Herr Abgeordneter Odenthal, ich darf Ihnen vorschlagen, einen Augenblick zu unterbrechen. — Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Besprechung einen Augenblick. Herr Abgeordneter Odenthal ist so liebenswürdig, seine Ausführungen nachher fortzusetzen. Unsere amerikanischen Gäste betreten in diesem Augenblick den Saal.
Meine sehr verehrten Herren! Es ist sicher ein erstmaliger Vorgang in der deutschen Parlamentsgeschichte, daß eine offizielle Delegation beider Häuser des amerikanischen Kongresses im deutschen Parlament willkommen geheißen wird. Nachdem zahlreiche Mitglieder des Deutschen Bundestages ' auf die freundlichen Einladungen Ihres Staates hin die parlamentarischen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ihres Landes kennengelernt haben, war es uns eine besondere Freude, daß Sie unsere Einladung zu einem Besuche des Bundestages und Deutschlands ohne Zögern angenommen haben. Ich betrachte es als ein besonders günstiges Vorzeichen Ihres Besuches, daß der verehrte Senior Ihrer Delegation, Herr Senator Green, vor genau 60 Jahren hier in Bonn studiert hat.
Er kann daher wie wenige unter uns den ungeheuren Wandel der Dinge auch in der politischen Situation seit jener Zeit überschauen.
Wir haben in diesen 60 Jahren Ereignisse erlebt, deren Auswirkungen sich wahrscheinlich auf einen viel längeren Zeitraum erstrecken werden. Zweimal haben sich in diesen 60 Jahren unsere Länder ill Kriegen gegenübergestanden. Wir wissen, was das bis heute an inneren und äußeren Belastungen mit sich gebracht hat. Ich freue mich daher, das Wort aufnehmen zu können, das Ihr Sprecher beim Begrüßungsabend in diesem Hause am Sonntag ge- sagt hat, daß es uns geboten sei, nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft zu schauen.
Lassen Sie mich aber dennoch einen Blick in die Vergangenheit tun. Im Laufe langer Zeiträume sind Millionen deutscher Menschen in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert. Sie sind bei aller Liebe zu ihrem Volkstum, das sie auch heute noch pflegen, zusammen mit Menschen vieler anderer Völker zu vollberechtigten und vollverantwortlichen Gliedern Ihres Volkes und Staates geworden. Sie haben damit ein Beispiel gegeben, das uns allen wichtig sein sollte: daß sich Menschen verschiedener Völker und diese Völker selbst im gemeinsamen Interesse größeren Gemeinschaften einfügen können und sollen. Das deutsche Volk hat nicht nur in seinem Grundgesetz zum Ausdruck gebracht, daß es dazu bereit ist, sondern es versucht in mannigfacher Weise, dazu beizutragen, daß es als gleichberechtigtes Glied in eine größere Gemeinschaft der europäischen Völker und in darüber hinausgehende Vereinigungen von Völkern hineinwächst.
Ich glaube allerdings, daß der Beginn solcher größeren Gemeinschaften zunächst in der unmittelbaren Begegnung von Mensch zu Mensch liegt. Lassen Sie mich darum auch Ihnen gegenüber aussprechen, daß wir die unermeßliche Hilfeleistung, die unser Volk in den Zeiten seiner größten Not, bereits unmittelbar nach dem Ende des Krieges von zahllosen Organisationen und Einzelpersonen Ihres Volkes erfahren hat, unauslöschlich in der Erinnerung bewahren.
Kirchliche und andere karitative Organisationen und viele einzelne Amerikaner haben hier in einer beispiellosen Offensive der Hilfsbereitschaft die Mauern politischer Scheidewände durchstoßen. Sie haben damit nicht nur einen unerhörten Beitrag zur persönlichen Fühlungnahme zwischen unseren Völkern geleistet, sondern auch politische Handlungen unterstützt, die dann gefolgt sind.
Ich habe Sie bei unserer ersten Begegnung gebeten, bei Ihrem Besuch nicht nur die Fassaden des deutschen Lebens zu sehen, sondern auch all die Schwierigkeiten und die Not, die trotz aller Erfolge unserer Aufbauarbeit seit 1945 und insbesondere seit 1949 noch vorhanden sind und die
angesichts des Ausmaßes unseres Zusammenbruchs einfach noch nicht überwunden werden konnten. Das bezieht sich insbesondere auf die Frage der in unseren Staat gekommenen fast 9 Millionen Vertriebenen aus dem Osten. Wir haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß die Frage ihrer Unterbringung und insbesondere ihrer wirtschaftlichen Eingliederung in ihre gegenwärtigen Aufenthaltsländer aus unseren eigenen Kräften nicht völlig gelöst werden kann, sondern einer internationalen Unterstützung bedarf. Wir sagen das nicht nur im Interesse des deutschen Volkes, sondern im Interesse des Friedens und der Ordnung in der Welt, die durch das Vorhandensein von Millionen von Vertriebenen, die nicht in das wirtschaftliche Leben ihrer Völker eingegliedert sind, unerträglich belastet werden.
Ihre Regierung und Ihr Parlament haben in den vergangenen Jahren Maßnahmen zur Hilfe für die unter den Folgen des Krieges leidenden Nationen und dabei nicht zuletzt für unser Volk getroffen, die zweifellos in ihrer Zielsetzung und in ihrer Anlage epochemachend sind, weil sie einen völligen Wandel in den sonst üblichen Verhältnissen zwischen Siegern und Besiegten bedeuten. Diese Hilfsmaßnahmen haben den seit 1945 geschehenen Ereignissen erst ihr volles Gewicht und ihre Bedeutung für die Zukunft gegeben. Wir haben ihre Maßnahmen so verstanden, daß Ihr Ziel nicht nur darin besteht, die wirtschaftliche und politische Ordnung in den durch die Folgen des Krieges zerstörten Ländern wiederherzustellen, sondern ebenso stark auch darin, die politische Gleichberechtigung herbeizuführen. Sie wissen, daß es die Politik dieses Hauses und unserer Regierung ist, dazu zu helfen, daß wir mit allen Völkern, die dazu bereit sind, in Frieden und Freiheit zusammenleben können. Dazu ist unseres Erachtens die Herstellung der deutschen Souveränität eine unabdingbare Voraussetzung. Wir sind dessen gewiß, daß Ihr Volk, wie kaum ein anderes, Verständnis dafür hat, daß wirklich dauernde und für die Zukunft verbindliche politische Entscheidungen nur von freien Völkern aus freier Entschließung gefaßt werden können.
Wir danken Ihnen für Ihren Besuch, weil wir in ihm das starke Interesse Ihres Staates und seines Parlaments für die Probleme in Deutschland erkennen und weil wir hoffen, daß dieser Besuch nicht nur das Verhältnis unserer Völker untereinander verbessert, sondern daß er zum Frieden und zur Wohlfahrt aller Völker dieser Erde beiträgt. In diesem Sinne heiße ich Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkommen und hoffe, daß Sie hier und überall im deutschen Volk den Eindruck haben, daß wir mit Ihren Vorstellungen von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit übereinstimmen und deshalb bereit sind, in der Zukunft gemeinsame Wege zu gehen.
Darf ich Herrn Senator Green bitten, das Wort zu nehmen.