ansah, aber nach Schluß der Prüfung, wenn der Betriebsprüfer ihm alles vorgerechnet hatte, ein Auto nahm, vor dem Prüfer zum Finanzamt fuhr und bezüglich des ganzen vom Finanzprüfer vorgetragenen Sachverhalts „tätige Reue" übte. Das ist natürlich nicht im Sinne der Hebung der Steuermoral, die man an sich hatte erzielen wollen. Der Steuerpflichtige konnte aber so verfahren, weil man durch das Zweite Steuerneuordnungsgesetz jegliches subjektive Moment als Voraussetzung ausgeschaltet hatte. Ob er sich objektiv in der Gefahr der unmittelbaren Entdeckung befand oder ob er nur glaubte, daß er sich darin befand, das alles spielte ja keine Rolle mehr.
Hinzu kommt, daß das, was ein Steuerpflichtiger in dieser Weise ausgeknobelt und vorexerziert hatte, durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart gedeckt wurde. Dieses Gericht erklärte nämlich eine strafbefreiende Selbstanzeige auch dann noch für zulässig, wenn sich der Täter lediglich die Feststellung des Betriebsprüfers zu eigen mache und das Ergebnis der Prüfung der Steuerbehörde als Berichtigung mitteile. Gerade dieses Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart war wohl der Anlaß für die Bundesregierung, uns eine Gesetzesvorlage zur Änderung des § 410 der Reichsabgabenordnung vorzulegen. Man kann die jetzige Änderung daher geradezu „Lex Oberlandesgericht Stuttgart" nennen.
Naturgemäß hatte die jetzige Vorlage wieder eine Verschärfung der Bestimmungen zum Ziel. Das Pendel sollte wieder in der anderen Richtung — Regelung wie vor 1949 — ausschlagen. Aber die Dinge sind nun doch nicht so gelaufen, daß wir jetzt etwa wieder zu dem Zustand von vor 1949 zurückgekehrt sind. Denn die Situation, daß die „tätige Reue" lediglich durch einen internen Aktenvermerk des Finanzamtes ausgeschlossen wurde, sollte es nicht wieder geben. Insofern haben die Regierung ebenso wie der Finanz- und Steuerausschuß, der die Regierungsvorlage im übrigen aber in mehrfacher Hinsicht geändert hat, daran festgehalten, daß es nicht auf die Einleitung der Untersuchung, sondern auf die Eröffnung des Verfahrens als eine der objektiven Voraussetzungen, die gegebenenfalls die Straffreiheit ausschließen, ankommt. Die jetzige Regelung knüpft also unmittelbar an den geltenden Rechtszustand an, der zweifellos insoweit eine notwendige Verbesserung gegenüber dem Rechtszustand bis 1949 gebracht hat.
Um nun aber die Dinge abzustellen, die sich in den letzten zwei Jahren bei der zu weitgehenden Erleichterung der tätigen Reue eingeschlichen haben, hat man zwei weitere Voraussetzungen in den Gesetzentwurf aufgenommen. Die beiden neuen Tatbestände, die die tätige Reue und die strafbefreiende Selbstanzeige verhindern, sind folgende. Erstens kann man heute keine „tätige Reue" mehr üben, wenn die Betriebsprüfung im Hause ist. Das ist der entscheidende praktische Unterschied gegenüber allen bisherigen Regelungen, sowohl vor als auch nach 1949, und das ist natürlich sehr wesentlich, zumal wenn man weiß, daß die Betriebsprüfung ein ganz normales finanzamtliches Verfahren ist, das sich turnusmäßig alle drei Jahre in jedem Betrieb wiederholt. In den § 410 Abs. 1 ist jetzt wörtlich eingefügt, daß „tätige Reue" nicht mehr geübt werden kann, wenn ein Prüfer der Finanzbehörde zur steuerlichen oder steuerstrafrechtlichen Prüfung erschienen ist. Das ist, ich möchte sagen, der praktisch wesentlichste Punkt, in dem der vorliegende Gesetzentwurf geändert worden ist
Daneben hielt man es aber für notwendig, auch in subjektiver Hinsicht in gewissem Sinne an den früheren Rechtszustand wieder anzuknüpfen. Das kommt durch Abs. 2 zum Ausdruck, in dem es heißt:
Straffreiheit tritt nicht ein, wenn der Täter im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung wußte oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen mußte, daß die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war.
Es kommt — darüber ist in den Ausschußberatungen eingehend gesprochen worden — nicht allein darauf an, ob etwa die Entdeckung der Tat unmittelbar bevorstand, sondern die Ausschließung der Straffreiheit ist von dem subjektiven Moment abhängig, ob der betreffende Steuerpflichtige davon wußte oder jedenfalls bei verständiger Würdigung damit rechnen mußte. Aber, wie gesagt, dieser Abs. 2 ist zwar gegenüber dem jetzt geltenden Recht, das gar kein subjektives Moment kennt, eine Neuerung, lehnt sich jedoch im großen und ganzen an das frühere Recht an, das bis 1949 galt.
Im Abs. 3 hat der § 410 noch eine gewisse Besonderheit. Es ist gesagt, daß die Straffreiheit nur eintritt, wenn der Täter die Summe, die er schuldet, innerhalb einer bestimmten Zeit, die ihm vom Finanzamt gesetzt ist, nachentrichtet. Auch darüber hat der Ausschuß des längeren beraten. Von juristischer Seite her wird es immer als ein Rückschritt angesehen, wenn irgendeine Tat durch den Erfolg qualifiziert wird; denn durch den Erfolg qualifizierte Delikte gehören ja bekanntlich nicht in den Bereich eines modernen Strafrechts. Trotz dieser Überlegungen, die für das allgemeine Strafrecht maßgebend sind, ist der Ausschuß mit der Regierung der Meinung gewesen, daß diese Bestimmung doch in das Gesetz gehöre. Zu dieser Meinung ist der Ausschuß aus rein praktischen Erwägungen gekommen. Es darf nämlich nicht dahin kommen, daß jemand zunächst einmal ein Steuervergehen begeht, dann „tätige Reue" übt und, wenn er zahlen soll, erklärt, er habe nichts. Diese Situation wäre ziemlich unerträglich. Darum müssen wir diese im Sinne des allgemeinen Strafrechts rückschrittliche Bestimmung schon in Kauf nehmen.
Der Abs. 4 des § 410 ist an sich keine Neuerung. Hierdurch haben lediglich die Einzelbestimmungen aus der ersten Durchführungsverordnung vom 2. Juni 1949 zum Zweiten Steuerneuordnungsgesetz ihre gesetzliche Grundlage erhalten. Das ist erfreulich, denn die Übersichtlichkeit wird dadurch besser gewahrt.
Nun finden Sie, meine Damen und Herren, daß in dem § 410 des Entwurfs zwei Paragraphen nicht mehr aufgeführt sind, die bis jetzt in diesem Paragraphen genannt waren. Das ist zunächst der § 401 b der Reichsabgabenordnung. Der § 401 b betraf den gewerbsmäßigen, bandenmäßigen oder gewaltsamen Schmuggel. Diese Frage ist ja heute sehr aktuell. Man war allerseits der Meinung, daß für solche schwere Delikte die Vergünstigung der strafbefreienden Selbstanzeige überhaupt ausgeschlossen sein sollte. Ich glaube, dagegen ist nichts zu sagen. Es dürfte praktisch auch keine große Rolle spielen. Wer bandenmäßigen Schmuggel betreibt,
der kommt ohnehin kaum auf die Idee, „tätige Reue" üben zu wollen.
Wesentlich ist aber, daß auch der § 402 nicht erwähnt ist. Der § 402 betrifft im Gegensatz zu § 396 nicht die Steuerhinterziehung, sondern die Steuergefährdung, also die fahrlässige Steuerverkürzung. Man war im Ausschuß der Meinung, daß die neuen verschärfenden Bestimmungen des § 410 durchaus ihre Berechtigung hätten für den Fall des Vorsatzes, daß sie aber zu scharf und zu einschränkend seien bei der großen Zahl der fahrlässigen Steuerdelikte. So ist der § 402 im § 410 nicht mehr auf geführt und dafür ein neuer § 411 geschaffen worden. Die Paragraphenziffer 411 war in der gegenwärtigen Reichsabgabenordnung frei; daher konnte die freie Stelle mit dieser Bestimmung ausgefüllt werden. Diese Abweichung von der Regierungsvorlage ist nun etwas sehr Wesentliches, denn bei der größten Zahl der Steuerdelikte wird es sich in subjektiver Hinsicht um Fahrlässigkeit handeln. Damit ist nun für den Fall der Fahrlässigkeit bei Steuervergehen der bisherige Rechtszustand beibehalten worden, so daß die „tätige Reue" mit strafbefreiender Wirkung lediglich dann ausgeschlossen ist, wenn bereits ein Steuerstrafverfahren eröffnet, dem Betreffenden also amtlich die Einleitung eines Verfahrens bekanntgegeben worden ist. Hierbei spielen demnach weder die Tatsache einer schon in Gang befindlichen Betriebsprüfung, noch die subjektiven Momente des § 410 Abs. 2 — daß der Täter mit der Entdeckung rechnen mußte usw. — eine Rolle. Demgemäß sind in § 411 Abs. 2 auch nur die Abs. 3 bis 5 des § 410 angezogen worden.
Abschließend glaube ich, als Berichterstatter sagen zu können, daß mit dieser stärkeren Einengung der „tätigen Reue" bei Vorsatz einerseits und mit der Fortführung des geltenden Rechtes bei Fahrlässigkeit andererseits der rechte Mittelweg gefunden worden ist. Demgemäß hat auch der gesamte Ausschuß der jetzigen Fassung einmütig zugestimmt. Ich darf daher namens des Ausschusses das Hohe Haus bitten, diese Gesetzesvorlage anzunehmen.